ECLI:DE:BFH:2022:B.220622.XIR35.19.0
BFH XI. Senat
UStG § 2 Abs 1, UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1, EGRL 112/2006 Art 9, FGO § 126a, UStG VZ 2015
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 16. October 2019, Az: 5 K 286/18
Leitsätze
1. NV: Bei einem jährlichen Pachtentgelt von 1 € und erheblichen Aufwendungen auf den Pachtgegenstand tritt die Entgeltverpflichtung so sehr in den Hintergrund, dass der Zusammenhang zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt gelöst ist. Der "Verpächter" ist dann aus Eingangsleistungen für den so überlassenen Gegenstand nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
2. NV: Hieran ändert sich nichts dadurch, dass die Vertragsparteien später das Pachtentgelt auf 10.000 € erhöhen, aber diese Pachterhöhung zugleich durch eine Zuschusserhöhung ausgleichen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16.10.2019 - 5 K 286/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gemeinde, im Jahr 2015 (Streitjahr) zum Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem von ihr verpachteten Schwimmbad berechtigt ist.
Bis zum 15.03.2005 unterhielt die Klägerin auf einem ihr gehörenden Grundstück ein Schwimmbad. Daneben führte die Klägerin im Rahmen der Vermietung von Dorfgemeinschaftshäusern und des Betriebs einer Druckerei Umsätze aus.
Mit Vertrag vom 20.04.2005 verpachtete die Klägerin das Schwimmbad an den … e.V. (Verein). Laut der Präambel dieses Vertrags war die angespannte Haushaltssituation der Klägerin Grund für den Vertragsabschluss. Zudem hatte die Kommunalaufsichtsbehörde der Klägerin vorgegeben, dass die kommunale Unterdeckung des Bäderbetriebs künftig einen Betrag von 75.000 € jährlich nicht überschreiten dürfe.
Der Pachtzins betrug jährlich 1 €. Die Klägerin verpflichtete sich in dem Betriebspachtvertrag zur Zahlung eines Zuschusses an den Verein in Höhe von jährlich 75.000 €, der der Förderung des Vereins im öffentlichen Interesse dienen und keinen Gegenwert für eine umsatzsteuerbare Leistung darstellen sollte.
Der Betriebspachtvertrag sah zudem vor, dass mit der Übergabe des Vertragsgegenstands die öffentlichen Aufgaben und Lasten auf den Verein übergehen sollten. Der Verein verpflichtete sich im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten, den Vertragsgegenstand jederzeit in gutem und ordentlichem Zustand zu erhalten, die laufende bauliche und technische Unterhaltung zu übernehmen, zerstörte, beschädigte oder fehlende Gegenstände oder Zubehör und Ausrüstungsteile zu ersetzen, soweit dies zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebs des Schwimmbads erforderlich war, und die Schönheitsreparaturen durchzuführen. Der Verein hatte sämtliche hierfür anfallende Kosten zu tragen.
Regelungen zur Höhe der von dem Verein erhobenen Eintrittspreise für das Schwimmbad enthielt der Betriebspachtvertrag nicht.
Da die Klägerin im Jahr 2015 erwog, das Schwimmbad zu sanieren, führten Vertreter der Klägerin am 29.05.2015 ein Gespräch mit Vertretern des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) über die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs aus in diesem Zusammenhang zu erwartenden Eingangsleistungen. Das FA vertrat in dieser Besprechung die Auffassung, dass die Verpachtung wegen der Höhe von Pachtentgelt und Zuschuss im Ergebnis unentgeltlich erfolge, so dass die Klägerin mit der Verpachtung nicht wirtschaftlich tätig sei und deshalb kein Recht zum Vorsteuerabzug habe.
Durch Vertrag vom 15.09.2015 ersetzten die Vertragsparteien den bisherigen Betriebspachtvertrag mit Wirkung zum 01.10.2015 durch einen neuen Betriebspachtvertrag. Der Pachtzins betrug fortan jährlich 10.000 € zuzüglich 1.900 € Umsatzsteuer. Für das letzte Quartal 2015 war ein Pachtzins in Höhe von 2.973,81 € brutto zu zahlen. Eine Zuschussvereinbarung enthielt der neue Betriebspachtvertrag nicht mehr.
Die Vertragsparteien schlossen daneben am 15.09.2015 eine gesonderte Zuschussvereinbarung. Hiermit verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung eines Zuschusses an den Verein in Höhe von jährlich 90.000 €.
Das FA stimmte der Steueranmeldung der Klägerin für das Streitjahr nicht zu. Beruhend auf seiner Rechtsauffassung, die Klägerin erbringe mit der Verpachtung des Schwimmbads keine Leistung gegen Entgelt, setzte es zuletzt mit Änderungsbescheid vom 25.11.2016 die Umsatzsteuer auf … € fest. Den Einspruch, mit dem die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr vorlegte und auf das Schwimmbad entfallende Vorsteuern in Höhe von 33.375,10 € anmeldete, wies das FA als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 687 veröffentlichten Urteil die Klage ab. Es führte aus, die Klägerin könne keine Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit dem Schwimmbad abziehen, da sie mit der Verpachtung des Schwimmbads keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere eine unzutreffende Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Betriebs gewerblicher Art i.S. des § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG a.F.). Ferner sei auch § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG hinsichtlich der Grundsätze des Leistungsaustauschs nicht korrekt auf den konkreten Fall angewendet worden. Es mangele zudem an der korrekten Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG durch das FG.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2018 den Umsatzsteuerbescheid für 2015 vom 25.11.2016 dahingehend zu ändern, dass zusätzlich Vorsteuern in Höhe von 32.064,18 € berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind unter Hinweis auf die hierfür maßgeblichen Gründe davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den Eingangsleistungen für das Schwimmbad nicht abziehbar sind.
1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG können Unternehmer, zu denen auch juristische Personen des öffentlichen Rechts gehören können, die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für ihr Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ‑‑MwStSystRL‑‑) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 09.02.2012 - V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844, Rz 19 ff.; vom 15.04.2015 - V R 44/14, BFHE 250, 263, BStBl II 2015, 679, Rz 10; vom 21.10.2015 - XI R 28/14, BFHE 252, 460, BStBl II 2016, 550, Rz 28; vom 02.12.2015 - V R 15/15, BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486, Rz 14; vom 18.09.2019 - XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172, Rz 15; vom 20.10.2021 - XI R 10/21, BFHE 274, 342, Rz 30).
Zur Begründung der danach erforderlichen entgeltlichen Leistung muss zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21.12.2016 - XI R 27/14, BFHE 257, 154, BStBl II 2021, 779, Rz 16; vom 13.02.2019 - XI R 1/17, BFHE 263, 560, BStBl II 2021, 785, Rz 16; BFH-Beschluss vom 22.05.2019 - XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256, Rz 15). Für die Feststellung, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wurde und dabei auch zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit führt, sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt ist. Dabei sind die Umstände, unter denen der Betreffende die Dienstleistung erbringt, und die Umstände, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, zu vergleichen. Aus einer sog. Asymmetrie zwischen den dem Leistenden entstehenden Kosten und den für die Dienstleistungen erhaltenen Beträgen kann im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung folgen, dass es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem gezahlten Betrag und der Erbringung der Dienstleistung fehlt (vgl. EuGH-Urteil Gemeente Borsele vom 12.05.2016 - C-520/14, EU:C:2016:334, Rz 29 ff.; vgl. auch BFH-Urteile vom 15.12.2016 - V R 44/15, BFHE 256, 557, und vom 28.06.2017 - XI R 12/15, BFHE 258, 532).
2. Die streitigen Eingangsleistungen stehen danach, soweit es um den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 30.09.2015 geht, nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer entgeltlichen Leistung.
Der Senat sieht die Würdigung des FG, dass der in 2005 abgeschlossene Betriebspachtvertrag umsatzsteuerrechtlich nicht zu einer Nutzungsüberlassung gegen Entgelt geführt habe, weil bei einem jährlichen Pachtentgelt von 1 € und erheblichen Aufwendungen auf den Pachtgegenstand die Entgeltverpflichtung so sehr in den Hintergrund tritt, dass der Zusammenhang zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt gelöst erscheint, als revisionsrechtlich nicht zu beanstanden an. Der vereinbarte Pachtzins von 1 € deutet im Zusammenhang mit der Präambel zu diesem Vertrag, nach der der Verein die Betriebsführung des Bades übernehmen sollte, darauf hin, dass die Preisvereinbarung lediglich als symbolische Preisvereinbarung ohne Entgeltcharakter dazu dienen sollte, dem Verein die Betriebsführung zu erleichtern und der Gemeinde den Vorsteuerabzug zu eröffnen. Es liegt kein tatsächlicher Gegenwert im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung vor. Die Klägerin erbrachte ihre Leistung daher auch nicht unter Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird.
3. Soweit es um den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 geht, hält auch die tatsächliche Würdigung des FG, dass die Klägerin durch die Verpachtung des Schwimmbads an den Verein keine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL entfaltet habe und daher nicht als Unternehmerin zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Das FG ist hier entsprechend der vorstehenden Rechtsprechung zur sog. Asymmetrie unter Berücksichtigung des ursprünglichen Betriebspachtvertrags vom 20.04.2005 in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliege, weil ein Pachtentgelt in Höhe von 1 € in einem asymmetrischen Missverhältnis zu den erheblichen Aufwendungen der Klägerin stehe, die zu einer Vorsteuer in Höhe von insgesamt 32.064,18 € geführt haben sollen. Sie beruhten auf Kosten in Höhe von ca. 170.000 €, die die Klägerin mit Haushaltsmitteln ausgeglichen hat. Diese tatsächliche Würdigung des FG i.S. des § 118 Abs. 2 FGO wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin selbst vorträgt, dass sie nicht wie eine wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmerin handele und durch die Verpachtung "Verluste" vermieden habe.
Zudem ist die Würdigung des FG, dass sich hieran infolge der mit Wirkung zum 01.10.2015 getroffenen, aufeinander bezogenen Vereinbarungen nichts geändert habe, revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden; denn das FG durfte nach den Umständen des Streitfalls davon ausgehen, dass die Pachterhöhung um 9.999 € aus dem zeitgleich um 15.000 € erhöhten Zuschuss finanziert werden sollte. Das FG hat bei seiner Beurteilung rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass zeitgleich mit der Erhöhung der Pacht im Betriebspachtvertrag der Zuschuss der Klägerin an den Verein durch eine gesonderte Zuschussvereinbarung erhöht wurde. Die belastende Wirkung der im Betriebspachtvertrag eingegangenen Verpflichtung des Vereins zur Zahlung einer erhöhten Pacht wurde von vornherein durch eine gegenläufige Vereinbarung der Vertragsparteien in der Zuschussvereinbarung ausgeglichen; dadurch hoben sich die betreffenden Vereinbarungen auf Dauer mit der Folge auf, dass sich insoweit an dem Zustand vor der Vertragsänderung wirtschaftlich nichts geändert hat (vgl. zu gegenläufigen Vereinbarungen auch BFH-Urteile vom 17.10.2001 - II R 60/99, BFHE 197, 260, BStBl II 2002, 165, unter II.1.; vom 27.10.2005 - IX R 76/03, BFHE 212, 360, BStBl II 2006, 359, unter II.2.c). Dass der Betriebspachtvertrag und die Zuschussvereinbarung rechtlich getrennte Verträge sind, ist unerheblich, weil auch insoweit alle Umstände des Einzelfalls und daher auch alle vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem Verein zu berücksichtigen sind.
b) Der Senat weicht damit nicht von der bisherigen BFH-Rechtsprechung ab.
Bei dem BFH-Beschluss vom 18.07.2017 - XI B 24/17 (BFH/NV 2018, 60), auf den die Klägerin auch in ihrer Stellungnahme auf das Anhörungsschreiben hingewiesen hat, handelt es sich um eine Entscheidung in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, mit der der Senat eine Divergenz des Urteils der dortigen Vorinstanz zum BFH-Urteil in BFHE 256, 557 verneint hat (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 60, Rz 22). Den materiellen Rechtsausführungen des Senats in seinem Beschluss in BFH/NV 2018, 60 lag zugrunde, dass im damaligen Fall zusätzliche Zahlungen der Klägerin an die Pächter von Mensa und Bad jeweils Entgelte für eigene steuerbare Leistungen waren (vgl. Rauch, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2017, 1153), die vorliegend fehlen. Stattdessen wird der Streitfall durch die zeitgleiche Vertragsunterzeichnung am 15.09.2015 charakterisiert, die verdeutlicht, dass beide Verträge (Betriebspachtvertrag und Zuschussvereinbarung) aufeinander bezogen sind und nicht isoliert betrachtet werden können. Eine abweichende tatsächliche Würdigung anders gelagerter Sachverhalte ist unerheblich.
c) Fragen zur Anwendung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. stellen sich im Streitfall nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.