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Urteil vom 14. Januar 2025, VIII R 36/23

Steuerfreiheit für Zinsen nach dem NS-VEntschG

ECLI:DE:BFH:2025:U.140125.VIIIR36.23.0

BFH VIII. Senat

FGO § 48, FGO § 155, EStG § 3 Nr 7, EStG § 20 Abs 1 Nr 7, NS-VEntschG § 2 S 9, NS-VEntschG § 2 S 10, NS-VEntschG § 2 S 11, EStG VZ 2018 , ZPO § 239

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 16. November 2023, Az: 14 K 14161/21

Leitsätze

1. NV: Hat eine Erbengemeinschaft als Prozessstandschafterin der Gemeinschafter bis zum 31.12.2023 Klage erhoben, sind nach dem 01.01.2024 aufgrund eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels die Gemeinschafter als Kläger anzusehen, wenn es an einer ausreichenden Belehrung über die vorrangige Klagebefugnis eines Klagebefugten nach § 48 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) n.F. fehlt.

2. NV: Zinsen nach § 2 Satz 9 bis 11 des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes, soweit sie auf den Zeitraum vom 01.01.2004 bis zur Ablehnung eines Restitutionsanspruchs und der Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs in Geld entfallen, sind kein geleistetes Entgelt für eine Kapitalüberlassung und nicht steuerbar.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.11.2023 - 14 K 14161/21 aufgehoben.

Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 vom 12.02.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.12.2021 wird dahingehend geändert, dass die festzustellenden Kapitaleinkünfte um 416.436,67 € gemindert werden.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe Zinsen nach § 2 des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes (NS-VEntschG) als Einkünfte aus Kapitalvermögen festzustellen sind.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), die Geschwister A und B, sind Gemeinschafter einer Erbengemeinschaft nach C. Die Erbengemeinschaft stellte als Berechtigte wegen des verfolgungsbedingten Eigentumsverlustes des Bankgeschäftes E im Jahr 1991 einen Antrag auf Rückübertragung des Unternehmens. Der jüdische Firmeninhaber des Bankhauses E, C, war im Jahr 1938 von den nationalsozialistischen Machthabern gezwungen worden, keine Geschäfte mehr zu tätigen und sein Unternehmen aus dem Handelsregister löschen zu lassen. Mit Bescheid vom 13.07.2017 lehnte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) den Restitutionsantrag ab. Der Erbengemeinschaft stehe eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu, da die Rückgabe des Bankhauses E wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen sei (§ 1 Abs. 6, § 4 bzw. § 6 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG). Über die Höhe des Entschädigungsanspruchs werde ein gesonderter Bescheid ergehen.

  3. Mit Bescheid vom 02.07.2018 erkannte das BADV der Erbengemeinschaft einen Anspruch auf Entschädigung nach Maßgabe des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes in Höhe von 514.119,35 € zu. Daneben setzte es Zinsen nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG in Höhe von 0,5 % pro Kalendermonat auf den festgestellten Entschädigungsbetrag für die Zeit vom 01.01.2004 bis einschließlich 30.06.2018 in Höhe von insgesamt 447.283,83 € fest. Auf den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 entfällt ein Zinsbetrag von 416.436,67 € (162 von insgesamt 174 Zinsmonaten x 447.283,83 €). Die Erbengemeinschaft erhielt den Entschädigungs- und Zinsbetrag im Jahr 2018 (Streitjahr).

  4. In ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr beantragte die Erbengemeinschaft, sowohl den Entschädigungsbetrag als auch den Zinsbetrag nach § 3 Nr. 7 in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei zu stellen. Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr vom 12.02.2020 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hingegen steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe des Zinsbetrags (447.283,83 €) fest. Das Einspruchsverfahren der Erbengemeinschaft blieb erfolglos. Im finanzgerichtlichen Verfahren begehrte die Erbengemeinschaft nur noch, den Teilbetrag der Zinsen, der auf den Zeitraum vom 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 entfällt (416.436,67 €), nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei zu stellen.

  5. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2024, 636 mitgeteilten Gründen als unbegründet ab.

  6. Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts in Gestalt von § 3 Nr. 7 und § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

  7. Die Kläger beantragen,

    das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 16.11.2023 - 14 K 14161/21 sowie die Einspruchsentscheidung vom 02.12.2021 aufzuheben und den Bescheid für 2018 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 12.02.2020 dahingehend zu ändern, dass von den nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG ermittelten Zinsen in Höhe von 447.283,83 € ein Betrag von 416.436,67 € von der Besteuerung freigestellt und nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen festgestellt wird.

  8. Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zinsen in voller Höhe Einkünfte aus Kapitalvermögen sind. Im tenorierten Umfang liegen auch keine sonstigen steuerbaren Einkünfte vor. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Bescheid ist wie unter II.5. dargelegt zu ändern.

  2. 1. Gegenstand des Verfahrens ist (allein) die Feststellung der Höhe der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen der Erbengemeinschaft im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr vom 12.02.2020. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach §§ 179, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) mehrere selbständige und damit auch selbständig anfechtbare Feststellungen enthalten, die eigenständig in Bestandskraft erwachsen und deshalb für die in dem nämlichen Bescheid getroffenen und rechtlich nachgelagerten Feststellungen Bindungswirkung entfalten können. Zu diesen selbständigen Feststellungen gehört auch die Höhe des laufenden Gesamthandsüberschusses (vgl. BFH-Urteil vom 23.01.2020 - IV R 48/16, BFH/NV 2020, 695, Rz 17, m.w.N.); bei Verwirklichung mehrerer Einkunftsarten gilt dies für jede Einkunftsart gesondert (vgl. BFH-Urteil vom 19.01.2023 - IV R 5/19, BFHE 279, 450, BStBl II 2023, 649, Rz 33).

  3. Die Feststellung der Höhe der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte der Erbengemeinschaft aus Kapitalvermögen schließt die materiell-rechtliche Vorfrage ein, ob und in welcher Höhe die Zinseinnahmen gemäß § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei sind. Einer eigenständigen Feststellung des steuerfreien Betrags neben der Feststellung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (sogenannte Bruttofeststellung) bedarf es nicht.

  4. 2. Kläger des Revisionsverfahrens sind seit dem 01.01.2024 die Gemeinschafter der Erbengemeinschaft. Der Senat hat das Rubrum entsprechend berichtigt.

  5. Zwar haben ursprünglich nicht die beiden Gemeinschafter, sondern hat die Erbengemeinschaft zu Recht gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 FGO in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung die Klage erhoben. Sie war als gesetzliche Prozessstandschafterin gemäß § 57 Nr. 1 FGO Beteiligte des Klage- und Revisionsverfahrens. Aufgrund der mit Wirkung zum 01.01.2024 geänderten Fassung von § 48 FGO ist aber ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten.

  6. a) Ob in den Fällen der Anfechtung eines gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheids eine Klagebefugnis gemäß § 48 FGO eines Beteiligten besteht, betrifft die Prozessführungsbefugnis als Sachentscheidungsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, deren Fehlen vom Revisionsgericht auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.1988 - VIII R 90/84, BFHE 155, 250, BStBl II 1989, 326, unter 1.). Der Senat konnte zur Ermittlung der maßgeblichen Umstände ‑‑soweit vom FG nicht festgestellt‑‑ auf die in den vorgelegten Akten des FA und des FG befindlichen Erklärungen und Unterlagen zurückgreifen (vgl. BFH-Urteil vom 23.10.1991 - I R 86/89, BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185, unter II.2.a, m.w.N.).

  7. b) Die Klagebefugnis richtet sich nach § 48 FGO in der am 01.01.2024 in Kraft getretenen Fassung des Art. 27 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes vom 22.12.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 411) und gilt damit auch für im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits anhängige Revisionsverfahren (vgl. BFH-Urteil vom 08.08.2024 - IV R 1/20, BStBl II 2025, 122, Rz 25, m.w.N. zum Streitstand).

  8. c) Das Inkrafttreten der zum 01.01.2024 geänderten Fassung von § 48 FGO führt im Streitfall zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel.

  9. Beteiligter am Verfahren über die Revision ist nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 57 FGO, wer am Verfahren über die Klage beteiligt war. Dieser Grundsatz wird durchbrochen, wenn während des Revisionsverfahrens ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eintritt. Aufgrund der Änderung von § 48 FGO mit Wirkung zum 01.01.2024 ist nicht mehr die Erbengemeinschaft klagebefugt, sondern deren Gemeinschafter. Die Revisionsentscheidung ist daher gegen die nunmehr aktiv legitimierten Gemeinschafter, die Kläger, als Beteiligte gemäß § 57 Nr. 1 FGO zu erlassen (vgl. BFH-Beschluss vom 30.06.1999 - III R 15/99, BFH/NV 1999, 1619, unter II. zum gesetzlichen Beteiligtenwechsel auf der Beklagtenseite).

  10. aa) Das FG ist auf Grundlage des bis zum 31.12.2023 geltenden Rechts zu Recht davon ausgegangen, dass die Erbengemeinschaft als gesetzliche Prozessstandschafterin Beteiligte des Verfahrens (§ 57 Nr. 1 FGO) war, da sie nach außen als Vermieterin tätig und einer der Miterben als "zur Geschäftsführung berufener Geschäftsführer" im Sinne von § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. beauftragt worden war (vgl. BFH-Beschluss vom 10.11.2010 - IX B 31/10, BFH/NV 2011, 288, Rz 2, m.w.N.).

  11. bb) Mit der Änderung des § 48 FGO mit Wirkung zum 01.01.2024 ist die Rechtsgrundlage für die Prozessstandschaft und Beteiligtenstellung der Erbengemeinschaft entfallen. Nach neuem Recht ist die Erbengemeinschaft eine nichtrechtsfähige Personenvereinigung im Sinne von § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO n.F. i.V.m. § 14a Abs. 3 Nr. 1 und 3 AO. Klagebefugt ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a FGO n.F. der Klagebefugte im Sinne des § 48 Abs. 2 FGO n.F., und wenn Personen nach der Regelung in Buchstabe a nicht vorhanden sind, jeder Gesellschafter, Gemeinschafter oder Mitberechtigte, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FGO n.F.).

  12. § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO n.F. regelt, unter welchen Voraussetzungen der gemeinsame Empfangsbevollmächtigte im Sinne des § 183a Abs. 1 Satz 1 AO oder des § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 AO klagebefugt ist. § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO n.F. ist nur anwendbar, wenn die Beteiligten spätestens bei Erlass der Einspruchsentscheidung über die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten belehrt worden sind (§ 48 Abs. 2 Satz 3 FGO n.F.).

  13. Ob ein Klagebefugter nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 FGO n.F. i.V.m. § 183a AO im Streitfall existiert, kann der Senat dahingestellt lassen. Denn jedenfalls fehlt es aufgrund des Geschehensablaufs an einer Belehrung der Beteiligten über die vorrangige Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten nach § 48 Abs. 2 Satz 3 FGO n.F. i.V.m. § 183a AO in der ursprünglichen Einspruchsentscheidung. Eine ordnungsgemäße Belehrung auf Grundlage des ab dem 01.01.2024 geltenden Rechts war schon vor dem Hintergrund der zeitlichen Abläufe ‑‑die Einspruchsentscheidung datiert vom 02.12.2021‑‑ nicht möglich. Die Belehrung, die der Einspruchsentscheidung beigefügt war, gab den Inhalt von § 48 FGO a.F. wieder. Diese Belehrung ist angesichts der geänderten Rechtslage nicht ausreichend für Zwecke des § 48 Abs. 2 Satz 3 FGO n.F. Da es an einer wirksamen Belehrung nach § 48 Abs. 2 Satz 3 FGO n.F. fehlt, kommt die Annahme einer vorrangigen Klagebefugnis eines Klagebefugten nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a FGO n.F. nicht in Betracht.

  14. Klagebefugt ist deshalb jeder Gemeinschafter, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FGO n.F.). Dies sind hinsichtlich der hier allein streitigen Feststellung der gemeinschaftlich erzielten Kapitalerträge die Gemeinschafter, die Geschwister A und B.

  15. cc) Im Fall eines ‑‑wie hier vorliegenden‑‑ gesetzlichen Beteiligtenwechsels wird das Verfahren nicht nach § 239 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO unterbrochen (BFH-Urteil vom 01.08.1996 - VIII R 49/94, BFH/NV 1997, 484, unter II.A.1.). Das Rubrum war entsprechend zu ändern.

  16. d) Der Senat geht davon aus, dass die erteilte Prozessvollmacht nicht alleine die Erbengemeinschaft als ursprüngliche Klägerin, sondern auch deren Gemeinschafter als neue Kläger erfasst.

  17. 3. Das FG hat im angefochtenen Urteil entschieden, dass es sich bei den von der Erbengemeinschaft vereinnahmten Zinsen nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG (auch) insoweit um Kapitalerträge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG handelt, als sie auf den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 entfallen, und dass diese nicht nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei sind. Dies hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. In dem von den Klägern angegriffenen Umfang sind die von der Erbengemeinschaft vereinnahmten Zinsbeträge nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG keine Kapitaleinkünfte im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und nicht steuerbar.

  18. a) Nach § 3 Nr. 7 EStG sind Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz, Leistungen nach dem Flüchtlingshilfegesetz, dem Bundesvertriebenengesetz, dem Reparationsschädengesetz, dem Vertriebenenzuwendungsgesetz, dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz sowie Leistungen nach dem Entschädigungsgesetz und nach dem Ausgleichsleistungsgesetz steuerfrei, soweit sie nicht Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 EStG sind.

  19. b) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.

  20. Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist jede auf eine Geldleistung gerichtete Forderung, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs (vgl. BFH-Urteil vom 07.11.2023 - VIII R 7/21, BFHE 282, 555, BStBl II 2024, 353, Rz 13, m.w.N.). Nicht darunter fallen Ansprüche auf die Lieferung anderer Wirtschaftsgüter, insbesondere auf eine Sachleistung gerichtete Forderungen (BFH-Urteil vom 08.05.2024 - VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 24, m.w.N.).

  21. Unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung sind (vgl. BFH-Urteil vom 06.08.2019 - VIII R 22/17, BFHE 266, 152, BStBl II 2020, 92, Rz 14, m.w.N.). Auch eine nicht freiwillige, sondern erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (vgl. BFH-Urteil vom 22.05.2024 - VIII R 3/22, BFH/NV 2024, 1147, Rz 17).

  22. Zinsen als Entgelt im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind laufzeitabhängige Nutzungsvergütungen für eine Kapitalüberlassung (vgl. BFH-Urteil vom 06.06.2012 - I R 6, 8/11, BFHE 237, 346, BStBl II 2013, 111, Rz 21; Schmidt/Levedag, EStG, 43. Aufl., § 20 Rz 118, m.w.N.), gleichwohl, ob die Forderung vertraglich oder hoheitlich begründet worden ist (BFH-Urteil vom 12.09.1985 - VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252, unter 2.).

  23. c) Die auf den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 entfallenden "Zinsen" nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG sind kein Ertrag aus einer Kapitalforderung.

  24. Eine Kapitalforderung, also ein auf eine Geldzahlung gerichteter Anspruch, ist im Streitfall erst mit der Ablehnung des Restitutionsantrags der Erbengemeinschaft und der Entscheidung des BADV im Bescheid vom 13.07.2017, dass der Erbengemeinschaft anstelle des Rückübertragungsanspruchs ein Anspruch auf Entschädigung in Geld zusteht, entstanden. Davor war ein Anspruch auf Restitution, also ein auf eine Sachleistung gerichteter Anspruch, Gegenstand des Verfahrens. Der Restitutionsanspruch war auf die Rückübertragung (Herausgabe) der zum früheren Bankhaus E gehörenden Vermögensgegenstände und nicht auf eine Geldforderung gerichtet. Der Rückübertragungsanspruch und der mit der ablehnenden Entscheidung des BADV an seine Stelle getretene Anspruch auf Entschädigung in Geld schließen sich gegenseitig aus.

  25. Die Zahlung der nach § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG für den Zeitraum ab dem 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 festgesetzten "Zinsen" ist deshalb kein geleistetes Entgelt für eine Kapitalüberlassung. Es fehlt für diesen Zeitraum an einer Kapitalüberlassung.

  26. Zwar können auch Zinsen, die rückwirkend entstehen oder für die Vergangenheit nach Entstehung der Kapitalforderung festgesetzt werden, steuerbare Erträge aus einer sonstigen Kapitalforderung sein. Bejaht hat dies der Senat etwa für den Fall einer verzinsten Enteignungsentschädigung, bei der bereits im Zeitpunkt des Enteignungsakts an die Stelle des entzogenen Vermögenswerts eine (Geld-)Entschädigung getreten war. In diesem Fall waren die Zinsen das Entgelt dafür, dass das in der Entschädigung festliegende Kapital vorerst nicht anderweitig genutzt werden konnte (BFH-Urteil vom 12.09.1985 - VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252, unter 2. [Rz 33]). Ein Entgelt für die Vorenthaltung von Kapital ist nach dieser Rechtsprechung aber nur anzunehmen, wenn ein Anspruch auf eine Geldentschädigung bereits entstanden ist, der verspätet erfüllt wird. Im Streitfall ist ‑‑wie bereits dargelegt‑‑ ein Anspruch auf eine Entschädigung in Geld erst am 13.07.2017 entstanden.

  27. Bei den bis zu diesem Stichtag gezahlten "Zinsen" handelt es sich aus steuerlicher Sicht um eine typisierende Entschädigung für die überlange Bearbeitung der Restitutionsanträge. Dafür spricht die Entstehungsgeschichte von § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG.

  28. aa) Die Verzinsung von Entschädigungsleistungen nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (§ 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG) hat der Gesetzgeber mit dem Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10.12.2003 (BGBl I 2003, 2471) eingeführt. Um die aus Sicht des Gesetzgebers zu langsame Bearbeitung der Restitutionsanträge nach dem Entschädigungsgesetz und dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu beschleunigen, wurde unter anderem die Erfüllung von Entschädigungsansprüchen nach dem Entschädigungsgesetz von der Zuteilung von Schuldverschreibungen des Entschädigungsfonds auf Geldleistungen umgestellt, verbunden mit einer Verzinsung in Höhe von 6 % per annum ab dem 01.01.2004 (BTDrucks 15/1808, S. 1, 5). Die Verzinsung von Ansprüchen nach dem Entschädigungsgesetz war im Gesetzgebungsverfahren auch im Hinblick darauf diskutiert worden, ob die ursprünglich zum 01.01.2007 vorgesehene Absenkung der Verzinsungshöhe die gewünschte schnellere Bearbeitung der offenen Anträge ("steckengebliebene Entschädigungen") konterkarieren könnte (vgl. BTDrucks 15/1808, S. 10 f.). Gesetzgeberisches Ziel der Einführung der Verzinsung in § 2 Satz 9 bis 11 NS-VEntschG war ein Gleichlauf der Verzinsung der Entschädigungsleistungen in Geld nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz mit der Verzinsung nach dem Entschädigungsgesetz (BT-Plenarprotokoll 15/70, Anlage 5, S. 6059: zinsmäßige Gleichstellung aller Anspruchsberechtigten; BTDrucks 15/1808, S. 12).

  29. bb) Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber die aus seiner Sicht schleppende Bearbeitung von Restitutionsanträgen beschleunigen und den Betroffenen hierfür einen finanziellen Ausgleich zukommen lassen wollte. Es handelt sich mithin nicht um ein Entgelt für eine vorenthaltene Geldleistung, sondern um eine Entschädigung für einen erlittenen Nachteil. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die typisierende Entschädigung für die verzögerte Bearbeitung von Restitutionsanträgen der Höhe nach an die Entschädigungsleistung nach § 2 NS-VEntschG und den Zeitablauf seit dem 01.01.2004 anknüpft und als "Zins" bezeichnet wird.

  30. Nur soweit die typisierende Entschädigung im Streitfall den Zeitraum nach dem 13.07.2017 betrifft, liegt hierin ein Entgelt für die Vorenthaltung von Kapital und damit für eine Kapitalüberlassung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (zur Steuerpflicht von Zinsen nach § 44 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch vgl. BFH-Urteil vom 09.06.2015 - VIII R 18/12, BFHE 250, 105, BStBl II 2016, 523, Rz 13; zu Nachzahlungs- und Prozesszinsen BFH-Urteil vom 18.06.2024 - VIII R 32/20, BStBl II 2025, 168, Rz 34 f.).

  31. d) Die im finanzgerichtlichen Verfahren erörterte Frage, ob die Zins-Ausschlussklausel in § 3 Nr. 7 letzter Halbsatz EStG sich auch auf die in § 3 Nr. 7 EStG aufgeführten Ausgleichsleistungen nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz bezieht, bedarf danach keiner Klärung mehr. Denn im geltend gemachten Umfang handelt es sich bei den von den Klägern vereinnahmten "Zinsen" schon nicht um Kapitaleinkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sie sind auch nicht nach einer anderen Vorschrift steuerbar, so dass es einer Steuerbefreiung nicht bedarf. Der Zinsbetrag gehört insbesondere nicht zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Es ist kein Verhalten der Steuerpflichtigen erkennbar, das als Dulden, Unterlassen oder sonstiges Tun angesehen werden könnte (vgl. BFH-Urteil vom 12.09.1985 - VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252, unter 1.b).

  32. Wäre der darüberhinausgehende Zinsbetrag nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei, könnte dies wegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verfahrensrechtlich keine Berücksichtigung finden.

  33. 4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann deshalb keinen Bestand haben.

  34. 5. Die Sache ist spruchreif. Aufgrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG entfällt auf den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2004 bis zum 30.06.2017 ein Anteil von nicht steuerbaren Zinszahlungen in Höhe von 416.436,67 €. Die Höhe dieses Betrags ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Daher ist der angefochtene Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr vom 12.02.2020 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 416.436,67 € zu mindern und in Höhe von 30.847,16 € festzustellen sind.

  35. 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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