ECLI:DE:BFH:2022:U.231122.IIR26.21.0
BFH II. Senat
GrEStG § 1 Abs 1 Nr 1, GrEStG § 8 Abs 1, GrEStG § 9 Abs 1 Nr 1, FGO § 118 Abs 2
vorgehend FG München, 23. June 2021, Az: 4 K 2843/18
Leitsätze
NV: Die im Rahmen eines öffentlichen Wohnraumfördermodells vom Grundstücksverkäufer übernommene Verpflichtung, noch zu errichtende Wohnungen zu einem verbilligten Mietzins an Dritte zu überlassen, stellt keine grunderwerbsteuerbare Gegenleistung des Grundstückskäufers dar, wenn ihm im Rahmen des Gesamtkonzepts zugleich zinsgünstige Darlehen gewährt werden.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg vom 23.06.2021 - 4 K 2843/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schloss mit der … (Verkäuferin) am 27.05.2015 einen notariell beurkundeten Vertrag über den Kauf von in X belegenen, seinerzeit noch unbebauten Grundstücken. Es wurde ein vorläufiger Kaufpreis in Höhe von 2.744.729,90 € vereinbart, der mit notarieller Urkunde vom 24.02.2016 für endgültig erklärt wurde.
Darüber hinaus übernahm die Klägerin Verpflichtungen aus einem städtebaulichen Vertrag mit der Stadt X zur Herstellung geförderten Wohnraums. Diesen Vertrag hatte die Stadt am 19.03.2015 mit der damaligen Grundstückseigentümerin geschlossen. In dem Vertrag verpflichtete sich die damalige Grundstückseigentümerin insbesondere zur teilweisen Bebauung der Grundstücke im Wege des geförderten Wohnungsbaus mit einer Bindungszeit von 25 Jahren. Einzelheiten hierzu wurden in einer Anlage zu dem städtebaulichen Vertrag geregelt, dem sog. Sozialen Bindungsvertrag. Dort räumte die damalige Grundstückseigentümerin der Stadt für die Dauer der Bindungszeit u.a. ein Benennungsrecht für die geförderten Mietwohnungen ein, das durch eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gesichert werden sollte. Teil dieses Konzepts zur Herstellung von gefördertem Wohnraum ist, dass sich der Bauherr zur verbilligten Vermietung an von der Stadt benannte Personen verpflichtet und im Gegenzug zinsgünstige Darlehen und Zuschüsse erhält. Dementsprechend bewilligte die Stadt der Klägerin mit Bescheiden vom 09.12. und 14.12.2015 niedrigverzinsliche Darlehen und einen Zuschuss.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hatte zunächst am 24.11.2015 einen Grunderwerbsteuerbescheid erlassen, in welchem ausgehend von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 2.744.729 € Grunderwerbsteuer in Höhe von 96.065 € festgesetzt wurde. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Am 26.07.2016 erließ das FA einen geänderten Grunderwerbsteuerbescheid, in welchem es die Verpflichtung der Klägerin zur verbilligten Vermietung des geförderten Wohnraums als sonstige Leistung der Bemessungsgrundlage hinzurechnete. Zu diesem Zweck kapitalisierte es die Differenz der verbilligten Miete zur ortsüblichen Miete. Die Grunderwerbsteuer wurde auf 239.281 € festgesetzt.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 30.10.2018 setzte das FA nach vorherigem Hinweis die Grunderwerbsteuer auf 277.604 € herauf. Hintergrund war, dass sich die für den geförderten Wohnraum zu errichtende Fläche zwischenzeitlich erhöht hatte.
Die nachfolgende Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die von der Klägerin übernommene Verpflichtung, die Wohnungen für 25 Jahre an von der Stadt benannte Mieter mietverbilligt zu überlassen, sei keine sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Vielmehr handele es sich um eine vertragliche Verpflichtung für die Gewährung zinsverbilligter Darlehen. Es liege auch nicht deshalb eine sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vor, weil sich die Rechte und Pflichten zwischen der Stadt und der Klägerin nicht ausgewogen gegenüberstünden. Die Belastung aus der Mietpreisbindung werde durch den Zinsvorteil aus den der Klägerin gewährten zinsgünstigen Baudarlehen und dem nicht rückzahlbaren allgemeinen Zuschuss mehr als kompensiert.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. In dem Umstand, dass die Klägerin auf Mieterlöse verzichtet habe, die sie eigentlich hätte erzielen können, liege eine zusätzliche Gegenleistung. Der Kaufpreis sei nur deshalb so günstig gewesen, weil die Klägerin die aus der Wohnraumförderung resultierenden Belastungen übernommen habe. Für die übernommene Mietbelastung habe die Klägerin auch keine Gegenleistung erhalten; die vergünstigten Darlehensverträge seien erst später abgeschlossen worden.
Das FA beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin übernommene Verpflichtung zur verbilligten Wohnraumüberlassung keine grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung darstellt. Auch die sonstigen aus dem städtebaulichen Vertrag übernommenen Verpflichtungen sind keine solchen Gegenleistungen.
1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerpflichtigen Grundstückskaufvertrag bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen.
a) Als sonstige Leistungen i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sind alle Verpflichtungen des Käufers anzusehen, die zwar nicht unmittelbar Kaufpreis für das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne, aber gleichwohl Entgelt für den Erwerb des Grundstücks sind. Der Erwerb des Grundstücks und die Gegenleistung müssen kausal verknüpft sein. Dabei ist nicht ausschlaggebend, was die Vertragschließenden als Gegenleistung für das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich verpflichtet haben. Danach gehören alle Leistungen des Käufers zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage), die dieser als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks gewährt. Leistungen des Käufers, die nicht den der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang betreffen, insbesondere also für eine andere Leistung aufgewendet werden als für die Verpflichtung, Besitz und Eigentum an dem Grundstück zu verschaffen, scheiden demgegenüber aus der Gegenleistung i.S. von §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aus (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 06.12.2017 - II R 55/15, BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 11 f.).
b) Zu den "sonstigen Leistungen" gehört auch die Übernahme von Verpflichtungen des Veräußerers durch den Erwerber. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verpflichtung bereits in der Person des Veräußerers entstanden ist (BFH-Urteil vom 30.03.2009 - II R 62/06, BFHE 225, 503, BStBl II 2009, 854, unter II.2.c).
c) Eine dem Veräußerer des Grundstücks gegenüber eingegangene Verpflichtung, einen Vertrag mit einem Dritten abzuschließen, kann grundsätzlich als sonstige Leistung einzustufen sein und damit zur Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gehören. Eine solche Gegenleistung liegt bei einer Verpflichtung des Grundstückskäufers zur Eingehung eines gegenseitigen Vertrags mit einem Dritten vor, wenn gewichtige Umstände eine Unausgewogenheit der wechselseitigen vertraglichen Verpflichtungen zwischen dem Grundstückskäufer und dem Dritten erkennen lassen und der Grundstückskäufer die höherwertige Leistung erbringt (BFH-Urteil in BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 14).
d) Übernimmt der Grundstückserwerber eines mit sozialem Wohnungsbau zu bebauenden Grundstücks von dem Grundstücksveräußerer zinsgünstige Baudarlehen, sind neben dem im Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreis die Verbindlichkeiten aus den zinsverbilligten Darlehen mit ihrem Nennwert als grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung i.S. der §§ 8, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Eine sich aus dem sozialen Wohnungsbauprojekt ergebende, ebenfalls auf den Erwerber übergehende Mietpreisbindung ist nicht zusätzlich als sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG anzusetzen. Sieht man die Zinsverbilligung beim Grundstückseigentümer nur als "durchlaufenden Posten" an, der an die Mieter weiterzugeben ist, so entfällt die Berechtigung zur Aufspaltung der Gegenleistung in die Übernahme der abgezinsten Darlehen und den Eintritt in die Mietpreisbindung (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.1979 - II R 127/74, BFHE 129, 404, BStBl II 1980, 218, unter II.2.).
e) Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist. Das Revisionsgericht prüft, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Dagegen ist die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern Gewollten am Maßstab der jeweils einschlägigen Normen für das Revisionsgericht nicht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsanwendung (BFH-Urteil vom 05.12.2019 - II R 37/18, BFHE 267, 524, BStBl II 2020, 236, Rz 15).
2. In Anbetracht dieser Grundsätze hat die Klägerin keine sonstigen Leistungen gegenüber der Verkäuferin erbracht.
a) Es kann dahinstehen, ob die Feststellung des FG, wonach die Klägerin von der Verkäuferin eine bereits im städtebaulichen Vertrag vereinbarte Verpflichtung zur verbilligten Wohnraumüberlassung übernommen habe, revisionsrechtlich zu beanstanden ist. Diese Verpflichtung wurde der Klägerin nämlich rechtlich bindend erst in den Förderbescheiden, welche die Stadt gegenüber der Klägerin erließ, auferlegt. Im städtebaulichen Vertrag befand sich insoweit nur ein Hinweis auf diese spätere Förderentscheidung (vgl. § 4 Ziff. 4 des Sozialen Bindungsvertrags).
Selbst wenn diese Feststellung des FG nicht bindend nach § 118 Abs. 2 FGO wäre, läge keine Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vor. Denn dann würde es bereits an dem Erfordernis mangeln, dass die Klägerin durch den Kaufvertrag eine ursprünglich bereits auf Seiten der Verkäuferin bestehende Verpflichtung übernommen hätte. Vielmehr wäre die Verpflichtung zur verbilligten Wohnraumüberlassung erst später originär bei der Klägerin entstanden.
b) Ausgehend von der Feststellung des FG, dass die Klägerin von der Verkäuferin eine bereits im städtebaulichen Vertrag vereinbarte Verpflichtung zur verbilligten Wohnraumüberlassung übernommen hatte, liegt ebenfalls keine sonstige Leistung der Klägerin vor.
Das FG hat zu Recht die oben dargestellte Rechtsprechung des Senats zum sozialen Wohnungsbau herangezogen, wonach eine auf den Erwerber übergehende Mietpreisbindung nicht zusätzlich als sonstige Leistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG anzusetzen ist. Dem FG ist ebenso darin beizupflichten, dass diese Rechtsprechung nicht auf die Konstellation beschränkt ist, dass der Käufer vom Verkäufer neben der Mietpreisbindung auch die im Gegenzug gewährten zinsgünstigen Darlehen übernimmt. Auch wenn diese Darlehen (nebst einem Zuschuss) im vorliegenden Fall erst nach Abschluss des Kaufvertrags direkt an die Klägerin ausgereicht wurden, sind sie doch Teil eines Gesamtkonzepts der staatlichen Wohnraumförderung. In diesem Gesamtkonzept kommt der Mietpreisbindung kein eigenständiger Wert zu, der als sonstige Leistung neben den Kaufpreis für das unbebaute Grundstück tritt, sondern sie ist auch dann nur in Zusammenhang mit den zinsgünstigen Darlehen zu sehen und gleicht sich mit diesen im Wert aus.
c) Auch weitere, im städtebaulichen Vertrag enthaltene und vom FG nicht näher gewürdigte Verpflichtungen führen zu keinen sonstigen Leistungen der Klägerin.
aa) So ist die von der Klägerin übernommene Verpflichtung zur Bebauung der Grundstücke keine Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, weil sie im Ergebnis der Klägerin selbst zugutekommt (vgl. BFH-Urteil vom 27.08.2003 - II R 27/01, BFH/NV 2004, 226, unter II.1.a, zu einer Renovierungsverpflichtung).
bb) Das von der Klägerin zugunsten der Stadt übernommene und dinglich gesicherte Mieterbenennungsrecht hat keinen eigenständigen Wert. Es ist ebenfalls Teil einer Vielzahl von Rechten und Pflichten, die dem einheitlichen Konzept der staatlichen Wohnraumförderung entspringen. Sofern keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass diese Rechte und Pflichten insgesamt in einem unangemessenen Verhältnis zueinander stehen, ist davon auszugehen, dass sie sich wertmäßig gegenseitig kompensieren und keiner eigenständigen Bewertung zugänglich sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 18).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
4. Das Urteil ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).