ECLI:DE:BFH:2022:B.131222.VIIR41.19.0
BFH VII. Senat
ZK Art 236, EWGV 2913/92 Art 236, KN AllgVorschr 3 Buchst b, KN Pos 8714 UPos 9130, EUV 1387/2013 Anh 1, AEUV Art 267 Abs 3
vorgehend FG München, 19. September 2019, Az: 14 K 2894/17
Leitsätze
1. NV: Zollaussetzungsnormen sind als Ausnahmevorschriften zum grundsätzlich bestehenden Verzollungsgebot entsprechend ihrem Wortlaut eng auszulegen. Vorderradgabeln, die über Tauchrohrelemente aus Magnesium verfügen und ansonsten im Wesentlichen aus Aluminium bestehen, sind angesichts dieser inhomogenen Beschaffenheit nicht solche "aus Aluminium", sondern gehören in die TARIC-Unterpos. 8714 9130 39 "andere".
2. NV: Die Zollaussetzung für Vorderradgabeln der TARIC-Unterpos. 8714 9130 23, 8714 9130 33 und 8714 9130 70 gilt nur für Waren, die die entsprechenden Beschaffenheitsmerkmale i.S. von Anhang I der VO 1387/2013 aufweisen; die AV 3 Buchst. b ist auf TARIC-Ebene nicht (analog) anzuwenden.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 19.09.2019 - 4 K 2894/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Im Streit steht eine Zollaussetzung für von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Zeitraum von Juli 2014 bis September 2015 aus Taiwan eingeführte Vorderradgabeln für Fahrräder. Es handelt sich dabei um im Wesentlichen aus Aluminium gefertigte Waren, deren Tauchrohrelemente aus Magnesium bestehen. Die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr im Einfuhrzeitpunkt basierte auf der Codenummer 8714 9130 39 0 (Zollsatz 4,7 %): "Vorderradgabeln, andere".
Unter Berufung auf Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 des Rates vom 17.12.2013 ‑‑VO 1387/2013‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2013, Nr. L 354, 201) zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Produkte, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 722/2014 des Rates vom 24.06.2014 ‑‑VO 722/2014‑‑ (ABlEU 2014, Nr. L 192, 9) und nochmals geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1341/2014 des Rates vom 15.12.2014 ‑‑VO 1341/2014‑‑ (ABlEU 2014, Nr. L 363, 10), die in ihrem Anhang I jeweils für bestimmte Vorderradgabeln des Codes der Kombinierten Nomenklatur (KN) ex 8714 9130 mit der TARIC-Codierung 23, 33 oder 70 eine autonome Zollaussetzung vorsahen, beantragte die Klägerin am 14.04.2015, 04.08.2015 und 13.05.2016 die Erstattung des Zolls unter Zuweisung der Waren in die im Streitzeitraum jeweils gültige Codenummer 8714 9130 33 0: "Vorderradgabeln, gefedert, aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern" (gültig ab 01.07.2014) bzw. "Vorderradgabeln, aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern" (gültig ab 01.01.2015). Die ab dem 01.07.2014 geltende VO 722/2014 sah in Anhang I für "Vorderradgabeln, gefedert, aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern" des KN-Codes ex 8714 9130 mit der TARIC-Codierung 23, 33 oder 70 eine autonome Zollaussetzung vor. Die ab dem 01.01.2015 geltende VO 1341/2014 verzichtete an dieser Stelle sodann auf die Anforderung "gefedert".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) lehnte die für den Streitzeitraum beantragten Erstattungen mit den vorliegend streitgegenständlichen Bescheiden vom 21.02.2017, 23.02.2017 und 07.03.2017 ab. Die gewünschte Zollaussetzung gelte nur für bestimmte Fahrradgabeln aus Aluminium, nicht aber für solche bestehend aus Aluminium und Magnesium.
Einsprüche und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass für die eingeführten Waren keine Zollaussetzung eingreife. Zollaussetzungsnormen seien entsprechend ihrem Wortlaut eng auszulegen und könnten nicht über ihre Formulierung hinaus auf Erzeugnisse angewandt werden, die in ihnen nicht ausdrücklich genannt seien. Für eine enge Auslegung der Zollaussetzung spreche im vorliegenden Zusammenhang zusätzlich, dass die Beschaffenheit der Fahrradgabeln, für die die Zollaussetzung gelten solle, in der jeweils einschlägigen Verordnung sehr detailliert beschrieben sei. Aufgrund der engen Auslegung des Wortlauts der Zollaussetzungen bestehe insbesondere kein Raum für eine ‑‑analoge‑‑ Anwendung der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur ‑‑KN‑‑ (AV) 3 Buchst. b auf TARIC-Ebene, weil dies den Kreis der von einer Zollaussetzung erfassten Ware ebenso ausdehnen würde wie die Ausdehnung einer Zollaussetzung durch Hereinnahme von vergleichbaren Waren. Dieses Ergebnis entspreche auch der Sichtweise der EU-Kommission in ihrer Mitteilung vom 18.02.2016 - TAXUD/A 4 (2016/dv/457807) (Nationale Entscheidungen und Hinweise (NEH) zur AV 3 in EZT-Online, Rz 178.0), wonach die Ware für die Einreihung in den zehnstelligen TARIC-Code dem genauen Wortlaut des diesbezüglichen TARIC-Codes entsprechen müsse. Auch das FG Düsseldorf (Urteil vom 12.06.2019 - 4 K 754/18 Z, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‑‑ZfZ‑‑ 2019, 296) habe so entschieden.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, die sie mit den nachstehenden Erwägungen begründet.
Entgegen der Auffassung des FG seien die streitgegenständlichen Vorderradgabeln aus Aluminium mit einem Tauchrohr aus Magnesium auch im Streitzeitraum vom Wortlaut der jeweils gültigen Zollaussetzungsvorschrift erfasst und die erhobenen Einfuhrabgaben nach Art. 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ‑‑ZK‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1992, Nr. L 302, 1) daher zu erstatten.
Die streitgegenständlichen ‑‑vornehmlich aus Aluminium gefertigten‑‑ Federgabeln unterfielen entgegen der Rechtsmeinung des FG durchaus dem jeweiligen Wortlaut der Zollaussetzungsvorschrift. Schließlich heiße es darin nicht, dass diese ausschließlich aus Aluminium gemacht sein müssten. Es gebe schlichtweg keine völlig aus Aluminium hergestellten Vorderradgabeln. Bestimmte Bestandteile von Vorderradgabeln bestünden stets aus einem anderen Stoff. So enthielten sie als Stoßdämpfer entweder gedrehte Federn (meist aus Stahl) oder aber mit Luft bzw. Öl gefüllte Kolben. Vor diesem Hintergrund könne die Warenbeschreibung "... aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern" ‑‑auch im Vergleich zu anderen Warenbeschreibungen in den Zollaussetzungsvorschriften‑‑ nicht als übermäßig konkret oder präzise bezeichnet werden. Die vom FG und dem HZA daraus abgeleitete Einengung des Wortlauts sei darin nicht angelegt. Es verhalte sich vielmehr so, dass die mehrfache Änderung der Formulierung der Zollaussetzungsvorschrift für Vorderradgabeln der notwendigen Konkretisierung des eher unklaren Wortlauts geschuldet gewesen sei. Die Änderungen hätten der Klarstellung gedient, dass auch solche wie die streitgegenständlichen Waren unter die Begünstigung fallen sollten. So habe insbesondere das frühere Hauptzollamt X wie auch das Hauptzollamt Y ‑‑anders als das HZA‑‑ ihre Rechtsauffassung zum Anwendungsbereich der Zollaussetzung geteilt.
Ausweislich der Rechtsprechung des angerufenen Senats (Senatsurteile vom 02.11.2010 - VII R 7/10, BFH/NV 2011, 464, ZfZ 2011, 80, und vom 31.05.2016 - VII R 47/14, BFH/NV 2016, 1759, ZfZ 2017, 10) sei die Frage, inwieweit eine Ware mit den in einer Zollaussetzungsvorschrift beschriebenen Beschaffenheitsmerkmalen übereinstimmen müsse, u.a. auch nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Aussetzungsvorschrift zu beantworten. Aus diesem Grund sei zu prüfen, ob eine festgestellte Abweichung von den in der Zollaussetzungsvorschrift beschriebenen Beschaffenheitsmerkmalen Einfluss auf die Funktion der Ware habe. Bei gefederten Vorderradgabeln für Fahrräder habe das Material des Tauchrohrs keinen Einfluss auf ihre Funktion im zolltariflichen Sinne. Für die Eigenschaft als Vorderradgabel i.S. der Unterpos. 8714 9130 KN sei ausweislich der NEH zu Pos. 8714 KN die Zweckbestimmung "Halterung zur Aufnahme des Vorderrads" maßgeblich.
Selbst wenn man die Auffassung ablehnen würde, dass die streitgegenständlichen Einfuhren ‑‑unter Beachtung der gebotenen engen Auslegung‑‑ vom Wortlaut der maßgeblichen Zollaussetzungsvorschrift erfasst seien, wären dann die AV auf TARIC-Ebene entsprechend heranzuziehen. In den AV kämen Wertungen zum Ausdruck, die im Sinne einer einheitlichen Anwendung und Auslegung des Integrierten Zolltarifs in der Europäischen Union (EU) und den einzelnen Mitgliedstaaten auch für die Einreihung auf TARIC-Ebene Berücksichtigung finden müssten. Der Integrierte Tarif diene nicht zuletzt der einheitlichen Anwendung bestimmter ein- und ausfuhrrechtlicher Maßnahmen sowie anderer unionsrechtlicher Regelungen. Die AV sollten ebenfalls eine einheitliche und nicht nach nationalem oder Unionsrecht unterschiedliche Auslegung des international geltenden Harmonisierten Systems gewährleisten. Trotz ähnlicher Zielsetzung und obgleich sich die gleichen einreihungsbezogenen Fragen stellten, existierten keine "eigenen" Allgemeinen Vorschriften zur Auslegung des TARIC. Vor diesem Hintergrund sei eine Übertragung der Wertungen der AV auf TARIC-Ebene im Wege der analogen Anwendung geboten. Nach der Wertung der AV 3 Buchst. b wäre die autonome Zollaussetzung für die von ihr in den Jahren 2014 und 2015 eingeführten Waren jedenfalls zu gewähren. Die AV 3 Buchst. b gebiete für eine Einreihung von Waren, die aus verschiedenen Bestandteilen bestünden, eine Einreihung nach dem Bestandteil, der ihnen den wesentlichen Charakter verleihe. Das sei hier eindeutig der Hauptbestandteil Aluminium, zumal die Einordnung als "Vorderradgabel" im Sinne der Zollaussetzungsvorschrift ein Tauchrohr nicht zwingend voraussetze.
Die vom FG angesprochene Mitteilung der EU-Kommission in NEH zur AV 3 in EZT-Online, Rz 178.0 stehe dem nicht entgegen. Die verbindliche Auslegung des Rechts der EU obliege allein dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und nicht der EU-Kommission. Bestünden Zweifel, so müsste der EuGH mit der Frage der entsprechenden Anwendung der AV auf TARIC-Ebene befasst werden. Im Übrigen betreffe die genannte Mitteilung Sachverhalte, die mit dem hier streitgegenständlichen nicht vergleichbar seien. Im vorliegenden Fall stehe schon nicht die Erteilung bzw. die Aufhebung verbindlicher Zolltarifauskünfte im Raum. Die Mitteilung ‑‑so wie auch das vom FG in diesem Zusammenhang zitierte Urteil des FG Düsseldorf vom 12.06.2019 - 4 K 754/18 Z (ZfZ 2019, 296)‑‑ beziehe sich zudem auf aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Erzeugnisse, die die im Anhang der Zollaussetzungsvorschrift aufgeführten Waren enthielten. Die vorliegend eingeführten Waren enthielten keine Vorderradgabeln, sondern sie seien selbst Vorderradgabeln.
Die vom FG befürchtete Ausweitung der Anwendung von Zollaussetzungsvorschriften auf Waren, die davon nicht erfasst sein sollten, drohe nicht: In Fällen, in denen die Einreihung in bestimmte Positionen dem Wortlaut nach ausgeschlossen sei, könne wegen der in AV 1 geregelten Subsidiarität auch die Anwendung der AV nicht zur Einreihung in diese Position führen. Auf TARIC-Ebene würde es sich ebenso verhalten.
Die Klägerin beantragt,
das HZA unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Bescheide
- AT/S/00/… vom 21.02.2017,
- AT/S/00/… vom 21.02.2017,
- AT/S/00/… vom 21.02.2017,
- AT/S/00/… vom 23.02.2017 und
- AT/S/00/… vom 07.03.2017in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2017 (…) zu verpflichten, ihr, der Klägerin, ZollEU in Höhe von … € zu erstatten.
Das HZA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die eng auszulegende Formulierung der Zollaussetzung erfasse die streitgegenständlichen Waren nicht. Bei den mehrmaligen Änderungen der VO 1387/2013 zu "Vorderradgabeln" der Unterpos. 8714 9030 KN ab dem 01.07.2014 handele es sich nicht, wie die Klägerin meine, um eine Klarstellung eines vorher unklaren Wortlauts. Diese Änderungen der Warenbeschreibung seien vielmehr auf unterschiedliche Forderungen zurückzuführen, die verschiedene Unternehmen nach der Einführung der Zollaussetzung für Vorderradgabeln aus Aluminium angebracht hätten. Der Warenkreis sei mit jeder Änderung erweitert worden.
Eine Berücksichtigung der Funktion der Ware, wie die Klägerin meine, komme nicht in Betracht, da bereits über den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift eine Zuordnung der Fahrradgabeln möglich sei. Die seitens der Klägerin zitierte Senatsrechtsprechung sage lediglich aus, dass nur dann, wenn zu klären sei, ob eine Ware den geforderten Beschaffenheitsmerkmalen entspreche und sich dies nicht aus der Zollaussetzungsvorschrift selbst ergebe, eine Erforschung nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Aussetzungsvorschrift notwendig werde. Im vorliegenden Streitfall ergebe sich jedoch bereits aus dem eng auszulegenden Wortlaut der Zollaussetzungsvorschrift und der darin in Bezug genommenen TARIC-Codierungen, welche Beschaffenheitsmerkmale die Ware haben müsse.
Der Wortlaut der Zollaussetzung dürfe entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin hier nicht durch eine Anwendung der AV 3 Buchst. b ausgeweitet werden. Der Streitfall werfe insoweit keine durch den EuGH zu klärenden Fragen auf. Bereits aus der Formulierung der AV gehe hervor, dass diese nur für die Auslegung der KN Verwendung finde. Für die Zuordnung einer Ware in die TARIC-Ebene (Stelle 9 und 10 der Codenummer) enthalte die AV keine Bestimmungen. Eine analoge Anwendung sei nicht geboten. Zollaussetzungsvorschriften beträfen nur ganz bestimmte Waren, die einer ausführlichen Prüfung unterzogen und für die anschließend vom Rat Zollaussetzungen festgestellt würden. Dieser geprüfte und genehmigte Warenkreis dürfe nicht durch eine analoge Anwendung von allgemeinen Tarifierungsvorschriften erweitert werden, weil so letztlich eine Zollaussetzung für Waren gewährt würde, die nicht das vorgegebene Gesetzgebungsverfahren für Zollaussetzungen durchlaufen hätten.
Die Mitteilung der EU-Kommission in NEH zur AV 3 in EZT-Online, Rz 178.0 belege diese Sichtweise. Auch Mitteilungen der EU-Kommission hätten eine gewisse Rechtswirkung. So habe der EuGH in seinem Urteil vom 18.03.2010 - C -317/08 (EU:C:2010:146, Slg. 2010, I 2213, m.w.N.) darauf hingewiesen, dass die nationalen Gerichte verpflichtet seien, solche Empfehlungen bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener nationaler Vorschriften gäben oder wenn sie verbindliche Vorschriften der EU ergänzen sollten. In ihrer Mitteilung in NEH zur AV 3 in EZT-Online, Rz 178.0 stelle die EU-Kommission insoweit fest, dass Waren für die Einreihung in den zehnstelligen TARIC-Code dem genauen Wortlaut dieser Vorschrift entsprechen müssten. Die Anwendung der AV 3 Buchst. b hinsichtlich der Auslegung des Wortlauts eines TARIC-Codes sei mithin ausgeschlossen.
Nach einem Hinweis an die Beteiligten gemäß § 126a Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 19.10.2021 - VII R 27/19 (BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136) hat die Klägerseite ihr Vorbringen wiederholend vertieft und dabei insbesondere auch ihren Wunsch bekräftigt, dass der Senat die Frage der entsprechenden Anwendbarkeit der AV auf TARIC-Ebene durch den EuGH klären lassen möge.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Diese Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide und Erstattung der damit erhobenen Einfuhrzölle hat. Die den Erstattungsantrag der Klägerin ablehnenden Bescheide des HZA vom 21.02.2017, 23.02.2017 und 07.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Als Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Erstattungsansprüche kommt allein Art. 236 ZK in Betracht, da die fraglichen Einfuhren vor dem 01.05.2016 getätigt worden sind. Art. 236 ZK ist eine materiell-rechtliche Vorschrift, die folglich auch nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABlEU 2013, Nr. L 269, 1, berichtigt durch ABlEU 2016, Nr. L 267, 2), auf vor dem 01.05.2016 getätigte Einfuhren weiterhin anwendbar bleibt (Senatsbeschluss vom 24.07.2017 - VII B 165/16, BFH/NV 2017, 297).
2. Die Voraussetzungen für einen ‑‑insoweit einzig in Betracht kommenden‑‑ Erstattungsanspruch nach Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1, 1. Alternative ZK liegen nicht vor. Einfuhrabgaben werden danach ‑‑auf, wie es hier jeweils ersichtlich und unstreitig der Fall ist, fristgerechten Antrag hin (Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 ZK)‑‑ allenfalls dann erstattet, sofern nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Die vorliegend streitgegenständlichen Einfuhrabgaben waren indes in diesem Sinne gesetzlich geschuldet. Die Voraussetzungen für die Festsetzung und Erhebung des ZollEU in Höhe von 4,7 % lagen bei den dem streitgegenständlichen Erstattungsbegehren zugrundeliegenden Einfuhrvorgängen jeweils vor. Die Zollschuld ist gemäß Art. 201 Abs. 2 ZK mit der Annahme der jeweiligen Zollanmeldung entstanden. Die Klägerin ist Zollschuldnerin gemäß Art. 201 Abs. 3 Satz 1 ZK geworden. Die zwischen den Beteiligten in diesem Zusammenhang allein streitige Frage, ob die eingeführten Vorderradgabeln für Fahrräder in den Anwendungsbereich der begehrten Zollaussetzung fallen, ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin zu verneinen.
3. In der Rechtsprechung sowohl des EuGH (z.B. Urteile Ethicon vom 18.03.1986 - C-58/85, EU:C:1986:128, Rz 13, Slg. 1986, 1131; Olasagasti u.a. vom 12.12.1996 - C-47/95, EU:C:1996:489, Rz 20, Slg. 1996, I-6579; Schoonbroodt vom 03.12.1998 - C-247/97, EU:C:1998:586, Rz 23, ZfZ 1999, 88) als auch des Senats (Senatsurteil vom 31.05.2016 - VII R 47/14, BFH/NV 2016, 1759, Rz 18) ist geklärt, dass Zollaussetzungsnormen als Ausnahmevorschriften zum grundsätzlich bestehenden Verzollungsgebot entsprechend ihrem Wortlaut eng auszulegen sind und demzufolge nicht über ihren Wortlaut hinaus auf Erzeugnisse angewandt werden dürfen, die in ihnen nicht genannt sind. Die vorliegend streitgegenständlichen Vorderradgabeln sind weder vom Wortlaut der zum Einfuhrzeitpunkt jeweils gültigen Zollaussetzungsvorschrift erfasst (dazu sogleich unter 3.a) noch wegen der AV 3 Buchst. b in die begehrte Zollaussetzung einzubeziehen (dazu sogleich unter 3.b).
a) Aus der jeweiligen Formulierung der für den Streitzeitraum geltenden Zollaussetzung, dass diese nur für bestimmte Waren des KN-Codes "ex 8714 9130" greife, ergibt sich, dass die Begünstigung nicht für alle von der achtstelligen Unterposition des KN-Codes 8714 9130 erfassten Vorderradgabeln gilt, sondern nur für jene mit den zusätzlich in der jeweiligen Spalte 2 aufgeführten TARIC-Codierungen 23, 33 oder 70, die der Warenbezeichnung in Spalte 3 entsprechen. Die streitgegenständlichen Waren sind nach den Feststellungen des FG Vorderradgabeln, deren Tauchrohrelemente aus Magnesium und die ansonsten im Wesentlichen aus Aluminium bestehen. Sie sind angesichts dieser Beschaffenheit in die TARIC-Unterpos. 8714 9130 39 einzureihen. Waren dieser Codenummer waren im Streitzeitraum nicht in Anhang I der VO 1387/2013 in ihrer jeweils gültigen Fassung durch die ab 01.07.2014 geltende VO 722/2014 bzw. die ab 01.01.2015 geltende VO 1341/2014 genannt und mithin vom Wortlaut der zum Einfuhrzeitpunkt jeweils gültigen Zollaussetzungsvorschrift nicht erfasst.
aa) Vorderradgabeln für Fahrräder werden ‑‑entsprechend dieser Funktion und unabhängig von ihrer stofflichen Beschaffenheit‑‑ in die Unterpos. 8714 9130 KN "Vorderradgabeln" eingereiht. Auf TARIC-Ebene erfolgt dann innerhalb dieser Codelinie eine weitere Unterscheidung ‑‑u.a.‑‑ nach dem Fertigungsmaterial, wobei eine Differenzierung in "aus Kohlenstofffasern und Kunstharz", "aus Aluminium" und "andere" Stoffe besteht. Diese Differenzierung hinsichtlich der Werkstoffe bezieht sich ersichtlich auf die Konstruktion der Schenkel (Gabelbeine und ggf. Tauchrohre) und des Gabelschafts. Diese Teile bestehen üblicherweise aus Carbon, Aluminium oder aber Stahl, z.T. auch aus anderen Materialien wie etwa Titan oder Magnesiumlegierungen. Die stoffliche Beschaffenheit der daneben in Vorderradgabeln verbauten Hilfsstoffe wie Schrauben, Federn, Dichtungen oder Dämpfungsmaterialen (Öl, Luft) ist für deren Einreihung hingegen irrelevant, weil ausweislich der genannten Auflistung der Fertigungsmaterialien die Konstruktion der Schenkel und des Gabelschafts die Warenbezeichnung bestimmt. Der Wortlaut "aus Aluminium" schließt es somit aus, darunter auch solche Vorderradgabeln zu fassen, deren Tauchrohrelemente aus Magnesium hergestellt sind. Denn der Vorderradgabeln betreffende Positionswortlaut "aus Aluminium" deckt nur eine Fertigung der genannten Konstruktionsteile aus Aluminium ab. Dies setzt entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht die ausdrückliche Anforderung einer "ausschließlichen" Fertigung aus Aluminium voraus. Denn es ist im TARIC nicht üblich, im Rahmen von Warenansprachen nach der stofflichen Beschaffenheit gesondert zu fordern, dass ein bestimmter Stoff homogen vorliegen muss. Dies ist vielmehr auch ohne eine entsprechende Angabe der Regelfall. Dementsprechend legt der Verordnungsgeber es ausdrücklich fest, sofern auch Waren inhomogener stofflicher Beschaffenheit in den Anwendungsbereich der Zollaussetzung fallen. Die ab 01.07.2014 geltende VO 722/2014 sah z.B. in Anhang I für "Rahmen aus Aluminium oder Aluminium und Kohlenstoff, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern" des KN-Codes ex 8714 9110 mit der TARIC-Codierung 23, 33 oder 70 eine autonome Zollaussetzung vor. Die ab 01.01.2015 geltende VO 1341/2014 formuliert an dieser Stelle "Rahmen, aus Aluminium oder Aluminium und Kohlenstofffasern, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern".
bb) Aus der seitens der Klägerin zur Stütze ihrer Argumentation herangezogenen Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteile in BFH/NV 2011, 464, ZfZ 2011, 80, und in BFH/NV 2016, 1759, ZfZ 2017, 10) ergibt sich für den hiesigen Streitfall nichts anderes. Die Aussage des Senats, dass der Verwendungszweck einer Ware ein objektives Tarifierungskriterium ‑‑auch für die Einreihung in den TARIC-Code‑‑ sein könne, sofern er der Ware innewohne, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lasse, bedeutet nicht, dass im Rahmen der Einordnung die wortlautbedingten Grenzen nicht einzuhalten wären. Entscheidend sind vielmehr zunächst die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware, wie sie im Wortlaut der Position festgelegt sind (Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1759, ZfZ 2017, 10, Rz 13 f.). Erst sofern der Wortlaut für eine Einreihung der gegenständlichen Waren in den TARIC-Code offen ist, ist die Frage, inwieweit eine Ware mit den in einer Zollaussetzungsvorschrift beschriebenen Beschaffenheitsmerkmalen übereinstimmen muss und inwieweit Abweichungen schaden, nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der fraglichen Aussetzungsvorschrift zu beantworten. Allenfalls in diesem Zusammenhang wäre zu prüfen, ob eine etwaige Abweichung von der Warenbeschreibung Einfluss auf die Funktion der Ware hat, die Gegenstand einer besonderen Vergünstigung im Hinblick auf die Gemeinschaftsproduktion sein soll (Senatsurteile in BFH/NV 2011, 464, ZfZ 2011, 80, Rz 8, und in BFH/NV 2016, 1759, ZfZ 2017, 10, Rz 14, jeweils m.w.N.). Insofern mag vorliegend das Material der Tauchrohre zwar keinen Einfluss auf die Funktion der streitgegenständlichen Vorderradgabeln als solche im zolltariflichen Sinne haben. Ihre Fertigung sowohl aus Aluminium als auch aus Magnesium ist jedoch ‑‑wie oben ausgeführt‑‑ vom Wortlaut der fraglichen TARIC-Ebene (Stelle 9 und 10 der von der Klägerin für einschlägig erachteten Codenummer 8714 9130 33) nicht mehr erfasst, weshalb die Überlegung, ob die allgemeine Systematik und der Zweck der für Vorderradgabeln aus Aluminium der Codenummer 8714 9130 33 im Streitzeitraum geschaffenen Zollaussetzung auch eine Zollaussetzung für solche mit Schenkeln aus Aluminium und einem Tauchrohr aus Magnesium abdeckt, im Streitfall nicht zu dem seitens der Klägerin gewünschten Ergebnis führen kann. Dem steht hier ‑‑auch das ergibt sich aus der zitierten Rechtsprechung des Senats‑‑ bereits der vorrangig zu beachtende Grundsatz entgegen, dass Zollaussetzungsvorschriften nicht über ihren Wortlaut hinaus auf Erzeugnisse angewandt werden dürfen, die in ihnen nicht genannt sind (Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1759, ZfZ 2017, 10, Rz 18).
b) Eine analoge Anwendung der AV 3 Buchst. b unter Berücksichtigung des Umstands, dass die streitgegenständlichen Waren überwiegend aus Aluminium bestehen, führt vorliegend ebenfalls nicht zum Eingreifen der jeweils begehrten Zollaussetzung. Die AV 3 Buchst. b, wonach Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der AV 3 Buchst. a nicht eingereiht werden können, nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht werden, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann, ist auf TARIC-Ebene nicht ‑‑auch nicht entsprechend‑‑ anzuwenden. Dies hat der Senat in jüngerer Zeit ‑‑allerdings erst während der Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens‑‑ entschieden (Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136). An dieser Sichtweise hält er fest.
Zwar hat der Gesetzgeber die VO 1387/2013 erst durch die ab 01.07.2015 gültige Verordnung (EU) 2015/982 des Rates vom 23.06.2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Waren ‑‑VO 2015/982‑‑ (ABlEU Nr. L 159, 5) dahingehend geändert, dass in Art. 1 Abs. 2 klargestellt worden ist, dass Abs. 1 nicht für Gemische, Zubereitungen oder aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gilt, die die in Anhang I aufgeführten Waren enthalten. Dabei handelt es sich jedoch, worauf auch in Erwägungsgrund 6 der VO 2015/982 hingewiesen wird, lediglich um eine Klarstellung und nicht um eine erstmalige Regelung. Dementsprechend hat auch die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung in NEH zur AV 3 in EZT-Online, Rz 178.0 darauf hingewiesen, dass die AV 3 Buchst. b nicht auf TARIC-Ebene zur Feststellung, ob eine Ware unter eine Zollaussetzung falle, anzuwenden sei und die Ware für die Einreihung in den zehnstelligen TARIC-Code dessen genauen Wortlaut entsprechen müsse (Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136, Rz 25). Ausschlaggebend ist insoweit die Erwägung, dass die AV nach ihrem Wortlaut für die Einreihung von Waren in die KN Geltung hat, während etwaige TARIC-Unterpositionen nicht in Bezug genommen werden (Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136, Rz 41). Die Entrichtung der Zölle ist zudem als der Normalfall anzusehen, weshalb die gemäß Art. 31 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährten Zollaussetzungen eine Ausnahme vom Normalfall darstellen und daher eng auszulegen sind (Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136, Rz 42). Auch dient eine Zollaussetzung dem Zweck, bestimmte Wirtschaftszweige mit ganz bestimmten Waren zu versorgen, weshalb sie nur die in Anhang I der entsprechenden Verordnung beschriebenen Waren erfasst. Es muss gewährleistet sein, dass der Rat den Bedarf an Waren im Einzelfall prüfen kann, was jedoch nicht der Fall wäre, wenn der begünstigte Warenkreis durch eine Anwendung der AV 3 Buchst. b erweitert würde. Dadurch wäre auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt (Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136, Rz 43, unter Hinweis auf Erwägungsgrund 8 der VO 1387/2013).
Diese für die Entscheidung gegen eine analoge Anwendung der AV 3 Buchst. b auf TARIC-Ebene maßgebenden Gründe erachtet der Senat weiterhin für durchgreifend.
4. Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen kann die Klägerin im Streitfall keine Zollaussetzung für die von ihr eingeführten Vorderradgabeln in Anspruch nehmen. Für Vorderradgabeln der Unterpos. 8714 9130 KN, die nicht unter die TARIC-Codierungen der jeweiligen Spalte 2 der Zollaussetzungsverordnung und die Warenbezeichnung der dortigen Spalte 3 fallen ‑‑wie eben Vorderradgabeln aus anderen Materialien als Aluminium‑‑ gewährt weder die VO 722/2014 noch die VO 1341/2014 die begehrte Begünstigung.
5. Die angeregte Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV hält der Senat nicht für geboten, insbesondere deshalb, weil eine enge und wortlautorientierte Auslegung von Zollaussetzungen der EuGH-Rechtsprechung entspricht (s. Fundstellen im Senatsurteil in BFH/NV 2022, 628, ZfZ 2022, 136, Rz 42 und oben, unter II.3.). Die Unionsrechtslage ist insoweit hinreichend geklärt und eindeutig.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.