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Urteil vom 03. Dezember 2024, IX R 16/24

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 03.12.2024 - IX R 32/22: Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen und Verstoß von Art. 15 Abs. 6 AStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit

ECLI:DE:BFH:2024:U.031224.IXR16.24.0

BFH IX. Senat

AStG § 15 Abs 1, AStG § 15 Abs 2, AStG § 15 Abs 6, AStG § 18 Abs 4, AEUV Art 49, AEUV Art 63 Abs 1, AEUV Art 64, AEUV Art 65, AEUV Art 267 Abs 3

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 13. July 2022, Az: 8 K 1419/19

Leitsätze

1. NV: Unter einer für die Anfallsberechtigung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) erforderlichen gesicherten Rechtsposition ist die bei objektiver Betrachtungsweise bestehende begründete Aussicht eines Steuerpflichtigen zu verstehen, im Fall der Liquidation der Stiftung Auskehrungen zu erhalten.

2. NV: Die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger als anfallsberechtigt anzusehen ist, erfolgt nach dem Prinzip der veranlagungszeitraumbezogenen Besteuerung.

3. NV: Zur Abwendung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist es wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts für die Anwendung von § 15 Abs. 6 AStG unschädlich, wenn die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, sondern in einem Drittstaat hat.

4. NV: Für die Beurteilung, ob das Stiftungsvermögen gemäß § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG der Verfügungsmacht der in Abs. 2 und 3 genannten Personen "rechtlich und tatsächlich" entzogen ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage an.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 13.07.2022 - 8 K 1419/19 aufgehoben.

Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 des Außensteuergesetzes für 2014 bis 2016, zuletzt in der Fassung der Änderungsbescheide vom 07.11.2024, werden aufgehoben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen der Zurechnungsbesteuerung nach § 15 des Außensteuergesetzes in der in den Streitjahren 2014 bis 2016 jeweils gültigen Fassung (AStG) sowie darüber, ob hiervon zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit Abstand zu nehmen ist.

  2. Herr … (Stifter) errichtete eine Stiftung. Im Rahmen einer Abspaltung verschiedener Stiftungen von dieser wurde am 15.01.1988 die streitgegenständliche …-Familienstiftung (X-Stiftung) gegründet. Bei der X-Stiftung handelt es sich um eine Stiftung nach dem Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Schweiz). Sitz der Stiftung ist Zug in der Schweiz. Destinatäre der X-Stiftung sind die Feststellungsbeteiligten. Nach dem Stiftungsstatut entscheidet der Stiftungsrat über die Verwendung des Stiftungskapitals und der Erträgnisse nach freiem Ermessen. Den Destinatären stehen keine klagbaren Ansprüche gegen die X-Stiftung zu. Der Rechtsweg ist daher ausgeschlossen, solange den Destinatären ein Beschluss des Stiftungsrats über eine Zuwendung nicht schriftlich mitgeteilt worden ist. Der Stiftungsrat ist das für die Organisation der Stiftungsgeschäfte zuständige Organ.

  3. Das Finanzamt … stellte die den Feststellungsbeteiligten zuzurechnenden Einkünfte gesondert und einheitlich gegenüber den Feststellungsbeteiligten mit Bescheiden vom 21.03.2019 fest. Gemeinsame Empfangsbevollmächtigte der Feststellungsbeteiligten ist die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin).

  4. Die von der Klägerin gegen die Feststellungsbescheide erhobene Klage zum Finanzgericht (FG) führte zu deren Aufhebung (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2023, 608). Während des Klageverfahrens wurde das Finanzamt … und im Verlauf des Revisionsverfahrens der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt … ‑‑FA‑‑) zuständig.

  5. Mit der Revision rügt das FA im Wesentlichen die Verletzung materiellen Rechts. Die Feststellungsbeteiligten seien nicht nur anfalls-, sondern auch bezugsberechtigt im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG. Die Zurechnung der Einkünfte der X-Stiftung nach § 15 AStG verstoße nicht gegen die Grundfreiheiten.

  6. Mit Datum vom 07.11.2024 hat das FA aus im Revisionsverfahren nicht streitgegenständlichen Gründen geänderte Feststellungsbescheide erlassen.

  7. Das FA beantragt,
    das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  8. Die Klägerin beantragt,
    das angefochtene Urteil aufzuheben und die gesonderten und einheitlichen Feststellungen nach § 18 Abs. 4 AStG für die Feststellungsjahre 2014 bis 2016, zuletzt in der Fassung der Änderungsbescheide jeweils vom 07.11.2024, aufzuheben.

  9. Rechtsfehlerhaft habe die Vorinstanz eine Anfallsberechtigung der Feststellungsbeteiligten angenommen. Jedenfalls habe die Zurechnungsbesteuerung zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit beziehungsweise gegen die Grundrechte der Feststellungsbeteiligten zu unterbleiben.

  10. Das finanzgerichtliche Verfahren betraf die Feststellungszeiträume 2012 bis 2016. Mit Beschluss vom 11.06.2024 ist das Verfahren hinsichtlich des Feststellungszeitraums 2013 sowie hinsichtlich der vorliegend streitigen Feststellungszeiträume 2014 bis 2016 abgetrennt und die Feststellungsbeteiligten sind zum Verfahren beigeladen worden.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Bereits aus verfahrenstechnischen Gründen hat die Vorentscheidung keinen Bestand.

  2. 1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat über die Feststellungsbescheide vom 21.03.2019 entschieden. An deren Stelle sind während des Revisionsverfahrens die Änderungsbescheide vom 07.11.2024 getreten, die nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Damit liegen der Vorentscheidung nicht mehr existierende Bescheide zugrunde. Das angefochtene Urteil ist gegenstandslos geworden und aufzuheben (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22.02.2018 - VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 17, m.w.N.).

  3. 2. Allein deshalb bedarf es jedoch keiner Zurückverweisung an das FG gemäß § 127 FGO. Denn hinsichtlich der streitigen Zurechnung der Einkünfte einer ausländischen Familienstiftung dem Grunde nach haben sich durch die Änderungsbescheide vom 07.11.2024 keine Änderungen ergeben, und die Klägerin hat auch keinen weitergehenden Antrag gestellt. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel (dazu unter III.2.b bb sowie III.3.), so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache (BFH-Urteil vom 15.03.2007 - VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076, unter II.1.).

III.

  1. In der Sache hat die Revision keinen Erfolg. Die Klage ist begründet. Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 18 Abs. 4 AStG für 2014 bis 2016 sind rechtswidrig und daher aufzuheben. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Zurechnung der Einkünfte der X-Stiftung zu den Feststellungsbeteiligten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG dem Grunde nach vor (dazu unter 1.). Unter Berücksichtigung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts hat die Zurechnung jedoch gemäß § 15 Abs. 6 AStG zu unterbleiben (dazu unter 2.).

  2. 1. Zutreffend hat das FG die Voraussetzungen für eine Zurechnung der Einkünfte zu den Feststellungsbeteiligten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG dem Grunde nach angenommen.

  3. Nach dieser Vorschrift werden Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung, die Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Außensteuergesetzes hat (ausländische Familienstiftung), dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. Familienstiftungen sind nach § 15 Abs. 2 AStG Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind.

  4. a) Die X-Stiftung ist eine ausländische Stiftung. Die Feststellungsbeteiligten sind Angehörige beziehungsweise Abkömmlinge des Stifters. Dies ist unstreitig.

  5. b) Die X-Stiftung ist eine Familienstiftung im Sinne von § 15 Abs. 2 AStG. Die Feststellungsbeteiligten sind jedenfalls zu mehr als der Hälfte anfallsberechtigt.

  6. aa) Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass eine Anfallsberechtigung im Sinne von § 15 AStG keinen (einklagbaren) Anspruch voraussetzt, sondern eine gesicherte Rechtsposition in Bezug auf den Anfall des Vermögens genügt (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.4.e).

  7. Eine für eine Anfallsberechtigung erforderliche gesicherte Rechtsposition nimmt die Rechtsprechung an, wenn dem Steuerpflichtigen eine unentziehbare Rechtsposition zuteilwird, so dass es nur bei Eintreten ungewöhnlicher Verhältnisse in dessen Person zu einer Beeinträchtigung seiner Rechte an der Auskehrung kommen kann (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.4.e). Soweit in der Literatur für die Annahme einer Anfallsberechtigung auf eine Anwartschaft abgestellt wird (Brandis/Heuermann/Vogt, § 15 AStG Rz 45), versteht der Senat dies als ein Synonym für eine gesicherte Rechtsposition (so im Ergebnis Hennemann-Raschke in Haun/Kahle/Goebel/Reiser, Außensteuergesetz, § 15 Rz 17 i.V.m. Rz 19). Eine Anwartschaft im steuerlichen Sinne liegt vor, soweit eine begründete Aussicht auf den Erwerb einer tatsächlichen oder rechtlichen Position besteht (BFH-Urteil vom 20.02.1975 - IV R 15/71, BFHE 115, 223, BStBl II 1975, 505, unter 5.a; vgl. Senatsurteil vom 19.02.2013 - IX R 35/12, BFHE 240, 559, BStBl II 2013, 578, Rz 13; Brandis/Heuermann/Ratschow, § 20 EStG Rz 359).

  8. Dementsprechend sind jedenfalls sogenannte Zufallsdestinatäre, mithin Personen, bei denen es bloß spekulativer Natur ist, ob sie Ausschüttungen einer ausländischen Stiftung erhalten, nicht als anfallsberechtigt anzusehen (Tz. 15.2 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 14.05.2004, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004, S. 3; Tz. 15.1.1.2 des BMF-Schreibens vom 22.12.2023, BStBl I 2023, Sondernummer 1/2023, S. 2, Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes ‑‑AEAStG‑‑; Brandis/Heuermann/Vogt, § 15 AStG Rz 42, m.w.N.). Inwieweit einem Steuerpflichtigen hinsichtlich einer Bezugsberechtigung eine derart unentziehbare Rechtsposition zuteilwird, ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen abstrakter Berechtigung und tatsächlicher Auskehrung (vgl. BFH-Urteil vom 02.02.1994 - I R 66/92, BFHE 173, 404, BStBl II 1994, 727, unter II.1.d). Aufgrund desselben Wortstamms "Berechtigung" ist diese Rechtsprechung auch auf die Anfallsberechtigung übertragbar. Mithin ist unter einer gesicherten Rechtsposition vor dem Hintergrund des Zwecks der Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG, Steuerflucht und Steuervermeidung entgegenzuwirken (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.2.a; vgl. BTDrucks 16/10189, S. 79), die bei objektiver Betrachtungsweise bestehende begründete Aussicht eines Steuerpflichtigen zu verstehen, dass er Auskehrungen aus einer ausländischen Stiftung erhalten wird.

  9. Dem steht nicht die zum Begriff des Zwischenberechtigten im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbsatz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ergangene Rechtsprechung entgegen. Hiernach ist Zwischenberechtigter an einer ausländischen Stiftung, wer unabhängig von einem konkreten Ausschüttungsbeschluss über eine Rechtszuständigkeit an dem in der Vermögensmasse gebundenen Vermögen und/oder an den durch die Vermögensmasse erzielten Erträgen verfügt, sei es ‑‑nach deutschem Rechtsverständnis‑‑ in Gestalt eines dinglichen Rechts oder in Gestalt schuldrechtlicher Ansprüche. Nicht zwischenberechtigt ist danach, wer über keine Rechte an der Vermögensmasse oder Ansprüche gegenüber der Vermögensmasse verfügt (BFH-Urteil vom 25.06.2021 - II R 32/19, Rz 17).

  10. Aufgrund der jeweiligen, den gesetzlichen Regelungen zugrunde liegenden unterschiedlichen Ausgangslagen ist diese Rechtsprechung nicht auf den Begriff des Anfallsberechtigten im Sinne von § 15 AStG übertragbar (so aber Tischendorf, Internationales Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2022, 489, 490; Haag/Tischendorf, IStR 2020, 794; vgl. Weiss, IStR 2020, 124, 129 f.). § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG regelt die Schenkungsteuerbarkeit des Erwerbs von einer Vermögensmasse ausländischen Rechts. Zwar findet die Zurechnungsbesteuerung auf solche Vermögensmassen nach § 15 Abs. 4 AStG ebenfalls Anwendung. Anders als § 15 AStG für Zwecke der Ertragsbesteuerung, setzt § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG für Zwecke der Schenkungsteuer eine tatsächliche Zuwendung an den Zwischenberechtigten voraus. Die Einkommensbesteuerung tatsächlicher Zuwendungen richtet sich bei natürlichen Personen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ (BFH-Urteil vom 03.11.2010 - I R 98/09, BFHE 232, 22, BStBl II 2011, 417, Rz 11).

  11. Die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger Anfallsberechtigter ist, erfolgt veranlagungszeitraumbezogen (vgl. § 25 Abs. 1 EStG; Schulz, Die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach dem Außensteuergesetz, S. 39). Die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen sind in jedem Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen (BFH-Urteil vom 22.10.2015 - IV R 7/13, BFHE 251, 335, BStBl II 2016, 219, Rz 36, m.w.N.), so dass in der Zukunft eintretende Umstände nicht zu einer rückwirkenden Annahme einer Anfallsberechtigung führen, sondern eine solche erst bei ihrem Vorliegen zu begründen vermögen. Die Anfallsberechtigung, welche voraussetzt, dass das Vermögen der Stiftung noch nicht verteilt worden ist, bezieht sich ihrer Natur nach auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt. Dies steht der Annahme einer Anfallsberechtigung nicht entgegen (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.4.f aa). Insofern kommt es nicht darauf an, inwiefern der Zeitpunkt der Auflösung ungewiss ist. Denn die Anfallsberechtigung setzt gedanklich die Auflösung der Stiftung voraus und betrifft die Frage, wie sich dann die Berechtigung am Stiftungsvermögen darstellt. Ob der Zeitpunkt der Auflösung bereits feststeht, ist für die Anfallsberechtigung nicht von Bedeutung.

  12. bb) Nach diesen Maßstäben sind die Feststellungsbeteiligten als alleinige Anfallsberechtigte anzusehen.

  13. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) bestand bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise die begründete Aussicht, dass die Feststellungsbeteiligten für den Fall der Auflösung der X-Stiftung jeweils eine Auskehrung des verbleibenden Vermögens erhalten. Nach der Auflösung der Stiftung besorgt der Stiftungsrat die Liquidation entsprechend der Art. 9 und 10 des Stiftungsstatuts (Art. 11 des Stiftungsstatuts). Beim Aussterben eines Stammes geht die Berechtigung an dessen Stiftungsanteil zu gleichen Teilen an die verbleibenden Stämme über (vgl. Art. 10 Satz 1 des Stiftungsstatuts). Sind alle diese Stämme ausgestorben, fällt die Berechtigung am verbleibenden Stiftungsvermögen zu gleichen Teilen an die …-STIFTUNG, die …-STIFTUNG, und die …-STIFTUNG, zurück, sofern deren Destinatärskreise nicht ausgestorben sind (Art. 10 Satz 2 des Stiftungsstatuts). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die Auskehrung des Stiftungsvermögens im Rahmen der Liquidation primär an die Feststellungsbeteiligten als Angehörige des Stammes [Frau C] zu erfolgen hat. Zwar können nach dem Stiftungsstatut der X-Stiftung Auskehrungen nicht nur an die Feststellungsbeteiligten, sondern auch zugunsten deren Ehegatten erfolgen (Art. 3 Abs. 3 des Stiftungsstatuts). Da dies jedoch nach dem Stiftungsstatut nur ausnahmsweise zu erfolgen hat, ist es aus deren Sicht rein spekulativer Natur, inwiefern sie Auskehrungen aus der X-Stiftung erhalten. Mithin kann nicht von einer begründeten Aussicht der Ehegatten der Feststellungsbeteiligten auf den Erhalt des verbleibenden Vermögens für den Fall der Auflösung der X-Stiftung ausgegangen werden.

  14. cc) Für die Anwendung der Zurechnungsbesteuerung dem Grunde nach kommt es auf die jeweilige Höhe der Berechtigung der Feststellungsbeteiligten nicht an. Mit den Feststellungsbeteiligten sind lediglich Angehörige des Stifters und deren Abkömmlinge anfallsberechtigt, so dass diese jedenfalls gemeinsam zu mehr als der Hälfte anfallsberechtigt sind.

  15. dd) Ob die Feststellungsbeteiligten darüber hinaus auch bezugsberechtigt im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AStG waren, kann der Senat offenlassen.

  16. 2. Aus unionsrechtlichen Gründen scheidet im Streitfall eine Zurechnung der Einkünfte nach § 15 AStG aus.

  17. Gemäß § 15 Abs. 6 AStG ist die Zurechnungsbesteuerung nicht anzuwenden, wenn eine Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) hat (dazu unter a) und nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und Abs. 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist (§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG, dazu unter b), sowie zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und dem Staat, in dem die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz hat, aufgrund der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.02.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (Amtsblatt der Europäischen Union 2011, Nr. L 64, 1) ‑‑Amtshilferichtlinie‑‑ gemäß § 2 Abs. 2 des EU-Amtshilfegesetzes (BGBl I 2013, 1809) oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG, dazu unter c).

  18. a) § 15 Abs. 6 AStG findet über den Wortlaut hinaus auch auf Drittstaatensachverhalte Anwendung (vgl. Schönfeld/Baßler in Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 15 AStG Rz 263 ff.; Haag/Faltenbacher, IStR 2017, 89, 94). Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens verstößt gegen die auch für Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ‑‑zuvor Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft‑‑ (dazu unter aa). Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht gebietet es, auch ausländische Familienstiftungen mit Sitz in einem Drittstaat der Regelung des § 15 Abs. 6 AStG zu unterwerfen (dazu unter bb).

  19. aa) Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 6 AStG auf Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit (dazu unter aaa) in unzulässiger (dazu unter bbb) und nicht gerechtfertigter Weise (dazu unter ccc).

  20. aaa) Die Kapitalverkehrsfreiheit verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).

  21. (1) Art. 63 AEUV findet in zeitlicher Hinsicht auf den Streitfall Anwendung. Entgegen der Ansicht des FA ist nicht auf einen früheren Rechtsstand, insbesondere auf den des Zeitpunkts der Errichtung der X-Stiftung, abzustellen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist am 01.12.2009 in Kraft getreten (Art. 357 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Eine Regelung, die eine Anwendbarkeit auf bereits vor Inkrafttreten von Art. 63 AEUV verwirklichte Sachverhalte ausschließt, fehlt.

  22. (2) Abweichend zur Auffassung des FA kommt es nicht darauf an, inwieweit die Feststellungsbeteiligten individuell durch die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG in ihren Grundfreiheiten betroffen sind. Die Kapitalverkehrsfreiheit verpflichtet generell die Mitgliedstaaten, diesbezüglich einschränkende Maßnahmen zu unterlassen. Auf eine individuelle Betroffenheit kommt es nicht an (vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 4 Rz 82; Watrin/Eberhardt, Betriebs-Berater 2014, 2967, 2970).

  23. Insoweit kann der Senat dahinstehen lassen, inwiefern die Bestellung als Destinatär bereits in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt. Denn jedenfalls fällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) unter anderem die Einbringung des Stiftungsvermögens in die Stiftung bei deren Gründung unter den Begriff "Kapitalverkehr" im Sinne des Art. 63 Abs. 1 AEUV (EuGH-Urteil F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt vom 17.09.2015 - C-589/13, EU:C:2015:612, Rz 39).

  24. (3) Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit wird vorliegend nicht durch die ‑‑Drittstaatensachverhalte nicht berührende‑‑ Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verdrängt.

  25. Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen (Kontrollbeteiligung beziehungsweise Direktinvestition), fällt in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit, während nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Streubesitzbeteiligung beziehungsweise Portfoliobeteiligung), ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen sind (EuGH-Urteil Gallaher vom 16.02.2023 - C-707/20, EU:C:2023:101, Rz 56, m.w.N.).

  26. Nach diesen Maßstäben wird der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegend nicht von der Niederlassungsfreiheit verdrängt (so im Ergebnis auch Schönfeld/Baßler in Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 15 AStG Rz 46; Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl., § 15 Rz 105; a.A. Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 15 AStG Rz 30; Kraft/Hause, Der Betrieb 2006, 414, 415). Entscheidend für die Anwendung der Zurechnungsbesteuerung sind nach § 15 Abs. 2 AStG die Verhältnisse der Bezugs- beziehungsweise Anfallsberechtigungen. Für die Bestimmung dieser kommt es jedoch nicht darauf an, inwieweit einer Person ein sicherer Einfluss auf die Entscheidungen einer ausländischen Stiftung und deren Tätigkeit möglich ist. Liegt ein solcher vor, ist die Stiftung bereits regelmäßig als steuerlich transparent zu behandeln (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.1992 - I R 39/92, BFHE 170, 62, BStBl II 1993, 388, unter II.2.; BTDrucks 16/10189, S. 78), so dass es bereits deshalb zu keiner Zurechnungsbesteuerung kommt.

  27. (4) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG schränkt die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV garantierte Kapitalverkehrsfreiheit ein.

  28. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (statt vieler EuGH-Urteil L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339, Rz 49, m.w.N.).

  29. Nach diesen Maßstäben liegt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG vor. Die steuerlichen Implikationen der Zurechnungsbesteuerung können einen potentiellen Stifter davon abhalten, eine Stiftung im Ausland zu errichten und ihn stattdessen dazu bewegen, eine Stiftung im Inland aufzusetzen.

  30. Zwar unterliegen nach § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG Zuwendungen der ausländischen Familienstiftung bei den Zurechnungssubjekten nicht der Besteuerung, soweit die den Zuwendungen zugrunde liegenden Einkünfte nachweislich bereits zugerechnet worden sind. Dies vermag die Benachteiligung ausländischer Stiftungen durch die Zurechnungsbesteuerung jedoch nicht auszugleichen. Die Regelung greift bereits ins Leere, soweit die ausländische Stiftung ihre Einkünfte thesauriert und nicht ausschüttet. Auch wenn die Einkünfte ausgekehrt werden und nach § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG eine Besteuerung unterbleibt, verbleibt ein Zinsnachteil. Dieser ergibt sich, soweit die auf den Zurechnungsbetrag entfallende Steuer früher anfällt als die Steuerlast auf die tatsächliche Auskehrung der Einkünfte.

  31. bbb) Die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG ist nicht aufgrund Art. 64 Abs. 1 AEUV zulässig.

  32. (1) Nach Art. 64 Abs. 1 AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf Drittstaaten, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen. Unter den Begriff der Direktinvestition sind direkte Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von Anteilen zu verstehen, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 26; vgl. Anhang I I. "Direktinvestitionen" sowie Begriffsbestimmungen "Direktinvestitionen" der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.06.1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1988, Nr. L 178, 5).

  33. (2) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung erfüllt diese Anforderungen nicht. Soweit diese einen potentiellen Stifter von der Errichtung einer Stiftung im Ausland abhalten könnte, gehört die Dotation des Stiftungsvermögens nicht zu den in Art. 64 Abs. 1 AEUV aufgezählten Kapitalbewegungen. Insbesondere handelt es sich um keine Direktinvestition, weil dem Stifter keine Beteiligung an der Stiftung gewährt wird, die es ihm ermöglicht, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (vgl. Moser, Die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG und die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach § 15 AStG, S. 203).

  34. ccc) Die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG ist nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV gerechtfertigt.

  35. (1) Nach dieser Regelung berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Diese Bestimmung kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (EuGH-Urteile X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 60, m.w.N.; BA [Successions - Politique sociale de logement dans l'Union] vom 12.10.2023 - C-670/21, EU:C:2023:763, Rz 54). Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen dürfen nämlich nach dessen Abs. 3 weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung darstellen. Daher sind solche Ungleichbehandlungen nur zulässig, wenn sie Situationen betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder anderenfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 61, m.w.N.). Für die Prüfung der Vergleichbarkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH zum einen die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und ihres Inhalts zu prüfen. Zum anderen sind für die Beurteilung, ob die unterschiedliche Behandlung aufgrund einer derartigen Regelung einem objektiven Unterschied der Situationen entspricht, nur die von der betreffenden Regelung aufgestellten maßgeblichen Unterscheidungskriterien zu berücksichtigen (EuGH-Urteil L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339, Rz 54, m.w.N.). Liegt danach eine objektive Vergleichbarkeit vor, ist bei der für die Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erforderlichen Beurteilung, ob die Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, auch zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, sowie nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 70, m.w.N.).

  36. (2) Diesen Anforderungen wird § 15 AStG nicht vollständig gerecht.

  37. Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG dient generell der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung durch die Errichtung ausländischer Familienstiftungen (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.2.a; vgl. BTDrucks 16/10189, S. 79). Die weitergehende Auffassung des FG, die Zurechnungsbesteuerung bezwecke, der Verlagerung von "passiven Einkünften" unbeschränkt steuerpflichtiger Personen auf ausländische Stiftungen entgegenzuwirken, die in Gebieten errichtet werden, in denen das Besteuerungsniveau niedriger ist, ist dagegen abzulehnen. Denn § 15 AStG knüpft weder daran an, ob die ausländische Stiftung aktive oder passive Einkünfte erzielt, noch ist es für die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG entscheidend, welchem Besteuerungsniveau die ausländische Stiftung unterliegt ‑‑anders jeweils bei den Regelungen über die Hinzurechnungsbesteuerung in §§ 7 bis 14 AStG‑‑. Unter Berücksichtigung des so definierten Zwecks ist die Situation inländischer und ausländischer Stiftungen miteinander objektiv vergleichbar. Vor diesem Hintergrund ergeben sich ‑‑bei der vorliegend gebotenen restriktiven Sichtweise‑‑ keine relevanten Unterschiede zwischen inländischen und ausländischen Stiftungen. So unterfallen der Zurechnungsbesteuerung nur solche ausländischen Stiftungen, die nach einem Rechtstypenvergleich einer inländischen Stiftung entsprechen. Auch die Begrenzung der Möglichkeiten der Finanzverwaltung zur Sachverhaltsermittlung bei Auslandssachverhalten rechtfertigt es nicht, die Vergleichbarkeit inländischer und ausländischer Stiftungen in Frage zu stellen. Zwar haben die Finanzbehörden bei Auslandssachverhalten ‑‑anders als bei inländischen Stiftungen, bei denen für die Finanzverwaltung verschiedene Ermittlungsmöglichkeiten nach §§ 88 ff. der Abgabenordnung (AO) zur Verfügung stehen‑‑ nur begrenzte Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und sind im Wesentlichen auf die gesteigerte Mitwirkung der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO angewiesen. Dieser Umstand ist aber nicht geeignet, die Vergleichbarkeit abzulehnen, da anderenfalls generell eine Vergleichbarkeit von Auslands- und Inlandssachverhalten zu verneinen wäre.

  38. (3) Diese objektive Ungleichbehandlung ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

  39. (a) Im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von §§ 7 bis 14 AStG hat der EuGH in der Rechtssache X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 unter anderem die Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung als einen eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigenden zwingenden Grund des Allgemeininteresses angesehen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 75). Diese Rechtsprechung ist auf die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG übertragbar. Die Zurechnungsbesteuerung dient ‑‑wie dargelegt‑‑ der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung und damit ebenfalls der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung.

  40. (b) Zur Erreichung dieses Ziels hält der Senat die Zurechnung der Einkünfte einer ausländischen Stiftung gemäß § 15 AStG für geeignet. Indem dem Stifter, soweit dieser im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist, ansonsten den im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- beziehungsweise Anfallsberechtigten, die Einkünfte der ausländischen Stiftung zugerechnet werden, werden diese der Besteuerung ungeachtet dessen zugeführt, inwieweit diese anderweitig gegenüber dem Finanzamt durch den Stifter beziehungsweise die Bezugs- oder Anfallsberechtigten offengelegt werden.

  41. (c) Allerdings geht die ausnahmslose Zurechnung der Einkünfte der ausländischen Stiftung über das Erforderliche hinaus. Zwar rechtfertigt die Ausnahme nach § 15 Abs. 6 AStG den mit der Zurechnungsbesteuerung verbundenen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit. Jedoch findet § 15 Abs. 6 AStG seinem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung.

  42. (aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zur Beschränkung der Grundfreiheiten wegen der Zurechnung von Einkünften ausländischer Gesellschaften kann der bloße Umstand, dass eine gebietsansässige Gesellschaft eine Beteiligung an einer anderen, in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft hält, als solcher keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung begründen und damit eine steuerliche Maßnahme rechtfertigen, die den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt. Eine Rechtfertigung kann sich aber daraus ergeben, wenn die den freien Kapitalverkehr beschränkende nationale Maßnahme speziell darauf abzielt, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, durch die rein künstliche Gestaltungen errichtet werden (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 80, m.w.N.). Die "künstliche Gestaltung" umfasst im Kontext des freien Kapitalverkehrs jede Vorkehrung, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Drittstaaten mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 84). Ferner muss eine die Kapitalverkehrsfreiheit beschränkende nationale Regelung nach der Rechtsprechung des EuGH, damit sie in angemessenem Verhältnis zum Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in jedem Fall, in dem künstliche Vorgänge nicht auszuschließen sind, den Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden Geschäfts beizubringen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 87, m.w.N.). Wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Bedingungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittstaats eingeholt werden, ist es zudem grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, die Auskünfte von ihm zu erhalten (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 92, m.w.N.).

  43. (bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist die Zurechnungsbesteuerung der Familienstiftungen gemäß § 15 Abs. 1, 2 AStG durch § 15 Abs. 6 AStG im Grundsatz unionsrechtskonform ausgestaltet (aaa). Sie geht aber insoweit über das erforderliche Maß hinaus, als § 15 Abs. 6 AStG dem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet (bbb).

  44. (aaa) Die Zurechnungsbesteuerung ist verhältnismäßig, als nur Familienstiftungen im Sinne von § 15 Abs. 2 AStG erfasst werden. Insbesondere der familiäre Zusammenhang, in dem sich solche Stiftungen bewegen, lässt die Vermögensübertragung vom Stifter auf eine ausländische Stiftung als rein künstliche Gestaltung zur Umgehung der Besteuerung in Deutschland erscheinen. So heißt es bereits im Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag vom 23.06.1964 (BTDrucks IV/2412) über die Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und aus dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben können, dass Inländer auch versuchen, Steuervorteile dadurch zu erzielen, dass sie Vermögenswerte auf ihnen nahestehende Personen in einen niedrig besteuernden Staat treuhänderisch übertragen und dass in diesem Zusammenhang auch die Errichtung von Familienstiftungen, in denen das Vermögen unter günstigem Steuerklima angesammelt wird, zu erwähnen sei (BTDrucks IV/2412, S. 8). Insoweit besteht im Grundsatz auch die Möglichkeit, die Zurechnungsbesteuerung durch den Nachweis zu vermeiden, dass die Vermögensübertragung endgültig und damit nicht nur rein künstlich ist. Dem entsprechend unterbleibt die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG, wenn unter anderem nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Die Regelung wurde vor dem Hintergrund der aufkommenden Bedenken bezüglich der Zurechnungsbesteuerung im Kontext der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zur Kapitalverkehrsfreiheit in § 15 AStG eingefügt (BTDrucks 16/10189, S. 78).

  45. Es geht ebenfalls nicht über das erforderliche Maß zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung hinaus, soweit § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG für eine Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung voraussetzt, dass zwischen Deutschland und dem Staat, in dem die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz hat, aufgrund der Amtshilferichtlinie oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen. Die Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung stellt sich als ein Vorteil dar, weshalb es nach der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH nicht zu beanstanden ist, sie an eine entsprechende vertragliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung des Staats der Geschäftsleitung oder des Sitzes der ausländischen Stiftung zu knüpfen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 92, m.w.N.).

  46. (bbb) § 15 Abs. 6 AStG greift jedoch zu kurz, wenn die Regelung nur ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, hingegen nicht in Drittstaaten erfasst. Ohne die Möglichkeit des Nachweises der Verselbständigung des Stiftungsvermögens im Sinne von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG geht die Zurechnungsbesteuerung über das Erforderliche hinaus. Denn die Kapitalverkehrsfreiheit gilt nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).

  47. bb) Zur Abwendung dieses Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist das "europarechtswidrige Tatbestandsmerkmal" wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht zu beachten (vgl. EuGH-Urteil AES-3C Maritza East 1 vom 18.07.2013 - C-124/12, EU:C:2013:488, Rz 53; BFH-Urteil vom 27.10.2021 - X R 11/20, BFHE 275, 52, Rz 27, m.w.N.), so dass § 15 Abs. 6 AStG auch auf Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet.

  48. Der Anwendungsvorrang ist im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion zugunsten des unionsrechtswidrig Belasteten sicherzustellen (vgl. zu dieser Form der Rechtsfortbildung BFH-Urteile vom 21.10.2009 - I R 114/08, BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774; vom 03.02.2010 - I R 21/06, BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692; vom 15.01.2015 - I R 69/12, BFHE 249, 99, BStBl II 2024, 720, m.w.N.; vom 11.10.2023 - I R 23/23 (I R 33/17), BFHE 282, 355 und vom 13.03.2024 - I R 1/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 33; zudem Reimer in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 8.59).

  49. Nach diesen Grundsätzen ist es geboten, die Einschränkung in § 15 Abs. 6 AStG auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens unbeachtet zu lassen, so dass auch Familienstiftungen in Drittstaaten erfasst werden.

  50. b) Die Klägerin hat den Nachweis im Sinne von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG erbracht, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und Abs. 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist.

  51. aa) Eine rechtliche und tatsächliche Entziehung der Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen liegt vor, wenn die in § 15 Abs. 2 und 3 AStG genannten Personen bei Anwendung zivilrechtlicher Maßstäbe nicht die Herausgabe des Stiftungsvermögens bewirken können. Auf wirtschaftliche Maßstäbe kommt es nicht an (vgl. Brandis/Heuermann/Vogt, § 15 AStG Rz 85; a.A. Tz. 15.6.1.2 AEAStG; Vituschek in AStG - eKommentar, § 15 Rz 34; Wenz/Kloster in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., § 15 AStG Rz 171; FG Hamburg, Urteil vom 17.12.2020 - 6 K 307/19, EFG 2021, 1003, Rz 130 ff.). Zwar ist im Ertragsteuerrecht grundsätzlich die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich (vgl. § 39 Abs. 2 AO). Auch der Wortlaut einer "rechtlichen und tatsächlichen Entziehung der Verfügungsmacht" lässt ein wirtschaftliches Verständnis der Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG zu. Einem derart extensiven Verständnis steht jedoch der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers entgegen. Der Gesetzgeber selbst bezieht sich hinsichtlich des Merkmals der rechtlichen und tatsächlichen Entziehung der Verfügungsmacht auf eine Entscheidung des II. Senats vom 28.06.2007 - II R 21/05 (BFHE 217, 254, BStBl II 2007, 669; zitiert in BTDrucks 16/10189, S. 78). Auch die systematische Auslegung spricht gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Die Zurechnungsbesteuerung setzt bereits dem Grunde nach voraus, dass das Stiftungsvermögen steuerlich nach § 39 AO ‑‑mithin auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte‑‑ der ausländischen Stiftung zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.1992 - I R 39/92, BFHE 170, 62, BStBl II 1993, 388, unter II.2. und Tz. 15.0.2 AEAStG; BTDrucks 16/10189, S. 78). Ist das Stiftungsvermögen den in § 15 Abs. 2 oder Abs. 3 AStG genannten Personen wirtschaftlich noch zuzurechnen, unterbleibt die Zurechnungsbesteuerung, ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AStG ankommt. Insoweit bedürfte es bei Anwendung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auch keiner Zurechnungsbesteuerung, da bei einer Zurechnung des Stiftungsvermögens nach wirtschaftlichen Maßstäben zu einer der in § 15 Abs. 2 oder Abs. 3 AStG genannten Personen diese originär die hiermit erwirtschafteten Erträge zu versteuern hätten (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Im Übrigen sind die Anforderungen nach § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG vor dem Hintergrund der restriktiven Auslegung der Rechtfertigungsgründe einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung restriktiv auszulegen (s. dazu unter III.2.a aa ccc (1)).

  52. Aufgrund der veranlagungszeitraumbezogenen Betrachtungsweise (vgl. § 25 Abs. 1 EStG) kommt es in zeitlicher Hinsicht darauf an, dass die Verfügungsmacht tatsächlich und rechtlich in dem Zeitpunkt beziehungsweise Zeitraum entzogen ist, dessen Einkünfte ohne die Anwendung von § 15 Abs. 6 AStG zugerechnet würden (vgl. Schönfeld/Baßler in Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 15 AStG Rz 281). Ob der Nachweis gelungen ist, muss das FG ermitteln, an diese Feststellung ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich gebunden. Die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung bindet den BFH jedoch nur, wenn sie frei von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze enthält. Außerdem prüft der BFH, ob das FG die für die Subsumtion bedeutsamen Begleitumstände erforscht und zutreffend gewürdigt hat (BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 18/20, Rz 22, m.w.N.). Eine Bindung an eine Tatsachenwürdigung besteht auch dann nicht, wenn aus den Gründen des angefochtenen Urteils nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Tatsachen das FG eine Schlussfolgerung tatsächlicher Art ableitet (vgl. BFH-Urteil vom 08.02.2017 - I R 55/14, Rz 15, m.w.N.).

  53. bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe kommt das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss, dass den Feststellungsbeteiligten die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Insbesondere ist die Würdigung des FG, dass den Feststellungsbeteiligten keine Möglichkeit zur Einflussnahme zustand, in Anbetracht des Statuts der X-Stiftung plausibel und verstößt damit weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Schließlich ergibt sich aus dem Stiftungsstatut keine unmittelbare Weisungsbefugnis der Destinatäre gegenüber dem Stiftungsrat der X-Stiftung. So beschließt der Stiftungsrat nach Art. 4 des Stiftungsstatuts über die Verwendung des Stiftungskapitals und der Erträgnisse nach freiem Ermessen und den Destinatären stehen keine klagbaren Ansprüche gegen die Stiftung zu. Auch ist der Rechtsweg insoweit ausgeschlossen, solange nicht den Destinatären ein Beschluss des Stiftungsrats über eine Zuwendung schriftlich mitgeteilt worden ist. Nach Art. 6 Abs. 1 des Stiftungsstatuts ist der Stiftungsrat das für die Organisation der Stiftungsgeschäfte zuständige Organ. Den Destinatären stehen nach dem Stiftungsstatut hingegen keine Verwaltungsrechte zu.

  54. Die Rüge des FA, das FG hätte den Sachverhalt insbesondere zum schweizerischen Recht weiter aufklären müssen, ist unbegründet. Bei der vom FG zutreffend angewendeten zivilrechtlichen Betrachtungsweise kommt es nicht darauf an, inwieweit die Destinatäre mittelbar Entscheidungen des Stiftungsrats hätten beeinflussen können, indem sie deren Abberufung besorgen könnten.

  55. c) Schließlich bestand in den jeweiligen Streitjahren zwischen Deutschland und der Schweiz eine der Amtshilferichtlinie vergleichbare zwei- oder mehrseitige Vereinbarung, aufgrund der Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG). Dass die in Art. 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 (BGBl II 1972, 1022) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl II 2011, 1092) mit dem erwähnten Änderungsprotokoll vom 27.10.2010 eingefügte sogenannte "große" Auskunftsklausel diesen Anforderungen genügt, ist unstreitig und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.

  56. 3. Die durch die Klägerseite erhobenen Verfahrensfehler greifen jedenfalls mangels Entscheidungserheblichkeit nicht durch.

  57. 4. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Die Rechtslage ist aus den jeweils genannten Gründen eindeutig ("acte clair"; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, unter C.I.2.e und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 55; EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 16) beziehungsweise bereits durch die aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé"; BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 55; EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 14). Insbesondere sind durch die Entscheidungen des EuGH Skatteverket gegen A. vom 18.12.2007 - C-101/05, EU:C:2007:804; Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom 10.04.2014 - C-190/12, EU:C:2014:249; F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt vom 17.09.2015 - C-589/13, EU:C:2015:612; X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136; College Pension Plan of British Columbia vom 13.11.2019 - C-641/17, EU:C:2019:960; Gallaher vom 16.02.2023 - C-707/20, EU:C:2023:101; L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339 und BA [Successions - Politique sociale de logement dans l'Union] vom 12.10.2023 - C-670/21, EU:C:2023:763 die Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit sowie die Anforderungen an eine Rechtfertigung für deren Beschränkung geklärt.

  58. 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 4 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen haben diese selbst zu tragen, da sie keinen Sachantrag gestellt und das Verfahren auch nicht maßgeblich gefördert haben (BFH-Urteil vom 14.12.2023 - IV R 2/21, BFHE 283, 190, BStBl II 2024, 481, Rz 80).

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