ECLI:DE:BFH:2024:U.290824.VR15.23.0
BFH V. Senat
UStG § 24 Abs 1, UStG § 24 Abs 2, EGRL 112/2006 Art 295, EGRL 112/2006 Art 300, UStG VZ 2018
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 22. May 2023, Az: 9 K 54/21
Leitsätze
Verpflichtet sich ein § 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) anwendender Tierzuchtbetrieb gegen Entgelt über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende Bedingungen für eine tiergerechte und nachhaltige Fleischerzeugung einzuhalten, liegt eine § 24 Abs. 1 UStG unterliegende Leistung vor.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 22.05.2023 - 9 K 54/21 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, die eine Putenmast betrieb, nahm im Jahr 2018 (Streitjahr) an einem Programm zur Förderung einer tiergerechten und nachhaltigeren Fleischerzeugung teil. Im Rahmen dieses Programms verpflichtete sich die Klägerin, über die gesetzlichen Anforderungen an Putenmastbetriebe hinausgehende Anforderungen und Qualitätskriterien einzuhalten, die im Rahmen des Programms geprüft wurden. Die Kriterien umfassten insbesondere "zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten" für die Tiere, ein vergrößertes Platzangebot sowie Stallklima- und Tränkwasserüberprüfungen. Die Klägerin verpflichtete sich in der Teilnahmeerklärung, die Anforderungen lückenlos umzusetzen, die Umsetzung der Anforderungen nachzuweisen, insbesondere angemeldete oder unangemeldete Prüfungen zu dulden und sich an deren Kosten sowie an den Kosten für Verwaltung und Organisation zu beteiligen.
Die X-GmbH zahlte an die Klägerin für die Umsetzung und Einhaltung der dokumentierten Anforderungen während des Anspruchszeitraums eine Vergütung, die sich nach dem Lebendgewicht der Tiere bemaß.
Die Klägerin wendete in ihrer Umsatzsteuererklärung für die Besteuerung ihrer Umsätze aus dem Betrieb der Putenmast die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) an, erfasste aber die Zahlungen der X-GmbH als Entgelte für Umsätze, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegen. In diesem Zusammenhang machte sie abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 2.612,59 € geltend. Die Vorsteuerbeträge ermittelte die Klägerin durch einen bereichsbezogenen Umsatzschlüssel, indem sie die gezahlte Vorsteuer im Verhältnis der Umsätze zum allgemeinen Steuersatz und der Umsätze aus der Durchschnittssatzbesteuerung aufteilte.
In dem Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 20.03.2020 ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu.
Während des sich an ein erfolgloses außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren anschließenden Klageverfahrens änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr und gewährte ‑‑aus zwischen den Beteiligten nicht streitigen Gründen‑‑ einen Vorsteuerabzug in Höhe von 400,12 €.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2024, 501 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab. Die Klägerin habe zwar mit der Teilnahme an dem Programm sonstige Leistungen gegen von der X-GmbH gezahltes Entgelt erbracht, die nicht unter § 24 Abs. 1 UStG fielen. Die Klägerin habe aber nicht nachgewiesen, dass Vorsteuerbeträge in der geltend gemachten Höhe angefallen seien, die unmittelbar und direkt mit den regelbesteuerten Umsätzen wirtschaftlich zusammenhingen. Eine pauschale Aufteilung sämtlicher Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen anhand der erzielten Umsätze scheide aus, denn die allgemeinen Produktionskosten seien bereits mit der Vorsteuerpauschale des § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG abgegolten, da auf die Umsätze aus dem Verkauf der Tiere die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 UStG angewendet worden sei. Der direkte und unmittelbare Zusammenhang gehe dabei einem nur mittelbaren Zusammenhang vor, denn der vom Unternehmer verfolgte endgültige Zweck sei unerheblich. Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge seien für Eingangsleistungen angefallen, die unmittelbar der Produktion der Tiere, das heißt dem späteren, der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegenden Ausgangsumsatz "Verkauf der Schlachttiere" zuzuordnen seien. Ein rein kausaler Zusammenhang genüge für die anteilige Vorsteuerberechtigung im Zusammenhang mit der sonstigen Leistung nicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht die von ihr begehrten Vorsteuerbeträge für die regelbesteuerten sonstigen Leistungen gegenüber der X-GmbH nicht anerkannt. Das FG habe nicht berücksichtigt, dass der Begriff der "wirtschaftlichen Zurechnung" im Sinne des § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG entsprechend den Vorgaben des unionsrechtlichen Mehrwertsteuersystems auszulegen sei. Für die Eingangsleistungen, die sowohl in die nach den gesetzlichen Mindeststandards betriebene durchschnittssatzbesteuerte Putenmast als auch in die regelbesteuerten, von der X-GmbH entgoltenen sonstigen Leistungen einflössen, sei keine direkte und unmittelbare Zuordnung zu den Vorsteuerabzug berechtigenden oder ausschließenden Ausgangsumsätzen möglich. Diese Kosten gehörten somit in Bezug auf die Umsätze mit den Puten zu den Allgemeinkosten. Nach § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG sei eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschlössen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigten, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich sei. So sei es im Streitfall.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben sowie den Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 01.02.2021 dahingehend zu ändern, dass weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 2.851,61 € berücksichtigt werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es hält das FG-Urteil für zutreffend, weil die Voraussetzungen für eine zusätzliche Vorsteuerabzugsberechtigung gemäß § 15 Abs. 4 UStG nicht gegeben seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Verpflichtet sich ein § 24 Abs. 1 UStG anwendender Tierzuchtbetrieb gegen Entgelt über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende Bedingungen für eine tiergerechte und nachhaltige Fleischerzeugung einzuhalten, liegt entgegen dem Urteil des FG eine § 24 Abs. 1 UStG unterliegende Leistung vor. Dass die Klägerin mit ihrer Revision die Verletzung dieser Vorschrift nicht rügt, ist ohne Bedeutung. Denn stützt der Revisionskläger ‑‑wie vorliegend die Klägerin‑‑ sein Rechtsmittel in zulässiger Weise auf die Verletzung materiellen Rechts, prüft der Bundesfinanzhof (BFH) nach dem Grundsatz der Vollrevision das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts, ohne dabei an die vorgebrachten Revisionsgründe gebunden zu sein (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO, vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2022 - V R 19/20, BFHE 277, 496, BStBl II 2023, 885, Rz 11). Die Sache ist nicht spruchreif. Es bedarf weiterer Feststellungen, ob die Klägerin Umsatzsteuer nach § 14c UStG schuldet.
1. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG wird für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen, bei denen es sich nicht um die in Satz 1 dieser Vorschrift näher bezeichneten Lieferungen von forstwirtschaftlichen Erzeugnissen oder um die dort genannten Leistungen mit Getränken oder mit alkoholischen Flüssigkeiten handelt, die Steuer auf 10,7 % der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Aus § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG ergibt sich ein Vorsteuerabzug in gleicher Höhe. Zu den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG insbesondere Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe, soweit ihre Tierbestände nach den §§ 51 und 51a des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören.
2. Unionsrechtlich beruht § 24 UStG auf Art. 295 ff. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).
a) Nach diesen Bestimmungen finden gemäß Art. 300 f. MwStSystRL "Pauschalausgleich-Prozentsätze" auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen Anwendung. Landwirtschaftliche Dienstleistungen sind nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL Dienstleistungen, die von einem landwirtschaftlichen Erzeuger mit Hilfe seiner Arbeitskräfte oder der normalen Ausrüstung seines land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betriebs erbracht werden und die normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen, und zwar insbesondere die im Anh. VIII MwStSystRL aufgeführten Dienstleistungen. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ist demgemäß auf diese landwirtschaftlichen Dienstleistungen, nicht aber auch auf andersartige sonstige Leistungen anzuwenden. § 24 UStG ist entsprechend Art. 295 ff. MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom 21.01.2015 - XI R 13/13, BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730, Rz 17 ff.; vom 26.05.2021 - V R 11/18, BFHE 274, 163, BStBl II 2022, 149, Rz 20; vom 22.03.2023 - XI R 14/21, BStBl II 2023, 945, Rz 20).
b) Zwar nimmt Anh. VIII Nr. 4 MwStSystRL lediglich auf "Hüten, Zucht und Mästen von Vieh", nicht aber auch ‑‑wie in der für Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung maßgeblichen Nr. 2 Buchst. b des Anh. VII MwStSystRL‑‑ auf "Geflügel" Bezug. Jedoch erfasst Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL auch das Hüten, die Zucht und das Mästen von Geflügel, da es sich insoweit lediglich um ein "exemplarisches" Verzeichnis handelt, so dass der Begriff des "Viehs" im vorliegenden Zusammenhang mit den für den menschlichen Verzehr oder die landwirtschaftliche Nutzung (vgl. BFH-Urteil vom 21.01.2015 - XI R 13/13, BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730, Rz 41) geeigneten und bestimmten "Tieren" gleichzusetzen ist.
3. Im Streitfall sind die von der Klägerin im Rahmen des Programms erbrachten und von der X-GmbH vergüteten Leistungen ebenfalls Umsätze, die ‑‑bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 UStG‑‑ im Sinne von § 24 Abs. 1 UStG im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs ausgeführt werden, da es sich um landwirtschaftliche Dienstleistungen im Sinne von Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Anh. VIII Nr. 4 MwStSystRL handelt. Der gegenteiligen Auffassung der Finanzverwaltung (so Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 07.12.2016, Umsatzsteuer-Rundschau 2017, 209, unter Nr. 3.) schließt sich der erkennende Senat nicht an.
a) Die Klägerin erbrachte eine auf das Hüten, die Zucht und das Mästen von Geflügel bezogene Leistung und war dabei mit den personellen und sachlichen Mitteln tätig, wie sie typischerweise in landwirtschaftlichen Betrieben zum Einsatz kommen. Unerheblich ist hierbei, dass die im Rahmen des Programms erbrachte Dienstleistung lediglich einen Teilbereich verbesserter Haltungsbedingungen betraf und dass die Klägerin die Geflügelzucht/-mast auch in eigenem Interesse ‑‑nämlich zur Lieferung ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Sinne des Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL‑‑ betrieb. Denn die im Rahmen des Programms erbrachte Leistung der Klägerin bestand darin, statt einer "normalen" Putenmast eine über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende, den Bedürfnissen der Tiere weiter entgegenkommende Putenmast zu betreiben, was aber nichts an dem Vorliegen des Hütens, der Zucht und des Mästens von Geflügel änderte.
b) Das FG verneint zu Unrecht die Anwendung von § 24 Abs. 1 UStG in Hinblick auf das BFH-Urteil vom 21.01.2015 - XI R 13/13 (BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730, Rz 40 bis 42) und das dort genannte Kriterium der Leistungsverwendung beim Empfänger für land- oder forstwirtschaftliche Zwecke. Damit bezieht sich der BFH darauf, dass landwirtschaftliche Dienstleistungen bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL "normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen" müssen. Hieraus folgt, dass es nicht ausnahmslos auf eine unmittelbare Verwendung für land- oder forstwirtschaftliche Zwecke beim Empfänger ankommt, wie der BFH bereits zu der in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG genannten Wanderschäferei entschieden hat, so dass die Beweidungsleistung eines Wanderschäfers auch dann als landwirtschaftliche Dienstleistung § 24 Abs. 1 UStG unterliegt, wenn der Leistungsempfänger diese Leistung aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes bezieht (BFH-Urteil vom 06.09.2018 - V R 34/17, BFHE 262, 557, BStBl II 2019, 344, Rz 14).
Ebenso ist es im Streitfall, in dem die sonstige Leistung der Klägerin, die Putenmast im Rahmen des vorgesehenen Programms in bestimmter Art und Weise durchzuführen, bei ihr zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitrug (s. oben II.3.a) und die X-GmbH als Leistungsempfängerin mit der von ihr bezogenen Leistung keine weitergehenden Zwecke verfolgte, als die Art und Weise der landwirtschaftlichen Produktion bei der Klägerin zu beeinflussen. Damit entfällt das Erfordernis einer eigenständigen Empfängerverwendung, so dass die Leistung der Klägerin ‑‑bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 UStG‑‑ der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 UStG unterliegt.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Unterliegen die von der Klägerin erbrachten Leistungen der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 UStG, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 UStG erfüllt sind, entfällt die bisher angenommene Anwendung des Regelsteuersatzes auf diese Umsätze, während dem von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzug § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG entgegensteht. Da das FG aber zur Frage eines Steuerausweises in Rechnungen nach Maßgabe des Regelsteuersatzes keine Feststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht entscheiden, ob eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG entstanden ist.
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG ergibt sich aus § 143 Abs. 2 FGO.