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Urteil vom 24. Mai 2023, II R 23/20

Prozesszinsen im mehrstufigen Verfahren (Grundsteuer)

ECLI:DE:BFH:2023:U.240523.IIR23.20.0

BFH II. Senat

GrStG § 20 Abs 1 Nr 1, AO § 37, AO § 155 Abs 2, AO § 171 Abs 10 S 1, AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 1, AO § 182 Abs 1 S 1, AO § 233 S 1, AO § 236 Abs 1 S 1, AO § 236 Abs 1 S 2, AO § 236 Abs 2 Nr 2 Buchst a, AO § 236 Abs 3

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 22. January 2020, Az: 3 K 3030/17

Leitsätze

1. Nimmt das Finanzamt nach der rechtskräftigen gerichtlichen Aufhebung eines rechtswidrigen Grundlagenbescheids die nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gebotene Herabsetzung der Steuer im Folgebescheid nicht vor und erlässt es stattdessen einen zweiten rechtswidrigen Grundlagenbescheid, der durch eine weitere rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird, entstehen Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 AO bereits seit der Rechtshängigkeit des ersten mit rechtskräftigem Urteil abgeschlossenen Verfahrens über die Aufhebung des Grundlagenbescheids, soweit die Zahlung der Steuer nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist.

2. Ist das Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheiden dreistufig ausgebildet, kann eine gerichtliche Entscheidung der ersten Stufe (Wertfeststellung) ausreichen, damit ein Zinsanspruch betreffend die in der dritten Stufe festgesetzte Steuer (Grundsteuerfestsetzung) entsteht. Die Zwischenschaltung der zweiten Stufe (Grundsteuermessbetrag) ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik und unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.01.2020 - 3 K 3030/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten über die Höhe von Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge zur Grundsteuer.

  2. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist seit dem 01.01.2005 als Rechtsnachfolgerin der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) Eigentümerin eines Grundstücks hinsichtlich des Grund und Bodens. Das darauf errichtete Gebäude steht im Eigentum eines Dritten.

  3. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) nahm mit Bescheiden vom 30.05.2008 unter nachrichtlicher Mitteilung des auf den 01.01.1937 festgestellten Einheitswerts (549.000 RM beziehungsweise 549.000 DM) Zurechnungsfortschreibungen auf den Grund und Boden vor, zum einen auf den 01.01.2002 zu ein halb auf Deutschland und zu ein halb auf die Mitglieder einer Erbengemeinschaft, zum anderen auf den 01.01.2005 auf die Klägerin und die Erbengemeinschaft. Es wurden Einsprüche eingelegt. Ebenfalls am 30.05.2008 ergingen Grundsteuermessbescheide sowie Grundsteuerbescheide.

  4. Gegen die zusammengefasste Einspruchsentscheidung vom 03.11.2009 erhob eine Miteigentümerin Klage (3 K 3210/09), die am 13.11.2009 beim Finanzgericht (FG) einging. Die Klage einer weiteren Miteigentümerin (3 K 3221/09) ging am 26.11.2009 ein. Die beiden Verfahren wurden unter 3 K 3210/09 verbunden; die erste Miteigentümerin nahm ihre Klage zurück. Mit Beschluss vom 03.09.2014 lud das FG für das Klagebegehren "Einheitswert auf den 01.01.2002" Deutschland, vertreten durch die Klägerin, und für das Klagebegehren "Einheitswert auf den 01.01.2005" die Klägerin selbst notwendig bei. Es erkannte mit Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09, dass beide Zurechnungsfortschreibungen (auf den 01.01.2002 und den 01.01.2005) nichtig seien. Der bisherige Einheitswert des ursprünglich einheitlichen Grundstücks habe sich allein im Gebäude fortgesetzt. Für die neu entstandene wirtschaftliche Einheit "unbebautes Grundstück" (Grund und Boden mit fremdem Gebäude) hätte es zunächst einer Nachfeststellung auf den 01.01.1991 bedurft, bevor das FA eine Zurechnungsfortschreibung hätte durchführen können. Das Urteil wurde rechtskräftig.

  5. Das FA hob die Folgebescheide nicht auf. Am 22.10.2015 erließ es Bescheide über den Einheitswert (Nachfeststellung) auf den 01.01.1991, mit denen es den Einheitswert für das unbebaute Grundstück (Grund und Boden mit fremdem Gebäude) auf 280.699 € beziehungsweise 549.000 DM feststellte. Mit Bescheiden ebenfalls vom 22.10.2015 nahm das FA auf den 01.01.2002 und den 01.01.2005 Zurechnungsfortschreibungen vor, mit denen es das Grundstück zum 01.01.2002 Deutschland, zum 01.01.2005 der Klägerin zurechnete. Mit Einspruchsentscheidungen vom 30.09.2016 beziehungsweise 07.10.2016 wies es die Einsprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 22.10.2015 zurück. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG setzte ‑‑in dem am 26.10.2016 rechtshängig gewordenen Verfahren‑‑ mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 14.02.2018 - 3 K 3224/16 den Einheitswert auf den 01.01.1991 auf 0 € herab. Die Klage wegen der Zurechnungsfortschreibungen wies es ab, da die Zurechnungen als solche zutreffend gewesen seien. Dem Urteil folgend setzte das FA mit Bescheiden vom 08./12./14.06.2018 die Grundsteuermessbeträge und die Grundsteuer auf 0 € herab.

  6. Bereits mit am 16.02.2015 beim FA eingegangenem Schriftsatz beantragte die Klägerin, unter Hinweis auf das Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 sämtliche Folgebescheide ab 2003 (Grundsteuermessbescheide auf den 01.01.2003 und den 01.01.2005, Grundsteuerbescheide für die Kalenderjahre ab 2003) im Wege der Folgeänderung aufzuheben sowie Prozesszinsen zur Grundsteuer ab 2003 nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) beginnend mit der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3210/09 zu zahlen. Das FA lehnte dies ab. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde hinsichtlich der Folgebescheide mit Einspruchsentscheidung vom 06.01.2017 zurückgewiesen. Den Einspruch gegen die Versagung der Festsetzung von Prozesszinsen wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2017 zurück. Hiergegen erhob die Klägerin Klage. Im Verfahren vor dem FG erklärten die Parteien den Rechtsstreit in Bezug auf die Folgebescheide in der Hauptsache für erledigt. Es erging ein Abtrennungs- und Einstellungsbeschluss vom 30.10.2018.

  7. Das FA setzte mit Bescheid vom 23.07.2018 ‑‑während des laufenden Klageverfahrens vor dem FG‑‑ Prozesszinsen in Höhe von 30.096 € fest. Bei der Berechnung stellte es als Beginn des Zinslaufs für die Grundsteuer 2003 bis 2014 auf den Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3224/16, den 26.10.2016, ab. Die Klägerin begehrte hingegen, den Zinslauf ab dem Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3210/09, den 13.11.2009, zu berechnen.

  8. Das FG wies die Klage ab. Das Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 sei lediglich mitursächlich für die Herabsetzung des Einheitswerts auf 0 € gewesen. Für die Berechnung von Prozesszinsen bedürfe es angesichts der gebotenen engen Auslegung der Zinsvorschriften eines unmittelbaren Ursachenzusammenhangs zwischen der gerichtlichen Entscheidung und der Aufhebung der zum Erstattungsanspruch führenden Folgesteuer. Erst das Urteil vom 14.02.2018 - 3 K 3224/16 habe tatsächlich zur Herabsetzung der Steuer geführt. Unerheblich sei, ob eine Entscheidung zu einer Herabsetzung hätte führen müssen. Etwaige Versäumnisse des FA könnten allenfalls über einen Amtshaftungsanspruch kompensiert werden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 618 veröffentlicht.

  9. Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO geltend und beruft sich auf Verfahrensfehler. Sie habe als Beigeladene einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3210/09. Als Rechtsfolge der in diesem Verfahren durch das Urteil vom 22.10.2014 erkannten Nichtigkeit der Zurechnungsfortschreibungen auf den 01.01.2002 und den 01.01.2005 seien die Folgebescheide nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Grundsteuergesetzes beziehungsweise § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zwingend aufzuheben und die Grundsteuer zu erstatten gewesen. Das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Folgebescheide nach § 155 Abs. 2 AO "stehenzulassen". Der Verzicht auf die Aufhebung der Folgebescheide unter Berufung auf neue rechtswidrige Grundlagenbescheide sei ein verfahrensrechtlicher "Trick", um den gesetzlichen Zinsanspruch der Klägerin in Bezug auf die Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3210/09 zu Fall zu bringen. Das Kausalitätserfordernis sei normativ auszulegen. Der Steuerpflichtige sei so zu stellen, wie er stünde, wenn das FA ordnungsgemäß vorgegangen wäre. Ferner habe das FG das rechtliche Gehör verletzt (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  10. Die Klägerin beantragt,
    die Vorentscheidung, den Bescheid vom 30.05.2016 sowie die Einspruchsentscheidung vom 06.03.2017 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Zinsbescheid vom 23.07.2018 mit der Maßgabe abzuändern, dass als Beginn des Zinslaufs die Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3210/09 am 26.11.2009 oder die Zahlungseingänge beim FA, soweit diese nach dem 26.11.2009 liegen, anzusetzen sind.

  11. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

  12. Es sei zur Anpassung der Folgebescheide nach Erlass des Urteils vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 nicht verpflichtet gewesen, denn die Anpassungspflicht bestehe nur dann, wenn die Folgebescheide die Feststellungen des Grundlagenbescheids nicht oder unzutreffend berücksichtigten. Neue Grundsteuerbescheide hätten zu einer Festsetzung der Grundsteuer in derselben Höhe und nicht zu einer Herabsetzung geführt, denn die Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide in dem vorausgehenden Verfahren 3 K 3210/09 habe einzig auf verfahrensrechtlichen Gründen beruht und nur die Zurechnungsfortschreibung betroffen, nicht aber den zum 01.01.1991 festgestellten Einheitswert. Die Herabsetzung der Grundsteuern sei zu Recht deshalb erst aufgrund des FG-Urteils vom 14.02.2018 - 3 K 3224/16 vorgenommen worden, das die Zurechnungsfortschreibungen auf den 01.01.2002 beziehungsweise 01.01.2005 bestätigt habe. Soweit das FG-Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 eine Mitursache für die spätere Herabsetzung der Grundsteuer gegeben habe, reiche dies bei der gebotenen engen Auslegung der Zinsvorschriften nicht aus. Wenn im Übrigen die Folgebescheide bereits mit Rechtskraft des Urteils vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 hätten aufgehoben werden müssen, müsse auch der Zinslauf mit dem dann anzunehmenden Aufhebungsdatum enden. Die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Zinslauf für die Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO erst vom Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3224/16 an, am 26.10.2016, begonnen hat. Die maßgebende Rechtshängigkeit ist diejenige des zu 3 K 3210/09 verbundenen Verfahrens 3 K 3221/09, das ab dem 26.11.2009 rechtshängig geworden ist. Der erkennende Senat kann jedoch nicht abschließend in der Sache selbst entscheiden, weil das FG ‑‑von seinem rechtlichen Standpunkt aus zu Recht‑‑ keine Feststellungen über den Tag der jeweiligen Zahlungen der Grundsteuer getroffen hat. Sollten die Steuerbeträge erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit am 26.11.2009 entrichtet worden sein, wäre der Beginn des Zinslaufs nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 Satz 2 AO der Tag der jeweiligen Zahlung und nicht der Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 K 3221/09.

  2. 1. Nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO sind Prozesszinsen zu zahlen, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Die Vorschrift verweist auf die Regelung des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO, nach welcher der zu erstattende Betrag vorbehaltlich des § 236 Abs. 3 AO vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen ist. Ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, so beginnt gemäß § 236 Abs. 1 Satz 2 AO die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung. Der Zinslauf endet mit der tatsächlichen Erstattung der Steuer.

  3. 2. Die Verweisung des § 236 Abs. 2 AO auf § 236 Abs. 1 AO bezieht sich sowohl auf die Rechtsfolgen als auch auf den Rechtsgrund der Verzinsung, soweit die Tatbestände des § 236 Abs. 2 AO hierzu keine eigenen Regeln enthalten (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29.08.2012 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 16 f.). § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO modifiziert das in § 236 Abs. 1 AO enthaltene Tatbestandsmerkmal "eine festgesetzte Steuer herabgesetzt" in der Weise, dass die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung sich auf einen Grundlagenbescheid im Sinne von § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bezieht, der seinerseits zu einer Herabsetzung der Steuer in einem Folgebescheid im Sinne von § 182 Abs. 1 Satz 1 AO führt. Die Vorschrift bewirkt eine Zinspflicht so, als wäre die Steuerfestsetzung im Folgebescheid Verfahrensgegenstand gewesen (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 236 AO Rz 16). § 236 AO gewährt dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Zeit ab dem Tag der Rechtshängigkeit eine Entschädigung für entgangene Kapitalnutzungsmöglichkeiten (BFH-Urteil vom 16.05.2013 - II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 15, m.w.N.).

  4. 3. Zinsgläubiger ist jeder am Rechtsstreit Beteiligte, mithin auch der Beigeladene (Heuermann in HHSp, § 236 AO Rz 33), bei Folgeänderungen darüber hinaus derjenige, der die Steuer gezahlt hat und zu dessen Gunsten die Folgeänderung vorgenommen wurde (BFH-Urteil vom 17.01.2007 - X R 19/06, BFHE 216, 396, BStBl II 2007, 506; Kögel in Gosch, AO § 236 Rz 40).

  5. 4. Die Regelung des § 236 AO zu den Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge ist eng auszulegen.

  6. a) Gemäß § 233 Satz 1 AO werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) nur verzinst, soweit dies durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union vorgeschrieben ist. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind (BFH-Urteile vom 29.08.2011 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 8, m.w.N. und vom 16.05.2013 - II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 14). Eine Analogie oder lückenausfüllende Rechtsfortbildung der Zinsvorschriften wäre zwar unter Beobachtung strenger Anforderungen grundsätzlich denkbar (BFH-Urteile vom 16.12.1987 - I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, unter II.4. und vom 29.08.2011 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 24). Im Anwendungsbereich des § 236 AO ist jedoch wegen der engen Umschreibung des Verzinsungstatbestandes eine erweiternde Auslegung ausgeschlossen und die Verzinsung nur nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände möglich (BFH-Urteil vom 29.04.1997 - VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476, unter II.2.b).

  7. b) Die Anwendung des § 236 AO setzt in allen Alternativen, somit auch in Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, voraus, dass der angestrengte Rechtsstreit und die gerichtliche Entscheidung für den zu verzinsenden Erstattungsanspruch ursächlich gewesen sind. Findet die Herabsetzung der Steuer unabhängig von dem betreffenden Klageverfahren statt, fehlt es an der Kausalität (BFH-Urteile vom 15.10.2003 - X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169, unter B.II.2.a, c und vom 29.08.2011 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 12, 17).

  8. aa) Zwar ist der Kausalitätsbegriff des § 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO technischer Natur. Eine Steuer wird im Sinne dieser Vorschrift "durch" eine gerichtliche Entscheidung herabgesetzt, wenn das Gericht die Steuer selbst nach § 100 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO niedriger festsetzt (BFH-Urteile vom 29.08.2011 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 13 und vom 29.04.2020 - XI R 14/18, Rz 14) oder auch selbst den Steuerbescheid nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO gänzlich aufhebt (dazu BFH-Urteil vom 16.05.2013 - II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 17). Auf den Grund der Herabsetzung kommt es nicht an (BFH-Urteile vom 10.11.1983 - V R 13/79, BFHE 139, 240, BStBl II 1984, 185 und vom 16.05.2013 - II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 16). Es müssen diejenigen Steuern rechtshängig gewesen sein, um deren Erstattung es geht (s. z.B. BFH-Urteil vom 30.11.1995 - V R 39/94, BFHE 179, 236, BStBl II 1996, 260, unter II.1.; BFH-Beschluss vom 23.10.2019 - VII B 40/19, Rz 20 f., 24), und die Herabsetzung der Steuer muss auch Inhalt der Entscheidung sein. Allein eine mittelbare Folge genügt nicht. Andernfalls wäre § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO überflüssig (BFH-Urteile vom 16.12.1987 - I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, unter II.2. und vom 29.08.2011 - II R 49/11, BFHE 238, 499, BStBl II 2013, 104, Rz 19 f.).

  9. bb) Bereits die Tatbestandsalternative § 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AO enthält jedoch begriffsnotwendig einen wertend auszufüllenden weiteren Kausalitätsbegriff. Danach entsteht ein Zinsanspruch auch dann, wenn eine Steuer "auf Grund" einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt wird. Dies setzt einen über den unmittelbaren Kausalitätsbegriff des § 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO hinausgehenden Anwendungsbereich voraus. Andernfalls liefe die Alternative leer. Bei wertender Betrachtung kann eine Entscheidung deshalb auch bei mittelbarem Verursachungszusammenhang zu einer Steuererstattung führen (ausdrücklich BFH-Urteil vom 09.10.1985 - I R 193/82). Kausalität liegt vor, wenn der Prozess bestimmungsgemäß zu einer Erstattung führt und deshalb in Wirklichkeit über eine Herabsetzung der festgesetzten Steuer entschieden wird (Heuermann in HHSp, § 236 AO Rz 21). Unerheblich ist, ob die jeweilige Gesetzgebungstechnik für die Umsetzung der Entscheidung einen weiteren Verwaltungsakt oder anderes Verwaltungshandeln fordert (so etwa im Rahmen des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens, vgl. BFH-Urteil vom 05.04.2006 - I R 80/04; bei Abrechnung von Kapitalertragsteuer, vgl. BFH-Urteil vom 29.04.2020 - XI R 14/18, Rz 19 f. und nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von § 134 FGO, vgl. Heuermann in HHSp, § 236 AO Rz 20).

  10. cc) Ebenso ist der Kausalitätsbegriff in § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO wertender Natur. Die Vorschrift hat schon dem Grunde nach lediglich mittelbare Verursachungszusammenhänge zum Gegenstand, denn die gerichtliche Entscheidung im Grundlagenbescheidsverfahren führt erst über die Folgeanpassung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und damit über eine Zwischenstufe zu einer Herabsetzung der festgesetzten Steuer.

  11. dd) Ist das Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheiden dreistufig ausgebildet (zum Verhältnis Einheitswertbescheid - Grundsteuermessbescheid und Grundsteuerbescheid BFH-Urteil vom 25.11.2020 - II R 3/18, BFHE 272, 1, Rz 18), kann eine gerichtliche Entscheidung der ersten Stufe (Wertfeststellung) ausreichen, damit ein Zinsanspruch nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO betreffend die in der dritten Stufe festgesetzte Steuer (Grundsteuerfestsetzung) entstehen kann. Die Zwischenschaltung der zweiten Stufe (Grundsteuermessbetrag) ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik und unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.

  12. 5. Danach besteht bereits seit dem Tag der Rechtshängigkeit der ersten gerichtlichen Entscheidung über die Aufhebung eines rechtswidrigen Grundlagenbescheids ein Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 AO, wenn das FA die gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO angeordnete Herabsetzung der im Folgebescheid festgesetzten Steuer nicht vornimmt, stattdessen einen zweiten rechtswidrigen Grundlagenbescheid erlässt und erst nach einer weiteren gerichtlichen Entscheidung über diesen zweiten Grundlagenbescheid die zur Herabsetzung der Steuer führende Folgeanpassung vornimmt. Auf die Frage, ob das FA auf der Grundlage von § 155 Abs. 2 AO nach der gerichtlichen Aufhebung eines Grundlagenbescheids einen Folgebescheid mit Rücksicht auf einen zu erwartenden neuerlichen Erlass eines Grundlagenbescheides stehenlassen darf, kommt es nicht an, wenn eine weitere gerichtliche Entscheidung den zweiten Grundlagenbescheid auf denjenigen Inhalt zurücksetzt, der zu einer der ersten gerichtlichen Entscheidung entsprechenden Aufhebung des Folgebescheids führt. In einem solchen Fall setzt der zweite Grundlagenbescheid keine neue Kausalkette in Gang, sondern stellt einen vergeblichen und erst durch eine weitere Entscheidung des Gerichts unterbundenen Versuch des Finanzamts dar, die durch die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den ersten Grundlagenbescheid in Gang gesetzte Kausalkette zu unterbrechen und sich so der Zinspflicht zu entledigen.

  13. 6. Nach diesen Grundsätzen ist das FG im vorliegenden Fall zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Zinslauf der Prozesszinsen erst ab dem Tag der Rechtshängigkeit des gegen die Grundlagenbescheide über den Einheitswert vom 22.10.2015 geführten Prozesses 3 K 3224/16 am 26.10.2016 begonnen hat. Der Zinslauf begann grundsätzlich bereits am 26.11.2009, dem Tag der Rechtshängigkeit der rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Entscheidung des FG 3 K 3210/09, deren Gegenstand die Bescheide über die Zurechnungsfortschreibungen vom 30.05.2008 waren. Daher ist das FG-Urteil aufzuheben. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, da das FG keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die zu erstattenden Beträge erst nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit am 26.11.2009 entrichtet worden sind.

  14. a) Das FA hat nach dem Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 die Folgebescheide nicht aufgehoben, sondern neue, erneut rechtswidrige Grundlagenbescheide erlassen. Das FG hat mit seinem Urteil vom 14.02.2018 - 3 K 3224/16 diese so geändert, dass die Folgeanpassung eine Steuererstattung in demjenigen Umfang bewirkt hat, wie sie der unterbliebenen Folgeänderung nach dem ersten Urteil 3 K 3210/09 entspricht. Damit ist maßgeblicher Rechtshängigkeitszeitpunkt derjenige des Verfahrens 3 K 3210/09, der nach Rücknahme der ersten Klage auf die Erhebung der zweiten Klage, den 26.11.2009, datiert. Aufgrund der Beiladung der Klägerin zu diesem Verfahren ist dieser Zeitpunkt auch für die Klägerin als Zinsgläubigerin maßgebend (siehe II.3.). Der Einwand des FA, dass nach dem Urteil vom 22.10.2014 - 3 K 3210/09 ungeachtet des § 155 Abs. 2 AO keine Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bestanden habe, weil es nur die Zurechnungsfortschreibungen, nicht aber den Einheitswert betroffen habe, ist unzutreffend, weil die Inanspruchnahme zur Grundsteuer die wirksame Zurechnung des Grundstücks voraussetzt (siehe II.4.b dd).

  15. b) Da das FG jedoch keine Feststellungen dazu getroffen hat, wann die zu erstattenden Grundsteuern gezahlt wurden, kann der Senat keine abschließende Entscheidung darüber treffen, ob der Zinslauf statt mit dem Tag der Rechtshängigkeit nach § 236 Abs. 1 Satz 2 AO erst mit dem Tag der Zahlung beginnt.

  16. c) Der Zinslauf endet mit der tatsächlichen Erstattung der Steuer. Entgegen der Auffassung des FA ist nicht an den Zeitpunkt anzuknüpfen, an dem das FA hypothetisch die Steuern erstattet hätte, wenn es nach der Entscheidung im ersten Prozess 3 K 3210/09 die Folgeänderungen vorgenommen hätte. Dies widerspräche auch dem Ziel des § 236 AO, die Klägerin für entgangene Kapitalnutzungsmöglichkeiten zu entschädigen. Bis zur tatsächlichen Erstattung stand der Klägerin die entsprechende Liquidität nicht zur Verfügung.

  17. d) Auf den geltend gemachten Verfahrensfehler kommt es aufgrund der Aufhebung des FG-Urteils nicht mehr an.

  18. 7. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

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