ECLI:DE:BFH:2022:B.030822.XIR32.19.0
BFH XI. Senat
AO § 5, AO § 193 Abs 1, BpO 2000 § 4 Abs 3 S 1, BpO 2000 § 4 Abs 3 S 2, BpO 2000 § 4 Abs 3 S 3, FGO § 54, FGO § 56 Abs 1, FGO § 56 Abs 2 S 1 Halbs 2, FGO § 102 S 1, FGO § 120 Abs 1 S 1, FGO § 120 Abs 2 S 1 Halbs 1, FGO § 120 Abs 2 S 3, FGO § 126a, FGO § 135 Abs 2, ZPO § 222 Abs 1, BGB § 187 Abs 1, BGB § 188 Abs 2, FGO § 102 S 2
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 11. September 2019, Az: 3 K 3090/19
Leitsätze
1. Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.
2. Für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen sind auch bei Prüfungsanordnungen die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.09.2019 - 3 K 3090/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine 1998 gegründete und 1999 in das Handelsregister eingetragene GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist … . Sie ist kein Großbetrieb i.S. des § 3 der Betriebsprüfungsordnung vom 15.03.2000 ‑‑BpO 2000‑‑ (BStBl I 2000, 368).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) führte bei der Klägerin im Jahr 2007 erstmals eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2002 bis 2004 umfasste.
Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 fand bei der Klägerin eine zweite Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 statt. Noch während diese Prüfung andauerte, erging am 01.12.2015 eine weitere Prüfungsanordnung für die Jahre 2010 bis 2012, die die Klägerin anfocht. Im anschließenden Klageverfahren nahm sie die Klage hinsichtlich der Anfechtung der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung für das Jahr 2010 zurück; das Verfahren wurde insoweit eingestellt. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 21.02.2017 - 6 K 6153/16 (nicht veröffentlicht) im verbleibenden Umfang statt und hob die Prüfungsanordnung hinsichtlich der Jahre 2011 und 2012 auf.
Mit der streitgegenständlichen Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 verfügte das FA, dass die am 01.12.2015 angeordnete Außenprüfung (für das Jahr 2010) auf die Jahre 2011 und 2012 erweitert werde. Es sei ‑‑so die Begründung des FA‑‑ mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen. Die im Rahmen der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der Ordnungsgemäßheit der Buchführung hätten sich auch für den Zeitraum 2010 bestätigt. Entsprechende steuerliche Würdigungen seien daher für die Jahre 2011 und 2012 ebenso wenig auszuschließen.
Die Klägerin legte hiergegen am 18.12.2017 Einspruch ein. Die Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens am 08.06.2018 abgeschlossen. Das FA wies anschließend den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019).
Das FG wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2020, 149 veröffentlichten Urteil ab. Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000, wonach in der Regel nur drei Jahre gleichzeitig geprüft werden dürften, liege nicht vor. Im Zeitpunkt der (für die Beurteilung von Ermessensentscheidungen maßgeblichen) letzten Verwaltungsentscheidung (der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019) sei die Prüfung für die Jahre 2008 und 2009 bereits abgeschlossen gewesen, so dass nach der Erweiterung des Prüfungszeitraums nur drei Jahre, nämlich die Jahre 2010 bis 2012, zu prüfen gewesen seien, was keiner besonderen Begründung i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 bedürfe. Es könne offenbleiben, ob die in der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 getroffenen Ermessenserwägungen ausreichend seien.
Die Frist zur Begründung der von der Klägerin fristgemäß eingelegten Revision wurde antragsgemäß bis zum 10.12.2019 verlängert. Die vollständige, elf Seiten umfassende und unterschriebene Revisionsbegründung wurde von ihrer Prozessbevollmächtigten als PDF-Datei im Anhang einer am 10.12.2019 um 23:55 Uhr gesendeten E-Mail an den Bundesfinanzhof (BFH) übermittelt. Die Prozessbevollmächtigte teilte in dieser E-Mail zugleich mit, dass es trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen sei, das Dokument innerhalb der in wenigen Minuten ablaufenden Revisionsbegründungsfrist als Telefaxscheiben zu übersenden. Ihrem am 11.12.2019 eingereichten Wiedereinsetzungsantrag waren u.a. die vollständige und unterschriebene Revisionsbegründung sowie Telefaxprotokolle vom 10.12.2019 über Abbruch und Fehlschlag einer Übertragung der Revisionsbegründungsschrift um 23:38:14 Uhr bzw. 23:58:39 Uhr sowie eines weiteren Fehlschlags von einem anderen Anschluss aus am 11.12.2019 um 00:54 Uhr, der mangels Umstellung des Telefaxgeräts auf Winterzeit bereits am 10.12.2019 um 23:54 Uhr erfolgt sei, beigefügt.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie bringt im Wesentlichen vor, das FG gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass es allein auf die Sachlage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung ankomme und dem Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Anordnung über die Erweiterung des Prüfungszeitraums keine Bedeutung beizumessen sei. Dies führe zur rechtswidrigen Umgehung der nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 erforderlichen Begründung, wogegen sich der Steuerpflichtige nicht wehren könne. Der Zeitpunkt der möglicherweise "bewusst" hinausgezögerten Bearbeitung einer Einspruchsentscheidung könne keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung haben. Mit der streitgegenständlichen Erweiterung habe der Prüfungszeitraum fünf Jahre (2008 bis 2012) betragen, da die Prüfung der Jahre 2008 bis 2009 erst am 08.06.2018 und somit nach dem 04.12.2017 abgeschlossen worden sei. Die Erweiterung des Prüfungszeitraums dergestalt müsse substantiiert begründet werden, was vorliegend nicht der Fall sei.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung sowie die Anordnung über die Erweiterung des Prüfungszeitraums vom 04.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 aufzuheben.Das FA beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.Die Revisionsbegründung sei nicht innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim BFH eingegangen; Wiedereinsetzung in die versäumte Frist sei der Klägerin nicht zu gewähren. Das FA ist hilfsweise mit der Vorentscheidung der Ansicht, dass es auf die Umstände im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankomme. Die Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 habe daher keine Begründung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 enthalten müssen. Gleichwohl seien die dort getroffenen Ermessenserwägungen zur Erweiterung des Prüfungszeitraums ausreichend und rechtmäßig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
A. Die Revision der Klägerin ist zulässig, da ihr, der Klägerin, jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren ist.
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat einzulegende Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist kann ‑‑wie hier‑‑ nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Diese verlängerte Frist lief im Streitfall nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 10.12.2019, einem Dienstag, ab.
2. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob die vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist als PDF-Datei im Anhang einer E-Mail eingegangene, vollständige und auf dem eingescannten Dokument unterschriebene Revisionsbegründung wirksam ist. Der Klägerin ist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Es wurde glaubhaft gemacht, dass die Frist schuldlos aufgrund nicht vorhersehbarer technischer Probleme versäumt wurde. Im Übrigen bestehen angesichts der übermittelten E-Mail keine Zweifel daran, dass die Revisionsbegründung vor Ablauf der verlängerten Revisionsbegründungsfrist bereits gefertigt und unterschrieben war.
B. Die Revision hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das FG hat zu Recht dahin erkannt, dass es sich bei der Prüfung der Jahre 2010 bis 2012 um eine zulässige erste Anschlussprüfung handelte, die den nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 maximal zulässigen Prüfungszeitraum von drei Jahren nicht überschritt.
1. Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.
a) Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 der Abgabenordnung (AO) eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28.09.2011 - VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, Rz 20; vom 15.06.2016 - III R 8/15, BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 15; BFH-Beschluss vom 11.12.2019 - II B 67/18, BFH/NV 2020, 360, Rz 5).
In Bezug auf die Ermessensausübung bei der Anordnung sowie der Durchführung einer Außenprüfung hat sich die Finanzverwaltung durch die Regelungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung ‑‑hier der BpO 2000‑‑ eine Selbstbindung auferlegt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19.08.1998 - XI R 37/97, BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7, unter II.1.; vom 28.06.2000 - I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447, unter II.2.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 360, Rz 5). So hat die Finanzverwaltung in § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000 hinsichtlich des Prüfungsumfangs der zu prüfenden Betriebe ihr Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass für Großbetriebe i.S. des § 3 BpO 2000 der Prüfungszeitraum lückenlos an den vorhergehenden anschließen soll. Bei anderen Betrieben ‑‑zu denen auch der der Klägerin gehört‑‑ soll der Prüfungszeitraum dagegen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Diese Beschränkung der Prüfung auf drei Besteuerungszeiträume gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 jedoch nicht, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht.
b) Vorliegend ist eine erste Anschlussprüfung gegeben, für die keine besondere Begründung erforderlich war.
aa) Anschlussprüfungen sind nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässig. Weder der AO noch der BpO 2000 ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 17; BFH-Beschluss vom 15.10.2021 - VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97, Rz 6). Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe sowie Klein- und Kleinstbetriebe (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 97, Rz 6). Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig; weitere Anschlussprüfungen sind nicht ausgeschlossen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 19; BFH-Beschlüsse vom 09.11.2010 - VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297, Rz 15; in BFH/NV 2022, 97, Rz 7). § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 lässt Anschlussprüfungen nicht nur ausdrücklich zu, sondern macht sie auch nicht von besonderen Voraussetzungen abhängig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 25). Die Anordnung einer ersten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (vgl. zur zweiten Anschlussprüfung BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 22 ff.). Für eine erste Anschlussprüfung bedarf es zudem keiner besonderen Begründung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29.05.2007 - I B 140/06, BFH/NV 2007, 2050, unter 1.a; vom 19.11.2009 - IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595, unter II.1.b cc).
bb) Da bei der Klägerin aufgrund der Anordnung vom 15.11.2013 die Jahre 2008 bis 2009 geprüft wurden, handelt es sich bei der am 01.12.2015 bestandskräftig angeordneten Prüfung des Jahres 2010 um eine erste Anschlussprüfung. Die dagegen gerichtete Klage wurde von der Klägerin zurückgenommen, so dass insoweit eine bestandskräftige Prüfungsanordnung vorliegt (vgl. § 124 Abs. 2 AO).
c) Die Erweiterung des Prüfungszeitraums dieser ersten Anschlussprüfung durch die Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 ist rechtmäßig.
aa) Dem Erlass der streitgegenständlichen Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums vom 04.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 steht die Rechtskraft des Urteils vom 21.02.2017 - 6 K 6153/16 (nicht veröffentlicht) nicht entgegen. Das FG hat damit zwar die vorausgegangene Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 hinsichtlich des hier gleichfalls betroffenen Prüfungszeitraums der Jahre 2011 und 2012 aufgehoben. Dies ist nach den Feststellungen des FG in der den Streitfall betreffenden Vorentscheidung jedoch allein deswegen geschehen, weil Gründe für die Erweiterung des Prüfungszeitraums i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 nicht vorgebracht worden waren. Nur auf diese Begründung erstreckt sich die Rechtskraft dieses Urteils i.S. des § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO (vgl. z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 110 FGO Rz 59 ff.). Wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen eines Verfahrensmangels nicht den Erlass eines neuen, ggf. auch inhaltsgleichen Verwaltungsakts in einem fehlerfreien Verfahren hindert, so steht auch die Aufhebung der Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch ein rechtskräftiges Urteil dem Erlass einer neuen Prüfungsanordnung nicht im Wege (vgl. BFH-Urteile vom 07.11.1985 - IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, unter 1.; vom 20.10.1988 - IV R 104/86, BFHE 155, 4, BStBl II 1989, 180, unter 1.; vom 14.09.1993 - VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II.1.). Eine echte Kassation einer Prüfungsanordnung, wie sie in Gestalt des FG-Urteils vom 21.02.2017 - 6 K 6153/16 vorliegt, hindert nicht den Erlass einer neuen Prüfungsanordnung für die betreffenden Besteuerungszeiträume (vgl. auch Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 110 Rz 47).
bb) Das FG hat zudem im Streitfall zu Recht die Erweiterung des Prüfungszeitraums für zulässig erachtet.
(1) Die am 01.12.2015 für das Jahr 2010 angeordnete erste Anschlussprüfung (s. oben II.B.1.b bb) wurde nach Maßgabe der hier angefochtenen Anordnung vom 04.12.2017 um die Jahre 2011 und 2012 erweitert, so dass die erste Anschlussprüfung nunmehr drei Jahre umfasste, was keiner besonderen Begründung bedurfte.
(2) Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch die somit die Jahre 2010 bis 2012 umfassende erste Anschlussprüfung in ermessensfehlerhafter Weise übermäßig belastet würde. Das FA führte bei der 1998 gegründeten Klägerin bisher Außenprüfungen (nur) für die Jahre 2002 bis 2004 sowie 2008 bis 2009 durch. Gegen eine übermäßige Belastung der Klägerin spricht zudem, dass ‑‑wie das FA noch in der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 ausgeführt hat und sich nicht als ermessensfehlerhaft erweist‑‑ sich die im Rahmen der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auch für den Zeitraum 2010 bestätigt hätten und entsprechende Würdigungen für die Jahre 2011 und 2012 nicht auszuschließen seien. Dies indiziert jedenfalls einen entsprechenden Prüfungsbedarf.
cc) Daher liegt auch ‑‑entgegen dem Revisionsvorbringen‑‑ keine rechtswidrige Umgehung des § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 vor.
2. Darüber hinaus hat das FA auch deshalb nicht gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 verstoßen, weil ‑‑wovon das FG zutreffend ausgegangen ist‑‑ jedenfalls im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019 der von dieser Verwaltungsregelung erfasste Fall eines mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungszeitraums nicht gegeben war.
a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung gemäß § 102 FGO ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. bezogen auf den Streitfall die Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23.11.2000 - III R 52/98, BFH/NV 2001, 882, unter 1.; vom 12.08.2009 - XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393, unter II.2.b; vom 14.12.2021 - VII R 14/19, BFH/NV 2022, 401, Rz 22; Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz 77 und § 102 FGO Rz 7; Lange in HHSp, § 102 FGO Rz 61; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 102 Rz 13). Dies gilt auch für Prüfungsanordnungen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, unter II.1.d) oder ihre Erweiterung (vgl. BFH-Urteile vom 01.08.1984 - I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350, unter II.1.b bb; vom 28.04.1988 - IV R 106/86, BFHE 153, 210, BStBl II 1988, 857, unter 4.; in BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7, unter II.1.; BFH-Beschluss vom 27.10.2003 - III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c).
b) Gegenteiliges folgt ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ nicht aus § 102 Satz 2 FGO und dem Senatsurteil vom 27.11.2019 - XI R 56/17 (BFH/NV 2020, 775). Soweit der Senat dort in Rz 21 ausgeführt hat, dass eine Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem Entschließungs- oder Auswahlermessen, Über- oder Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen Mängeln in der Sachverhaltsermittlung im Wege einer Ergänzung nach § 102 Satz 2 FGO, mithin im finanzgerichtlichen Verfahren, nicht mehr möglich ist, betrifft dies nicht die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage, ob maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist.
c) Im Streitfall ist mithin zu berücksichtigen, dass die Prüfung für die Jahre 2008 und 2009 im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019 bereits abgeschlossen war und die getroffene Prüfungserweiterung jedenfalls durch die in der Einspruchsentscheidung gegebene Begründung gedeckt ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.