ECLI:DE:BFH:2023:U.260723.IR39.20.0
BFH I. Senat
AStG § 6 Abs 6 S 1
vorgehend FG Münster, 17. September 2020, Az: 5 K 3356/17 E
Leitsätze
1. NV: Eine Korrektur der Veranlagung des Wegzugsjahres (unter Neuberechnung des fiktiven Veräußerungsgewinns im Wegzugszeitpunkt), weil die nach dem Wegzug eingetretene Wertminderung der Anteile "bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt" wurde, setzt nicht voraus, dass der dort nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtete Steuerpflichtige die Berücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat erfolglos beantragt hat.
2. NV: Der Steuerpflichtige trägt nicht die Feststellungslast für die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 17.09.2020 - 5 K 3356/17 E aufgehoben.
Der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 01.02.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.10.2017 wird dahingehend geändert, dass die nach dem Wegzug nach Österreich nachträglich eingetretene und im Wege der Anteilsveräußerung am 18.07.2016 realisierte Wertminderung berücksichtigt wird.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Ablehnung der Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2012 (Streitjahr). In der Sache geht es um die Höhe der Festsetzung eines fiktiven Veräußerungsgewinns nach § 6 des Außensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (AStG).
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Erbin ihres am 18.04.2021 verstorbenen Ehemannes M. Im Streitjahr wurde sie mit M zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
M hielt 50 % der Gesellschaftsanteile an der … GmbH (Anschaffungskosten seines Anteils: 24.415,27 €). Im Streitjahr zogen die Klägerin und M von der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Österreich um. Der gemeine Wert des Anteils betrug im Zeitpunkt des Wegzugs 697.377 €.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) einen fiktiven Veräußerungsgewinn in Höhe von 672.961,73 € fest, wovon 40 % nach dem Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) als steuerfrei behandelt wurden. Das FA stundete die auf dieser Grundlage festgesetzten Abgaben (Einkommensteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag) nach § 6 Abs. 5 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 18.07.2016 veräußerte M den Anteil für 185.000 € an einen Dritten. Der Kaufpreis war dabei in 121 Raten, beginnend am 01.01.2017, zu zahlen. Die nach dem Umzug eingetretene Wertminderung der Anteile war betrieblich bedingt.
Mit Bescheid vom 01.02.2017 widerrief das FA gemäß § 6 Abs. 5 Nr. 1 AStG die Stundung im Hinblick auf die Wegzugsteuer.
Mit Schreiben vom 17.02.2017 beantragten die Klägerin und M die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2012 gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG und beantragten zugleich die Zuflussbesteuerung im Hinblick auf die Kaufpreisraten für die Anteile. Das FA lehnte den Änderungsantrag ab. Hiergegen legten die Klägerin und M am 21.03.2017 Einspruch mit der Begründung ein, dass nach § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG der ursprüngliche Steuerbescheid 2012 zu ändern sei, weil der dort erfasste Vermögenszuwachs nicht habe erzielt werden können.
Am 19.05.2017 beantragten die Klägerin und M einen Teilerlass der "Wegzugsabgaben" nach §§ 163, 227 der Abgabenordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung (AO). Diesen Antrag lehnte das FA ab. Auch hiergegen legten die Klägerin und M Einspruch ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 02.10.2017 wies das FA beide Einsprüche als unbegründet zurück.
Die dagegen gerichtete Klage blieb insgesamt erfolglos (Urteil des Finanzgerichts ‑‑FG‑‑ Münster vom 17.09.2020 - 5 K 3356/17 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1645). Es sei insbesondere von den Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen worden, dass die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat Österreich nicht berücksichtigt worden sei. Das FG ging hierbei davon aus, dass § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG dahingehend auszulegen sei, dass eine Berücksichtigung des Verlusts im Zuzugsstaat erfolglos beantragt worden sein müsse.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung sachlichen Rechts.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz den Einkommensteuerbescheid vom 01.02.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.10.2017 dahingehend abzuändern, dass die nach dem Wegzug nach Österreich nachträglich eingetretene und im Wege der Anteilsveräußerung am 18.07.2016 realisierte Wertminderung berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision, die ausschließlich die Festsetzung der Einkommensteuer und nicht auch die Ablehnung des Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen betrifft, ist begründet; das Urteil der Vorinstanz ist insoweit aufzuheben und der Klage ist stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die zwischen Wegzug und Anteilsveräußerung eingetretene Wertminderung ist im Wege der Änderung der festgesetzten "Wegzugsteuer" zu berücksichtigen.
1. Der Senat hat das Rechtsschutzbegehren dahin ausgelegt, dass die Steuerfestsetzung beziehungsweise der hierauf gerichtete Änderungsantrag zum Gegenstand revisionsrichterlicher Überprüfung gemacht wurde, da sich der Revisionsantrag und die Revisionsrügen ausschließlich hierauf beziehen. Soweit im finanzgerichtlichen Verfahren auch über eine Billigkeitsmaßnahme gestritten wurde, war hierüber nicht zu befinden, da die Steuerfestsetzung (§ 155 AO) und die Billigkeitsmaßnahme (§ 163 AO) zwei verschiedene Streitgegenstände darstellen, über die grundsätzlich in verschiedenen Verfahren entschieden wird (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 09.12.1987 - I R 1/85, BFHE 151, 554, BStBl II 1988, 463; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21.01.2004 - VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910). Folglich ist zur Billigkeitsmaßnahme als selbständigem Streitgegenstand keine Entscheidung zu treffen.
2. Durch den Wegzug des M nach Österreich wurde zunächst gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG Einkommensteuer auf einen fiktiven Veräußerungsgewinn in Höhe von 672.961,73 € ausgelöst, die gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG zinslos zu stunden war. Durch die Veräußerung der Beteiligung im Jahr 2016 war die Stundung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 AStG zu widerrufen. Da dies zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, sieht der Senat von näheren Darlegungen hierzu ab.
3. Ist bei einer Veräußerung der Beteiligung der Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der Stundung niedriger als der Vermögenszuwachs nach § 6 Abs. 1 AStG und wird die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt, ist der Steuerbescheid insoweit aufzuheben oder zu ändern; § 175 Abs. 1 Satz 2 AO gilt entsprechend (§ 6 Abs. 6 Satz 1 AStG). Auch insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Dissens darüber, dass das Eingreifen dieser Änderungsnorm im Streitfall allein davon abhängt, ob die unstreitig eingetretene Wertminderung als Differenz zwischen dem Vermögenszuwachs im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG und dem tatsächlich realisierten Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG (siehe allgemein Müller-Gosoge in Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., § 6 AStG Rz 234) "bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt" wurde.
Diese tatbestandliche Anforderung ist dahin zu verstehen, dass es auf die konkrete Berücksichtigung der Wertminderung im Rahmen des durch eine Finanzbehörde des Zuzugsstaats durchgeführten Besteuerungsverfahrens ankommt, zum Beispiel in einem Einkommensteuerbescheid, einem dem § 10d Abs. 4 EStG vergleichbaren Verlustfeststellungsbescheid oder sonst im Rahmen einer Steuerveranlagung. Ist es zu einer solchen Berücksichtigung nicht gekommen, insbesondere weil der Zuzugsstaat den Veräußerungsvorgang generell oder im Einzelfall nicht besteuert oder bei der Besteuerung auf die historischen Anschaffungskosten und nicht auf den Wert zurückgreift, den der Wegzugsstaat im Rahmen der Wegzugsbesteuerung angesetzt hat (vgl. Art. 13 Abs. 6 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24.08.2000, BGBl II 2002, 735, BStBl I 2002, 585, in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 29.12.2010, BGBl II 2011, 1210, BStBl I 2012, 367; § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG), ist das Eingreifen der Korrekturnorm des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG nicht weitergehend davon abhängig, dass der Steuerpflichtige eine Steuererklärung eigens zu dem Zweck abgegeben hat, eine Entscheidung der ausländischen Steuerbehörde über die Frage der Berücksichtigung der Wertminderung herbeizuführen.
a) Dass das ausländische Steuerrecht in seinen abstrakt-generellen Normen eine Berücksichtigung der Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung vorsieht, genügt entgegen der Rechtsauffassung des FA nicht. Vielmehr deutet schon der Wortlaut der Norm auf ein konkretes (Nicht-)Berücksichtigungserfordernis hin. Denn typischerweise wird das materielle Steuerrecht durch Verwaltungsakte umgesetzt; daher kann erst in Folge einer solchen Umsetzung von einer Berücksichtigung beziehungsweise Nichtberücksichtigung der Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung gesprochen werden.
Zwar ist der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG insoweit nicht eindeutig und es könnten bestimmte Formulierungen in der Begründung des Gesetzentwurfs (z.B. "nach den gesetzlichen Vorschriften des Zuzugsstaats", vgl. BTDrucks 16/2710, S. 54) auch für ein abstraktes Berücksichtigungserfordernis sprechen. Jedoch ist ein etwaiger Wille des historischen Gesetzgebers nicht hinreichend klar im Gesetzeswortlaut ("bei der Einkommensbesteuerung") zum Ausdruck gekommen. Denn in der gesetzlichen Rechtsfolgeanordnung heißt es, dass der Steuerbescheid "insoweit aufzuheben oder zu ändern" ist, wobei das "insoweit" es insbesondere ermöglicht, die Änderung der inländischen Wegzugsteuer an den Umfang der Berücksichtigung beziehungsweise Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat anzupassen (z.B. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Altkommentierung zu § 6 AStG Rz 633; Brandis/Heuermann/Pohl, § 6 AStG a.F. Rz 97; Müller-Gosoge in Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., § 6 AStG Rz 237; Wilke in AStG-eKommentar, Stand 28.03.2019, § 6 Rz 101). Eine solche Anpassung hängt aber regelmäßig davon ab, wie die ausländische Finanzbehörde die für sie zu beachtenden Rechtsvorschriften konkret angewendet und den Verlustbetrag ermittelt hat. Dies lässt sich aber typischerweise nur auf der Grundlage des konkret erlassenen ausländischen Steuerverwaltungsakts oder einer vergleichbaren behördlichen Willensäußerung bestimmen.
Dass es auf die konkrete Einkommensbesteuerung im Zuzugsstaat ankommt, lässt sich auch daraus ableiten, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt wird, die Feststellungslast für die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat habe der Steuerpflichtige zu tragen. Denn die Feststellung des ‑‑abstrakt-generellen‑‑ Inhalts des EU-ausländischen Rechts ist an sich nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, die zu einer Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast führen könnte. Dabei sind Finanzgerichte verpflichtet und auch in der Lage, den Inhalt des ‑‑entscheidungserheblichen‑‑ ausländischen Rechts, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, selbst festzustellen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung, z.B. BFH-Urteil vom 13.06.2013 - III R 10/11, BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706). Fragen der Feststellungslast können sich in diesem Zusammenhang typischerweise nicht stellen, während die Feststellung, ob und gegebenenfalls wie ausländische Finanzbehörden den Inhalt des ausländischen Rechts konkretisiert haben, bei Bedarf auf der Grundlage einer "Beweislastentscheidung" getroffen werden muss.
b) Allerdings muss die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat nicht auf einer (finanz-)behördlichen Entscheidung beruhen.
aa) Dem Wortlaut des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG ist nicht zu entnehmen, dass die Anwendung der Korrekturnorm von der Abgabe einer Steuererklärung im Ausland abhängt; der Steuerpflichtige muss auch nicht in anderer Weise darauf hinwirken, dass die Behörden des Zuzugsstaats über die Berücksichtigung der Wertminderung eine (positive oder negative) Entscheidung treffen. Vielmehr verhält sich das Gesetz zu den Gründen für die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat grundsätzlich neutral (Häck, Internationale Steuer-Rundschau ‑‑ISR‑‑ 2021, 55, 56 f.; Häck in Hummel/Kaminski, Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht, 2022, 1, 8 f.). Nach dem Wortlaut spielt es auch keine Rolle, ob die Nichtberücksichtigung in Kenntnis der ausländischen Finanzbehörde von der Wertminderung erfolgte oder nicht. Einen davon abweichenden Gesetzesbefehl hätte der Gesetzgeber ohne Weiteres erteilen können, wenn er die Formulierung "berücksichtigt werden kann" beziehungsweise "könnte" gewählt hätte (zutreffend Häck, ISR 2021, 55, 56).
bb) Eine "Erklärungspflicht" als Voraussetzung kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass den Steuerpflichtigen die Feststellungslast für die Nichtberücksichtigung der Wertminderung im Zuzugsstaat träfe. Wäre der Steuerpflichtige nachweispflichtig und feststellungsbelastet, käme dies zwar einem faktischen Erklärungszwang gleich. Jedoch hat die aus den Gesetzesmaterialien erkennbare Auffassung, den Steuerpflichtigen treffe die Feststellungslast (BTDrucks 16/2710, S. 54), gerade keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden. Die systematische Zusammenschau mit § 6 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 7 AStG zeigt auch auf, dass dem Gesetzgeber Fragen des Nachweises und der Feststellungslast deutlich vor Augen standen, er aber im Rahmen des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG von vergleichbaren Regelungen abgesehen hat (gleicher Auffassung Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Altkommentierung zu § 6 AStG Rz 635; Häck, ISR 2021, 55, 56; Müller-Gosoge in Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., § 6 AStG Rz 238; a.A. Cloer, Deutsches Steuerrecht kurzgefasst 2021, 29).
c) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann ein vom Wortlaut abweichendes Gesetzesverständnis auch nicht aus dem vermeintlichen Ausnahmecharakter des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG hergeleitet werden. Denn die Berücksichtigung einer zwischenzeitlich eingetretenen Wertminderung, die von § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG ermöglicht wird, führt lediglich zum steuerlichen "Normalfall" zurück, in dem sich der Besteuerungszugriff auf den tatsächlich realisierten Vermögenszuwachs als Indikator steuerlicher Leistungsfähigkeit beschränkt, was zugleich den Belastungsgrund der Wegzugsteuer des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG sachgerecht ausfüllt.
Der Senat kann sich auch nicht der Meinung des FG anschließen, dem Steuerpflichtigen müsse verwehrt bleiben, die Wertminderung wahlweise im Wegzugs- oder Zuzugsstaat geltend zu machen. Im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 6 AStG unterliegt der Steuerpflichtige im EU-Zuzugsstaat einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Damit gehen typischerweise Pflichten zur Abgabe vollständiger und wahrheitsgemäßer Steuererklärungen einher, die es den ausländischen Finanzbehörden regelmäßig ermöglichen dürften, die Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen zu erkennen und den Vorgang unter Berücksichtigung der darüber hinaus ‑‑weltweit‑‑ erzielten Einkünfte zu besteuern. Der Streitfall ist demgegenüber atypisch gelagert, weil die Klägerin und M nach ihrem Umzug nach Österreich aus diversen Gründen (hohes Lebensalter, der Besteuerung des Wegzugsstaats unterliegende Rentenbezüge, Fehlen weiterer Einkunftsquellen und Ähnliches) dort "nichts zu versteuern" hatten und deshalb nicht erklärungspflichtig waren. An dieser atypischen Konstellation ist die Auslegung des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG jedoch nicht auszurichten, zumal die Nichtberücksichtigung einer Wertminderung im Zuzugsstaat durch das Unterlassen der Abgabe einer vom Zuzugsstaat nicht geforderten Steuererklärung nicht mit der Ausübung eines Wahlrechts gleichgesetzt werden kann. Ob und inwieweit eine Wertminderung im Rahmen des § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG auch dann berücksichtigt werden kann, wenn der Steuerpflichtige bewusst gegen eine im Zuzugsstaat bestehende Erklärungspflicht verstößt, muss im Streitfall nicht entschieden werden.
4. Da die FG-Entscheidung zum Streitgegenstand "Steuerfestsetzung" den vorstehend beschriebenen Maßstäben nicht entspricht, war sie insoweit aufzuheben. Im Streitfall wurde die Wertminderung im Zuzugsstaat Österreich weder in einem Steuerbescheid noch sonst bei der Einkommensbesteuerung berücksichtigt. Folglich ist der angegriffene Einkommensteuerbescheid antragsgemäß zu ändern. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Ein für das Klageverfahren und das Revisionsverfahren getrennter Kostenausspruch war nicht vorzunehmen. Ein solcher kommt insbesondere bei einer Streitwertveränderung in Betracht (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, § 136 FGO Rz 4, m.w.N.), an der es allerdings fehlt. Zwar wurde im Klageverfahren neben der Steuerfestsetzung auch über die Frage einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO gestritten. Der Billigkeitsantrag war jedoch nur hilfsweise gestellt worden. Da Haupt- und Hilfsantrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung (Brandis in Tipke/Kruse, Vor § 135 FGO Rz 112, m.w.N.) denselben Gegenstand betrafen, führte dies nicht zu einer Streitwerterhöhung (§ 45 Abs. 1 Satz 3 des Gerichtskostengesetzes). Folglich sind die Streitwerte in beiden Verfahren identisch.