Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Decisions
of the Federal Fiscal Court

Decisions online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Urteil vom 28. Februar 2024, II R 45/21

Steuerbefreiung beim Grundstückserwerb aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben

ECLI:DE:BFH:2024:U.280224.IIR45.21.0

BFH II. Senat

GrEStG § 1 Abs 1 Nr 1, GrEStG § 4 Nr 1, GrEStG § 2 Abs 2 Nr 1

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern , 25. August 2021, Az: 3 K 435/17

Leitsätze

Der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts erfolgt nicht aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben, wenn bei der übertragenden juristischen Person des öffentlichen Rechts zu keinem Zeitpunkt die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück zusammengefallen sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25.08.2021 - 3 K 435/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein Studierendenwerk mit Sitz in A in der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie wurde durch die Vorläufige Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991 und das Studentenwerksgesetz vom 23.02.1993 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Mecklenburg-Vorpommern 1993, 165) ‑‑StudWG 1993‑‑ errichtet. Seither obliegt ihr die Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von Einrichtungen für das studentische Wohnen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 der Vorläufigen Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StudWG 1993, § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung des Studentenwerkes A vom 11.01.2001 …).

  2. Die Klägerin bewirtschaftet unter anderem ein Studierendenwohnheim in der XY Straße in A. Zur Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stand das Grundstück im Eigentum des Volkes. Rechtsträger war der Rat der Stadt A. Seit dem Jahr 1971 wurde das Grundstück überwiegend als Studierendenwohnheim genutzt. Nachdem am xx.xx.1991 zunächst die Stadt A als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen worden war, wurde das Grundstück im Jahr 2003 nach Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 Halbsatz 1 des Einigungsvertrags vom 31.08.1990 (BGBl II 1990, 889) auf die Universität der Stadt A (Universität) übertragen. Diese bestellte mit notarieller Urkunde vom xx.xx.2011 ein Erbbaurecht zugunsten der Klägerin an dem Grundstück. Die Bestellung des Erbbaurechts erfolgte zum Zweck der Errichtung und des Betreibens von Studierendenwohnheimen und mit diesen im Zusammenhang stehenden Nebeneinrichtungen im Rahmen der gesetzlichen Aufgabe der Klägerin.

  3. Wegen der Bestellung des Erbbaurechts setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit Bescheid vom 30.11.2016 Grunderwerbsteuer in Höhe von … € gegen die Klägerin fest.

  4. Mit dem gegen den Grunderwerbsteuerbescheid gerichteten Einspruch machte die Klägerin geltend, ihr Erwerb sei nach § 4 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) von der Besteuerung ausgenommen.

  5. Das FA erließ am 18.08.2017 einen geänderten Grunderwerbsteuerbescheid und setzte die Steuer ‑‑aus nicht streitgegenständlichen Gründen‑‑ auf … € herab. Den Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung vom 16.10.2017 als unbegründet zurück.

  6. Im anschließenden Klageverfahren ist die Klägerin mit richterlichen Hinweisen vom 18.09.2020 und 16.02.2021 aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen, die die Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims durch die Universität belegen. Nach Übersendung der Unterlagen hat die Klägerin das Gericht mit Schriftsatz vom 11.05.2021 um einen Hinweis gebeten, sollte es diesen Nachweis als nicht erbracht ansehen.

  7. Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 851 veröffentlicht.

  8. Mit ihrer Revision macht die Klägerin die Verletzung von § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG, einen Verstoß gegen Denkgesetze bei der Auslegung zweier vom Ministerrat der DDR erlassener Regelwerke durch das FG sowie Verfahrensverstöße geltend.

  9. Nach Ansicht der Klägerin verlangt § 4 Nr. 1 GrEStG keinen zeitlichen Gleichklang zwischen Aufgabenerfüllung und Rechtsträgerschaft an dem Grundstück. Die zeitliche Abfolge sei für die Anwendung des § 4 Nr. 1 GrEStG nicht entscheidend. Es komme vielmehr darauf an, dass eine öffentlich-rechtliche Aufgabe von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf eine andere übergehe und diesem Übergang eine Grundstücksübertragung folge, die ihrem Sinn nach mit dem Aufgabenübergang zusammenhänge. Dies sei im Streitfall gegeben. Die Befreiung von der Grunderwerbsteuer entspreche auch der gesetzgeberischen Zielsetzung, die staatliche Selbstbesteuerung einzugrenzen.

  10. Zur Begründung der geltend gemachten Verfahrensverstöße trägt die Klägerin vor, sie habe um einen gerichtlichen Hinweis für den Fall gebeten, dass das FG die Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims durch die Universität als nicht nachgewiesen erachten sollte. Für diesen Fall habe sie weitere Beweisangebote angekündigt. Das Gericht habe keinen entsprechenden Hinweis erteilt, im Urteil aber ausgeführt, die Klägerin habe keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich sei, dass das Grundstück der Universität zur eigenen Verwaltung und Aufgabenerfüllung überlassen worden sei. Damit habe das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie gegen seine Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO verstoßen. Das Urteil beruhe auf diesen Rechtsverletzungen, da das FG in seiner Begründung ausführe, die Errichtung und Bewirtschaftung von Studierendenwohnheimen sei zu keinem Zeitpunkt Aufgabe der Universität gewesen. Dass die Universität das Studierendenwohnheim bis zur Gründung der Klägerin tatsächlich verwaltet habe, ergebe sich aus den der Revision beigefügten Unterlagen.

  11. Die Klägerin beantragt,
    die Vorentscheidung aufzuheben und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 18.08.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.10.2017 dahingehend zu ändern, dass die Grunderwerbsteuer auf … € festgesetzt wird.

  12. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Bestellung des Erbbaurechts zugunsten der Klägerin ein steuerbarer Vorgang (unter 1.) und nicht nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen (unter 2.) ist. Das Urteil des FG beruht auch nicht auf Verfahrensverstößen (unter 3.).

  2. 1. Der notariell beurkundete Vertrag vom xx.xx.2011 über die Bestellung eines Erbbaurechts zugunsten der Klägerin ist ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbarer Vorgang. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG stehen Erbbaurechte den Grundstücken gleich, sodass auch deren Bestellung der Grunderwerbsteuer unterliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28.11.1967 - II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223, unter II.1.d).

  3. 2. Der Erwerb des Erbbaurechts durch die Klägerin von der Universität ist nicht nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit. Die Bestellung des Erbbaurechts erfolgte nicht aus Anlass des Übergangs einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe von der Universität auf die Klägerin.

  4. a) Nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG ist von der Besteuerung der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts ausgenommen, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben von der einen auf die andere juristische Person des öffentlichen Rechts übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient. Die Vorschrift findet auch auf die erstmalige Bestellung eines Erbbaurechts Anwendung, da diese dem Erwerb eines Grundstücks gleichsteht (s. hierzu unter II.1.).

  5. b) Die Regelung begünstigt den Grundstückserwerb zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Nach ihrem Wortlaut und Sinn und Zweck soll sie den Wechsel des Trägers einer (öffentlich-rechtlichen) Aufgabe von der Belastung mit Grunderwerbsteuer freihalten, sofern mit diesem Trägerwechsel auch ein (rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher) Übergang des Eigentums an Grundstücken verbunden ist (vgl. BFH-Urteile vom 17.05.1989 - II R 98/86, BFH/NV 1990, 263, unter II. und vom 01.09.2011 - II R 16/10, BFHE 235, 182, BStBl II 2012, 148, Rz 12). Die Regelung bezweckt hingegen nicht, eine Besteuerung der öffentlichen Hand generell zu begrenzen und den Steuerzugriff nur zur Sicherung der Wettbewerbsneutralität zuzulassen. Eine Steuerbefreiung gewährt § 4 Nr. 1 GrEStG vielmehr nur, wenn ‑‑neben weiteren Voraussetzungen‑‑ der Grundstückserwerb aus Anlass eines Aufgabenübergangs von der einen juristischen Person des öffentlichen Rechts auf die andere erfolgt.

  6. c) Dieser Veranlassungszusammenhang fehlt jedenfalls dann, wenn die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts, die das Grundstück überträgt, zu keinem Zeitpunkt zusammengefallen sind. Das Tatbestandsmerkmal des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG "aus Anlass" setzt voraus, dass sich die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Grundstückseigentum vor deren Übergang auf die andere juristische Person des öffentlichen Rechts einmal zeitgleich in der Hand der übertragenden juristischen Person des öffentlichen Rechts befunden haben. Eine Grundstücksübertragung kann nicht anlässlich eines Aufgabenübergangs im Sinne von § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG stattfinden, wenn die übertragende juristische Person des öffentlichen Rechts niemals zugleich Inhaberin der öffentlich-rechtlichen Aufgabe und der Eigentumsrechte an dem der Erfüllung dieser Aufgabe dienenden Grundstück gewesen ist.

  7. d) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG bei der Bestellung des Erbbaurechts im Jahr 2011 nicht vorlagen. Die Universität hatte zu keinem Zeitpunkt zeitgleich das Eigentum an dem mit dem Studierendenwohnheim bebauten Grundstück und die öffentlich-rechtliche Aufgabe der Bewirtschaftung dieses Studierendenwohnheims inne. Die Klägerin bewirtschaftet das Studierendenwohnheim seit ihrer Gründung durch die Vorläufige Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991. Ob die Universität vor dem 08.03.1991 mit der Aufgabe der Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims betraut war, kann daher dahinstehen, da sie das Eigentum an dem streitgegenständlichen Grundstück erstmals im Jahr 2003 erworben hat. Die Erbbaurechtsbestellung im Jahr 2011 kann daher nicht aus Anlass der Aufgabenzuweisung an die Klägerin im Sinne des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG erfolgt sein.

  8. e) Unerheblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist danach die Frage, ob der Universität durch die vom Ministerrat der DDR erlassenen Vorschriften die Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von Einrichtungen für das studentische Wohnen zugewiesen worden ist. Selbst wenn dies ‑‑entgegen der Auslegung des FG, an die der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist (vgl. BFH-Urteile vom 04.07.1996 - VII R 32/95, BFH/NV 1997, 317, unter II.2.d und vom 21.08.1996 - I R 85/95, BFHE 181, 437, BStBl II 1997, 194, unter II.2.a)‑‑ der Fall gewesen wäre, hat die Universität das Eigentum an dem Grundstück im Jahr 2003 erst zu einem Zeitpunkt erlangt, zu dem die Aufgabe der Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims bereits ‑‑seit dem Jahr 1991‑‑ bei der Klägerin lag.

  9. 3. Schließlich führen auch die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO sowie der Verletzung der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO nicht zum Erfolg der Revision, da diese ‑‑selbst wenn sie vorliegen würden‑‑ für die Entscheidung des FG nicht entscheidungserheblich waren.

  10. a) Zwar hat das FG die Klägerin mit richterlichen Hinweisen vom 18.09.2020 und 16.02.2021 aufgefordert, Nachweise zu der Frage vorzulegen, ob die Universität für die Bewirtschaftung der Studierendenwohnheime zuständig war. Diesbezüglich hatte die Klägerin um einen Hinweis gebeten, ob die von ihr vorgelegten Unterlagen zum Nachweis ausreichen. Das FG hat seine Entscheidung ‑‑ohne eine weitere Sachaufklärung durchzuführen oder einen Hinweis an die Klägerin zu erteilen‑‑ jedoch nicht allein darauf gestützt, dass nach seiner Auffassung die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, um nachzuweisen, dass das Grundstück der Universität bereits zu DDR-Zeiten zur eigenen Verwaltung und eigenen Aufgabenerfüllung diente. Es hat seine Entscheidung vielmehr auch damit begründet, dass es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Aufgabenübertragung und der Übertragung des für die Aufgabenerfüllung notwendigen Grundstücks nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG bereits deshalb fehle, weil bei der Universität zu keinem Zeitpunkt Aufgabenerfüllung und Rechtsträgerschaft an dem Grundstück zusammengefallen seien.

  11. b) Bei einer kumulativen Begründung mit selbständig tragenden Begründungssträngen ist das Urteil des FG nur aufzuheben, wenn sich der Verfahrensfehler auf jeden der tragenden Begründungsstränge auswirkt oder sich beide Begründungsstränge aus verschiedenen Gründen als verfahrens- oder rechtsfehlerhaft darstellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2016 - VIII R 41/14, BFH/NV 2017, 1180, Rz 19, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Begründung des FG, die Bestellung des Erbbaurechts zugunsten der Klägerin sei jedenfalls nicht aus Anlass eines Aufgabenübergangs im Sinne des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG erfolgt, da die Aufgabenerfüllung hinsichtlich des Betriebs eines Studierendenwohnheims und die Rechtsträgerschaft an dem Grundstück bei der Universität niemals zeitgleich zusammengefallen seien, trägt die Entscheidung des FG selbständig. Die geltend gemachten Verfahrensverstöße wirken sich somit nicht auf diesen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Begründungsstrang aus.

  12. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Print Page