ECLI:DE:BFH:2023:U.150623.VIR27.20.0
BFH VI. Senat
EStG § 8 Abs 1, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, SGB 4 § 28f, SGB 4 § 28g, SvEV § 1 Abs 1 S 1 Nr 14, EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013 , EStG VZ 2014
vorgehend FG Köln, 24. January 2020, Az: 1 K 1041/17
Leitsätze
Die (Nach-)Entrichtung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung aufgrund eines Summenbescheids nach § 28f Abs. 2 SGB IV durch den Arbeitgeber führt nicht zu Arbeitslohn.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 24.01.2020 - 1 K 1041/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) versteuert seit dem Jahr 2007 Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer pauschal nach § 37b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Hierbei handelte es sich im Streitzeitraum (01.01.2012 bis 31.12.2014) im Wesentlichen um Kosten für Veranstaltungen der Klägerin, beispielsweise um die Kosten einer Band bei einem "Get Together" im Rahmen einer Schulungsveranstaltung. Eine Individualisierung/Verteilung/Zuordnung der Kosten auf die einzelnen Teilnehmer fand nicht statt. Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass es sich bei den pauschal versteuerten Sachzuwendungen nicht um sozialversicherungspflichtiges Entgelt der Arbeitnehmer handele, und führte hierauf dementsprechend keine Sozialversicherungsbeiträge ab. Auch in Kenntnis der Ergänzung von § 1 Abs. 1 Satz 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung um Nr. 14 (keine Beitragsfreiheit von nach § 37b EStG pauschal versteuerten Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer) durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b der Ersten Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung vom 18.11.2008 (BGBl I 2008, 2220) zum 01.01.2009, mit der die bis dahin umstrittene Frage durch den Verordnungsgeber entschieden wurde, änderte die Klägerin ihr Vorgehen nicht.
Um eine konzerneinheitliche sozialversicherungsrechtliche Behandlung pauschal versteuerter Sachzuwendungen an Arbeitnehmer herbeizuführen, traf die Konzernmutter der Klägerin mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) eine schriftliche Vereinbarung, nach der die Zuwendungen nicht individuell den betroffenen Lohnkonten zugerechnet werden, sondern die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge über pauschalierte Summenbescheide gemäß § 28f Abs. 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) erfolgt.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) griff unter anderem diesen Sachverhalt im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin für den Streitzeitraum auf. Aus den entsprechenden Summenbescheiden der DRV Bund vom 19.12.2012, 03.06.2013 und 01.07.2014 ermittelte der Prüfer Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von … € für 2009, … € für 2010 und … € für 2011.
Diese Beträge unterwarf das FA der Nachversteuerung gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG und erließ mit Datum vom 22.07.2016 einen insoweit auf § 40 EStG gründenden Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage, mit der die Klägerin die Änderung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids betreffend die Nachversteuerung der pauschal bemessenen Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag begehrte, gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 728 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Lohnsteuernachforderung zu Recht um die Beträge herabgesetzt, die auf den Prüfungsfeststellungen "Übernahme von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch pauschale Beitragsentrichtungen an die Sozialversicherungsträger" beruhen.
1. Die Nachforderung von Lohnsteuer beim Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet wurde und es sich um eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt. Eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 EStG gegeben sind (Senatsurteil vom 06.06.2018 - VI R 32/16, BFHE 261, 516, BStBl II 2018, 764, Rz 13, m.w.N.).
a) Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kann das FA auf Antrag zulassen, dass die Lohnsteuer nach einem unter Berücksichtigung der Vorschriften des § 38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz erhoben wird, wenn in einer größeren Zahl von Fällen der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig, das heißt nicht nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 38a EStG, bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einbehalten hat.
b) Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen. Hierzu zählen neben Gehältern und Löhnen auch andere "Bezüge und Vorteile", die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden.
c) Zum Arbeitslohn können daher auch Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers gehören (z.B. Senatsurteil vom 05.07.2012 - VI R 11/11, BFHE 238, 408, BStBl II 2013, 190, Rz 13). Die Arbeitslohnqualität von Zukunftssicherungsleistungen, bei denen die Leistung des Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer) erfolgt, hängt davon ab, ob sich der Vorgang ‑‑wirtschaftlich betrachtet‑‑ so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Zweck seiner Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung, an die der Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (Senatsurteil vom 24.08.2017 - VI R 58/15, BFHE 259, 321, BStBl II 2018, 72, Rz 16, m.w.N.).
d) Demgemäß sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch die Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung (Gesamtsozialversicherung) als Gegenleistung für die Erbringung der Arbeitsleistung und damit als Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG anzusehen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 13.09.2007 - VI R 54/03, BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58, Rz 9 und vom 11.12.2008 - VI R 9/05, BFHE 224, 70, BStBl II 2009, 385 sowie BFH-Urteil vom 16.01.2007 - IX R 69/04, BFHE 216, 329, BStBl II 2007, 579, m.w.N.).
Zwar hat der Arbeitgeber als alleiniger Schuldner den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen und durch Lohnabzug beim Arbeitnehmer einzubehalten; wirtschaftlich hat aber der Arbeitnehmer die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung zur Hälfte (Arbeitnehmeranteil) aus dem ihm zustehenden Bruttoentgelt zu tragen. Der einbehaltene Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung ist danach ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögensvorteil; daher sind die Arbeitnehmerbeiträge ‑‑bei eigenem Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegen die Versorgungseinrichtung‑‑ als Arbeitslohn mit ihrer Abführung durch den Arbeitgeber gegenwärtig zugeflossen (ausführlich hierzu BFH-Urteil vom 16.01.2007 - IX R 69/04, BFHE 216, 329, BStBl II 2007, 579, Rz 21, m.w.N.).
2. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze ist das FG im Streitfall zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitigen Zahlungen der Klägerin auf die nach § 28f Abs. 2 SGB IV ergangenen Summenbescheide keinen Arbeitslohn darstellen. Denn es handelt sich insoweit nicht um "fremdnützige" Leistungen zugunsten ihrer Arbeitnehmer, sondern um "systemnützige" Zahlungen zum Vorteil der Sozialkassen.
a) Gemäß § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sogenannter Summenbescheid, Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R, BSGE 89,158), wenn ein Arbeitgeber ‑‑wie vorliegend die Klägerin‑‑ die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dies gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann (§ 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV).
b) Zweck der Regelung ist es, Einnahmeverluste der Sozialkassen infolge einer Aufzeichnungspflichtverletzung weitgehend zu vermeiden und zugleich auszuschließen, dass Arbeitgeber mittels einer Aufzeichnungspflichtverletzung Wettbewerbsvorteile erlangen könnten (Werner in: jurisPK-SGB IV, Aufl. 2021, § 28f SGB IV Rz 54). Der nicht personenbezogenen Beitragsrechnung kommt dabei die Wirkung einer "Sonderabgabe" zu Lasten des Arbeitgebers zu (Werner in: jurisPK-SGB IV, Aufl. 2021, § 28f SGB IV Rz 56). Denn ein Summenbescheid führt zwar für die beteiligten Versicherungsträger zu Einnahmen, Leistungsausgaben sind hierfür in der Regel jedoch nicht zu erbringen (Sehnert in Hauck/Noftz, SGB IV, § 28f Rz 9).
c) Wegen der tatbestandlich vorausgesetzten "Unmöglichkeit" einer personenbezogenen Beitragserhebung beim Arbeitnehmer und der damit einhergehenden "Unmöglichkeit", die pauschaliert erhobenen Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung deren individuellen Beitragskonten zuzuordnen, bewirken Zahlungen auf einen Summenbescheid gemäß § 28f Abs. 2 SGB IV folglich ebenso wie der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung dem Grunde nach weder einen individuellen mitgliedschafts- oder beitragsrechtlichen Vorteil der Arbeitnehmer noch einen leistungsrechtlichen oder sonstigen Zuwachs ihres Vermögens.
3. Aus dem Senatsurteil vom 13.09.2007 - VI R 54/03 (BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58) folgt ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ nichts anderes.
a) Danach führt die Nachentrichtung hinterzogener Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung ungeachtet der Verschiebung der Beitragslast auf den Arbeitgeber gemäß § 28g SGB IV auf Seiten der Arbeitnehmer zwar zu einem zusätzlichen geldwerten Vorteil. Diese Folge ist aber dem Umstand geschuldet, dass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall hinsichtlich seines gesetzlichen Sozialversicherungsschutzes nachträglich so gestellt wird, als ob der hälftige Gesamtsozialversicherungsbeitrag bereits durch Abzug von dem ihm zustehenden Bruttoentgelt vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt worden wäre. Denn dem Arbeitnehmer steht dadurch ‑‑nicht anders als nach einem ordnungsgemäßen (ebenfalls personenbezogenen) Beitragsabzug‑‑ auch insoweit ein eigener Rechtsanspruch auf Leistung gegen den jeweiligen Sozialversicherungsträger zu (Senatsurteil vom 13.09.2007 - VI R 54/03, BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58, Rz 10).
b) Eine vorteilsbegründende Zuordnung der Zahlungen des Arbeitgebers zu einem Beitragskonto bewirkt die (Nach-)Entrichtung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung aufgrund eines Summenbescheids nach § 28f Abs. 2 SGB IV jedoch gerade nicht. Denn bei einer Zahlung des Arbeitgebers aufgrund eines Summenbescheids werden die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung ‑‑anders als bei dem personenbezogenen Beitragsabzug gemäß § 28g SGB IV‑‑ nicht nach dem zu verbeitragenden Arbeitsentgelt individualisiert, sondern wegen der dahingehenden "Unmöglichkeit" anhand der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte pauschaliert erhoben. Pauschalierte Zahlungen des Arbeitgebers aufgrund eines Summenbescheids kommen aber ‑‑wie dargelegt und anders als die individualisierte Beitragserhebung nach § 28g SGB IV‑‑ nicht dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern nur den Sozialversicherungsträgern zugute, ohne dass diesen Zahlungen dem Grunde nach (zukünftige) Leistungsansprüche der Versicherungsnehmer gegenüberstehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.