ECLI:DE:BFH:2023:U.050423.VR14.22.0
BFH V. Senat
AO § 52, AO § 53, AO § 64, AO § 65, AO § 66, UStG § 12 Abs 2 Nr 8 Buchst a S 3, EGRL 112/2006 Art 98 Abs 1, EGRL 112/2006 Art 98 Abs 2, EGRL 112/2006 Anh 3 Nr 15, EURL 2022/542 Art 1 Nr 23, EURL 2022/542 Anh 1 Nr 8, UStG § 27 Abs 1 S 1, UStG VZ 2014 , UStG VZ 2015 , UStG VZ 2016
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 28. June 2022, Az: 4 K 96/19
Leitsätze
1. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG setzt bei Leistungen im Rahmen eines Zweckbetriebs voraus, dass auch die Voraussetzungen des Satzes 3 dieser Vorschrift vorliegen.
2. Der Änderung des Anhangs III Nr. 15 der MwStSystRL durch die Richtlinie (EU) 2022/542 vom 05.04.2022 (ABlEU Nr. L 107, Seite 1) kommt ‑‑als unionsrechtliche Grundlage des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG‑‑ keine Rückwirkung auf Umsätze vor ihrem Inkrafttreten zu.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28.06.2022 - 4 K 96/19 aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) in 2014 bis 2016 (Streitjahre) durchgeführten Blut- und Gewebetransporte.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Nach Ziffer 2.1. seiner Satzung bestand der Zweck des Klägers darin,
"a) verletzten, kranken und behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine Transportmöglichkeit mit vereinseigenen Fahrzeugen zu schaffen,
b) Pflege und Betreuung von kranken, behinderten und alten Menschen zu übernehmen,
c) bei Not- und Katastrophenfällen durch Einsatz von Mitarbeitern und Gerät Hilfe zu leisten,
d) Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für jedermann auf dem Gebiet des Sanitätswesens (z.B. Erste Hilfe, lebensrettende Sofortmaßnahmen für Führerscheinbewerber, Herz-Lungen-Wiederbelebung) und der Pflege durchzuführen,
e) die Aus- und Fortbildung von Rettungsdienst-, Sanitäts- und Pflegepersonal durchzuführen,
f) durch Veröffentlichungen und öffentliche Veranstaltungen das Bewusstsein in der Bevölkerung für Fragen des Sozial- und Gesundheitswesens, insbesondere bezüglich der Betreuung und Pflege behinderter, kranker und pflegebedürftiger Menschen jeden Alters, im Rettungswesen, im Bereich der Jugendpflege und sozialen Hilfe zu fördern,
g) behinderte und pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in Fragen der Betreuung und Pflege zu beraten."
In den Streitjahren transportierte der Kläger unter anderem Blut- und Gewebeproben von Arztpraxen oder Krankenhäusern zu Laboren. Die hierfür verwendeten Fahrzeuge waren dabei teilweise mit blauem Rundumlicht und Martinshorn ausgerüstet. Vertragsbeziehungen bestanden lediglich zwischen dem Kläger sowie den Krankenhäusern, Ärzten und Laboren, nicht aber zu den Patientinnen und Patienten, deren Proben transportiert wurden.
In seinen zu Vorbehaltsfestsetzungen (§ 164 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) führenden Umsatzsteuererklärungen der Streitjahre gab der Kläger unter anderem Umsätze zum ermäßigen Steuersatz aus Blut- und Gewebetransporten an.
Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden der Streitjahre vom 08.07.2019 davon aus, dass die Umsätze aus den Blut- und Gewebetransporten nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem ermäßigten, sondern dem Regelsteuersatz unterliegen. Die Transportleistungen kämen nicht unmittelbar dem begünstigten Personenkreis (Verletzte, Kranke und Behinderte) zugute, sondern seien gegenüber Dritten (Krankenhäuser, Labore, Ärzte) erbracht worden. Der Kläger habe somit nicht "unmittelbar" satzungsmäßige Zwecke erfüllt. Auch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG in Verbindung mit § 23 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung komme insoweit nicht in Betracht, da Empfänger der Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG nicht der in der Satzung ausdrücklich bezeichnete hilfsbedürftige Personenkreis gewesen sei, sondern die Krankenhäuser, Ärzte und Labore.
Den Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 04.09.2019). Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1504 veröffentlichten Urteil statt. Die streitgegenständlichen Leistungen (Blut- und Gewebetransporte) erfüllten die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs nach § 66 AO (Wohlfahrtspflege). Die (teilweise im Rahmen einer Notbehandlung unter Einsatz von Blaulicht durchgeführten) Transporte hätten nahezu ausschließlich dazu gedient, kranken und damit hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Der Annahme eines Zweckbetriebs stehe nicht entgegen, dass die Transportleistungen den kranken Menschen nicht im Rahmen eines direkten Vertragsverhältnisses unmittelbar zugutegekommen seien, sondern sich lediglich als Subunternehmerleistungen auf mittelbarem Wege bei den Patienten niedergeschlagen hätten. Über die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27.11.2013 - I R 17/12 (BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68) hinausgehend genüge für ein "zugute kommen" im Sinne des § 66 Abs. 3 AO bereits ein "mittelbares Wirkungsverhältnis" der Leistung zum Hilfsbedürftigen. Dies sei vorliegend zu bejahen, da die Transportleistungen als notwendiger Bestandteil der erforderlichen Gesamtbehandlung bei den Hilfsbedürftigen ihren Niederschlag gefunden hätten. Unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BFH zum Merkmal der "engen Verbundenheit mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit" (Urteil vom 24.02.2021 - XI R 32/20 (XI R 42/19), BFHE 272, 270) liege damit ein Betrieb der Wohlfahrtspflege im Sinne des § 66 AO vor.
Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG). Die Annahme eines Zweckbetriebs "Blut- und Gewebeservice" widerspreche dem BFH-Urteil in BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68. Danach erfordere eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege, dass die Hilfeleistungen in tatsächlicher Hinsicht selbst und unmittelbar gegenüber den Hilfsbedürftigen erbracht werden. Die streitgegenständliche Leistung müsse zumindest faktisch unmittelbar gegenüber dem Hilfsbedürftigen ("direkt am Patienten") erbracht werden. Daran fehle es nach dem BFH-Urteil vom 06.02.2013 - I R 59/11 (BFHE 241, 101, BStBl II 2013, 603), wenn eine Laborleistung als reine Vorbereitungsleistung gegenüber einem Krankenhaus erbracht werde. Wenn bereits die Laborleistung das Erfordernis der unmittelbaren Hilfeleistung nicht erfülle, könne der Transport eben dieser Blut- und Gewebeproben erst recht keine Unmittelbarkeit begründen. Die Transportleistungen stellten keine unmittelbaren Behandlungs- oder Betreuungsleistungen dar, sondern allenfalls Vorbereitungsleistungen für die weitere Behandlung durch Ärzte oder anderes medizinisches Personal. Die Steuersatzbegünstigung scheitere zudem an den einschränkenden Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG. Satzungsmäßiger Zweck des Klägers sei es, "verletzten, kranken und behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine Transportleistung mit vereinseigenen Fahrzeugen zu schaffen". Damit sei offensichtlich eine Transportleistung unmittelbar für ebenjene verletzte, kranke und behinderte Menschen gemeint. Der Transport von Blut- und Gewebeproben zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Laboren sei dagegen weder als Zweck noch als Maßnahme zur Zweckverwirklichung in der Satzung aufgeführt und könne auch nicht mit dem Transport von Menschen gleichgesetzt werden. Der Kläger handele in diesem Bereich somit nicht satzungsgemäß. Im Übrigen sei auch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG nicht erfüllt. Abgesehen davon, dass die Blut- und Gewebetransporte im Hinblick auf die Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO keinen allgemeinen Zweckbetrieb begründeten, würden entsprechende Transportfahrten regelmäßig auch von nicht steuerbegünstigten Unternehmen durchgeführt, so dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung komme.
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 28.06.2022 - 4 K 96/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Der Kläger schließt sich den Ausführungen des FG "vollumfänglich" an. Entgegen der Ansicht des FA verwirkliche er durch die Beförderung von Blut- und Gewebeproben seine satzungsmäßigen Zwecke im Sinne von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG "selbst". Die Satzung benenne in Ziffer 2.1.a die Schaffung von "Transportmöglichkeiten mit vereinseigenen Fahrzeugen" als Mittel, um das Wohlfahrtswesen zu fördern. Aus der Satzungsbestimmung gehe nicht hervor, dass ausschließlich Menschen befördert werden sollten. Der Wortlaut enthalte gerade keine Begriffe, die einen Bezug zum vorangehenden Satzobjekt herstellten (wie etwa: "...und 'für diese' eine Transportmöglichkeit...zu schaffen"). Vielmehr seien die Begleitung und Beförderung zu Versorgungseinrichtungen ("dazu gehören auch") nur beispielhaft genannt. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass sich die "Transportmöglichkeit mit vereinseigenen Fahrzeugen" nicht allein auf den Patiententransport beschränke. Verletzten, kranken oder behinderten Menschen könne häufig weitaus bedeutsamere Hilfe geleistet werden, indem Transportmöglichkeiten für deren Blut- oder Gewebeproben, etwa während chirurgischer Eingriffe, bereitgestellt werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG werde ein Wettbewerbsverhältnis zu nicht begünstigten Transportleistungen anderer Unternehmer bestritten. Denn regelmäßig müssten diese Transporte aufgrund des hohen Zeitdrucks, etwa während eines chirurgischen Eingriffs, unter Blaulichteinsatz durchgeführt werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Steuersatzermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG zu Unrecht bejaht. Mangels hinreichender Feststellungen kann der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden.
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt sich unter den dort genannten Voraussetzungen die Steuer für die Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der §§ 51 bis 68 AO verfolgen.
a) Diese Steuersatzermäßigung gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG). Erforderlich ist daher gemäß § 64 Abs. 1 AO, dass es sich um Leistungen handelt, die die Körperschaft im Rahmen eines Zweckbetriebs erbringt. Liegt ein derartiger Zweckbetrieb vor, ist zudem § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG zu beachten. Für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, gilt die Steuersatzermäßigung danach nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden (Alternative 1), oder wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68 AO bezeichneten Zweckbetriebe die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht (Alternative 2).
b) § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG beruht unionsrechtlich auf Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 15. Danach können die Mitgliedstaaten auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang III der MwStSystRL genannten Kategorien einen ermäßigten Steuersatz anwenden. Anhang III Nr. 15 der MwStSystRL erfasst steuerpflichtige Leistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit.
c) Zwar wurde Anhang III Nr. 15 der MwStSystRL durch die Richtlinie (EU) 2022/542 vom 05.04.2022 (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 107, Seite 1) geändert. Nunmehr können die Mitgliedstaaten eine Steuersatzermäßigung schaffen für die "Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die sich für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind". Nach dem Erwägungsgrund Nr. 19 dieser Richtlinie soll hierdurch, um für Rechtssicherheit zu sorgen, präzisiert werden, "dass es im Fall von Einrichtungen mit sozialem Charakter die allgemeine Tätigkeit und die Ziele der Einrichtung als Ganzes - unabhängig vom letztendlich Begünstigten der Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen - sind, die bei der Bewertung der Anforderungen für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes berücksichtigt werden sollten".
Der Senat kann allerdings offenlassen, ob es durch die Änderung zu einer unionsrechtlichen Erweiterung des Ermächtigungstatbestandes kommt, obwohl sich dieser weiterhin auf Leistungen gemeinnütziger Organisationen bezieht, die ‑‑trotz der den Mitgliedstaaten hierzu nunmehr eingeräumten Definitionsbefugnis‑‑ unverändert für "wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit" tätig sein müssen (für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs aber Erdbrügger in Schauhoff/Kirchhain, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 4. Aufl., § 13 Rz 326 ff. sowie in Die Wirtschaftsprüfung 2022, 605 ff.; Hummel, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2023, 209 f.; Hüttemann, UR 2023, 200 f.).
Denn nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG sind Änderungen des UStG, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf die Umsätze anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden. Entsprechendes gilt auch für Bestimmungen des Unionsrechts, die im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts zu beachten sind, soweit ihnen nicht der Charakter einer lediglich "klarstellenden" Auslegungsregelung zukommt (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 17/21, Rz 30). Auch unionsrechtlich ist eine neue Rechtsnorm erst ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar, mit dem sie eingeführt wird, wobei etwas anderes nur und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten gilt, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften die Voraussetzungen für die zeitliche Geltung regeln (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ E.B. vom 15.01.2019 - C-258/17, EU:C:2019:17, Rz 50). Derartige Regelungen liegen in Bezug auf den geänderten Anhang III Nr. 15 zur MwStSystRL nicht vor (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2022/542). Dieser Bestimmung zur Festlegung der Umsätze, die ermäßigt besteuert werden können, kommt kein bloßer Auslegungscharakter zu, sodass sie ‑‑entsprechend der allgemeinen Regelung des Art. 5 der Richtlinie (EU) 2022/542 zum Inkrafttreten‑‑ frühestens für ab dem 06.04.2022 ausgeführte Umsätze von Bedeutung und daher für die Streitjahre nicht zu berücksichtigen ist. Vor dem Hintergrund dieser eindeutig geregelten zeitlichen Anwendbarkeit ‑‑in Bezug auf eine materiell-rechtliche Regelung‑‑ kommt die Annahme einer aus dem Erwägungsgrund Nr. 19 der Richtlinie (EU) 2022/542 abgeleiteten "Präzisierung", der lediglich klarstellender Charakter mit Rückwirkung auf vor dem Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie ausgeführte Umsätze zukommen soll, nicht in Betracht. Einer im Schrifttum vertretenen Gegenauffassung (Hummel, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2023, 259, 265) schließt sich der Senat daher nicht an.
2. Im Streitfall hat das FG die die Steuersatzermäßigung einschränkenden Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG zwar genannt (Entscheidungsgründe Seite 10, Rz 35). Es hat dann aber ohne weitere Prüfung auf Seite 11 (Rz 36) seines Urteils lediglich festgestellt, dass diese "Voraussetzungen für eine Steuersatzermäßigung ... erfüllt [sind]". Damit hat das FG die Voraussetzungen dieser Vorschrift bejaht, ohne dass erkennbar wird, aufgrund welcher Tatsachen und aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen sich diese Schlussfolgerung des FG ergeben soll. Werden die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen somit nicht von entsprechenden Feststellungen getragen, kann das Urteil keinen Bestand haben (vgl. BFH-Urteile vom 06.05.2020 - X R 26/19, Rz 21 sowie vom 25.10.2016 - I R 54/14, BFHE 256, 66, BStBl II 2017, 1216, Rz 10).
3. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, da der Senat die erforderliche Prüfung im Revisionsverfahren nicht nachholen kann. Im zweiten Rechtsgang wird das FG Folgendes zu beachten haben:
a) Wird die Steuersatzermäßigung für den Zweckbetrieb nach § 66 AO begehrt, ist zunächst zu prüfen, ob der Kläger mit den Blut- und Gewebetransporten seine steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklichte (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG).
aa) Hierfür hat das FG zum einen festzustellen, welche steuerbegünstigten Zwecke nach der Satzung des Klägers verfolgt wurden und ob es sich hierbei um die Förderung des Wohlfahrtswesens nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AO, die Mildtätigkeit nach § 53 AO oder um eine Verfolgung beider Zwecke handelte. In diesem Zusammenhang könnte insbesondere zweifelhaft sein, ob die vom Kläger durchgeführten Transporte als Selbstverwirklichung der Förderung des Wohlfahrtswesens nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AO anzusehen sind.
bb) Zum anderen setzt die Selbstverwirklichung durch die Zweckbetriebsleistung voraus, dass die Leistung vom konkreten Satzungszweck der Körperschaft erfasst wird. Da der Blut- und Gewebetransport nicht ausdrücklich als Zweck oder als Maßnahme zur Zweckverwirklichung in der Satzung bezeichnet ist, hat das FG durch Auslegung der Satzung festzustellen, ob die streitgegenständlichen Blut- und Gewebetransporte von Ziffer 2.1. Buchst. a der Satzung ("verletzten, kranken und behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine Transportmöglichkeit mit vereinseigenen Fahrzeugen zu schaffen") erfasst sind. Dafür könnte ‑‑entsprechend dem Vortrag des Klägers‑‑ zwar der Wortlaut der Satzung sprechen, dagegen könnte jedoch neben dem Vereinsnamen ("…") auch der Kontext der betreffenden Satzungsklausel angeführt werden, da in weiteren Bestimmungen der Satzung (Ziffer 2.1. Buchst. b und Buchst. f) explizit auf "kranke, behinderte und alte Menschen" und "behinderte, kranke und pflegebedürftige Menschen" verwiesen wird.
Sollte Ziffer 2.1. Buchst. a der Satzung eng und damit nur auf Personentransporte auszulegen sein, stellt sich die weitere Frage, ob der Transport von Blut und Gewebe dem Transport von alten, kranken oder behinderten Personen gleichzustellen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass getrennte Körperteile oder entnommene Körperflüssigkeiten mit der Trennung oder Entnahme zu beweglichen Sachen im Rechtssinne werden (FG Köln, Urteil vom 19.12.2006 - 6 K 912/04, EFG 2007, 959 zu entnommenen Knorpelzellen), die entsprechend § 953 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Trennung bzw. Entnahme in das Eigentum desjenigen fallen, von dem sie abgetrennt oder entnommen wurden (vgl. hierzu Staudinger/C Heinze, Kommentar zum BGB, § 953, Rz 11, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.11.1993 - VI ZR 62/93, BGHZ 124, 52, unter II.2.a). Im Falle einer Blutabnahme zu Laborzwecken oder Entnahme von Gewebe könnte es jedoch entsprechend § 959 BGB (vgl. hierzu Taupitz, Medizinrecht 2017, 353 ff., 355) zur konkludenten Aufgabe des Eigentums am Blut bzw. Gewebe durch den Patienten kommen. Einer fehlenden Gleichstellung mit der jeweiligen Person könnte entsprechen, dass es sich bei Blutproben oder Körpersekreten um reine Untersuchungsobjekte handelt, die ihre körperliche Verbindung zum Patienten verloren haben und an denen keine Heil- oder Behandlungsmaßnahmen vorgenommen werden (BFH-Urteil in BFHE 241, 101, BStBl II 2013, 603, Rz 22 a.E.). Dementsprechend wird umsatzsteuerrechtlich die Steuerbefreiung für die Beförderung von kranken und verletzten Personen (§ 4 Nr. 17 Buchst. b UStG) von der Lieferung menschlichen Blutes in § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG abgegrenzt.
b) Falls das FG die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG verneinen sollte, wird es weiter zu prüfen haben, ob die streitgegenständlichen Leistungen in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dienen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG).
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ‑‑neben der Alternative 2 als lex specialis für besondere Zweckbetriebe nach §§ 66 bis 68 AO‑‑ für alle Zweckbetriebe nach §§ 65 ff. AO (auch) die einschränkende Voraussetzung der Alternative 1 des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG anwendbar und daher zu prüfen (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 26.08.2021 - V R 5/19, BFHE 274, 284, Rz 44 f.; vom 17.11.2022 - V R 12/20, BStBl II 2023, 367, Rz 39; vom 21.06.2017 - V R 34/16, BFHE 259, 9, BStBl II 2018, 55, Rz 32 f.; vom 08.03.2012 - V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, Rz 26 f. bezüglich Alternative 1 und Rz 33 bezüglich Alternative 2; vgl. auch BFH-Urteil vom 23.07.2019 - XI R 2/17, BFHE 266, 91, Rz 20 ‑‑Alternative 1‑‑ und Rz 21 ‑‑Alternative 2‑‑).
bb) Zusätzliche Einnahmen im oben genannten Sinne liegen bereits dann vor, wenn die Körperschaft diese im Zusammenhang mit Leistungen erzielt, die für die Verwirklichung ihres steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks nicht unerlässlich sind (BFH-Urteile vom 24.06.2020 - V R 47/19 (V R 33/17), BFHE 268, 572, BStBl II 2020, 853, Rz 16 sowie in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630). Es kommt dabei weder darauf an, ob der Kläger aus den zusätzlichen Einnahmen geringe oder ‑‑wie im Streitfall wegen Dauerdefiziten‑‑ keine Gewinne erzielt hat, noch darauf, ob die Einnahmen dem Kläger verblieben sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, Rz 28).
cc) Für die Frage, ob Umsätze mit Wettbewerbscharakter vorliegen, ist entscheidend, ob der Kläger mit den Leistungen seines Zweckbetriebs (hier: Blut- und Gewebetransporte) in Wettbewerb zu anderen Unternehmern tritt, die vergleichbare Leistungen ohne Anspruch auf Ermäßigung am Markt anbieten (BFH-Urteile in BFHE 259, 9, BStBl II 2018, 55, unter Rz 33 sowie in BFHE 266, 91). Unter Berücksichtigung der unionsrechtlich gebotenen weiten Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG ist der ermäßigte Umsatzsteuersatz nur insoweit anzuwenden, als er zu keiner oder einer nur geringen Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung führt (BFH-Urteil in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, Rz 32, unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Kommission/Königreich Niederlande vom 03.03.2011 - C-41/09, EU:C:2011:108, Rz 52). Daher könnte im Streitfall zwischen den Einsätzen im Rahmen einer eiligen Notfallbehandlung unter Einsatz von Blaulicht mit einer geringen Gefahr der Wettbewerbsverzerrung und den sonstigen Einsätzen zu unterscheiden sein.
c) Ohne Bindung nach § 126 Abs. 5 FGO weist der Senat vorsorglich zur Anwendung von § 66 AO darauf hin, dass nach den bisherigen Feststellungen des FG (Rz 42 des Urteils) die Transportleistungen des Klägers den hilfebedürftigen Personen nicht im Sinne des § 66 Abs. 3 AO "zugute kommen", da sie nicht entsprechend dem BFH-Urteil in BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68 direkt "an den Patienten" erbracht wurden, sondern Kontakt zu diesen lediglich über die in verschlossenen und verpackten Behältnissen befindlichen Blut- und Gewebeproben bestand. Soweit das FG unter Hinweis auf das ‑‑zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ergangene‑‑ BFH-Urteil in BFHE 272, 270: Abrechnungsleistungen von Rettungsdiensten davon ausgegangen ist, dass für ein "zugute kommen" ein "mittelbares Wirkungsverhältnis" zum Patienten ausreicht, erscheint diese Auslegung zweifelhaft, weil sich hierdurch nichts am Erfordernis eines "eigenen karitativen Elements" ändert (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 26.01.2012 - VII R 4/11, BFHE 236, 481, BStBl II 2012, 541, Rz 20 sowie in BStBl II 2023, 367, Rz 31 und Rz 36 zu "fürsorgeorientierten" Hilfestellungen), das auch durch die vorliegend streitigen Transporttätigkeiten zu erfüllen wäre.
4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 FGO).
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung an das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.