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Urteil vom 13. November 2024, XI R 36/22

Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 13.11.2024 XI R 5/23 - Zum Leistungsaustausch eines Fitnessstudios im Lockdown (II)

ECLI:DE:BFH:2024:U.131124.XIR36.22.0

BFH XI. Senat

UStG § 1 Abs 1 Nr 1 S 1, UStG § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst b, UStG § 17 Abs 2, UStG § 20, AO § 164 Abs 2, FGO § 68 S 1, FGO § 105 Abs 2 Nr 5, FGO § 126 Abs 2, FGO § 135 Abs 1, BGB § 275 Abs 1, BGB § 326 Abs 1, BGB § 326 Abs 4

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 16. November 2022, Az: 4 K 41/22

Leitsätze

1. NV: Wurde für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt, tritt die Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes nicht schon dann ein, wenn ein Rückzahlungsanspruch des Zahlenden besteht, sondern erst dann, wenn das bereits gezahlte Entgelt tatsächlich zurückgezahlt worden ist (Bestätigung der Rechtsprechung).

2. NV: Das Einräumen der Möglichkeit zur Weiternutzung eines Fitnessstudios nach Ablauf der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeit (kostenfreie Zusatzmonate) ist auch dann ein verbrauchsfähiger Vorteil, wenn dem keine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung mit dem Kunden zugrunde liegt, weil der Leistungsaustausch umsatzsteuerrechtlich aus dem wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den vom Unternehmer im Voraus vereinnahmten Mitgliedsbeiträgen (Gegenleistung) und dem verbrauchsfähigen Vorteil (in Gestalt von kostenfreien Zusatzmonaten) folgt, den die Mitglieder eines Fitnessstudios aufgrund ihrer Zahlung während der coronabedingten Schließung (Lockdown) erlangt haben. Auf die Beurteilung nach dem nationalen Zivilrecht kommt es insoweit nicht an (Parallelentscheidung zum Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13.11.2024 - XI R 5/23).

3. NV: In den Entscheidungsgründen kann das Finanzgericht auf die Begründung eines seinem Urteil vorangegangenen Beschlusses über die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung in gleicher Sache ohne Rechtsverstoß verweisen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 16.11.2022 - 4 K 41/22 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Jahr 2020 (Streitjahr) ein Fitnessstudio. Sie berechnete die Umsatzsteuer gemäß § 20 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nach vereinnahmten Entgelten. Die Laufzeit einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio der Klägerin betrug je nach Vereinbarung 12 oder 24 Monate. Die Mitglieder, die monatlich Beiträge zu entrichten hatten, waren zur gemeinschaftlichen Nutzung sämtlicher Einrichtungen in den Räumen der Klägerin berechtigt; sie konnten die Trainingsanlagen, Erholungs- und Clubräume nutzen und ‑‑soweit vorgesehen‑‑ an Gymnastikstunden sowie sportlichen und geselligen Aktivitäten teilnehmen.

  2. Die Klägerin musste gemäß der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (im Folgenden: Landesverordnung) ihr Fitnessstudio vom 17.03.2020 bis zum 17.05.2020 schließen. In den sozialen Medien wies die Klägerin unter anderem auf ihre Online-Kurse und ihren Online-Service zum Home-Training hin. Ferner teilte sie ihren Mitgliedern mit, dass der Zeitraum, in dem in ihrem Fitnessstudio nicht trainiert werden könne, neben vielfältiger Alternativangebote am Ende der Mitgliedschaft beitragsfrei ersetzt werde. Der Einzug der monatlich zu entrichtenden Mitgliedsbeiträge erfolgte auch während der Schließung. Im Buchungstext des Lastschrifteinzugs für die Monate April und Mai 2020 wurde ausdrücklich auf die Gewährung der Bonus-Monate hingewiesen.

  3. Die Klägerin teilte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit, dass die Anfang April vereinnahmten Mitgliedsbeiträge nicht in der ‑‑zu einer Vorbehaltsfestsetzung führenden‑‑ Umsatzsteuer-Voranmeldung enthalten seien, da diese aufgrund der Schließung des Fitnessstudios ohne Rechtsgrund erfolgt seien. Für die Monate März und Mai 2020 wurde entsprechend verfahren. Alle Mitgliedsbeiträge, die auf die Schließzeit entfielen, buchte die Klägerin auf einem Sonderkonto ohne Umsatzsteuer.

  4. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA ‑‑den Prüfungsfeststellungen folgend‑‑ hingegen die Auffassung, dass es sich bei den fortgezahlten Beiträgen der Mitglieder um Entgelt handele, das der Umsatzsteuer zu unterwerfen sei. Sofern der Betreiber eines Fitnessstudios bei Beitragsfortzahlung eine entsprechende Zeitgutschrift andiene, stelle der Beitrag eine steuerpflichtige Anzahlung dar. Eine etwaige spätere Rückforderung könne allenfalls zu einer Korrektur nach § 17 Abs. 2 UStG führen. Ob die Zusicherung der Verlängerung ein zivilrechtlich wirksames Vertragsverhältnis begründe, könne dahinstehen.

  5. Das FA erließ dementsprechend unter dem 13.01.2021 einen Änderungsbescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2020 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung. Hierbei wurden die für die Monate März, April und Mai verbuchten Mitgliedsbeiträge zunächst zusammengefasst und die sich aus dem Netto-Mehrbetrag von insgesamt … € ergebende Vorauszahlung in Höhe von … € festgesetzt. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Einspruch. Die Festsetzungen über die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate März, April und Mai 2020 änderte das FA (hinsichtlich Mai erneut) dahingehend, dass die streitigen Entgelte nicht mehr zusammengefasst für den Monat Mai 2020, sondern in der jeweiligen Höhe der Vereinnahmung in den Monaten März, April und Mai 2020 erfasst wurden. Die Klägerin legte auch gegen die geänderten Festsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate März und April 2020 jeweils Einspruch ein. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 18.03.2022).

  6. Im Verlauf des Klageverfahrens erließ das FA unter dem 17.08.2022 den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für das Streitjahr, der gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens wurde.

  7. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2023, 364 veröffentlichten Urteil vom 16.11.2022 - 4 K 41/22 ab. Das FG führte im Wesentlichen aus, dass die streitigen, von der Klägerin trotz der pandemiebedingten Schließung ihres Fitnessstudios vereinnahmten Mitgliedsbeiträge in einem umsatzsteuerrechtlich relevanten Zusammenhang mit einem tatsächlich erbrachten Leistungsbündel stünden. Die freiwillige Fortzahlung der Mitgliedsbeiträge sei im Rahmen eines in der Vergangenheit gelebten und fortbestehenden Dauerschuldverhältnisses und im Zusammenhang mit den insoweit erbrachten Leistungen erfolgt.

  8. Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Den streitigen Zahlungen der Mitglieder liege kein steuerbarer Leistungsaustausch zugrunde; sie unterlägen unabhängig davon, ob sie zurückgewährt würden, nicht der Umsatzsteuer. Der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 (BGHZ 233, 266) entschieden, dass die Mitglieder eines Fitnessstudios nach § 326 Abs. 1 i.V.m. § 326 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einen Anspruch auf jederzeitige Rückzahlung der für den Zeitraum der pandemiebedingten Schließung entrichteten Monatsbeiträge hätten, da insoweit der Anspruch auf Leistung unmöglich und nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sei. Zu einem Leistungsaustausch könne es nur kommen, wenn die Leistung einvernehmlich in die Zukunft verschoben werde, so dass die geleisteten Zahlungen als steuerbare Anzahlungen im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG zu werten seien oder sich die Parteien im Sinne des § 364 BGB auf eine Ersatzleistung an Erfüllungs statt geeinigt hätten. Beides liege hier jedoch nicht vor. Ob eine Leistung des Unternehmers vorliege, die derart mit einer Zahlung verknüpft sei, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung richte, bestimme sich nach dem der Leistung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis. Die entscheidende Vorfrage sei, ob der zivilrechtliche Anspruch auf Leistung noch bestehe. Für die Annahme eines Leistungsaustauschs reiche es jedenfalls nicht aus, dass die Zahlungen im Zusammenhang mit einem bestehenden Dauerschuldverhältnis erfolgt seien. Im Übrigen rügt die Klägerin, dass das FG in den Gründen des angefochtenen Urteils auf seinen Beschluss vom 14.02.2022 - 4 V 17/21 (EFG 2022, 615) abstelle, der auf Grundlage einer vom FG ausdrücklich als summarisch bezeichneten Sachverhaltsaufklärung und einer als nicht abschließend bezeichneten rechtlichen Prüfung ergangen sei.

  9. Die Klägerin beantragt,

    das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.08.2022 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … € herabgesetzt wird, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

  10. Das FA beantragt,

    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

  2. 1. Die Vorentscheidung ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die während der behördlich angeordneten Schließzeit für die Monate März, April und Mai 2020 von der Klägerin vereinnahmten Mitgliedsbeiträge Gegenleistungen für steuerbare und steuerpflichtige Leistungen sind. Die von den Mitgliedern auf Grundlage der bestehenden Mitgliedsvereinbarungen durch Lastschrifteinzug entrichteten Zahlungen für die Monate März, April und Mai 2020 sind, soweit sie nicht zurückgewährt wurden, Entgelte für steuerbare Leistungen, obwohl die Nutzung der Einrichtungen des Fitnessstudios aufgrund der Landesverordnung in dem Zeitraum vom 17.03.2020 bis zum 17.05.2020 zivilrechtlich unmöglich war.

  3. a) Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG entsteht die Steuer bei der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind.

  4. b) Wurde für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt, gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG sinngemäß. Die Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG tritt nicht schon dann ein, wenn ein Rückzahlungsanspruch des Zahlenden besteht, sondern (erst) dann, wenn das bereits gezahlte Entgelt (tatsächlich) zurückgezahlt worden ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union FIRIN vom 13.03.2014 - C-107/13, EU:C:2014:151, Rz 56, m.w.N.; Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.07.2007 - V R 11/05, BFHE 219, 220, BStBl II 2007, 966; vom 18.09.2008 - V R 56/06, BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250; vom 02.09.2010 - V R 34/09, BFHE 231, 321, BStBl II 2011, 991; vom 17.07.2019 - V R 9/19 (V R 29/15), BFHE 265, 565, Rz 31). Dies ist hinsichtlich der im Streit stehenden Entgelte für die vereinbarten Leistungen der Monate März, April und Mai 2020 nicht der Fall. Der bloße Umstand, dass die Kunden der Klägerin zivilrechtlich einen Anspruch auf Rückzahlung des Entgelts für die vereinbarte Leistung hatten, soweit die vereinbarte Leistung "Einräumung der Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Nutzung sämtlicher Einrichtungen des Fitnessstudios" (in den Monaten März und Mai teilweise, im Monat April vollständig) tatsächlich nicht ausgeführt worden ist, reicht danach für eine Minderung der Bemessungsgrundlage gerade nicht aus. Der Senat verweist im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 13.11.2024 - XI R 5/23.

  5. c) Unabhängig davon hat die Klägerin ihren Mitgliedern in Gestalt der zugesagten Bonus-Monate einen verbrauchsfähigen Vorteil dergestalt verschafft, dass die Mitglieder im Anschluss an den Ablauf der jeweiligen Mitgliedschaft beitragsfrei für die Zeit, in denen die Klägerin ihr Fitnessstudio schließen musste, weiter trainieren konnten. Die von der Klägerin eingezogenen Mitgliedsbeiträge, die auf die Monate der behördlich angeordneten Schließung ihres Fitnessstudios entfallen, sind danach auch als Entgelt im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG für die nachfolgend noch zu gewährenden Bonus-Monate zu sehen.

  6. aa) Der umsatzsteuerrechtliche Zusammenhang folgt aus dem wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den vom Unternehmer im Voraus vereinnahmten Mitgliedsbeiträgen (Gegenleistung) und dem verbrauchsfähigen Vorteil (Leistung), den die Mitglieder eines Fitnessstudios während der pandemiebedingten Schließung in Gestalt von kostenfreien Zusatzmonaten erlangt haben, und nicht aus der Beurteilung nach dem nationalen Zivilrecht.

  7. bb) Der Senat verweist auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe seines Urteils vom 13.11.2024 - XI R 5/23.

  8. 2. Auch die den Hilfsantrag betreffende Verfahrensrüge der Klägerin, dass das FG in den Gründen des angefochtenen Urteils auf seinen Beschluss vom 14.02.2022 - 4 V 17/21 (EFG 2022, 615) verweise, bleibt ohne Erfolg.

  9. Mit Blick auf das Erfordernis, dass das Urteil Entscheidungsgründe enthalten muss (§ 105 Abs. 2 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO), ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn anstelle von Entscheidungsgründen auf eine zwischen den Beteiligten ergangene andere Entscheidung des FG verwiesen wird, die die gleichen Sachverhalte und Rechtsfragen betrifft (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17.12.1998 - I R 56/98, BFH/NV 1999, 808; vom 24.10.2012 - I B 140/12, BFH/NV 2013, 226). Das FG kann daher zum Beispiel auf die Begründung eines dem Urteil vorangegangenen Beschlusses über die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung in gleicher Sache ohne Rechtsverstoß verweisen (vgl. BFH-Beschluss vom 24.10.2012 - I B 140/12, BFH/NV 2013, 226). Dies hat das FG zulässigerweise getan.

  10. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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