ECLI:DE:BFH:2023:U.060723.VR5.21.0
BFH V. Senat
UStG § 2 Abs 2 Nr 2, UStG § 27 Abs 19, AO § 176 Abs 2, EGRL 112/2006 Art 252 Abs 2, EGRL 112/2006 Art 261 Abs 1, UStG § 18 Abs 1, UStG § 18 Abs 3, UStG VZ 2012
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 03. February 2021, Az: 2 K 763/20
Leitsätze
1. Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen.
2. Es besteht keine Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 UStG, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 03.02.2021 - 2 K 763/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Jahr 2012 (Streitjahr) Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte gegenüber einer AG, einer Bauträgerin, im Streitjahr Bauleistungen ohne gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer, da die Vertragspartner von der Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin gemäß § 13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgingen. Die Klägerin erfasste die an die Bauträgerin erbrachten Leistungen daher nicht in ihren monatlich abgegebenen Voranmeldungen, die gemäß § 168 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) zu Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung führten.
Über das Vermögen der GmbH eröffnete das zuständige Amtsgericht mit Beschluss vom XX.01.2013 das Insolvenzverfahren. Die Klägerin reichte am 09.04.2014 eine gemäß § 168 Satz 1 AO nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ein. Am 14.07.2014 reichte sie eine aus hier nicht streitigen Gründen berichtigte ‑‑und gemäß § 168 Satz 2 AO zustimmungsbedürftige‑‑ Umsatzsteuerjahreserklärung ein, der das FA am 07.10.2014 zustimmte. In beiden Umsatzsteuerjahreserklärungen ging die Klägerin wieder-um von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin für die an diese erbrachten Leistungen aus.
Die Bauträgerin beantragte aufgrund des Senatsurteils vom 22.08.2013 - V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128) im Jahr 2015 die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer. Daher setzte das FA mit Bescheid vom 14.09.2016 gemäß § 164 Abs. 2 AO gegenüber der Klägerin als Organträgerin die Umsatzsteuer für das Streitjahr um 49.487,02 € höher fest. Mit Bescheid vom 14.10.2016 änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung nochmals wegen hier nicht streitiger Gründe.
Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Am 15.02.2019 bot die Klägerin dem FA an, einen ihr gegenüber der GmbH aufgrund der seinerzeitigen Organschaft zustehenden Anspruch auf Ausgleich der Umsatzsteuer abzutreten, und meldete diese Forderung zur Insolvenztabelle an. Das FA nahm die Abtretung nicht an. Die Insolvenzverwalterin der GmbH übersandte der Bauträgerin keine geänderten Rechnungen und machte gegenüber dieser auch keine Nachforderung geltend.
Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1235 veröffentlichten Urteil fehlte es für den Änderungsbescheid vom 14.09.2016 an einer Korrekturgrundlage. Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO scheitere an § 176 AO. Zwar sei beim Eingang der nach § 168 Satz 1 AO als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltenden Umsatzsteuerjahreserklärung das Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 bereits veröffentlicht gewesen. Es sei aber das "Steuerjahr 2012" zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Die Klägerin habe bei Abgabe der Steuererklärung die bisherige Beurteilung zugrunde gelegt. Vertrauensschutz greife ein, wenn die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Beurteilung von sich aus angewendet hätte. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) habe in seinem Schreiben vom 05.02.2014 (BStBl I 2014, 823) die geänderte Rechtsprechung für alle Umsätze ab dem 14.02.2014 für anwendbar erklärt. Auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG lägen nicht vor. Abtretbarer Anspruch sei im Fall einer Organschaft nur der dem Organträger gegenüber der Organgesellschaft zustehende Erstattungsanspruch. Dessen Abtretung habe das FA nicht angenommen.
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner auf das Streitjahr beschränkten Revision. Änderungsschutz komme nur nach § 176 Abs. 2 AO in Betracht. Dieser scheide aber aus, da das Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 vor der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung des Streitjahres veröffentlicht worden sei. Es sei unerheblich, dass die Klägerin Umsatzsteuervor-anmeldungen für Januar bis Dezember 2012 eingereicht habe und diese Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung darstellten. Die Voraussetzungen für die Anwendung einer finanzbehördlichen Übergangsregelung lägen nicht vor.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG in Bezug auf das Streitjahr aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Ihr stehe Vertrauensschutz zu.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das FA zu einer Änderung zu Lasten der Klägerin nicht berechtigt war. Zum einen verhindert § 176 Abs. 2 AO eine Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids nach § 164 Abs. 2 AO. Zum anderen liegen die Voraussetzungen von § 27 Abs. 19 UStG nicht vor.
1. Der Änderung nach § 164 Abs. 2 AO steht § 176 Abs. 2 AO entgegen. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
a) Die von § 176 Abs. 2 AO vorausgesetzte Änderung eines Steuerbescheids ist gegeben. Vertrauensschutz gemäß § 176 AO besteht auch bei formell bestandskräftigen Bescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28.09.1987 - VIII R 154/86, BFHE 151, 107, BStBl II 1988, 40, unter 1.; vom 10.11.1988 - IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198, unter 3.a und vom 30.10.1997 - IV R 76/96, BFH/NV 1998, 578, unter 2.a), und demgemäß für Steueranmeldungen, die nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17.12.2015 - V R 45/14, BFHE 252, 511, BStBl II 2017, 658, Rz 20).
Im Streitfall änderte der ursprünglich angefochtene Änderungsbescheid vom 14.09.2016 die mit Zustimmung des FA nach § 168 Satz 2 AO als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkende berichtigte Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 14.07.2014, die zu einer Änderung der nach § 168 Satz 1 AO ebenfalls als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 09.04.2014 geführt hatte.
b) Die nach § 176 Abs. 2 AO erforderliche Bezeichnung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend ergibt sich vorliegend aus dem Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Diese Verwaltungsvorschrift (Abschn. 182a Abs. 11 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2005 und später Abschn. 13.b.3 Abs. 8 Satz 4 ff. des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses i.d.F. vor der Änderung durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014, BStBl I 2014, 233) lag den zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung führenden Umsatzsteuerjahreserklärungen der Klägerin zugrunde. Die Klägerin ging dabei entsprechend dieser Verwaltungsauffassung für die Erbringung von Bauleistungen an einen Bauträger unter den dort bezeichneten Voraussetzungen von dessen Steuerschuldnerschaft als Leistungsempfänger aus.
c) Entgegen der Auffassung des FA steht der Anwendung von § 176 Abs. 2 AO nicht entgegen, dass der BFH mit seinem Urteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 die Verwaltungsauffassung bereits vor der ersten Umsatzsteuerjahresfestsetzung vom 09.04.2014 als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet hat.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weist das FA darauf hin, dass die in § 176 Abs. 2 AO genannte Bezeichnung nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids, aber vor dem Erlass des Änderungsbescheids erfolgt sein muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20.12.2000 - I R 50/95, BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 409, unter II.5.b; ebenso für § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO z.B. BFH-Urteile in BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 409, unter II.5.a bb und vom 11.04.2002 - V R 26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317, unter II.2.). § 176 AO ist daher zum Beispiel beim Erlass eines Erstbescheids nicht anwendbar, der dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch eine Jahressteuererklärung eingereicht hat, die gemäß § 168 AO als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gelten, sondern die Finanzbehörde von sich aus erstmals einen Steuerbescheid erlassen hat (BFH-Urteil vom 24.01.2013 - V R 34/11, BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460, Rz 30).
bb) Liegen allerdings bereits vor dem Umsatzsteuerjahresbescheid Voranmeldungsfestsetzungen vor, können diese für die Prüfung, ob einer Änderung einer Steuerfestsetzung der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO entgegensteht, nicht außer Betracht bleiben.
(1) § 176 AO schützt nicht das Vertrauen in die Gesetzgebung oder in die höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung (BFH-Urteile in BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317, unter II.2. und vom 14.02.2007 - XI R 30/05, BFHE 216, 559, BStBl II 2007, 524, unter II.3.b aa). Die Vorschrift beruht auf einem einheitlichen Vertrauenstatbestand, durch den der Steuerpflichtige davor geschützt werden soll, dass sich ein Rechtsakt, der Eingang in einen Steuerbescheid gefunden hat, später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist (BFH-Urteil vom 11.10.1988 - VIII R 419/83, BFHE 155, 298, BStBl II 1989, 284, unter 3.b).
(2) § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 UStG ordnen an, dass der Unternehmer für die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstandene Steuer eine Voranmeldung und eine Steuererklärung (Steueranmeldung) zu übermitteln hat, die unter den Voraussetzungen des § 168 AO zu einer Umsatzsteuervoranmeldungs- und einer Umsatzsteuerjahresfestsetzung führen. Dabei ist zu beachten, dass die Steuer für den Voranmeldungszeitraum in der Steuer für den Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) aufgeht, dass die materiell zutreffende Jahressteuer der Summe der materiell zutreffenden Steuern der Voranmeldungszeiträume entspricht und dass die ‑‑nicht mehr auf bloße "Vorauszahlungen" bezogene‑‑ Jahressteuerfestsetzung die Voranmeldungszeiträume mit der Folge ablöst, dass die Voranmeldungsfestsetzung durch die Umsatzsteuerjahresfestsetzung im Sinne von § 124 Abs. 2 AO "auf andere Weise erledigt" wird (BFH-Urteil vom 29.11.1984 - V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer wird für die Zukunft ausschließlich aus dem Jahressteuerbescheid festgestellt (BFH-Urteil vom 21.02.1991 - V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465).
Damit weist der für einen Besteuerungszeitraum ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid grundsätzlich denselben Regelungsinhalt auf wie die Gesamtheit der für die Voranmeldungszeiträume dieses Besteuerungszeitraums vorliegenden Voranmeldungsfestsetzungen. Denn die Jahressteuerfestsetzung nimmt die Vorauszahlungsbescheide in ihren Regelungsgehalt (BFH-Urteil vom 19.05.2005 - V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.1.a) und damit materiell-rechtlich den Inhalt der Steuerfestsetzungen für die Voranmeldungszeiträume in sich auf (BFH-Urteil vom 07.07.2011 - V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76, Rz 27).
(3) Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in dieser Weise in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen. Denn bereits aus dieser ergibt sich gemäß § 168 AO eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für eine bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steuer, die das für § 176 Abs. 2 AO entscheidende Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung erzeugt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 252, 511, BStBl II 2017, 658, Rz 20).
Dem steht die "Vorläufigkeit" der Voranmeldungsfestsetzung nicht entgegen. Zwar ist die Voranmeldungsfestsetzung keiner materiellen Bestandskraft in dem Sinne fähig, dass sie ‑‑mit gegenüber dem Umsatzsteuerjahresbescheid durchsetzbarer Verbindlichkeit‑‑ über das Bestehen einer Umsatzsteuerschuld entscheidet (BFH-Urteil in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76, Rz 27). Dies ist aber bezogen auf die hier maßgebliche Anwendung von § 176 AO unerheblich, da sogar vorläufige Steuerfestsetzungen gemäß § 165 AO den Änderungsschutz nach dieser Vorschrift genießen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.11.1987 - GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II.2.c).
Im Übrigen steht die Berücksichtigung der Voranmeldungsfestsetzungen für die Prüfung, ob der Anwendungsbereich des § 176 Abs. 2 AO eröffnet ist, im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung, nach der einzelne Rechtswirkungen der Voranmeldungsfestsetzung trotz ihrer Erledigung durch den Umsatzsteuerjahresbescheid (BFH-Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) erhalten bleiben. So werden auf der Voranmeldungsfestsetzung beruhende Vollstreckungsmaßnahmen, festgesetzte Verspätungszuschläge, die Auszahlung eines an einen Dritten abgetretenen Vorsteuerüberschusses oder die Fälligkeit von Vorauszahlungen und eine dadurch entstandene Aufrechnungslage durch den späteren Erlass eines Umsatzsteuerjahresbescheids nicht berührt (BFH-Urteil vom 15.06.1999 - VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46, unter 2.b bb ccc, m.w.N. zur diesbezüglichen BFH-Rechtsprechung). Eine derartige Rechtswirkung ist auch vorliegend zu bejahen.
(4) Bestätigt wird dies durch das Unionsrecht.
(a) Grundlage für die Pflicht, Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG abzugeben, ist die in Art. 250 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) genannte Mehrwertsteuererklärung, die gemäß Art. 252 Abs. 2 MwStSystRL für einen von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Steuerzeitraum von einem, zwei oder drei Monaten abzugeben ist. Dagegen beruht die Steueranmeldung des § 18 Abs. 3 UStG auf Art. 261 Abs. 1 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten von dem Steuerpflichtigen verlangen, dass er eine Erklärung über sämtliche Umsätze des vorangegangenen Jahres abgibt.
(b) Die Abgabe einer Jahressteuererklärung ist somit unionsrechtlich nicht zwingend vorgesehen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat gleichwohl für eine derartige Zusatzerklärungspflicht, darf dies aus Sicht des Senats nicht zu einer Einschränkung eines ansonsten zu gewährenden Vertrauensschutzes führen, der unionsrechtlich insbesondere dann eingreift, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde wie vorliegend aufgrund einer allgemein angewendeten Verwaltungsvorschrift berechtigte Erwartungen begründet hat (BFH-Urteil vom 23.02.2017 - V R 16, 24/16, BFHE 257, 177, BStBl II 2017, 760, Rz 34 unter Bezugnahme auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union Europäisch-Iranische Handelsbank vom 05.03.2015 - C-585/13 P, EU:C:2015:145, Rz 95 und Tomoiaga vom 09.07.2015 - C-144/14, EU:C:2015:452, Rz 44).
Der Streitfall verdeutlicht dies. Ohne Ausübung der durch Art. 261 MwStSystRL eingeräumten Möglichkeit, den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Steueranmeldung nach § 18 Abs. 3 UStG zu verpflichten, hätte das FA die einzelnen Voranmeldungsfestsetzungen ändern müssen, was diesem im Hinblick auf das Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 nach Abgabe dieser Voranmeldungen (§ 168 Satz 1 AO) verwehrt gewesen wäre.
(5) Der Senat weicht damit nicht von der bisherigen BFH-Rechtsprechung ab, die sich zu dieser Frage noch nicht geäußert hat. So hatte der Senat im Urteil vom 06.12.2007 - V R 3/06 (BFHE 221, 67, BStBl II 2009, 203, unter II.3.b) nur zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der Umsatzsteuerjahresbescheid als Erstbescheid vorlag, ohne dass er sich weitergehend zur Bedeutung von Voranmeldungsfestsetzungen zu äußern hatte. Auch für das BFH-Urteil in BFHE 252, 511, BStBl II 2017, 658 war die hier zu entscheidende Frage unerheblich. Weiter hat der BFH in seinem Urteil vom 14.05.2008 - XI R 70/07 (BFHE 221, 517, BStBl II 2008, 912, unter II.4.) lediglich das Vorliegen einer geänderten Rechtsprechung verneint und ist im Urteil vom 28.05.2013 - XI R 11/09 (BFHE 242, 84, BStBl II 2023, 537, Rz 70) davon ausgegangen, dass die fragliche Rechtsprechung erst im Anschluss an den Änderungsbescheid veröffentlicht wurde. Es besteht auch kein Widerspruch zu der Rechtsprechung, in der der Senat den Vertrauensschutz nach § 176 AO bejaht hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.10.2007 - V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438, unter II.3.b und in BFHE 252, 511, BStBl II 2017, 658, Rz 19 ff.).
Auf die Rechtsprechung zu anderen Steuerarten, denen wie zum Beispiel bei der Einkommensteuer (vgl. § 37 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes) ein Besteuerungsverfahren mit Voranmeldungsfestsetzungen über bereits entstandene Steueransprüche fremd ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30.06.1993 - XI R 76/92, BFH/NV 1994, 303, unter II.2.a; vom 12.12.1995 - VIII R 59/92, BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219, unter A.II.2.a aa; vom 23.04.1996 - VIII R 13/95, BFHE 181, 1, BStBl II 1998, 325, unter 2.; in BFHE 194, 185, BStBl II 2001, 409, unter II.5.a bb und b; vom 19.03.2002 - VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662, unter II.B.5.c; vom 28.05.2002 - IX R 86/00, BFHE 199, 1, BStBl II 2002, 840, unter II.1.b; in BFHE 216, 559, BStBl II 2007, 524, unter II.3.b aa; vom 10.06.2008 - VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863, unter II.3.c; vom 14.07.2009 - VIII R 10/07, BFH/NV 2009, 1815, unter II.2.a und vom 27.08.2014 - II R 43/12, BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241, Rz 27) und für die die Regelungen der MwStSystRL ohne Bedeutung sind, kommt es im Übrigen nicht an.
cc) Danach ist der vorliegend angefochtene Bescheid zur Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids unter Verstoß gegen § 176 Abs. 2 AO ergangen. Im Streitfall, in dem die Klägerin anders als in der Fallgestaltung des BFH-Urteils in BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460 für die einzelnen Voranmeldungszeiträume des Streitjahres Voranmeldungen abgegeben hatte, die gemäß § 168 AO Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden, sind diese für die Prüfung, ob der Anwendungsbereich des § 176 Abs. 2 AO bei einer Änderung der Umsatzsteuerjahresfestsetzung eröffnet ist, zu berücksichtigen. Da die Voranmeldungsfestsetzungen ausnahmslos bereits vor der maßgeblichen Veröffentlichung des Senatsurteils in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 auf der Internetseite des BFH (vgl. BFH-Urteil in BFHE 221, 67, BStBl II 2009, 203, unter II.3.b) am 27.11.2013 vorlagen, hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass § 176 AO ‑‑und zwar dessen Abs. 2‑‑ einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO entgegenstand.
Aufgrund der insoweit zu berücksichtigenden Voranmeldungsfestsetzungen ist es im Übrigen unerheblich, dass die Finanzverwaltung aufgrund der Änderungen durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014 (BStBl I 2014, 233) ihre frühere Auffassung aufgegeben und sich der BFH-Rechtsprechung angeschlossen hatte. Schließlich ist nicht zu entscheiden, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid zu einer Änderung von Voranmeldungsfestsetzungen führt (verneinend Senatsbeschluss vom 23.04.2010 - V B 89/09, BFH/NV 2010, 1782) und ob bei Annahme einer derartigen Änderung § 176 AO anzuwenden sein könnte.
2. Das FA war auch nicht zu einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG berechtigt. Diese Vorschrift eröffnet keine Änderungsbefugnis, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
a) Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.
Hierzu hat der BFH bereits entschieden, dass eine Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann geändert werden kann, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht (BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl II 2017, 760, Leitsatz 1). Der Senat hat dies aus einer Auslegung von § 27 Abs. 19 UStG nach Normzweck, Sinnzusammenhang und Wortlaut abgeleitet.
b) Ist bei einer Organschaft die Bauleistungen erbringende Organgesellschaft irrtümlich von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgegangen, ist für die nach dem BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl II 2017, 760 erforderliche Prüfung, ob der zivilrechtliche Anspruch der Organgesellschaft auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger "abtretbar" ist, im Grundsatz auf den Organträger abzustellen, der umsatzsteuerrechtlich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Leistender hinsichtlich der Bauleistungen anzusehen ist. Ohne dass der Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls hierüber abschließend zu entscheiden hat, ist im Fall einer bestehenden Organschaft, bei der das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das den Anspruch auf die Gegenleistung begründet, zum Leistungsempfänger über eine Organgesellschaft vorliegt, im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Organträger im Rahmen der für ihn aufgrund der Eingliederung bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf eine Anspruchsabtretung durch die Organgesellschaft hinwirken kann.
Diese Möglichkeit besteht aber bei einer zwischenzeitlichen Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft nicht. Unabhängig davon, dass es hierdurch zur Beendigung der Organschaft kommt (BFH-Urteil vom 15.12.2016 - V R 14/16, BFHE 256, 562, BStBl II 2017, 600, Leitsatz 2), kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Insolvenzverwalter einen werthaltigen, der Masse zustehenden Anspruch durch Abtretung aufgibt. Daher scheidet hier eine Änderung gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG zu Lasten des Organträgers aus. Das von der Vorschrift verfolgte Regelungsziel, eine Änderung zu Lasten des leistenden Unternehmers deshalb zu ermöglichen, da ihm aufgrund einer Anspruchsabtretung an das FA kein Nachteil erwächst, wobei das FA die Nachforderung durch die Durchsetzung der ihm abgetretenen Forderung tilgen kann, versagt hier. Nicht zu entscheiden hat der Senat vorliegend, ob das FA, hätte es das Angebot auf Abtretung eines "Erstattungsanspruchs" gegen die Organgesellschaft angenommen, änderungsbefugt gewesen wäre.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.