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Beschluss vom 13. Dezember 2023, VII B 171/22

Zur Frage der Festsetzung und Berechnung von Zinsen auf erstattete Antidumpingzölle

ECLI:DE:BFH:2023:B.131223.VIIB171.22.0

BFH VII. Senat

AO § 47, AO § 169, AO § 169ff, AO § 239, EUV Art 4 Abs 3

vorgehend FG Hamburg, 03. November 2022, Az: 4 K 103/21

Leitsätze

NV: Zur Festsetzung und Berechnung von Zinsen aufgrund eines unionsrechtlichen Zinsanspruchs sind die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) einschließlich der Erlöschenstatbestände des § 47 AO anzuwenden. Demnach erlischt ein Zinsanspruch durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung im Sinne der §§ 169 ff. AO.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 03.11.2022 - 4 K 103/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte im Zeitraum zwischen Juni 2011 und April 2012 Zitrusfrüchte mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführt, für die der Beklagte und Beschwerdegegner (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) Antidumpingzoll festgesetzt hatte. Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegte Verordnung für ungültig erklärt hatte, erstattete das HZA der Klägerin den von ihr gezahlten Antidumpingzoll mit verschiedenen Bescheiden aus Juni und Juli 2012.

  2. Eine im Jahr 2012 beantragte Verzinsung des erstatteten Abgabenbetrags lehnte das HZA mit Bescheid vom 03.05.2013 ab. Dagegen legte die Klägerin keinen Einspruch ein.

  3. Mit Schreiben vom 29.08.2017 beantragte die Klägerin die Verzinsung des Erstattungsbetrags im Wege des Erlasses eines Abrechnungsbescheids, was das HZA mit Bescheid vom 02.06.2018 ebenfalls ablehnte. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

  4. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe in dem Abrechnungsbescheid zu Recht keinen noch offenen Zinsbetrag ausgewiesen, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zinsen durch den Eintritt der Verjährung erloschen seien. Die Modalitäten für die Zahlung von Zinsen und die Festsetzungsfrist richteten sich ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH nach der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats. Im Streitfall sei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2013 abgelaufen. Dem Eintritt der Festsetzungsverjährung stehe nicht entgegen, dass das HZA mit Bescheid vom 03.05.2013 rechtsirrig einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Zinsen verneint und damit fehlerhaft gehandelt habe. Auch wenn der unionsrechtliche Zinsanspruch vom Anwendungsbereich des § 233 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) a.F. nicht erfasst gewesen sei, führe dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Insbesondere seien die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt.

  5. Die Klägerin begründet ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Es sei zu klären, ob eine Zollbehörde, die den berechtigten Antrag eines Wirtschaftsbeteiligten auf Zahlung von Zinsen aufgrund der verzögerten Zahlung eines unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs rechtsirrig und fehlerhaft abgelehnt und dadurch verursacht habe, dass die Fehlentscheidung unanfechtbar geworden sei, sich auf das Erlöschen des Zinsanspruchs wegen Festsetzungsverjährung berufen könne (Frage 1). Der Anspruch auf Verzinsung ergebe sich unmittelbar aus dem Unionsrecht. Auch wenn diesbezüglich die innerstaatlichen Zinsvorschriften anzuwenden seien, seien die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu beachten. Das HZA habe den Antrag der Klägerin unionsrechtswidrig abgelehnt, indem ihr mitgeteilt worden sei, eine Verzinsung von zu erstattenden Beträgen sei grundsätzlich nicht vorgesehen. Damit seien ihre Rechte praktisch unmöglich gemacht oder zumindest übermäßig erschwert worden.

  6. Hilfsweise sei zu klären, ob die Verjährungsfrist für den unionsrechtlichen Zinserstattungsanspruch wegen der Rückzahlung von Antidumpingzöllen ein Jahr oder fünf Jahre betrage, weil die für Steuern geltende Festsetzungsfrist für diesen Anspruch nicht vorgeschrieben sei (Frage 2). Da die Verzinsung von Erstattungsbeträgen nach Rückzahlung von Antidumpingzöllen nicht gesetzlich (in der Abgabenordnung) geregelt gewesen sei, werde in § 239 Abs. 1 AO auch keine Frist von einem Jahr für die Festsetzung vorgeschrieben. Da der unionsrechtliche Zinsanspruch aber anzuerkennen und zu befriedigen sei, schreibe das deutsche Recht für die Zahlung eine Frist von fünf Jahren vor.

  7. Fraglich sei darüber hinaus, ob für die Zahlung unionsrechtlich entstandener Zinsansprüche die Notwendigkeit einer Zinsfestsetzung bestehe (Frage 3). Dass vorliegend teilweise ausgelaufenes Recht anwendbar sei, stehe der Klärung der aufgeworfenen Frage nicht entgegen, weil die höchstrichterlich erbetene Entscheidung für den Streitfall und darüber hinaus für vergleichbare Fälle Bedeutung behalte.

  8. Außerdem sei hilfsweise zu klären, ob das Gebot der Zweistufigkeit des Verfahrens so weit gehe, dass ein Wirtschaftsbeteiligter seinen unionsrechtlich gebotenen Zinsanspruch nach der gesetzlich geltenden innerstaatlichen Ordnung im Wege der Analogie im Festsetzungsverfahren erzwingen müsse, auch wenn das nationale Recht keine gesetzliche Grundlage für ein Festsetzungsverfahren geschaffen habe, oder analog dem Erstattungsverfahren auf eine Festsetzung verzichtet werden könne, da sich der Erstattungsanspruch bereits aus dem Unionsrecht ableite (Frage 4). Schließlich sei bislang ungeklärt, ob diese Analogie aus unionsrechtlichen Gründen hier ausnahmsweise so weit gehen könne, dass sie zu Lasten des Wirtschaftsbeteiligten eine beeinträchtigende Verkürzung seiner Rechtsstellung begründen könne (Frage 5). Die analoge Anwendung des § 236 AO, die das FG bejaht habe, sei nicht zweifelsfrei.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig oder nicht klärungsfähig.

  2. 1. Die erste Frage ist nicht klärungsbedürftig.

  3. Es entspricht ständiger EuGH-Rechtsprechung, dass in Ermangelung einer Unionsregelung die Modalitäten für die Zahlung von Zinsen bei Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Geldbeträgen von der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats zu regeln sind. Diese Modalitäten dürfen zum einen nach dem Äquivalenzgrundsatz nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen innerstaatliches Recht betreffenden Rechtsbehelfen und zum anderen dürfen sie nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. EuGH-Urteile Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu vom 08.06.2023 - C-322/22, EU:C:2023:460, Rz 39 und 47 und Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost vom 28.04.2022 - C-415/20, C-419/20 und C-427/20, EU:C:2022:306, Rz 74, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 15.11.2022 - VII R 29/21, BFHE 279, 1, Rz 13).

  4. Ausgehend davon sind zur Festsetzung und Berechnung von Zinsen aufgrund eines unionsrechtlichen Zinsanspruchs die Vorschriften der Abgabenordnung einschließlich der Erlöschenstatbestände des § 47 AO anzuwenden. Demnach erlischt ein Zinsanspruch ‑‑einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 37 Abs. 1 Alternative 4 AO‑‑ durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung im Sinne der §§ 169 ff. AO. Diese Vorschriften gelten gleichermaßen für Zinsansprüche aus innerstaatlichem Recht, weshalb Ansprüche aus Unionsrecht im Vergleich dazu nicht schlechter gestellt werden und der Äquivalenzgrundsatz gewahrt ist.

  5. Auch der Effektivitätsgrundsatz steht dem Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen. Insofern ist durch den EuGH geklärt, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist (EuGH-Urteile Edis vom 15.09.1998 - C-231/96, EU:C:1998:401, Rz 35; Recheio, Recheio - Cash & Carry vom 17.06.2004 - C-30/02, EU:C:2004:373, Rz 18, m.w.N. und Agentia Judeteana de Ocupare a Fortei de Munca Ilfov vom 16.02.2023 - C-524/21 und C-525/21, EU:C:2023:100, Rz 65). Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der erhobenen Klage zur Folge hat. Vielmehr liefe eine zeitlich unbeschränkte Möglichkeit, ein Recht geltend zu machen, dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider, der verlangt, dass die steuerliche Lage des Steuerpflichtigen in Anbetracht seiner Rechte und Pflichten gegenüber der Steuerverwaltung nicht unbegrenzt offenbleiben kann (vgl. zu einem Antrag auf Erstattung eines Mehrwertsteuerüberschusses EuGH-Urteil Sole-Mizo und Dalmandi Mezőgazdasági vom 23.04.2020 - C-13/18 und C-126/18, EU:C:2020:292, Rz 54 f., m.w.N.).

  6. Insofern liegt der vorliegende Streitfall anders als derjenige, der dem mit Senatsbeschluss vom 01.06.2022 - VII R 48/20 (BFHE 276, 480) an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen betreffend die Erstattung von Produktionsabgaben zugrunde liegt. Dort konnte der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Produktionsabgaben erst dann beziffert und geltend gemacht werden, nachdem bereits Festsetzungsverjährung nach deutschem Recht eingetreten war. Vorliegend hat jedoch die Klägerin keinen Einspruch gegen den Bescheid vom 03.05.2013 eingelegt, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre. Verzichtet der Adressat eines Verwaltungsakts jedoch selbst auf ihm zustehende und noch mögliche Rechtsmittel, wird sein Anspruch nicht durch Vorschriften der innerstaatlichen Rechtsordnung unmöglich gemacht.

  7. Ob die vom HZA angegebene Begründung gegebenenfalls falsch gewesen ist, ändert daran nichts, weil das Rechtsbehelfsverfahren gerade darauf abzielt, die Rechtmäßigkeit eines Bescheids zu überprüfen. Zudem führt ein Verschulden der Behörde im Regelfall nicht dazu, dass ein Steuerbescheid nach Eintritt der Festsetzungsverjährung noch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 08.09.2015 - V B 5/15, Rz 6, m.w.N.).

  8. 2. Im Übrigen hat die Klägerin nicht gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt, warum die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Antidumpingzölle rund drei Monate nach der Ungültigerklärung der Antidumpingverordnung durch den EuGH verzögert erfolgt sein soll und die erste Frage unter diesem Gesichtspunkt in einem etwaigen Revisionsverfahren klärungsfähig wäre.

  9. 3. Auch hinsichtlich der zweiten und dritten Frage hat die Klägerin die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere hat sich die Klägerin nicht damit auseinandergesetzt, dass für einen Abrechnungsbescheid im Sinne von § 218 Abs. 2 AO die formelle Bescheidlage maßgeblich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 21.09.2021 - VII R 9/18, Rz 26) und das HZA eine Verzinsung des Erstattungsbetrags mit Bescheid vom 03.05.2013 bestandskräftig abgelehnt hat. Käme ein Ausweis eines Zinsanspruchs in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid jedoch bereits aus diesem Grund nicht mehr in Betracht, könnte die Frage nach der Dauer der Verjährungsfrist ebenso wie die Frage nach der Notwendigkeit einer Zinsfestsetzung dahinstehen (zur formellen Bestandskraft eines Zinsbescheids vgl. Senatsurteil vom 22.10.2019 - VII R 24/18, BFHE 267, 90, Rz 15).

  10. 4. Die Fragen vier und fünf sind jedenfalls nicht klärungsbedürftig.

  11. Wie bereits unter 1. ausgeführt, richten sich die Modalitäten für die Festsetzung und Zahlung von Zinsen nach der Abgabenordnung, weil das Unionsrecht insoweit keine Vorgaben macht. Dass auf Zinsen die Vorschriften für Steuern entsprechend anzuwenden sind, folgt aus § 239 Abs. 1 Satz 1 AO. Im Übrigen hat auch der beschließende Senat in seinem Urteil vom 22.10.2019 - VII R 24/18 (BFHE 267, 90, s. insbesondere Tenor und Rz 12, 33) eine Festsetzung von Zinsen auf der Grundlage eines unionsrechtlichen Zinsanspruchs ausgesprochen.

  12. 5. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

  13. 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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