Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 – VII R 10/20 weitere Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung geschaffen. Die Entscheidung bestätigt die Rechtmäßigkeit der Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsarbeiten ohne Verwendung eines anonymisierten Kennzahlensystems anfertigen zu lassen. Des Weiteren hebt der BFH hervor, dass das Überdenkungsverfahren eine eigenständige und unabhängige Überprüfung durch die hierfür zuständigen Prüfer erfordert und dass eine gemeinsam abgestimmte Überdenkung von Klausuren durch eine Prüfermehrheit unzulässig ist.
Die Klägerin des Streitfalls nahm an der Steuerberaterprüfung 2015 teil. Die für das entsprechende Bundesland zuständige Steuerberaterkammer machte von der in § 18 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Berufsausübungsgesellschaften (DVStB) vorgesehenen Option, die schriftlichen Aufsichtsarbeiten unter Verwendung einer anonymen Kennzahl schreiben zu lassen, keinen Gebrauch, sodass der Name des Prüflings auf den Klausuren anzugeben und den Korrektoren mithin bei der Bewertung der Arbeiten bekannt war. Wegen nicht ausreichender schriftlicher Prüfungsleistungen verweigerte die prüfende Steuerberaterkammer der Klägerin die Zulassung zur mündlichen Prüfung. Sie ersuchte die jeweiligen Erst- und Zweitprüfer daraufhin um eine Überprüfung der Bewertung im Rahmen eines Überdenkungsverfahrens. Hinsichtlich einer der drei Klausuren gaben die betreffenden Prüfer im Zuge dessen eine gemeinsame, zwischen ihnen abgestimmte Stellungnahme zu den Einwendungen der Klägerin ab. Weder das verwaltungsinterne Überdenkungsverfahren noch die parallel vor dem Finanzgericht geführte Klage gegen das Prüfungsergebnis hatten Erfolg.
Der BFH gab der Klägerin zum Teil Recht und verpflichtete die Beklagtenseite, die gemeinsam überdachte Klausur durch andere Prüfer neu bewerten zu lassen. Im Übrigen wies er die Revision als unbegründet zurück.
Er urteilte, dass § 18 Abs. 1 Satz 4 DVStB mit Verfassungsrecht vereinbar ist. Der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit unter besonderer Berücksichtigung des Verbots geschlechtsspezifischer Diskriminierung gebiete kein anonymisiertes Kennzahlensystem für die Durchführung der schriftlichen Steuerberaterprüfung. Statistische Belege für die Annahme der Klägerin, dass die Verwendung des Namens in der Steuerberaterprüfung zu geschlechtsspezifischer Benachteiligung führe, seien nicht vorhanden.
Die zwischen Erst- und Zweitprüfer abgestimmte gemeinsame Überdenkung ihrer Bewertung war hingegen verfahrensfehlerhaft. Der objektivitätssteigernde Effekt der Einschaltung einer Prüfermehrheit werde durch die Zulassung gemeinsamer Beurteilungen zu einem erheblichen Teil wieder zunichte gemacht. Deshalb sei eine solche Abstimmung – anders als eine eigenständige, aber „offene“ Überdenkung in Kenntnis des vom anderen Prüfer gefundenen Ergebnisses – allenfalls im Nachgang zu einer schriftlichen Fixierung des Überdenkungsergebnisses zulässig.
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See also: VII R 10/20