ECLI:DE:BFH:2023:U.071123.VIIIR7.22.0
BFH VIII. Senat
AO § 38, EStG § 20 Abs 1 Nr 7, EStG § 22 Nr 3, BGB § 346, BGB § 348, BGB § 357b, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 5, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7, EStG VZ 2016
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 07. April 2022, Az: 14 K 9216/19
Leitsätze
1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑ a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird.
2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.
3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 07.04.2022 - 14 K 9216/19 und die Einspruchsentscheidung vom 21.08.2019 aufgehoben.
Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 13.09.2018 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ein Betrag von 8.611,78 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund eines widerrufenen Darlehensvertrags gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden für das Jahr 2016 (Streitjahr) als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie schlossen im Jahr 2006 einen Darlehensvertrag mit der X-Bank ab und nahmen ein Darlehen in Höhe von 150.000 € zur Finanzierung ihrer selbstgenutzten Wohnimmobilie in Anspruch.
Die Kläger widerriefen mit Schreiben vom 17.06.2016 ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen, da sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt worden seien. Die X-Bank erkannte den Widerruf an. Sie teilte den Klägern im Schreiben vom 26.07.2016 mit, dass die Kläger der X-Bank die Rückzahlung der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine bereits erfolgte (Teil-)Tilgung und Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta schuldeten und die Bank ihrerseits den Klägern die Rückzahlung bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und einen Nutzungsersatz in Höhe von 8.611,78 € schulde. Außerdem erklärte sie gegen die Ansprüche der Kläger die Aufrechnung mit den ihr zustehenden Ansprüchen, sodass letztlich bei den Klägern eine Zahllast verblieb. Die Bank behielt Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag ein und erteilte den Klägern eine entsprechende Steuerbescheinigung für das Streitjahr.
Die Kläger beantragten im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die Überprüfung des Steuereinbehalts für den Nutzungsersatz, da dieser zu Unrecht als Kapitalertrag behandelt worden sei. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 13.09.2018 den Betrag in Höhe von 8.611,78 € neben weiteren hier nicht streitigen Beträgen und unter Abzug des Sparer-Pauschbetrags für Ehegatten bei den dem gesonderten Tarif unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG).
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1742 mitgeteilten Gründen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass der von der X-Bank an die Kläger als Nutzungsersatz geleistete Betrag in Höhe von 8.611,78 € für die an die X-Bank erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu unterwerfen sei. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der streitige Betrag ein Saldobetrag sei, der weitere Positionen beinhalte.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 07.04.2022 - 14 K 9216/19 und die Einspruchsentscheidung vom 21.08.2019 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 13.09.2018 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 8.611,78 € als nicht steuerbar behandelt wird.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 8.611,78 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter II.1.). Die Rückabwicklung des Darlehensvertrags führt bei den Klägern auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Die Sache ist spruchreif (unter II.3.). Der Senat gibt der Klage wie beantragt statt.
1. Die Entscheidung des FG, dass der im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags von der Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 8.611,78 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit der Kläger und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.
a) Im Streitfall haben die Kläger und die X-Bank nach den Feststellungen des FG den zur Finanzierung der selbstgenutzten Wohnimmobilie geschlossenen Darlehensvertrag im Hinblick auf die Rechtsfolgen des wirksamen Widerrufs einvernehmlich rückabgewickelt und in ihre Einigung ausschließlich die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis einbezogen.
b) Der von den Klägern vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 8.611,78 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung der Darlehen nach den in den Urteilen des Senats vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (BFHE 282, 555) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung ‑‑wie im Streitfall‑‑ einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird. Die Kläger und die X-Bank haben im Rahmen ihrer vergleichsweisen Einigung über die Rückabwicklung des Darlehens hinaus auch keine weiteren Vereinbarungen getroffen, die zu steuerbaren Kapitalerträgen führen könnten.
2. Die Entscheidung des FG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Der von der X-Bank geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung des Darlehens nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (BFHE 282, 555) Bezug.
3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat gibt der Klage statt. Der von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 8.611,78 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 13.09.2018 ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 8.611,78 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.
Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.