ECLI:DE:BFH:2024:U.171024.IIIR11.23.0
BFH III. Senat
FVG § 5 Abs 1 S 1 Nr 11, EStG § 62 Abs 1, EStG § 63 Abs 1 S 1, EStG § 63 Abs 1 S 2, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 3, BGB § 1360, BGB § 1360a, BGB §§ 1601ff, BGB § 1601, BGB § 1612b, BEEG § 11, EStG VZ 2016 , EStG VZ 2017 , EStG VZ 2018
vorgehend Thüringer Finanzgericht , 28. February 2023, Az: 3 K 150/20
Leitsätze
1. Die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice wurde mit Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als neue Familienkasse wirksam errichtet und mit diesem Beschluss sowie dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 jedenfalls wirksam mit der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren betraut, bei denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden.
2. Zu den Bezügen eines behinderten Kindes gehören auch Unterhaltsleistungen seines Ehegatten, bei deren Ermittlung die (gegebenenfalls einen behinderungsbedingten Mehrbedarf einschließenden) Unterhaltslasten des Ehegatten für eigene minderjährige Kinder zu berücksichtigen sind (Bestätigung des Senatsurteils vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655).
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 28.02.2023 - 3 K 150/20 einschließlich der gesamten Kostenentscheidung aufgehoben.
Die Sache wird an das Thüringer Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Im Revisionsverfahren noch streitig ist die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Beigeladenen und die Rückforderung von Kindergeld von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 (Streitzeitraum).
Die im Oktober 1978 geborene Klägerin ist das abzweigungsberechtigte Kind des Beigeladenen. Das Versorgungsamt X-Stadt hat zu ihren Gunsten ab Dezember 1996 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt. Die Klägerin ist verheiratet. Aus der Ehe sind zwei im Februar 2013 und im Februar 2017 geborene Kinder hervorgegangen, für die ein GdB von 70 beziehungsweise 60 festgestellt ist.
Die Klägerin war zwischen Januar 2016 und Februar 2017 sowie im Dezember 2018 als … tätig und erzielte Nettolöhne zwischen 136,10 € und 533,63 € im Monat. Im Januar 2017 bezog sie 72 € Krankengeld. Für die Zeit von Februar 2017 bis Juli 2017 erhielt die Klägerin Elterngeld in Höhe von insgesamt 279,41 €, das im Juni 2017 rückwirkend gezahlt wurde. Von Juli 2017 bis September 2018 erhielt die Klägerin ElterngeldPlus in Höhe von 158,27 € monatlich. Das von ihr bis zum 04.07.2017 bezogene Mutterschaftsgeld in Höhe von 10,31 € wurde angerechnet.
Der Ehemann der Klägerin war im Streitzeitraum bei … als … tätig und erzielte Nettolöhne zwischen … € und … € sowie … € und … € (durchschnittlich monatlich 1.814 € netto im Jahr 2016, 1.998 € netto im Jahr 2017 und 2.024 € netto im Jahr 2018). Außerdem bezog er von September 2018 bis Dezember 2018 Wohngeld in Höhe von 51 € für vier Haushaltsmitglieder.
Mit Bescheid vom 25.07.2019 hob die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen die Festsetzung von Kindergeld für die Klägerin gegenüber dem Beigeladenen für den Zeitraum Januar 2015 bis Dezember 2018 auf. Mit Bescheid vom selben Tag forderte sie von der Klägerin das an diese ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 9.168 € zurück. Die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen war der Ansicht, die Behinderung sei nicht ursächlich dafür, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt nicht selbst habe bestreiten können.
Den Einspruch der Klägerin vom 14.08.2019 wies die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen mit Einspruchsentscheidung vom 11.03.2020 als unbegründet zurück.
Mit der am 20.03.2020 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung des Aufhebungs- und des Rückforderungsbescheids weiter.
Das Finanzgericht (FG) holte ein Sachverständigengutachten ein, aufgrund dessen die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen zwar davon ausging, dass die Behinderung für die Unfähigkeit der Klägerin zum Selbsterhalt ursächlich gewesen sei. Sie nahm aber nunmehr an, dass die Klägerin in den Jahren 2016 bis 2018 über ausreichende finanzielle Mittel verfügt habe, um ihren Lebensbedarf zu decken. Dabei sei das Einkommen des Ehemannes nicht um Unterhaltsbeträge für die gemeinsamen Kinder zu kürzen. Mit Bescheid vom 15.03.2022 änderte die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen den angefochtenen Rückforderungsbescheid und beschränkte die Rückforderung auf den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 und den Betrag von 6.912 €.
Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) errichtete mit Beschluss Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (Amtliche Nachrichten der BA ‑‑ANBA‑‑, Nr. 5/2022, S. 5 ff.) die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord (Beklagte und Revisionsbeklagte ‑‑Familienkasse‑‑). Er übertrug der Familienkasse mit diesem Beschluss und mit dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA, Nr. 12/2022, S. 11 ff., ANBA, Nr. 4/2023, S. 10 ff.) unter anderem die Zuständigkeit für Personen, deren Daten besonders schützenswert sind, darunter namentlich Kinder mit Behinderung.
Nachdem die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich der Monate Januar bis Dezember 2015 für erledigt erklärt hatte, wies das FG die Klage mit Urteil vom 28.02.2023 - 3 K 150/20 für den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 ab. Es nahm einen gesetzlichen Beteiligtenwechsel an. Für das Jahr 2015 ging es von einer übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten aus und entschied insoweit lediglich über die Kosten des Verfahrens. Zur Begründung seines klageabweisenden Urteils führte das FG aus, dem Beigeladenen habe für den Streitzeitraum kein Kindergeldanspruch zugestanden. Die Klägerin sei nicht dauerhaft außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten. Dabei seien neben ihren eigenen, um den anteiligen Werbungskostenpauschbetrag gekürzten Einkünften und Bezügen (abzüglich der Kostenpauschale von 15 €) auch Unterhaltsleistungen des Ehemannes an die Klägerin in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Nettoeinkünften der Ehegatten zu berücksichtigen. Die Einkünfte des Ehemannes seien für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs um den anteiligen Werbungskostenpauschbetrag zu kürzen; ein Abzug für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder sei dagegen nicht vorzunehmen. Mit diesen Mitteln sei die Klägerin in der Lage, ihren ‑‑durch Addition des anteiligen Grundfreibetrags und des anteiligen Pauschbetrags für Menschen mit Behinderungen ermittelten‑‑ monatlichen Bedarf in Höhe von 781 € für 2016, 795 € für 2017 und 810 € für 2018 zu decken.
Die Klägerin rügt mit der vom FG zugelassenen Revision die Verletzung formellen und materiellen Bundesrechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Thüringer FG vom 28.02.2023 - 3 K 150/20 und den Aufhebungsbescheid sowie den Rückforderungsbescheid jeweils vom 25.07.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.03.2020, geändert durch Bescheid vom 15.03.2022, aufzuheben.Die Familienkasse hat keinen Antrag formuliert.
Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob ein Kindergeldanspruch des Beigeladenen für die zum Kreis der behinderten Personen gehörende Klägerin gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestand, weil diese behinderungsbedingt im Streitzeitraum nicht imstande war, sich selbst zu unterhalten.
1. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.04.2023 fristgemäß, aber per Telefax eingelegte Revision ist zulässig.
Zwar sind nach § 52d Satz 1 FGO vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften ist jedoch ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend unmöglich ist (§ 52d Satz 3 FGO).
Eine solche Ausnahme liegt im Streitfall nach dem ‑‑durch eidesstattliche Versicherung vom 20.04.2023 und Vorlage von Ausdrucken von Screenshots des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs gemäß § 52d Satz 4 FGO glaubhaft gemachten‑‑ Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor. Demnach konnte die Revisionsschrift aufgrund von zeitweilig aufgetretenen technischen Problemen trotz mehrfacher Versuche am 20.04.2023 (dem letzten Tag der Revisionseinlegungsfrist) nicht in elektronischer Form an den Bundesfinanzhof (BFH) übermittelt werden. Daher war die Einlegung der Revision mittels Telefaxes ausnahmsweise zulässig.
2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass zum 01.02.2022 aufgrund eines Organisationsaktes ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten und seither die Familienkasse am Verfahren beteiligt und passivlegitimiert ist.
Die Familienkasse wurde mit Beschluss des Vorstands der BA Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA, Nr. 5/2022, S. 5 ff.) bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als neue (15.) Familienkasse wirksam errichtet und mit diesem Beschluss sowie dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA, Nr. 12/2022, S. 11 ff., ANBA, Nr. 4/2023, S. 10 ff.) jedenfalls wirksam mit der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren betraut, bei denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden (ebenso FG Münster, Urteil vom 18.04.2024 - 8 K 1319/21 Kg, juris, rechtskräftig; FG Nürnberg, Urteil vom 07.06.2024 - 7 K 140/23, juris, Revisionsverfahren anhängig unter III R 24/24; a.A.: FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 - 16 K 16111/23, juris, Revisionsverfahren anhängig unter III R 4/24; FG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 11.07.2024 - 10 K 585/24 Kg, juris, Revisionsverfahren anhängig unter III R 30/24).
Der Senat kann offen lassen, ob Letzteres auch für weitere Regelungen dieser Beschlüsse zutrifft, denn ein etwaiger, diese Regelungen betreffender Fehler würde nicht zur Gesamtnichtigkeit der Beschlüsse führen.
a) Der Vorstand der BA hat die Familienkasse wirksam errichtet. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) stellt die BA dem Bundeszentralamt für Steuern ihre Dienststellen zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs als Familienkassen zur Verfügung. Die BA wird durch den Vorstand geleitet (§ 381 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ‑‑SGB III‑‑). Dieser bestimmt ‑‑im Rahmen des durch § 367 Abs. 2 SGB III vorgesehenen dreistufigen Verwaltungsaufbaus‑‑ (eigenverantwortlich) über die Errichtung, Änderung und Auflösung von Dienststellen; lediglich bei besonderen Dienststellen mit grundsätzlicher strategischer Bedeutung ist nach Art. 4 Satz 1 der Satzung der BA vom 25.01.2016 (BAnz AT 08.02.2016 B5; ebenso Satzung vom 26.01.2024, BAnz AT 20.02.2024 B8) die Zustimmung des Verwaltungsrats notwendig.
Danach ist der Beschluss des Vorstands der BA Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 zur Gründung der Familienkasse als Organisationsakt nicht zu beanstanden. Der Beschluss wurde vom Vorstand als dem zur Entscheidung berufenen Organ gefasst. Er regelt den Aufgabenkreis der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als Dienststelle der örtlichen Verwaltungsebene und trägt somit der in § 367 Abs. 2 SGB III gesetzlich normierten Verwaltungsstruktur Rechnung.
b) Der Vorstand der BA hat die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden, durch seine Beschlüsse Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 und Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 wirksam auf die Familienkasse übertragen.
aa) Diese Zuständigkeitsregelung findet ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG, wonach der Vorstand der BA innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld unter anderem für bestimmte Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen kann.
Die somit vom zuständigen Organ (dem Vorstand der BA) getroffene Regelung betrifft inhaltlich die Gesamtzuständigkeit der Familienkasse für das Kindergeldfestsetzungs- und -erhebungsverfahren von Personen, die sich nach einem allgemeinen Gruppenmerkmal bestimmen lassen. Das Abgrenzungsmerkmal besteht darin, dass in den Kindergeldverfahren dieser Personengruppe Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden. Die Regelung umfasst (allein) die örtliche Zuständigkeit und geht damit nicht über den in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG vorgesehenen Rahmen hinaus (vgl. dazu Senatsurteil vom 25.02.2021 - III R 36/19, BFHE 272, 19, BStBl II 2021, 712, Rz 33).
bb) Die Regelung genügt dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) wurzelnden Bestimmtheitsgebot.
(1) Danach ist der Normgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 29.11.2023 - 2 BvF 1/21, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ‑‑NVwZ‑‑ 2024, Beilage Nr. 1, 28, Rz 80, m.w.N., zum Bundeswahlgesetz 2020). Der Grad der gebotenen Bestimmtheit hängt von den Besonderheiten des in Rede stehenden Sachbereichs und von den Umständen ab, die zu der Regelung geführt haben. Dabei sind die Bedeutung des Regelungsgegenstandes und die Intensität der durch die Regelung erfolgenden Grundrechtseingriffe ebenso zu berücksichtigen wie der Kreis der Anwender und Betroffenen der Norm sowie deren konkretes Bedürfnis, sich auf die Normanwendung einstellen zu können. Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen mithilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (BVerfG-Beschluss vom 27.04.2022 - 1 BvR 2649/21, BVerfGE 161, 299, Rz 142, m.w.N.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 18.04.2024 - 3 CN 8.22, Rz 40, juris; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts ‑‑BSG‑‑ vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50, unter 3.a und e).
(2) Daran gemessen ist die in den vorgenannten Vorstandsbeschlüssen enthaltene Regelung der Zuständigkeit der Familienkasse für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden, hinreichend bestimmt.
In zeitlicher Hinsicht ergibt sich unmittelbar und eindeutig aus dem Wortlaut des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (Vorbemerkung Satz 1), dass die (Sonder-)Zuständigkeit der neu gegründeten Familienkasse ab 01.02.2022 besteht. Der anschließende Hinweis auf den stufenweisen Vollzug des Beschlusses, das heißt auf seine Umsetzung, steht dem nicht entgegen.
Inhaltlich ist der in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 12/2022 ebenso wie in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 129/2022 verwendete Begriff "Kind mit Behinderung" zwar auslegungsbedürftig. Das mit "Behinderung" Gemeinte lässt sich aber ohne Weiteres bestimmen, indem auf die Definition in § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch zurückgegriffen wird, welche der Senat bereits zur Auslegung des in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG enthaltenen gleichlautenden Begriffs herangezogen hat (vgl. dazu z.B. Senatsurteile vom 12.11.2020 - III R 49/18, BFHE 271, 229, BStBl II 2021, 390, Rz 14 und vom 15.12.2021 - III R 43/20, BFHE 275, 164, BStBl II 2022, 472, Rz 24). Menschen mit Behinderungen sind danach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Auch die Verwaltung versteht den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG verwendeten Begriff der Behinderung in dieser Weise (Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz ‑‑DA-KG‑‑ Stand 2021, BStBl I 2021, 1599, A 19.1 Abs. 2; ebenso DA-KG Stand 2022, BStBl I 2022, 1010, A 19.1 Abs. 2; DA-KG Stand 2023, BStBl I 2023, 818, A 19.1 Abs. 2; DA-KG Stand 2024, BStBl I 2024, 736, A 19.1 Abs. 2). Auf etwaige weitere Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs (zum Beispiel ob ein volljähriges behindertes Kind fähig ist, sich selbst zu unterhalten beziehungsweise ob die Behinderung der Grund für die fehlende Selbstunterhaltsfähigkeit ist) kommt es für die Entscheidung über die Zuständigkeit der Familienkasse nicht an.
Der Umfang der Zuständigkeit der Familienkasse ist gleichfalls hinreichend bestimmt geregelt. Insoweit sieht Ziff. 2.1.5 des Anhangs zu den Vorstandsbeschlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 vor, dass bereits dann, wenn in einem Verfahren die Daten lediglich einer Person besonders schützenswert sind, wenn also zum Beispiel nur eines von mehreren Kindern eines Berechtigten zum Kreis der Personen mit Behinderung gehört, der gesamte Fall in die Zuständigkeit der Familienkasse fällt. Folglich obliegt der Familienkasse auch die Entscheidung über das Kindergeld für die anderen Kinder des Berechtigten. Hierfür spricht zudem die Regelung zu den Kindergeldakten in der DA-KG, wonach die Kindergeldakte nach Kindern aufgeteilt werden soll (vgl. O 2.8.1 Abs. 1 Satz 3 DA-KG, Stand 2021, ebenso Stand 2022 bis 2024), mithin die Kindergeldakte jeweils dem Berechtigten zugeordnet und nicht nach Kindern geführt wird.
cc) Die Übertragung von Zuständigkeiten als solche weist keine spezielle Grundrechtsrelevanz auf (BVerwG-Urteil vom 16.12.2021 - 1 C 60.20, juris, Rz 24 im Zusammenhang mit Bestimmtheitsanforderungen an eine Verordnungsermächtigung).
Eine Erschwerung des gerichtlichen Rechtsschutzes der Kindergeldberechtigten kann infolge einer Verlagerung der Behördenzuständigkeit nicht eintreten. Denn die örtliche Zuständigkeit der Finanzgerichte richtet sich in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs ‑‑zu dem nach § 31 EStG die Gewährung von Kindergeld gehört‑‑ gemäß § 38 Abs. 2a FGO grundsätzlich nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers. Unklarheiten darüber, gegen welche Behörde eine etwaige Klage zu richten ist, sind ‑‑da die Familienkassen Kindergeld nur auf Antrag gewähren (§ 67 EStG)‑‑ lediglich im Fall einer Untätigkeit der Familienkasse denkbar. Insoweit ist zu beachten, dass die Finanzgerichte nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 GG) verpflichtet sind, bei der Auslegung der Klageschrift den wirklichen Willen zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Dabei kann als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen, dass die Klage im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den nach dem Inhalt der Klage richtigen Beklagten gerichtet sein soll (Senatsurteile vom 22.01.2004 - III R 26/02, BFH/NV 2004, 792, unter II.1. und vom 25.02.2021 - III R 36/19, BFHE 272, 19, BStBl II 2021, 712, Rz 15, m.w.N.).
dd) Ein gerichtlich nachprüfbarer Fehler des Vorstands der BA bei der Ausübung des ihm in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG ("kann") eingeräumten Ermessens (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) ist nicht ersichtlich. Ob die vorgenommene Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Familienkasse auch zweckmäßig war, ist nicht zu prüfen (§ 102 i.V.m. § 121 FGO).
ee) Die Übertragung der Zuständigkeit für Verfahren von Personen, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden, auf die Familienkasse ist unabhängig davon wirksam, ob auch die übrigen Zuständigkeitsregelungen in den Vorstandsbeschlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 wirksam sind.
Eine untergesetzliche Norm ist dann insgesamt unwirksam, wenn der fehlerbehaftete Teil mit dem übrigen Normgefüge so verflochten ist, dass die Restbestimmung ohne den nichtigen Teil nicht bestehen bleiben kann. Das ist der Fall, wenn der verbleibende Teil der Rechtsordnung nicht entspricht, etwa eine unter Gleichheitsaspekten unzureichende Regelung darstellt oder den gesetzlichen Regelungsauftrag verfehlt. Ein Fehler führt dagegen dann nicht zur Gesamtnichtigkeit des fraglichen Normgefüges, wenn der fehlerfreie Teil objektiv sinnvoll bleibt und subjektiv vom Normsetzungswillen des Normgebers getragen wird (BSG-Urteil vom 17.03.2021 - B 6 KA 3/20 R, BSGE 132, 1, Rz 37, m.w.N. und BVerwG-Urteil vom 21.06.2018 - 7 C 19.16, juris, Rz 16, m.w.N.; vgl. auch BVerwG-Beschluss vom 25.02.1997 - 4 NB 30.96, NVwZ 1997, 896, unter II.1.d, m.w.N.).
Im Streitfall lässt sich das in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zu den Vorstandsbeschlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 als Person mit besonders schützenswerten Daten genannte "Kind mit Behinderung" von den weiteren dort genannten Fallgruppen abgrenzen und trennen, so dass die Regelung sinnvoll bleibt. Durch diese Bestimmung wird der Familienkasse ein Aufgabenbereich zugewiesen, der von ihr unabhängig davon zu bearbeiten ist, ob sie für Verfahren zuständig ist, in denen das Vorhandensein einer Behinderung an sich im Streit steht. Die betreffende Zuständigkeit besteht auch unabhängig davon, ob die Übertragung weiterer Zuständigkeiten wirksam ist. Dieser Teil der Vorstandsbeschlüsse ist ‑‑wie ausgeführt‑‑ auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vorstand der BA die Zuständigkeit für alle Fälle nur insgesamt regeln wollte. Im Gegenteil spricht die gewählte Regelungstechnik der Aufzählung sowie der Hinweis auf den aktuellen Bestand an Schutzkennzeichen für ein Regelungskonzept, bei dem die einzelnen Teilregelungen nicht unauflösbar miteinander verbunden sein sollen.
3. Das FG hat die Klage jedoch mit einer rechtsfehlerhaften Begründung abgewiesen. Es durfte die Unterhaltslasten des Ehemannes der Klägerin für das gemeinsame minderjährige Kind (Zeitraum Januar 2016 bis Januar 2017) beziehungsweise die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder (Zeitraum Februar 2017 bis Dezember 2018) bei der Berechnung des als Bezug der Klägerin in Ansatz gebrachten Ehegattenunterhalts nicht unberücksichtigt lassen.
a) Ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, sofern nicht aufgrund der Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19.07.2006 (BGBl I 2006, 1652), inzwischen § 52 Abs. 32 Satz 1 EStG, weiterhin die vorher geltende Altersgrenze (Vollendung des 27. Lebensjahres) maßgeblich ist.
Die Behinderung muss für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ursächlich sein, wobei nicht jede einfache Mitursächlichkeit ausreicht, sondern die Mitursächlichkeit der Behinderung für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt vielmehr erheblich sein muss. Ob dieses Maß der Mitursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt gegeben ist, hat das FG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. Senatsurteil vom 30.01.2024 - III R 42/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 854, Rz 20 und 23, m.w.N.).
Das Tatbestandsmerkmal "außerstande [...], sich selbst zu unterhalten" wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann (z.B. BFH-Urteil vom 15.10.1999 - VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72, unter 1.b; Senatsurteile vom 05.02.2015 - III R 31/13, BFHE 249, 144, BStBl II 2015, 1017, Rz 13; vom 13.04.2016 - III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10 und vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12, m.w.N.). Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt ist dabei anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des aus dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf bestehenden gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits (z.B. Senatsurteile vom 13.04.2016 - III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10; vom 19.01.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735, Rz 29; vom 27.11.2019 - III R 28/17, BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 16 und vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12). Diese Prüfung hat für jeden Monat gesondert zu erfolgen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12, m.w.N.).
aa) Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens (Senatsurteil vom 27.11.2019 - III R 28/17, BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 19). Diese können einzeln nachgewiesen oder mit dem maßgeblichen Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) angesetzt werden (Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 13).
bb) Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge (Senatsurteil vom 13.04.2016 - III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 15), das heißt grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung seines Lebensunterhalts geeignet und bestimmt sind und ihm im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen (Senatsurteil vom 15.12.2021 - III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 16).
(1) Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Er umfasst den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit sowie den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften (Senatsurteil vom 15.12.2021 - III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 17, m.w.N.).
(2) Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 28.05.2009 - III R 8/06, BFHE 225, 141, BStBl II 2010, 346, unter II.1.b; vom 27.10.2021 - III R 19/19, BFHE 275, 44, BStBl II 2022, 469, Rz 17 und vom 15.12.2021 - III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 18 sowie BFH-Urteil vom 20.03.2013 - XI R 51/10, BFH/NV 2013, 1088, Rz 16). Unter den Begriff der Bezüge fallen auch Unterhaltsleistungen des verheirateten oder geschiedenen Ehegatten (§§ 1360, 1360a, 1361, 1569 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches ‑‑BGB‑‑; Senatsurteile vom 23.11.2011 - III R 76/09, BFHE 236, 79, BStBl II 2012, 413, Rz 9, zum Bezügebegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.; vom 11.04.2013 - III R 24/12, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, Rz 15 und vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20) oder Unterhaltsleistungen des Kindsvaters an die Kindsmutter, für die Kindergeld beansprucht wird (BFH-Urteil vom 25.02.2015 - XI R 14/13, BFH/NV 2015, 836, Rz 17 zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.).
Der Umfang der Unterhaltsleistungen kann bei Ehepartnern, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, regelmäßig nur geschätzt werden. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
- Bei einer kinderlosen Ehe fließt dem nicht verdienenden Ehepartner nach der Lebenserfahrung in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zu, sofern dem unterhaltsverpflichteten Ehepartner ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerlichen Existenzminimums verbleibt; verfügen beide Ehepartner über eigene Mittel, so ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen (Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20, m.w.N.).
- Gehören Kinder zur Familie, so werden die Einkünfte desjenigen Ehegatten, für den Kindergeld begehrt wird, durch dessen Unterhaltsleistungen an sein eigenes Kind grundsätzlich nicht gemindert (Senatsurteile vom 09.02.2012 - III R 73/09, BFHE 236, 407, BStBl II 2012, 463, Rz 18 ff. zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20, 27).
- Eine mittelbare Berücksichtigung der Unterhaltslasten für Kinder ‑‑infolge eines aufgrund der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten gemäß § 1609 BGB‑‑ geminderten Ehegattenunterhalts ist jedoch nicht ausgeschlossen (Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 30, 32).b) Nach diesen Maßstäben ist zwar nicht zu beanstanden, dass das FG von der erheblichen Mitursächlichkeit der Behinderung für die mangelnde Selbstunterhaltsfähigkeit im Streitzeitraum ausgegangen ist, denn die geringen Lohnersatzleistungen während der Schwangerschaft sowie in der Elternzeit sind darauf zurückzuführen, dass die Klägerin zuvor behinderungsbedingt nur ein geringes Arbeitsentgelt erzielen konnte.
Allerdings sind die Unterhaltslasten für das gemeinsame minderjährige Kind beziehungsweise für die gemeinsamen minderjährigen Kinder in die Berechnung der Unterhaltsleistungen einzubeziehen, die der Ehemann im Streitzeitraum an die Klägerin erbracht hat. Das FG, das das Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21 bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, weil es erst am 09.03.2023 veröffentlicht wurde, ist von einem anderen Rechtsmaßstab ausgegangen. Da der Senat die Unterhaltsleistungen anhand der vom FG getroffenen Feststellungen nicht berechnen kann, kann er nicht selbst entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Das FG hat ‑‑von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend‑‑ keine Feststellungen zum Umfang der (vorrangigen) Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder getroffen und insbesondere einen etwaigen behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht ermittelt. Es erhält durch die Aufhebung des angefochtenen Urteils Gelegenheit, diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
c) Darauf, ob auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge durchgreift, kommt es nicht mehr an.
4. Zur Förderung des weiteren Verfahrens und ohne Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO weist der Senat darauf hin, dass der Unterhalt der Kinder und der Klägerin anhand der familienrechtlichen Grundsätze zu bestimmen ist.
a) Für die Prüfung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Ehegatten der Klägerin können die für den Streitzeitraum maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) herangezogen werden, die auch die Behandlung von Spesen und Wohngeld behandeln. Zur Vereinfachung der Berechnung kann bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit von einem Jahresdurchschnitt ausgegangen werden (vgl. MüKoBGB/Langeheine, 9. Aufl., § 1603 Rz 15, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 04.07.2007 - XII ZR 141/05, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 57, unter II.2., zum nachehelichen Unterhalt; OLG Dresden, Beschluss vom 15.01.2014 - 20 WF 12/14, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht ‑‑FamRZ‑‑ 2014, 1471, Rz 3). Abzusetzen sind neben Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 23 und 25, m.w.N.) auch berufsbedingte Aufwendungen. Insoweit bestehen keine Einwände gegen das Vorgehen des FG, zur Vereinfachung für die berufsbedingten Aufwendungen einen Betrag in Höhe des Werbungskostenpauschbetrags gemäß § 9a EStG in Ansatz zu bringen, soweit nicht höhere berufsbedingte Aufwendungen im Einzelnen nachgewiesen werden.
b) Es begegnet keinen Bedenken, die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder gegen den Ehegatten der Klägerin gemäß §§ 1601 ff. BGB mit Hilfe der in der Praxis der Familiengerichte zur Bemessung des Unterhalts verwendeten Düsseldorfer Tabelle zu ermitteln, die auch in die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Thüringer OLG einbezogen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 34 zum Mindestunterhalt).
Zu den Tabellenbeträgen kann ein Sonderbedarf wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder ein Mehrbedarf für Positionen hinzutreten, die ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf einkalkuliert sind (BGH-Urteil vom 16.09.2020 - XII ZB 499/19, BGHZ 227, 41, Rz 24). Hierzu gehört auch ein behinderungsbedingter Mehrbedarf (vgl. Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.09.2001 - 5 UF 3/01, FamRZ 2002, 854, unter B.1.; Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 02.01.2007 - 9 UF 159/06, FamRZ 2008, 174, unter C.III.1.; Beschluss des OLG Koblenz vom 21.10.2014 - 11 UF 337/14, FamRZ 2015, 1811, Rz 14).
Die aufgrund des Einkommens des Unterhaltspflichtigen vorzunehmende Eingruppierung in die Einkommensstufen der Düsseldorfer Tabelle ist je nach Anzahl der Unterhaltsberechtigten durch Höher- oder Herabstufung zu korrigieren, ohne dass es dabei auf den Rang der weiteren Unterhaltsberechtigten ankommt (vgl. Anm. 11.2 zur Thüringer Tabelle, Stand: 01.01.2016, 01.01.2017, 01.01.2018; vgl. auch BGH-Urteil vom 17.09.2008 - XII ZR 72/06, BGHZ 178, 79, unter II.2.b).
Da der Kindesunterhalt nach den zivilrechtlichen Regelungen zu bestimmen ist, ist auch das Kindergeld bei der Bemessung des Anspruchs auf Kindesunterhalt entsprechend der Zivilrechtslage (§ 1612b BGB) zu berücksichtigen (offengelassen im Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 35 f). Im Streitfall dürfte hieraus folgen, dass die Hälfte des Kindergelds für die minderjährigen Kinder der Klägerin und ihres Ehemannes zur Deckung des Bedarfs der Kinder zu verwenden ist.
c) Die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten bestimmt sich nach § 1609 BGB (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 33). Die Verpflichtung zum Unterhalt der minderjährigen Kinder geht danach im Mangelfall der Verpflichtung zum Unterhalt des Ehegatten vor (§ 1609 Nr. 1 und 2 BGB), so dass die Klägerin von ihrem Ehemann keinen Unterhalt beanspruchen kann, soweit dessen Einkommen nicht zur Erfüllung aller Unterhaltsverpflichtungen ausreicht und für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder verwendet werden muss.
d) Der Anspruch der Klägerin auf Familienunterhalt gemäß §§ 1360, 1360a BGB bemisst sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Er kann, obwohl er nach seiner Ausgestaltung nicht auf die Gewährung einer ‑‑frei verfügbaren‑‑ laufenden Geldrente für den jeweils anderen Ehegatten, sondern als gegenseitiger Anspruch der Ehegatten darauf gerichtet, dass jeder von ihnen seinen Beitrag zum Familienunterhalt entsprechend seiner nach dem individuellen Ehebild übernommenen Funktion leistet, im Fall der Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen in Geldbeträgen veranschlagt werden (vgl. BGH-Urteile vom 19.02.2003 - XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, unter 5.b aa und vom 21.01.2009 - XII ZR 54/06, FamRZ 2009, 762, unter B.III.5.a).
aa) Der Anspruch besteht grundsätzlich in Höhe der Hälfte des beiderseitigen Einkommens der Ehegatten, soweit dieses die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat und nicht zur Vermögensbildung verwandt worden ist (BGH-Urteil vom 19.02.2003 - XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, unter 6.a). Ein Erwerbstätigenbonus (1/7 Erwerbsanreiz) des allein oder mehr verdienenden Ehegatten ist nicht in Abzug zu bringen (vgl. BGH-Urteile vom 20.03.2002 - XII ZR 216/00, FamRZ 2002, 742, unter 1. und vom 12.12.2012 - XII ZR 43/11, BGHZ 196, 21, Rz 40).
bb) Das der Klägerin gezahlte Elterngeld ist nach Maßgabe von § 11 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes in der im Streitzeitraum gültigen Fassung vom 27.01.2015 aufgrund der geringen Höhe des Betrags bei der Ermittlung des Familienunterhalts (§ 1360 Satz 1 BGB) als Einkommen nicht zu berücksichtigen, das ElterngeldPlus lediglich soweit es den Betrag von 150 € übersteigt.
Elterngeld und ElterngeldPlus sind allerdings ‑‑wie das FG zutreffend erkannt hat‑‑ als Bezug der Klägerin in die zur Ermittlung ihrer Selbstunterhaltsfähigkeit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nötige monatsbezogene Vergleichsrechnung einzustellen (vgl. Senatsurteil vom 05.02.2015 - III R 31/13, BFHE 249, 144, BStBl II 2015, 1017, Rz 16).
Es bestehen keine Einwände gegen das Vorgehen des FG, für anfallende Kosten (zum Beispiel Kontoführungsgebühren) zur Vereinfachung jeweils pauschal einen Betrag in Höhe von 15 € pro Monat in Abzug zu bringen.
cc) Der Halbteilungsgrundsatz gilt beim Anspruch auf Familienunterhalt allerdings nur dann uneingeschränkt, wenn dem unterhaltsverpflichteten Ehegatten nach Abzug der vorrangigen Ansprüche auf Kindesunterhalt ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerlichen Existenzminimums verbleibt (vgl. Senatsurteile vom 23.11.2011 - III R 76/09, BFHE 236, 79, BStBl II 2012, 413, Rz 10; vom 11.04.2013 - III R 24/12, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, Rz 17 und vom 20.10.2022 - III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20; BFH-Urteil vom 25.02.2015 - XI R 14/13, BFH/NV 2015, 836, Rz 17, jeweils für den Fall der kinderlosen Ehe). Ist dies nicht der Fall, verringert sich der Anspruch auf Familienunterhalt entsprechend.
5. Der Senat hält es für zweckmäßig, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a Abs. 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).
6. Aufgrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung wird dem FG gemäß § 143 Abs. 2 FGO die Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren (einschließlich des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechtsstreits) übertragen.