ECLI:DE:BFH:2024:U.100724.IIR36.23.0
BFH II. Senat
GrEStG § 8 Abs 1, BewG § 12 Abs 3, BewG § 13 Abs 1, BewG § 13 Abs 3, BGB § 158 Abs 1
vorgehend FG Düsseldorf, 30. November 2023, Az: 11 K 2195/21 GE
Leitsätze
Wird ein Erbbaurecht vor Ablauf der Laufzeit gegen Vereinbarung eines Erbbauzinses verlängert, ist Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer der kapitalisierte Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum. Eine Abzinsung des Kapitalwerts auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts ist nicht vorzunehmen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 30.11.2023 - 11 K 2195/21 GE wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Berechtigte eines mit notariellem Erbbaurechtsvertrag vom 22.10.1981 begründeten Erbbaurechts an einem Grundstück in Y mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2046.
Am 19.04.2021 schloss die Klägerin mit den Grundstückseigentümern eine notarielle Vereinbarung, wonach sich das Erbbaurecht automatisch sechsmal um jeweils zehn Jahre, also zunächst bis zum 31.12.2056, sodann bis zum 31.12.2066 und so weiter verlängert, wenn nicht der Erbbauberechtigte der jeweiligen Verlängerung vor Ablauf von einem Jahr der normalen Lauf- beziehungsweise Verlängerungszeit schriftlich gegenüber dem anderen Vertragsteil widerspricht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte aufgrund dieser Vereinbarung mit Bescheid vom 10.06.2021 Grunderwerbsteuer in Höhe von 80.504 € gegen die Klägerin fest. Als grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage legte das FA den kapitalisierten Erbbauzins in Höhe von 1.238.533 € zugrunde. Diesen ermittelte es gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. Anlage 9a zum BewG durch Anwendung des sich aufgrund einer Laufzeitverlängerung von 60 Jahren ergebenden Vervielfältigers von 17,930 auf den jährlichen Erbbauzins von 69.076 €.
Der gegen den Bescheid vom 10.06.2021 erhobene Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die nachfolgend erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2024, 870 veröffentlichtem Urteil ab.
Mit der gegen das FG-Urteil erhobenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 10.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2021 aufzuheben.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das angefochtene Urteil des FG lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der notariell beurkundete Vertrag vom 19.04.2021 über die Verlängerung des Erbbaurechts der Klägerin der Grunderwerbsteuer unterliegt.
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) unterliegen der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet, soweit es sich auf inländische Grundstücke bezieht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Rechtsgeschäft, das einen Anspruch auf Verlängerung eines Erbbaurechts begründet, ebenfalls nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG stellt die Erbbaurechte ausdrücklich den Grundstücken gleich. Die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts unterliegt als Rechtsgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG daher ebenso wie die Vereinbarung über die (erstmalige) Bestellung der Grunderwerbsteuer. Das verlängerte Recht ist im Umfang der Verlängerung eine neue grundstücksgleiche Belastung des Grundstücks. Die das Erbbaurecht charakterisierende eigentumsähnliche Form der Herrschaft an der Grundstücksfläche wird für einen weiteren Zeitraum übertragen und damit für diesen Zeitraum (erstmals) begründet (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28.11.1967 - II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223, unter II.1.c; vom 18.08.1993 - II R 10/90, BFHE 172, 122, BStBl II 1993, 766 und vom 08.02.1995 - II R 51/92, BFHE 177, 140, BStBl II 1995, 334).
2. Das FG ist auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der notarielle Vertrag vom 19.04.2021 über die Laufzeitverlängerung zivilrechtlich wirksam ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt die Nichtausübung des ihr insoweit eingeräumten Widerspruchsrechts keine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dar.
a) Die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift die Begründung eines Anspruchs auf Übereignung voraus. Der Anspruch muss im Regelfall zivilrechtlich wirksam und durchsetzbar sein (BFH-Urteil vom 27.11.2013 - II R 11/12, BFH/NV 2014, 579, Rz 11). Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 1 BGB geschlossen, ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vor Eintritt der Bedingung noch nicht erfüllt. Bis zum Eintritt der Bedingung besteht ein Schwebezustand, währenddessen dem Erwerber noch kein durchsetzbarer Anspruch zusteht. Diese Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG findet ihre Bestätigung in § 14 Nr. 1 GrEStG. Nach dieser Vorschrift entsteht die Steuer mit dem Eintritt der Bedingung, wenn die Wirksamkeit eines Erwerbsvorgangs von dem Eintritt einer Bedingung abhängig ist. Das Grunderwerbsteuergesetz knüpft somit die Leistungspflicht im Sinne des § 38 der Abgabenordnung nicht bereits an den Abschluss eines aufschiebend bedingten Rechtsgeschäfts (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.2014 - II R 26/12, BFHE 247, 343, BStBl II 2015, 402, Rz 21, m.w.N.). Demgegenüber beeinträchtigt eine auflösende Bedingung nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts und den darauf beruhenden steuerbaren Erwerbsvorgang; diese Wirkung endet nur mit dem (späteren) Eintritt der Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB). Für Fälle, in denen ein Erwerbsvorgang eine auflösende Bedingung vorsieht, ist ein abweichender Zeitpunkt des Entstehens der Grunderwerbsteuerschuld gesetzlich nicht vorgesehen. Die Steuerschuld entsteht also mit Verwirklichung des Tatbestands.
b) Eine aufschiebende Bedingung ist eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung, nach der die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts von dem Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses abhängen. Eine auflösende Bedingung liegt dagegen vor, wenn die sofort eintretenden Wirkungen des Geschäfts mit dem Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses wegfallen (§ 158 BGB).
Die Abgrenzung zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung erfordert eine Auslegung des Vereinbarten unter Berücksichtigung des jeweils verfolgten Zwecks. Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH als Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt, das heißt jedenfalls möglich ist. Der BFH prüft lediglich, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.07.2019 - II R 4/17, BFHE 265, 447, BStBl II 2020, 319, Rz 13; vom 05.12.2019 - II R 37/18, BFHE 267, 524, BStBl II 2020, 236, Rz 15 und vom 25.11.2020 - II R 36/18, BFH/NV 2021, 933, Rz 23).
c) Nach diesen Grundsätzen ist die Auslegung des notariellen Vertrags vom 19.04.2021 für Zwecke der Grunderwerbsteuerbesteuerung durch das FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Das FG hat ausgeführt, das der Klägerin als Erbbauberechtigte eingeräumte Recht der Laufzeitverlängerung zu widersprechen, begründe keine aufschiebende, sondern eine auflösende Bedingung, weil es der Klägerin aufgrund dieser Klausel lediglich freigestanden habe, den automatischen Eintritt der Laufzeitverlängerung des Erbbaurechts durch eine solche Erklärung zu verhindern und die Wirksamkeit der Abrede über die Verlängerung des Erbbaurechts wieder zu beseitigen. Auf den Hinweis des Notars, dass für den dinglichen Vollzug nach Eintritt der jeweiligen Verlängerung eine Grundbuchberichtigung notwendig sei, hätten die Vertragsparteien bereits entsprechende Bewilligungsanträge abgegeben, was als Begleitumstand ebenfalls darauf hinweise, dass die schuldrechtliche Einigung bindend gewesen sei. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass hierin die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung in Form der Duldung bezweckt gewesen wäre, da die Beteiligten ausdrücklich vereinbart hätten, dass sich das Erbbaurecht ohne Widerspruch der Erbbauberechtigten "automatisch" verlängere.
bb) An diese Auslegung durch das FG ist der Senat gebunden. Sie entspricht den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Auch eine Verletzung gesetzlicher oder sonstiger allgemein anerkannter Auslegungsregeln ist nicht erkennbar.
Das FG hat seine Auslegung sowohl auf den Wortlaut als auch den Zweck der Vereinbarung gestützt, der darin bestanden hat, dass die Beteiligten bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses alles rechtlich Regelbare bindend regeln wollten. Es hat die getroffene Vereinbarung unter Berücksichtigung der aus der notariellen Urkunde erkennbaren Begleitumstände vertretbar dahin gewürdigt, dass erst die Erklärung eines Widerspruchs gegen die Laufzeitverlängerung durch die Klägerin dazu führen sollte, dass die schuldrechtliche Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts wieder entfällt. Dabei hat es den Auslegungsgrundsatz beachtet, dass ein Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit nach der Vereinbarung der Beteiligten davon abhängt, dass ein bestimmtes Ereignis ‑‑hier in Gestalt eines fristgerechten Widerspruchs gegen die Laufzeitverlängerung‑‑ nicht eintritt, in der Regel als auflösend und nicht als aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft anzusehen ist (BFH-Urteil vom 25.02.1972 - III R 16/71, BFHE 105, 498, BStBl II 1972, 664). Denn ein derartiges Rechtsgeschäft besteht sofort, und zwar solange, bis das ungewisse, zukünftige Ereignis eintritt. Tritt dieses Ereignis nicht ein, ändert sich auch an dem Bestand des Rechtsgeschäfts nichts.
cc) Etwas anderes folgt für den Streitfall nicht daraus, dass die automatische Verlängerung eines Erbbaurechts für den Fall, dass kein Widerspruch erfolgt, in dinglicher Hinsicht als zulässige aufschiebende Bedingung angesehen wird (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 14.07.1969 - V ZR 122/66, BGHZ 52, 269, unter IV.1.c). Vom dinglichen Rechtsgeschäft zu unterscheiden ist der schuldrechtliche Teil, der als grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG vorliegend allein in Rede steht. Dieser kann, auch bei einem Erbbaurecht, sowohl unter einer aufschiebenden als auch unter einer auflösenden Bedingung abgeschlossen werden (vgl. z.B. Staudinger/Rapp (2021) ErbbauRG § 1 Rz 38). Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass hinsichtlich des dinglichen Erfüllungsgeschäfts regelmäßig dieselbe Bedingung gewollt ist wie sie für das schuldrechtliche Kausalgeschäft besteht und umgekehrt (vgl. z.B. Staudinger/Bork (2020) BGB § 158 Rz 12). Die Auslegung muss vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls vorgenommen werden. Dies hat das FG bei seiner Entscheidung beachtet. Die Auslegung des FG berücksichtigt zudem, dass bis zur dinglichen Wirksamkeit des Erbbaurechts die Ausübung von Widerspruchs- und Rücktrittsrechten allgemein als zulässig angesehen wird, weil das Rechtsverhältnis zwischen den Vertragsparteien bis zu diesem Zeitpunkt noch rein schuldrechtlicher Natur ist und deshalb auch keine Umgehung des § 1 Abs. 4 des Erbbaurechtsgesetzes (ErbbauRG), der nur den Bestand des Erbbaurechts und damit das bereits entstandene Erbbaurecht sichern will, droht (vgl. BGH-Urteile vom 15.02.1961 - V ZR 129/59, Monatsschrift für Deutsches Recht ‑‑MDR‑‑ 1961, 490, unter 2.c und vom 14.03.1969 - V ZR 158/65, MDR 1969, 745, unter 3.; vgl. auch MüKoBGB/Weiß, 9. Aufl., § 1 ErbbauRG Rz 87 ff.; Winkler/Schlögel, ErbbauR § 2 Rz 158; BeckOK BGB/Maaß, 70. Ed. [01.05.2024], ErbbauRG § 1 Rz 47; Staudinger/Rapp (2021) ErbbauRG § 1 Rz 38).
3. Ebenfalls zu Recht hat das FG entschieden, dass das FA die Grunderwerbsteuer auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt hat. Es ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass sich die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage im Sinne des § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Kapitalwert der für den Verlängerungszeitraum zu zahlenden Erbbauzinsen bestimmt.
a) Die Grunderwerbsteuer bemisst sich gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs ein Erbbaurecht im Sinne des § 1 Abs. 1 ErbbauRG, dem eine Erbbauzinsverpflichtung im Sinne des § 9 Abs. 1 ErbbauRG gegenübersteht, so ist Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG die auf die vereinbarte Laufzeit des Erbbaurechts kapitalisierte Erbbauzinsverpflichtung (BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 8). Bei dem Anspruch des Erbbauverpflichteten auf Zahlung des Erbbauzinses handelt es sich um ein auf bestimmte Zeit beschränktes Recht auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG, das mit seinem Kapitalwert anzusetzen ist (BFH-Urteile vom 26.06.1959 - III 349/58 U, BFHE 69, 273, BStBl III 1959, 364 und vom 26.11.1986 - II R 32/83, BFHE 148, 180, BStBl II 1987, 101). Entsprechendes gilt, wenn Gegenstand des Erwerbsvorgangs ein verlängertes Erbbaurecht ist. In diesem Falle ist der auf die Laufzeit der Verlängerung des Erbbaurechts kapitalisierte Erbbauzins als Wert der Gegenleistung der Bemessung der Grunderwerbsteuer zugrunde zu legen (BFH-Urteil vom 18.08.1993 - II R 10/90, BFHE 172, 122, BStBl II 1993, 766, unter II.2.; BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 9).
b) Ausgehend hiervon hat das FG die Bemessungsgrundlage für die Verlängerung des Erbbaurechts der Höhe nach zutreffend ermittelt. Der vertraglich vereinbarte jährliche Erbbauzins betrug 69.076 €. Aufgrund der im notariellen Vertrag vom 19.04.2021 vereinbarten automatischen sechsmaligen Verlängerung der Laufzeit des Erbbaurechts um jeweils zehn Jahre ergibt sich auf der Grundlage der Anlage 9a zum BewG ein Vervielfältiger von 17,930. Bei Anwendung dieses Vervielfältigers beträgt der kapitalisierte Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum danach 1.238.533 €.
4. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der kapitalisierte Erbbauzins nicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 BewG auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung vom 19.04.2021 abzuzinsen.
a) § 12 Abs. 3 Satz 1 BewG sieht abweichend von dem Grundsatz des § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG vor, dass Forderungen oder Schulden nicht mit ihrem Nennwert anzusetzen sind, sondern ausnahmsweise abgezinst werden, wenn sie unverzinslich sind und ihre Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt. Die Vorschrift erfasst im Bereich der Grunderwerbsteuer nach der Rechtsprechung des BFH nur solche Fälle, in denen der Grundstücksverkäufer seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag zur Übereignung des Grundstücks bereits erfüllt hat und trotzdem vereinbarungsgemäß die Kaufpreiszahlung des Käufers zinslos hinausgeschoben wird (BFH-Urteile vom 18.01.1989 - II R 103/85, BFHE 155, 558, BStBl II 1989, 427 und vom 12.10.1994 - II R 4/91, BFHE 176, 56, BStBl II 1995, 69). Denn die zinslose Stundung des Kaufpreises über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr ist wie eine verdeckte Kaufpreisermäßigung zu behandeln. Eine Abweichung vom Nominalwert des Kaufpreises durch Abzinsung kommt dagegen nicht in Betracht, wenn nicht nur der Kaufpreis, sondern die beiderseitigen Hauptleistungspflichten aus dem Grundstückskaufvertrag hinausgeschoben werden, weil der Verkäufer in einem solchen Fall nicht vorleistungspflichtig ist. Tauschen die Vertragspartner ihre Leistungen daher Zug um Zug (§ 322 Abs. 1 BGB) aus, entfällt der Rechtfertigungsgrund für die Abzinsung selbst dann, wenn der Leistungsaustausch und damit auch die Zahlung des Kaufpreises erst mehrere Jahre nach dem Vertragsschluss erfolgt (BFH-Urteile vom 18.01.1989 - II R 103/85, BFHE 155, 558, BStBl II 1989, 427, unter II.1. und vom 12.10.1994 - II R 4/91, BFHE 176, 56, BStBl II 1995, 69, unter II.1.).
b) Diese Grundsätze sind auf die Verlängerung eines Erbbaurechts zu übertragen. Da das Erbbaurecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG einem Grundstück gleichsteht, kann hinsichtlich der vereinbarten Gegenleistung für die (erstmalige) Bestellung oder Verlängerung eines Erbbaurechts nichts anderes gelten als hinsichtlich der Gegenleistung für die Übereignung eines Grundstücks (BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 10). Dabei ist bei Abschluss einer Verlängerungsvereinbarung zu berücksichtigen, dass für diejenige Zeit, auf die sich die Verlängerung des Erbbaurechts bezieht, auch bürgerlich-rechtlich die Abspaltung des Erbbaurechts von dem Eigentum nicht anders stattfindet, als dies bei einer Neubestellung des Erbbaurechts der Fall gewesen wäre, denn ohne die Verlängerung endet das Erbbaurecht gemäß § 12 Abs. 3 ErbbauRG ohne Zutun der Beteiligten (vgl. BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 11). Demzufolge ist nicht auf den Zeitpunkt der Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts, sondern den Beginn des Verlängerungszeitraums abzustellen, wenn es darum geht, ob Leistungspflichten hinausgeschoben werden.
Die entsprechende Sachleistungspflicht in Gestalt der Vermittlung der weiteren Sachherrschaft über die Grundstücksfläche kann durch den Grundstückseigentümer bei der Erbbaurechtsverlängerung erst mit dem Beginn des Verlängerungszeitraums erfüllt werden. Erst ab diesem Zeitpunkt wird das aus § 1 Abs. 1 ErbbauRG folgende Recht des Erbbauberechtigten, weiterhin das Eigentum an dem auf dem fremden Grundstück errichteten Bauwerk zu haben, verlängert und damit für den Verlängerungszeitraum (erstmals) begründet, sodass die mit der Verlängerung des Erbbaurechts korrespondierende Leistungspflicht des Grundstückseigentümers auch erst zu diesem Zeitpunkt erfüllt wird. Erst mit Beginn des Verlängerungszeitraums sind auch die jährlichen Erbbauzinszahlungen für das verlängerte Erbbaurecht zu zahlen. Der dann als wiederkehrende Leistung zu zahlende Erbbauzins und das verlängerte Erbbaurecht stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Somit erfüllen sowohl der Grundstückseigentümer als auch der Erbbauberechtigte die beiderseitigen Leistungen Zug um Zug erst in der Zukunft, sodass der Grundstückseigentümer nicht vorleistungspflichtig ist. Für eine Abzinsung des kapitalisierten Erbbauzinses auf den Zeitpunkt der Verlängerungsvereinbarung ist daher kein Raum (gleicher Ansicht Viskorf/Viskorf, § 2 GrEStG Rz 189 (21. Aufl. 2024); Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 9 Rz 172; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 9 Rz 60; Leingärtner/Krumm, Besteuerung der Landwirte, Kap. 10 Rz 121a; vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.01.2011 - 2 K 2697/08, EFG 2011, 1181; FG Münster, Urteil vom 10.04.2014 - 8 K 3046/11 GrE, EFG 2014, 1220; FG Düsseldorf, Urteil vom 30.11.2023 - 11 K 2195/21 GE, EFG 2024, 870; ebenso Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Beurteilung von Erbbaurechtsvorgängen vom 16.09.2015, BStBl I 2015, 827, Rz 3.4; a.A. Lieber in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 2 Rz 52; vgl. auch FG München, Urteil vom 23.11.2011 - 4 K 2267/08, EFG 2012, 869, bei vertraglich vereinbartem Aufschub der Fälligkeit der Erbbauzinsen).
c) Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass sich die Steuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG (ausschließlich) nach dem Wert der Gegenleistung richte, der im Besteuerungszeitpunkt geringer als der Nominalwert der Erbbauzinsverpflichtung sei, folgt daraus nichts anderes. Das Grunderwerbsteuerrecht besteuert den Umsatz von Grundstücken beziehungsweise den diesen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG gleichgestellten Erbbaurechten. Dementsprechend kann die Gegenleistung des Erbbauberechtigten nur unter Berücksichtigung dieses Grundstücksumsatzes und damit der Leistung des Erbbauverpflichteten bewertet werden, die im Streitfall ebenfalls erst im Verlängerungszeitraum erbracht wird (vgl. BFH-Urteile vom 18.01.1989 - II R 103/85, BFHE 155, 558, BStBl II 1989, 427, unter II.1. und vom 12.10.1994 - II R 4/91, BFHE 176, 56, BStBl II 1995, 69, unter II.1.).
d) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 24.02.1982 - II R 4/81 (BFHE 136, 146, BStBl II 1982, 625). Das Urteil betrifft die vor der Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil vom 18.08.1993 - II R 10/90 (BFHE 172, 122, BStBl II 1993, 766) geltende Rechtslage, wonach die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts nicht als Rechtsgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG anzusehen war. Auch wenn die Vereinbarung der Verlängerung des Erbbaurechts danach keinen Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG darstellte, führte die Vereinbarung der Verlängerung des Erbbaurechts gleichwohl zur Entstehung einer (zusätzlichen) Grunderwerbsteuer auf den ursprünglichen Erwerbsvorgang insoweit, als bei der Verlängerung des Erbbaurechts eine Gegenleistung vereinbart wurde (BFH-Urteil vom 24.02.1982 - II R 4/81, BFHE 136, 146, BStBl II 1982, 625, unter 2.). Die Abzinsung des Kapitalwerts der Erbbauzinsen beruhte demzufolge darauf, dass die für die Verlängerung des Erbbaurechts zu zahlenden Erbbauzinsen als nachträgliche Erhöhung der Gegenleistung für die ursprüngliche Erbbaurechtsbestellung angesehen wurde, was folgerichtig mit einem zinslosen Aufschub dieser "Entgeltserhöhung" verbunden war. Diese für eine Abzinsung sprechende Betrachtung hat aber seit der Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil vom 18.08.1993 - II R 10/90 (BFHE 172, 122, BStBl II 1993, 766), wonach die Erbbaurechtsverlängerung als eigenständiger Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt, ihre rechtliche Grundlage verloren.
e) Etwas anderes ergibt sich auch nicht auf das BFH-Urteil vom 23.10.2002 - II R 81/00 (BFHE 200, 416, BStBl II 2003, 199), da das Urteil ‑‑anders als der vorliegende Streitfall‑‑ die Bewertung einer gestaffelten Erbbauzinsverpflichtung als Gegenleistung für die (erstmalige) Bestellung eines Erbbaurechts betrifft.
5. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der kapitalisierte Erbbauzins auch nicht nach § 13 Abs. 1 oder 3 BewG auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung vom 19.04.2021 abzuzinsen.
a) Die Klägerin berücksichtigt nicht, dass die in § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG geregelte Ermittlung des Kapitalwerts ebenfalls auf einer "Abzinsung" beruht, indem von der Summe der einzelnen Jahreswerte Zwischenzinsen unter Berücksichtigung von Zinseszinsen abgezogen werden. Die mit der Revision begehrte (weitere) Abzinsung des nach § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG gebildeten Kapitalwerts der Erbbauzinsen für den Verlängerungszeitraum auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung ist in § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Abzinsung in dem Zeitraum bis zur Verlängerung des Erbbaurechts erfolgt lediglich durch die Kapitalisierung der Erbbauzinsverpflichtung für die erstmalige Bestellung des Erbbaurechts.
b) Eine weitere Abzinsung ergibt sich, wie das FG zu Recht angenommen hat, auch nicht aus § 13 Abs. 3 BewG.
Nach dieser Vorschrift sind wiederkehrende Nutzungen und Leistungen mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen, wenn dieser nachweislich geringer oder höher ist als der nach § 13 Abs. 1 BewG ermittelte Kapitalwert. Ein geringerer gemeiner Wert kann sich zwar grundsätzlich auch aus einem zeitlichen Aufschub einer Zahlungsverpflichtung ergeben (z.B. BFH-Urteil vom 19.05.1972 - III R 21/71, BFHE 106, 228, BStBl II 1972, 748, unter III.2.; vgl. auch Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 13 Rz 37). Zu einem zeitlichen Aufschub der Erbbauzinsverpflichtung kommt es im Falle der Verlängerung eines Erbbaurechts ‑‑wie ausgeführt‑‑ aber nicht, da in einem solchen Fall auch die Sachleistungspflicht des Grundstückseigentümers als Erbbauverpflichtetem erst nach Ablauf des ursprünglichen Zeitraums einsetzt. Da die gegenseitigen Leistungen somit ab Beginn des Verlängerungszeitraums Zug um Zug erbracht werden, liegt in dem ‑‑aus der Perspektive der Verlängerungsvereinbarung‑‑ erst zukünftigen Einsetzen der Pflicht zur Entrichtung der Erbbauzinsen kein Zahlungsaufschub, der den Ansatz eines niedrigeren Werts nach § 13 Abs. 3 BewG rechtfertigen könnte.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.