ECLI:DE:BFH:2023:B.300623.IB60.22.0
BFH I. Senat
FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 119 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, AEUV Art 107 Abs 1, AEUV Art 45, GG Art 3 Abs 1, DBA AUT 2000 Art 23 Abs 1 Buchst b DBuchst gg
vorgehend FG München, 22. September 2022, Az: 15 K 1834/20
Leitsätze
NV: Wird als Mangel des Verfahrens gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, gehört zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung die Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergibt, weshalb der erkennende Senat fehlerhaft besetzt gewesen sein soll (z.B. BFH-Urteil vom 23.04.1996 - VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31). Soweit der Beschwerdeführer die vermeintlich fehlerhafte Besetzung des Gerichts an keinerlei konkreten Anhaltspunkten festmacht, sondern lediglich den Verdacht äußert, dass ein Verstoß vorgelegen haben könnte, genügt dies diesen Anforderungen nicht.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg, vom 22.09.2022 - 15 K 1834/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind verheiratet, hatten im Jahr 2016 (Streitjahr) ihren Wohnsitz im Inland und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten jeweils Einkünfte aus selbständiger Arbeit, der Kläger allerdings auch von einem deutschen Arbeitgeber solche aus nichtselbständiger Arbeit als Künstler in Österreich … Seine Bruttobezüge für diese Tätigkeit wurden nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24.08.2000 (BGBl II 2002, 735, BStBl I 2002, 585) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 29.12.2010 (BGBl II 2011, 1210, BStBl I 2012, 367) ‑‑DBA-Österreich 2000/2010‑‑ in Österreich besteuert.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) bezog die Einkünfte erklärungsgemäß in die deutsche Bemessungsgrundlage ein und rechnete die in Österreich einbehaltene Lohnsteuer nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. gg DBA-Österreich 2000/2010 auf die deutsche Einkommensteuer an.
Soweit sich die Kläger hiergegen mit Einspruch wehrten, blieb dieser ebenso erfolglos wie die danach erhobene Klage. In seinem Urteil vom 22.09.2022 - 15 K 1834/20 führte das Finanzgericht (FG) München, Außensenate Augsburg aus, die vom FA vorgenommene inländische Besteuerung samt Anrechnung der ausländischen Lohnsteuer entspreche den Vorgaben des nationalen Rechts und verstoße weder gegen die Vorgaben des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte noch gegen Unionsrecht.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wehren sich die Kläger mit ihrer Beschwerde, die sie auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sowie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO) stützt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist ‑‑soweit sie den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht‑‑ unbegründet, denn die von den Klägern in zulässiger Weise vorgebrachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Kläger rügen, das FG habe § 119 Nr. 1 FGO verletzt, indem die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts nicht hinreichend feststellbar gewesen sei, weil während der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz nur eine Kamera zur Verfügung gestanden habe, die die Richter nur aus der Ferne gezeigt habe; es sei weder eine Eigensteuerung der einzigen Kamera durch den Bevollmächtigten der Kläger möglich gewesen noch habe ein Zoomverfahren angewendet werden können. Diese Ausführungen entsprechen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Wird als Mangel des Verfahrens gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, gehört zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge die Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergibt, weshalb der erkennende Senat fehlerhaft besetzt gewesen sein soll (vgl. BFH-Urteil vom 23.04.1996 - VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31). Soweit der Besetzungsrüge nicht zu entnehmen ist, welcher Besetzungsfehler gerügt wird, genügt das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (BFH-Beschluss vom 28.08.2007 - VII B 68/06, BFH/NV 2007, 2242).
b) Die Beschwerde genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Die Kläger machen die vermeintlich fehlerhafte Besetzung des Gerichts an keinerlei konkreten Anhaltspunkten fest, sondern äußern lediglich den Verdacht, dass ein Verstoß vorgelegen haben könnte. Sie tragen aber selbst vor, dass sie den gesamten Senat sehen konnten. Dass die Kamera im Sitzungssaal den Senat nur aus der Ferne zeigte und nicht durch den Bevollmächtigten der Kläger zu steuern war und keine Zoomfunktion hatte, ändert daran nichts. Ein "Blick ins Gesicht" war ‑‑wenn auch der Qualität nach gesteuert durch die technische Ausstattung "an dem anderen Ort", die aber nicht in der Verantwortungssphäre des Gerichts liegt‑‑ möglich und es ist nicht erkennbar, woraus sich ein Besetzungsfehler ergeben sollte.
c) Soweit die Kläger den Beschluss über die Gestattung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung rügen, ist dieser nach § 91a Abs. 3 Satz 2 FGO unanfechtbar. Im Übrigen haben die Kläger die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung selbst beantragt, so dass ein Ermessensfehler nicht erkennbar ist.
2. Soweit die Kläger eine Versagung rechtlichen Gehörs geltend machen, weil das FG auf Seite 15 des angefochtenen Urteils ‑‑im Rahmen der unionsrechtlichen Prüfung‑‑ ihren wesentlichen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 17.05.2021 (dort Seite 4 f.) zu den zu prüfenden Vergleichsgruppen (in Österreich beschränkt steuerpflichtiger künstlerisch tätiger Arbeitnehmer auf der einen Seite und ebenfalls dort beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer aus anderen Berufsgruppen auf der anderen Seite) nicht zur Kenntnis genommen habe, ist dies unzutreffend. Das FG hat sich mit dieser Thematik bereits auf Seite 11 des Urteils ‑‑bei der Prüfung einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)‑‑ auseinandergesetzt. Den Sachvortrag der Kläger hat das FG damit zur Kenntnis genommen und lediglich von der Ansicht der Kläger rechtlich abweichend gewürdigt.
3. Soweit die Kläger geltend machen, diverse Rechtsfragen seien von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, ist dies ebenfalls unzutreffend.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 29.10.2020 - VIII B 54/20, BFH/NV 2021, 310; vom 28.07.2022 - II B 98/21, BFH/NV 2022, 1063). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird dagegen nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 01.12.2021 - II B 34/21, BFH/NV 2022, 330; in BFH/NV 2022, 1063).
b) So liegt auch der Streitfall, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen offensichtlich so zu beantworten sind, wie es das FG getan hat.
Zur von den Klägern unter zwei Aspekten aufgeworfenen Frage nach einem möglichen Verstoß gegen das europäische Beihilferecht (Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑‑AEUV‑‑) hat das FG im angefochtenen Urteil unter Wiedergabe entsprechender Fundstellen dargelegt, dass ein solcher unter keinen Umständen Auswirkungen auf das gegenständliche Klageverfahren haben könnte. Es hat insbesondere zutreffend ausgeführt, dass ‑‑sofern die innerstaatliche österreichische Pauschalbesteuerung für Künstler überhaupt die Voraussetzungen einer Beihilfe erfüllt‑‑ die Zulässigkeit zwischen der Europäischen Union und Österreich zu klären wäre und das Beihilferecht ein Gebot gegenüber einem anderen Mitgliedstaat, eine anderswo gewährte Beihilfe effektiv zu belassen, gerade nicht kennt. Soweit die Kläger ausführen, in der Anrechnungsmethode liege die "Rückgängigmachung" einer etwaigen österreichischen Beihilfe, scheidet ‑‑wie das FG ausgeführt hat‑‑ ein Verstoß schon deshalb aus, weil das europäische Beihilferecht gerade bezweckt, Beihilfen wegen ihrer wettbewerbsverzerrenden Wirkung im Regelfall zu unterbinden und nur in einem geordneten Notifikationsverfahren ausnahmsweise zu genehmigen.
c) Nichts anderes gilt, soweit die Kläger rügen, das FG-Urteil verletze bezogen auf die angesprochenen Vergleichsgruppen Art. 45 AEUV, indem es zu einem Heraufschleusungseffekt auf ein final höheres Steuerniveau im Rahmen der Veranlagung als unbeschränkt Steuerpflichtiger in Deutschland komme. Das FG vermochte bereits keine Ungleichbehandlung zwischen einem in Österreich beschränkt steuerpflichtigen künstlerisch tätigen Arbeitnehmer auf der einen Seite und einem ebenfalls dort beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer aus anderen Berufsgruppen auf der anderen Seite erkennen. Es hat aber vor allem zutreffend darauf verwiesen, dass die zum Topos des Art. 3 Abs. 1 GG ergangene Rechtsprechung des beschließenden Senats hinsichtlich der Vergütungen für Dienstleistungen, die ein im Inland ansässiger Flugzeugführer eines in Österreich ansässigen Unternehmens an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr erbringt und für die sich die Vertragsstaaten anstelle der Freistellungsmethode auf die Anrechnungsmethode verständigt haben (Urteil vom 20.05.2015 - I R 47/14, BFHE 250, 87, BStBl II 2015, 808), auf international tätige Künstler wie den Kläger übertragbar ist. Die Auffassung der Kläger, wegen einer generell bestehenden Lohnsteuerabzugsverpflichtung sei bei Arbeitnehmern die Gefahr der Nichtbesteuerung denknotwendig nicht gegeben, trifft nicht zu. So erscheint es möglich, dass international tätige Arbeitnehmer lohnsteuerlich gar nicht erst erfasst werden, ohne dass dem ein rechtswidriges Verhalten zugrunde liegen müsste. International tätige Künstler sind oftmals mobil tätig und erzielen Einkünfte aus mehreren Quellen, wobei die Einkünftequalifikation nicht eindeutig sein muss. Es kommt hinzu, dass der Kläger nicht anders behandelt wird, als hätte er seine gesamten nichtselbständigen Einkünfte im Inland bezogen, so dass nicht nach dem Ursprung seiner Einkünfte unterschieden wird. Es ist im Übrigen angesichts des angesprochenen weiten (rechtspolitischen) Spielraums, der dem Verhandlungsführer und in Einklang damit dem Gesetzgeber bei der Umsetzung des geschlossenen Abkommens in nationales Recht zukommt, auch ausgeschlossen, dass in einem Umschwenken von der Steuerfreistellungsmethode in einem früheren Abkommen hin zur Steueranrechnungsmethode in einem neuen Abkommen eine mittelbare Diskriminierung liegen könnte.
d) Aus den vorstehenden und gerade zu Art. 3 Abs. 1 GG ergangenen Erwägungen folgt, dass auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt. Soweit die Kläger auf davon abweichende Stellungnahmen in der Literatur verwiesen haben, datieren diese aus einer Zeit vor Ergehen des Senatsurteils in BFHE 250, 87, BStBl II 2015, 808.
4. Nach dem zu 3. Gesagten scheidet auch eine Revisionszulassung zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO) aus.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
6. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung.