ECLI:DE:BFH:2025:B.070325.XIB25.24.0
BFH XI. Senat
ZPO § 43, UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1, FGO § 115 Abs 2, FGO § 76, FGO § 96 Abs 2, FGO § 105 Abs 3 Nr 5, FGO § 119, UStG VZ 2017 , UStG VZ 2018
vorgehend FG Münster, 11. March 2024, Az: 15 K 2255/21 U
Leitsätze
1. NV: Ein Verlust des Ablehnungsrechts gemäß § 43 der Zivilprozessordnung tritt nicht dadurch ein, dass sich eine Partei nach Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit auf die weitere Verhandlung einlässt.
2. NV: Die Beweislast für den Vorsteuerabzug trifft den Unternehmer; die Finanzbehörden (und damit auch die Finanzgerichte) können vom Steuerpflichtigen die Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage, ob der verlangte Abzug gewährt werden kann, notwendig erscheinen.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 11.03.2024 - 15 K 2255/21 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind teilweise nicht im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinreichend dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.
1. Soweit die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Verfahrensfehler im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend macht, dass das Finanzgericht (FG) gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen habe, ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt.
a) Die Klägerin hat ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11.03.2024 in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt. Um einen Sachaufklärungsmangel hinreichend darzulegen, hätte die im Beschwerdeverfahren fachkundig vertretene Klägerin daher unter anderem vortragen müssen, weshalb sie nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat und weshalb sich die Beweiserhebung dem FG auch ohne besonderen Antrag als erforderlich habe aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweisaufnahme ‑‑auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG‑‑ zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.12.2016 - XI B 57/16, BFH/NV 2017, 599, Rz 18; vom 04.03.2020 - XI B30/19[1], BFH/NV 2020, 611, Rz 11). Die Sachaufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, welche ein Beteiligter selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 26.04.2018 - XI B 117/17, BFH/NV 2018, 953, Rz 32). Da es sich um einen Verfahrensmangel handelt, auf deren Beachtung der Betroffene verzichten kann, muss ein Beschwerdeführer außerdem vortragen, dass er den Verstoß in der Vorinstanz gerügt habe oder aus welchen entschuldbaren Gründen er an einer solchen Rüge vor dem FG gehindert gewesen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 05.12.2013 - XI B 1/13, BFH/NV 2014, 547, Rz 9).
b) Das Beschwerdevorbringen genügt diesen Darlegungsanforderungen nicht.
Die Klägerin gibt zwar an, dass sie die Nichterhebung von Beweisen gerügt habe. Eine Berichtigung des Protokolls, das das Gegenteil beweist (§ 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 1 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑; s. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 19.12.2012 - V B 71/12, juris, Rz 16; vom 08.04.2022 - IX B 10/21, BFH/NV 2022, 733, Rz 9; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 94 FGO Rz 88, 91), wurde aber nicht beantragt. Dass eine Fälschung des Protokolls vorliegt (§ 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 2 ZPO), ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Außerdem fehlt es an Vortrag, was die vom FG unterlassene Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätte und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweisaufnahme ‑‑auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG‑‑ zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
Der beschließende Senat weist im Übrigen darauf hin, dass sich das FG mit dem schriftsätzlich angekündigten, in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholten Beweisantrag auf Seite 14 seines Urteils befasst und ihn abgelehnt hat, weil er nicht auf den Beweis von Tatsachen, sondern auf eine Rechtsfolge gerichtet ist. Tatsachen (nicht Rechtsfolgen), die der Zeuge bekundet hätte, gibt auch die Beschwerde nicht an.
2. Mit ihrem Vortrag, dass das FG ihr den Vorsteuerabzug zu Unrecht versagt habe, stellt die Klägerin die materielle Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung in Frage. Ein dahin gehendes Vorbringen vermag die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (vgl. allgemein BFH-Beschlüsse vom 29.04.2020 - XI B 113/19, BFHE 268, 480, BStBl II 2020, 476, Rz 20; vom 07.04.2021 - XI B 53/20, BFH/NV 2021, 1062, Rz 23). Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des FG.
a) Die Beweislast für den Vorsteuerabzug trifft den Unternehmer; die Steuerbehörden (und damit auch die Finanzgerichte) können vom Steuerpflichtigen die Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob der verlangte Abzug gewährt werden kann (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 03.02.2016 - V B 35/15, BFH/NV 2016, 794, Rz 12; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Weatherford Atlas Gip vom 12.12.2024 - C-527/23, EU:C:2024:1024, Rz 36).
b) Ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang der Eingangsleistungen mit der (behaupteten) wirtschaftlichen Tätigkeit ergibt sich aus den von der Klägerin (im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren teilweise nochmals) vorgelegten Belegen nicht. Die Annahme des FG, dass die streitigen Aufwendungen der Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist daher nicht zu beanstanden (§ 118 Abs. 2 FGO). Dies ist schon im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 03.02.2021 - XI B 45/20, BFH/NV 2021, 673, Rz 25; vom 12.07.2023 - XI B 1/23, BFH/NV 2023, 1201, Rz 11).
3. Die Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör der Klägerin dadurch verletzt, dass es die Anforderungen an die Substantiierung von Tatsachenvortrag offenkundig überspannt habe, greift nicht durch. Das FG hat sich auf den Seiten 13 und 14 seines Urteils mit den von der Klägerin eingereichten Belegen auseinandergesetzt, das heißt den Vortrag der Klägerin gehört, und begründet, warum aus ihnen ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit der (angeblichen) wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin nicht ersichtlich ist. Die Beschwerde wendet sich insoweit gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG und beanstandet, dass das FG sie, die Klägerin, mit ihrem Vortrag nicht erhört hat. Dies wird vom Gehörsanspruch indes nicht umfasst (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14.11.2022 - XI B 106/21, BFH/NV 2023, 140, Rz 16; vom 08.05.2024 - VII B 5/23, BFH/NV 2024, 923, Rz 23). Wird die Tatsachen- und Beweiswürdigung angegriffen, so handelt es sich grundsätzlich um die Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers, die die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt (vgl. BFH-Beschluss vom 20.04.2021 - XI B 39/20, BFH/NV 2021, 1209, Rz 26).
4. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Denkgesetze führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
a) Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sind in der Regel materiell-rechtliche Fehler und können nicht als Verfahrensmangel gerügt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 13/22, BFH/NV 2024, 401, Rz 16; vom 12.01.2024 - VI B 37/23, BFH/NV 2024, 389, Rz 16). Die Geltendmachung falscher materieller Rechtsanwendung führt jedoch grundsätzlich ‑‑von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen‑‑ nicht zur Zulassung der Revision (s. dazu unter 2. sowie BFH-Beschluss vom 12.01.2024 - VI B 37/23, BFH/NV 2024, 389, Rz 16).
b) Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt außerdem nur vor, wenn der vom FG gezogene Schluss schlechthin unmöglich ist, das heißt, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt nur eine Folgerung möglich, jede andere denkgesetzlich ausgeschlossen ist und das Gericht die in diesem Sinne allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 26.11.2020 - VI B 29/20, BFH/NV 2021, 443, Rz 13). Dies ist vorliegend nicht der Fall (s. unter 2.).
5. Der gerügte Verstoß gegen die Begründungspflicht liegt ebenfalls nicht vor. Das FG hat auf den Seiten 13 und 14 hinreichend begründet, warum es den direkten und mittelbaren Zusammenhang für nicht nachgewiesen hält. Eine aus Sicht der Klägerin lückenhafte, fehlerhafte oder nicht überzeugende Begründung stellt keinen Verfahrensmangel dar (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23.03.2021 - XI B 69/20, BFH/NV 2021, 1108, Rz 34; vom 26.11.2024 - VIII B 79/23, BFH/NV 2025, 176, Rz 32; BFH-Urteil vom 15.12.2021 - XI R 31/21 (XI R 6/18), BFH/NV 2022, 920, Rz 37).
6. Mit der Rüge, dass das FG zu Unrecht den Befangenheitsantrag der Klägerin abgelehnt habe, dringt die Beschwerde ebenfalls nicht durch.
a) Es trifft zwar zu, dass ein Verlust des Ablehnungsrechts gemäß § 43 ZPO nicht dadurch eintritt, dass sich eine Partei nach Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit auf die weitere Verhandlung einlässt (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.04.2016 - VIII ZB 47/15, Monatsschrift für Deutsches Recht, 2016, 902; s.a. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B, juris, Rz 26). Die dazu geäußerte Rechtsauffassung des FG (Urteil S. 10 f., unter I.1.b der Gründe) trifft daher nicht zu.
b) Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann allerdings grundsätzlich nicht auf die rechtswidrige Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden.
aa) Anders ist dies lediglich dann, wenn ein Befangenheitsgesuch aus nicht nur fehlerhaften, sondern willkürlichen und greifbar gesetzwidrigen Erwägungen heraus abgelehnt worden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 02.03.2017 - XI B 81/16, BFH/NV 2017, 748, Rz 24; vom 13.03.2024 - VIII B 10/23, BFH/NV 2024, 539, Rz 22; zur Ablehnung der Videoverhandlung s. z.B. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.06.2021 - 5 B 22/20 D, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report 2021, 997, Rz 5 f.).
bb) Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das FG ist auf den Seiten 8 bis 10 seines Urteils unter I.1.a von den zutreffenden rechtlichen Maßstäben für die Beurteilung von Befangenheitsanträgen ausgegangen. Davon, dass der Antrag aus willkürlichen und greifbar gesetzwidrigen Erwägungen heraus abgelehnt worden sei, kann insoweit nicht gesprochen werden.
7. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fußnoten
- [1] Hinweis der Dokumentationsstelle: sic!