ECLI:DE:BFH:2022:U.220322.IVR19.19.0
BFH IV. Senat
EStG § 4 Abs 4a, GewStG § 7, AO § 3 Abs 4 Nr 4, AO § 233a, AO § 238 Abs 1, FGO § 60 Abs 3 S 1, FGO § 105 Abs 2 Nr 4, FGO § 105 Abs 3, FGO § 106, FGO § 118 Abs 2, EStG VZ 2013 , EStG VZ 2014 , EStG VZ 2015 , EStG VZ 2016 , GG Art 3 Abs 1
vorgehend FG Düsseldorf, 31. May 2019, Az: 15 K 1131/19 G,F
Leitsätze
NV: Vor Einschränkung des Abzugs von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ist in einem ersten Schritt zu klären, ob und inwieweit die Schuldzinsen überhaupt betrieblich veranlasst sind.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 31.05.2019 - 15 K 1131/19 G,F aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine OHG. Beteiligt an der Klägerin sind T sowie S.
Am 21.12.2018 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) für die Klägerin betreffend die Jahre 2013 bis 2016 geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellungsbescheide), in denen u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt wurden. In den Bescheiden wurden in dem Gesamthandsvermögen der Klägerin Hinzurechnungen wegen nicht abziehbarer Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgenommen. In den Gewinnfeststellungsbescheiden für die Jahre 2014 bis 2016 erfolgten solche Hinzurechnungen auch für das Sonderbetriebsvermögen des S bei der Klägerin.
Am 08.01.2019 ergingen zudem geänderte Gewerbesteuermessbescheide für die Klägerin betreffend die Jahre 2013 bis 2016 sowie ein geänderter Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 für die Klägerin.
In dem Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich die Klägerin mit verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die Höhe der Hinzurechnungen. Sie begehrte, den Hinzurechnungen einen Prozentsatz von 2,9 % statt des gesetzlich vorgesehenen Prozentsatzes von 6 % zugrunde zu legen. Die Einsprüche blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2019 als unbegründet ab. Das FA habe zutreffend den gesetzlich typisierten Prozentsatz von 6 % nach § 4 Abs. 4a EStG angewendet.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die verfassungsrechtlichen Einwände gegen den Ansatz eines typisierten Zinssatzes, die in Verfahren wegen der Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) erhoben worden seien, träfen auch auf die hier streitige Regelung des § 4 Abs. 4a EStG zu. Der Prozentsatz von 6 % in § 4 Abs. 4a EStG sei im Streitzeitraum realitätsfern.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 31.05.2019 - 15 K 1131/19 G,F aufzuheben und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 26.03.2019 die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 vom 21.12.2018, über die Gewerbesteuermessbeträge für 2013 bis 2016 vom 08.01.2019 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 vom 08.01.2019 dahingehend zu ändern, dass den Hinzurechnungen nach § 4 Abs. 4a EStG nur ein Prozentsatz von 2,9 % zugrunde zu legen ist.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Es erachtet den in § 4 Abs. 4a EStG enthaltenen Prozentsatz von 6 % als zulässige gesetzliche Typisierung für die Ablehnung des Schuldzinsenabzugs bei Vorliegen von Überentnahmen. Die gegen die Zinshöhe in den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO erhobenen Einwände seien nicht auf § 4 Abs. 4a EStG übertragbar. Maßgeblich sei der jeweilige Regelungszweck der Norm. Der Regelungszweck des § 4 Abs. 4a EStG unterscheide sich wesentlich von dem einer Zinsregelung.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob die Schuldzinsen, deren vollständigen Abzug die Klägerin begehrt, überhaupt betrieblich veranlasst sind. Zudem fehlen nachvollziehbare Feststellungen dazu, ob es in den Streitjahren überhaupt zu Überentnahmen gekommen ist.
1. a) Nach § 4 Abs. 4a EStG sind Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt wurden. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen) ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieser Regelung nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Sätze 1 bis 4 EStG). § 4 Abs. 4a EStG ist auch im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes zu berücksichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 09.05.2012 - X R 30/06, BFHE 237, 484, BStBl II 2012, 667, Rz 33).
b) aa) Die Einschränkung des Abzugs von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ist in zwei Stufen zu prüfen. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob und inwieweit Schuldzinsen überhaupt zu den betrieblich veranlassten Aufwendungen gehören. Ergibt die Prüfung, dass Schuldzinsen privat veranlasst sind, so sind sie nicht bei der Ermittlung der Entnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG zu berücksichtigen. Danach ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug im Hinblick auf Überentnahmen durch § 4 Abs. 4a EStG eingeschränkt ist (ständige BFH-Rechtsprechung, z.B. Urteile vom 21.09.2005 - X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, unter II.2. [Rz 20 f.], und vom 03.03.2011 - IV R 53/07, BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688, Rz 25).
bb) Die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen ist begrenzt auf den Entnahmeüberschuss des Zeitraums von 1999 bis zum aktuellen Wirtschaftsjahr. Auch periodenübergreifend ist zu berücksichtigen, dass Verluste für sich genommen nicht zu einer Kürzung des Schuldzinsenabzugs führen dürfen (dazu im Einzelnen BFH-Urteile vom 14.03.2018 - X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, und vom 06.12.2018 - IV R 15/17).
c) Das FG hat weder Feststellungen dazu getroffen, ob die in Streit stehenden Schuldzinsen betrieblich veranlasst sind, noch dazu, ob in den Streitjahren überhaupt Überentnahmen vorliegen.
Das FG hat sich bei der erforderlichen Tatsachenfeststellung im Tatbestand seines Urteils im Wesentlichen darauf beschränkt, das Ergehen von Änderungsbescheiden festzustellen. Für den mit dem Klagebegehren angestrebten Prüfungsumfang reicht das aber nicht aus. Die für die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG erforderliche betriebliche Veranlassung der Schuldzinsen ist aus den Feststellungen des FG nicht erkennbar. Ebenso fehlen Feststellungen dazu, ob es auf der Grundlage der neueren BFH-Rechtsprechung (Urteile in BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, und vom 06.12.2018 - IV R 15/17) in den Streitjahren überhaupt zu Überentnahmen gekommen ist. Der BFH ist nach § 118 Abs. 2 FGO an eigenen Feststellungen hierzu gehindert, zugleich aber im Hinblick auf eine etwa erforderliche Vorlage der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des in § 4 Abs. 4a EStG enthaltenen Prozentsatzes von 6 % an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gehalten, die Feststellungen zu veranlassen, die notwendig sind, um die Entscheidungserheblichkeit der ggf. vorzulegenden Rechtsfrage darzulegen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 26.02.2020 - 1 BvL 5/19, und vom 06.05.2016 - 1 BvL 7/15). Das angegriffene Urteil war danach aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, um dem FG die Gelegenheit zu geben, die bislang fehlenden Feststellungen nachzuholen. Solange die Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht feststeht, sieht der Senat von einer eigenen verfassungsrechtlichen Prüfung der Frage ab.
2. Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat darauf hin, dass auch noch eine notwendige Beiladung des S vorzunehmen ist, soweit es um die Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 2014 bis 2016 geht.
a) Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Klagen nicht alle von mehreren nach § 48 FGO Klagebefugten, müssen deshalb die übrigen Klagebefugten mit Ausnahme solcher, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt von dem Ausgang des Rechtsstreits betroffen sind, zum Verfahren beigeladen werden (z.B. BFH-Urteil vom 13.04.2017 - IV R 25/15, Rz 8). Da die Feststellung eines Sonderbetriebsgewinns eine selbständige Feststellung innerhalb eines Gewinnfeststellungsbescheids darstellt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 23.01.2020 - IV R 48/16, Rz 17), ist, wenn es in einem Streitfall darum geht, ob und ggf. in welcher Höhe ein Sonderbetriebsgewinn eines Mitunternehmers festzustellen ist, dieser Mitunternehmer nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO klagebefugt und für den Fall, dass er nicht selbst Klage erhoben hat, nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen.
Danach ist S zu dem Verfahren notwendig beizuladen, soweit es um die Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 2014 bis 2016 geht. Denn in diesen Jahren betrifft die zwischen den Beteiligten streitige Frage der Höhe der hinzuzurechnenden Schuldzinsen auch den Sonderbetriebsgewinn des S.
b) Durch die Zurückverweisung erhalten zudem alle Beteiligten Gelegenheit, sich zu dem zwischenzeitlich ergangenen BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO zu äußern, auf die sich die Klägerin zur Begründung ihrer Revision bezogen hat. In seiner Entscheidung hat das BVerfG die Vollverzinsung mit 0,5 % monatlich erst ab dem 01.01.2014 als mit dem Gleichheitssatz unvereinbar festgestellt. Zudem hat es auch für diese Jahre die Weitergeltung der Regelung der Verzinsung bis zum 31.12.2018 angeordnet. Von besonderer Bedeutung für das vorliegende Verfahren könnte zudem sein, ob sich der dortige besonders strenge Prüfungsmaßstab, der sich aus der Qualität der Regelung über die Vollverzinsung als steuerliche Nebenleistung nach § 3 Abs. 4 Nr. 4, §§ 233a, 238 AO ableitet (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, Rz 113), auf die hier vorliegende Regelung zur Ermittlung des steuerrechtlichen Gewinns nach § 4 Abs. 4a EStG überhaupt übertragen lässt. Gleiches gilt in Bezug auf die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger grundsätzlich die Wahl hat, ob er Überentnahmen tätigt und damit eine Hinzurechnung von nicht abziehbaren Schuldzinsen bewusst in Kauf nimmt (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, Rz 242 f.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.