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Urteil vom 05. April 2022, IX R 19/20

Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen des Privatvermögens: Kein Veräußerungsverlust wegen Ansatzes des gemeinen Werts der Anteile bei Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle

ECLI:DE:BFH:2022:U.050422.IXR19.20.0

BFH IX. Senat

EStG § 17 Abs 1, EStG § 17 Abs 2, EStG § 17, EStG § 17, EStG § 52 Abs 1 S 1, EStG VZ 2013 , GG Art 20 Abs 3, GG Art 3 Abs 1

vorgehend FG Köln, 07. October 2020, Az: 5 K 2290/18

Leitsätze

1. Eigene Anteile der Kapitalgesellschaft sind bei der Bestimmung der relevanten Beteiligungsquote i.S. des § 17 EStG nicht zu berücksichtigen (Bestätigung von BFH-Urteil vom 25.11.1997 - VIII R 36/96, BFH/NV 1998, 691).

2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist von den tatsächlichen Anschaffungskosten auszugehen; der Ansatz des gemeinen Werts der Beteiligung im Zeitpunkt des Erreichens der Relevanzschwelle kommt nicht in Betracht (vgl. ständige Rechtsprechung). Dies gilt auch für § 17 EStG in der seit 1999 geltenden Fassung.

3. Verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz nach Maßgabe des BVerfG-Beschlusses vom 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) setzt u.a. voraus, dass die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen im Falle einer Veräußerung nach dem 31.03.1999 auch im Zeitpunkt der Veräußerung nach der bis zum 31.03.1999 geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Ist das nicht der Fall, beruht die rückwirkende Verstrickung der Wertsteigerungen nicht auf der (dem Gesetzgeber zurechenbaren) Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle, sondern ‑‑wie hier‑‑ auf dem (der Sphäre des Steuerpflichtigen zurechenbaren) Hineinwachsen in die Wesentlichkeit; Vertrauensschutz ist insoweit nicht geboten.

4. Ist verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz geboten, werden die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen vom steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn abgezogen und insoweit von der Besteuerung ausgenommen. Gegebenenfalls wird der Veräußerungsgewinn bis auf Null gemindert.

5. Verluste, die sich ergeben, wenn der gemeine Wert der Anteile am 31.03.1999 dem Veräußerungserlös gegenübergestellt wird, sind nicht steuerbar.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 07.10.2020 - 5 K 2290/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, in welchem Umfang Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen besteuert werden. Streitig ist insbesondere, ob der gemeine Wert der veräußerten Anteile zum 31.03.1999 (Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 10 %) als Anschaffungskosten anzusetzen ist.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren zu 25 % (Kläger) bzw. 8 % (Klägerin) an der … GmbH (W GmbH) seit deren Gründung im Jahr 1988 beteiligt; der Kläger war zugleich Geschäftsführer der W GmbH. Die Anschaffungskosten der Anteile betrugen 127.822,97 € (Kläger) bzw. 40.903,36 € (Klägerin).

  3. Vom 20.02.2007 bis zum 16.02.2011 hielt die W GmbH eigene Anteile, so dass sich unter Außerachtlassung dieser eigenen Anteile eine Beteiligungsquote von 37,88 % (Kläger) bzw. 12,12 % (Klägerin) ergab. Mit notarieller Urkunde vom 16.02.2011 veräußerten die Kläger ihre Geschäftsanteile an der W GmbH mit Wirkung zum 01.01.2013.

  4. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 machten sie einen Verlust aus der Veräußerung der Anteile in Höhe von 1.596.000 € (Kläger) bzw. 542.000 € (Klägerin) geltend. Dieser ergab sich, indem die Kläger dem Veräußerungserlös in Höhe von 1.899.000 € (Kläger) bzw. 576.000 € (Klägerin) ‑‑in verfassungskonformer Auslegung des § 17 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), d.h. um steuerfrei entstandene Wertsteigerungen auszuscheiden‑‑ den gemeinen Wert der Anteile zum 31.03.1999 in Höhe von 3.495.000 € (Kläger) bzw. 1.118.000 € (Klägerin) gegenüberstellten.

  5. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) nicht und setzte im Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 11.07.2016 einen Veräußerungsgewinn des Klägers in Höhe von 995.460 € (1.799.242,42 € Veräußerungserlös abzüglich 127.822,97 € Anschaffungskosten und 12.319,08 € Rechtsanwaltskosten; Ansatz nach § 3 Nr. 40 Buchst. c, § 3c Abs. 2 EStG zu 60 %) sowie einen Veräußerungsgewinn der Klägerin in Höhe von 1 € an. Den Einspruch der Kläger, mit dem diese die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts in Höhe von 1.024.546 € (Kläger) bzw. 327.854 € (Klägerin) verlangten, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 28.08.2018 als unbegründet zurück.

  6. Mit der dagegen gerichteten Klage begehrten die Kläger die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts in Höhe von 727.846 € (Kläger) bzw. 232.910,40 € (Klägerin). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 641 abgedruckten Urteil als unbegründet ab.

  7. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Kläger eine Verletzung von § 17 EStG rügen und geltend machen, dass in verfassungskonformer Anwendung der Norm beim Kläger ‑‑wie bei der Klägerin‑‑ der gemeine Wert der Anteile zum 31.03.1999 anstelle der (historischen) Anschaffungskosten zum Ansatz kommen müsse. Die daraus resultierenden Verluste seien steuermindernd zu berücksichtigen.

  8. Bei verfassungskonformer Ermittlung des Veräußerungsgewinns müsse anstelle der historischen Anschaffungskosten der gemeine Wert der Anteile zum 31.03.1999 angesetzt werden, da andernfalls die bis zum 31.03.1999 steuerfrei entstandenen Wertsteigerungen in die Besteuerung einbezogen würden, die aber steuerfrei bleiben müssten. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG wäre der Veräußerungsgewinn nach der zuvor geltenden Rechtslage ‑‑ungeachtet der zwischenzeitlich erreichten Beteiligungsquote von mehr als 25 %‑‑ zu beiden relevanten Zeitpunkten (Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ‑‑StEntlG 1999/2000/2002‑‑ vom 24.03.1999, BGBl I 1999, 402, sowie Veräußerung) steuerfrei,   soweit   darin Wertsteigerungen bis zum Zeitpunkt des Hineinwachsens in die Wesentlichkeit enthalten seien. Insofern komme es nicht auf die abstrakte Steuerbarkeit der Realisierung nach altem Recht, sondern darauf an, welche konkrete Steuerpflicht sich nach altem Recht ergeben hätte. Somit seien alle Voraussetzungen für einen verfassungsrechtlichen Schutz von Wertsteigerungen in den Anteilen des Klägers, die bis zum 31.03.1999 eingetreten seien, erfüllt.

  9. Im Hinblick auf den Veräußerungsgewinn der Klägerin habe das FA den gemeinen Wert zum 31.03.1999 anerkannt. Nachdem die Beteiligung der Klägerin von ursprünglich 8 % erst mit der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433) steuerverhaftet geworden sei, müsste bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns grundsätzlich der gemeine Wert der Beteiligung zum Zeitpunkt der Verkündung des StSenkG am 26.10.2000 angesetzt werden. Da dieser jedoch allenfalls geringfügig über dem Wert zum 31.03.1999 gelegen habe, sei dieser Punkt im Klageverfahren nicht weiterverfolgt worden.

  10. Für beide Kläger ergebe sich bei Ansatz der gemeinen Werte anstelle der Anschaffungskosten ein Veräußerungsverlust, welcher nach Anwendung von § 3c Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 40 EStG zu 60 % abzugsfähig sei. Der Verlust sei unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch steuerbar. Das FG habe die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf das Verständnis des § 17 EStG verkannt. Im BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) habe ein Vermögenszuwachs in den Geschäftsanteilen ab 1999 vorgelegen, weshalb das BVerfG ausdrücklich nur zu dem Fall der Wertsteigerung habe entscheiden können. Allerdings hätten weder das BVerfG noch der Bundesfinanzhof (BFH) ihre Rechtsprechung zur Berücksichtigung der gemeinen Werte zum 31.03.1999 ausdrücklich auf die Fälle beschränkt, in denen ein positiver Veräußerungsgewinn entstanden sei. Über den Ansatz eines Verlusts im Fall der gesetzlichen Absenkung der Beteiligungsgrenze durch das StEntlG 1999/2000/2002 und das StSenkG sei vielmehr in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht entschieden worden.

  11. Zudem sei zu beachten, dass der Zweck des § 17 EStG ‑‑nach dem gewandelten Verständnis des BVerfG bzw. des BFH--- darin liege, nur noch den steuerbaren Zuwachs an Leistungsfähigkeit zu erfassen. Daher sei in den Fällen des Hineinwachsens in die Steuerpflicht der Wert der Beteiligung im Zeitpunkt des Hineinwachsens maßgeblich.

  12. Die Kläger beantragen,
    das Urteil des FG Köln vom 07.10.2020 - 5 K 2290/18 aufzuheben, soweit darin über die steuerliche Behandlung der Einkünfte der Kläger aus der Veräußerung von Geschäftsanteilen an der W GmbH entschieden worden ist, und den Bescheid über die Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für das Jahr 2013 vom 11.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2018 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Einbeziehung eines Veräußerungsverlusts des Klägers in Höhe von 727.846,00 € und der Klägerin in Höhe von 232.910,40 € festgesetzt wird,
    hilfsweise, den Bescheid über die Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für das Jahr 2013 vom 11.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2018 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer ohne Ansatz eines Veräußerungsgewinns des Klägers in Höhe von 995.460 € festgesetzt wird.

  13. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat die Veräußerungsgewinne der Kläger nach § 17 Abs. 1 EStG zutreffend der Besteuerung unterworfen.

  2. 1. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung, die seit der Änderung durch das StSenkG im Wesentlichen unverändert geblieben ist, gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Im Streitfall ist dieser Tatbestand im Hinblick auf beide Kläger erfüllt. Sie haben ihre Beteiligungen an der W GmbH in Höhe von 37,88 % (Kläger) bzw. 12,12 % (Klägerin) im Streitjahr veräußert. Bei der Bestimmung der relevanten Beteiligungsquote sind eigene Anteile der Kapitalgesellschaft nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 18.04.1989 - VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27, unter 1.a, und vom 25.11.1997 - VIII R 36/96, BFH/NV 1998, 691, unter II.3.b bb). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

  3. 2. FA und FG haben den Veräußerungsgewinn der Kläger auch in zutreffender Höhe ermittelt.

  4. a) Veräußerungsgewinn ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist von den tatsächlichen Anschaffungskosten auszugehen (Senatsurteile vom 04.02.2020 - IX R 18/19, BFH/NV 2020, 867, Rz 19, und vom 14.01.2020 - IX R 5/18, BFHE 268, 551, BStBl II 2021, 335, Rz 32). In Übereinstimmung damit haben FA und FG die historischen Anschaffungskosten der Beteiligungen der Kläger zum Ansatz gebracht.

  5. b) Einfachrechtlich kommt der Ansatz des gemeinen Werts der Beteiligung im Zeitpunkt des Erreichens der Relevanzschwelle des § 17 Abs. 1 EStG (gemeiner Wert im Zeitpunkt der "Verstrickung") anstelle der Anschaffungskosten nicht in Betracht.

  6. aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu § 17 EStG in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung ist eine unwesentliche Beteiligung, die in die Wesentlichkeit hineingewachsen ist, im Fall ihrer Veräußerung mit den historischen Anschaffungskosten anzusetzen und nicht mit ihrem tatsächlichen Wert, den sie im Zeitpunkt der Begründung der Wesentlichkeit hatte (BFH-Urteile vom 10.11.1992 - VIII R 40/89, BFHE 173, 17, BStBl II 1994, 222, betreffend die Aufstockung einer unwesentlichen Beteiligung; vom 30.03.1993 - VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597, und vom 19.03.1996 - VIII R 15/94, BFHE 180, 146, BStBl II 1996, 312, jeweils betreffend den Wertzuwachs vor Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht; vom 05.06.2008 - IV R 73/05, BFHE 222, 277, BStBl II 2008, 965, unter II.1.b cc; BFH-Beschlüsse vom 18.01.1999 - VIII B 80/98, BFHE 187, 565, BStBl II 1999, 486, betreffend den Erwerb im Erbwege; vom 23.01.2003 - VIII B 121/01, BFH/NV 2003, 767; zur Gegenauffassung vgl. nur Schmidt, Steuer und Wirtschaft 1996, 300). Zur Rechtfertigung dieser "rückwirkenden Wertzuwachsbesteuerung" (Ott, GmbH-Rundschau 1993, 471, 475) hat der BFH maßgebend auf den im Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 1 und 2 EStG eindeutig zum Ausdruck gebrachten Zweck der Bestimmung, den durch die Veräußerung des Gesellschaftsanteils eingetretenen Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit zu erfassen, abgestellt (BFH-Beschluss in BFHE 187, 565, BStBl II 1999, 486, unter II.3.a, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 16.05.1995 - VIII R 33/94, BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870; eingehend zum Zweck des § 17 EStG Wolff-Diepenbrock in Festschrift F. Klein, 1994, 875, 883). Das BVerfG hat diese Rechtsprechung unbeanstandet gelassen (Nichtannahmebeschluss vom 03.05.2005 - 2 BvR 736/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 780; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 40. Aufl., § 17 Rz 178).

  7. Diese Grundsätze gelten im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut, aber auch in Ansehung des ‑‑soweit hier maßgebend‑‑ unverändert gebliebenen Zwecks der Norm (s. Senatsurteil vom 18.11.2014 - IX R 30/13, BFH/NV 2015, 489, Rz 23) für § 17 EStG in der seit 1999 geltenden Fassung gleichermaßen (gl.A. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 17 Rz 89; Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock ‑‑D/P/M‑‑, Kommentar zum KStG, § 17 EStG Rz 251; Brandis/Heuermann/Vogt, § 17 EStG Rz 572; Oellerich in Bordewin/Brandt, § 17 EStG Rz 248; Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 17 Rz 213, 163. Lfg. 5/2011). Die Gegenauffassung kann zwar gewichtige, vor allem teleologische Erwägungen für sich in Anspruch nehmen (vgl. Wendt, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 1999, 333, 344, unter Hinweis auf systematische, teleologische und verfassungsrechtliche Kriterien; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 207: teleologische Reduktion; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 37. Aufl., § 17 Rz 159, unter Hinweis auf den Zweck der Norm; Hils in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, eKomm VZ 2019 ab 01.08.2019, § 17 EStG Rz 85 ‑‑Aktualisierung v. 19.04.2021‑‑), im eindeutigen Gesetzeswortlaut finden diese allerdings keine Stütze (Frotscher in Frotscher/Geurts, a.a.O., § 17 Rz 213, 163. Lfg. 5/2011).

  8. Für einen Rückgriff auf die historischen Anschaffungskosten spricht zudem, dass § 17 EStG insoweit keine Änderung erfahren hat, obschon der Gesetzgeber der vorgenannten Rechtsprechung in den Fällen des Zuzugs durch § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 07.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) die Grundlage entzogen hat (Ansatz des ausländischen "Entstrickungswerts" bzw. des gemeinen Werts, vgl. dazu Senatsurteil vom 26.10.2021 - IX R 13/20, BFHE 275, 28, BStBl II 2022, 172; Pung/Werner in D/P/M, a.a.O., § 17 EStG Rz 253).

  9. Auch die Missbrauchsverhinderungsvorschrift des § 17 Abs. 2 Satz 4 (Buchst. b) EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 bestätigt dieses Auslegungsergebnis zumindest mittelbar, liegt ihr doch konzeptionell der Ansatz der historischen Anschaffungskosten zugrunde (Jäschke in Lademann, EStG, § 17 Rz 211). Mithin ist eine Modifikation dieser Rechtsprechung einfachrechtlich nicht veranlasst.

  10. bb) Daran ändert nichts, dass § 17 EStG nach der Rechtsprechung des BVerfG im Zeitpunkt der Realisation einen über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierten Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterwirft (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, unter B.I.2.b bb). Danach kommt es nicht auf die bloß formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum an, sondern darauf, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen Erfassung des Veräußerungsgewinns zurückgegriffen wird, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bezieht. Mit dieser Erwägung hat das BVerfG eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung in Gestalt einer ungleichen Bemessung steuerlicher Leistungsfähigkeit (je nachdem, ob der Veräußerungsgewinn noch bis Ende 1998 oder erst ab 1999 angefallen ist) und damit einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes begründet. Für die zuvor dargestellte Auslegung des Begriffs der Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Aspekt des "steuerbaren Zuwachses an Leistungsfähigkeit" (Senatsbeschluss vom 24.02.2012 - IX B 146/11, BFHE 236, 492, BStBl II 2012, 335, Rz 16; Senatsurteil vom 11.12.2012 - IX R 7/12, BFHE 239, 449, BStBl II 2013, 372, Rz 15) ‑‑verstanden als Wertzuwachs während des Bestehens einer qualifizierten Kapitalgesellschaftsbeteiligung‑‑ indes ohne Bedeutung.

  11. cc) Die Senatsrechtsprechung zum sog. veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff (Beschluss in BFHE 236, 492, BStBl II 2012, 335; Urteil in BFHE 239, 449, BStBl 2013, 372; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 27.05.2013, BStBl I 2013, 721) führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis (a.A. Paus, FR 2012, 959, 961). Sie betrifft (allein) den Beteiligungsbegriff des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002. Danach ist das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 für jeden Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen; Änderungen wirken nicht zurück. Das Erfordernis einer relevanten Beteiligung i.S. des § 17 EStG (von mindestens 1 %) steht vorliegend allerdings ‑‑zu Recht‑‑ nicht im Streit.

  12. dd) Ebenso wenig vermag ein Vergleich mit der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG der Revision zum Erfolg zu verhelfen (a.A. Schmidt/Rengers, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2011, 693, 696). Zwar sind ‑‑mit einer Verstrickung nach § 17 EStG möglicherweise wirtschaftlich vergleichbare‑‑ Einlagen im Grundsatz mit dem Teilwert für den Zeitpunkt der Zuführung anzusetzen. Ungeachtet der bestehenden Unterschiede in der steuerlichen Behandlung von im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen und Anteilen i.S. des § 17 EStG fehlt allerdings ‑‑wie bereits dargelegt‑‑ eine die Verstrickung nach § 17 EStG zum gemeinen Wert ausdrücklich anordnende Regelung (wie sie etwa § 13 Abs. 2 Satz 3 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 für verschmelzungs- oder spaltungsgeborene Anteile ausdrücklich vorsah).

  13. c) Davon abweichend unterliegen Wertsteigerungen der Beteiligung, die bis zum 31.03.1999 eingetreten sind, aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes nicht der Besteuerung, wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei hätten realisiert werden können. Diese Voraussetzungen haben das FA und das FG zu Recht allein bei der Klägerin, nicht aber beim Kläger bejaht.

  14. aa) Nach § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 gehörte zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war (Satz 1). Eine wesentliche Beteiligung war gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mindestens 10 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (Satz 2). Vor der Änderung durch das StEntlG 1999/2000/2002 lag diese Grenze bei "mehr als einem Viertel". Nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86 verstößt § 17 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die entweder ‑‑bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt‑‑ nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden wären oder ‑‑bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes‑‑ sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

  15. bb) Im Hinblick auf die Person des Klägers liegen die o.g. Voraussetzungen für eine Entstrickung der bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen nicht vor. Denn die Wertsteigerungen in seinen Anteilen hätten zwar im Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.03.1999 nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert werden können; die Beteiligungsquote des Klägers lag damals bei genau 25 % und damit nicht bei mehr als einem Viertel. Dies gilt jedoch nicht für den Zeitpunkt der Veräußerung. Innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung war der Kläger aufgrund des Umstands, dass die W GmbH eigene Anteile gehalten hatte, zu 37,88 % und damit zu mehr als 25 % (wesentlich) beteiligt.

  16. Vor diesem Hintergrund ist es nicht die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze, die die Entwertung konkret vorhandener Vermögensbestände bei dem Kläger zur Folge hatte. So hat das BVerfG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Steuerpflichtige im Hinblick auf zwischenzeitliche Wertsteigerungen nicht auf Bestandsschutz berufen kann, wenn im einzelnen Fall ein "Hineinwachsen in die Wesentlichkeit" (nach Maßgabe des alten Rechts) im Zeitpunkt der Veräußerung tatsächlich vorliegt. Denn dann wäre die Wertsteigerung auch nach altem Recht zu versteuern gewesen, die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze ist unter diesen Umständen für die Steuerbarkeit nicht ursächlich (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, unter B.I.2.b aa). Genau dies ist vorliegend der Fall. Dementsprechend hat die Vorinstanz unter 1. der Entscheidungsgründe ihrer Entscheidung zu Recht ausgeführt, dass der Streitfall in Übereinstimmung mit dem in der Entscheidungsformel des BVerfG formulierten Vorbehalt von der Nichtigkeitsfolge auszunehmen ist.

  17. Eine Gleichstellung der Fallgruppe "Absenkung der Beteiligungsgrenze" mit der Fallgruppe "Hineinwachsen in die Steuerrelevanz bzw. Wesentlichkeit" ist nicht geboten (gl.A. Gosch in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 17 Rz 89; a.A. Paus, FR 2012, 959, 961). Der ‑‑unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes relevante‑‑ Unterschied der Fallgruppen ist darin zu sehen, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenze auf legislative, vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Maßnahmen des Gesetzgebers zurückzuführen ist. Hingegen ist das Hineinwachsen in die Steuerpflicht regelmäßig Folge des Handelns des Steuerpflichtigen und damit seiner Dispositionsfreiheit (vgl. auch Gosch in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 17 Rz 89; Strahl in Korn, § 17 EStG Rz 39; Schweyer/Dannecker, Betriebs-Berater ‑‑BB‑‑ 1999, 2375, 2379; Schüppen/Sanna, BB 2001, 2397, 2401; Aßmann, DStR 2006, 1115, 1119). Dies gilt für den Fall des Erwerbs eigener Anteile durch die Kapitalgesellschaft (ebenso wie für die Einziehung von Anteilen durch die Gesellschaft oder den Ausbau einer lediglich mittelbaren Beteiligung) zwar nur bedingt. Aber auch diese ‑‑vom Anteilseigner jedenfalls theoretisch beeinflussbaren‑‑ Umstände sind letztlich der Sphäre des Steuerpflichtigen (vgl. dazu Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 181: Zukauf, Schenkung, Erbfall) und nicht dem Gesetzgeber zuzurechnen. Den Steuerpflichtigen standen zudem Möglichkeiten zur Verfügung, um die Steuerverstrickung der bereits gebildeten stillen Reserven zu verhindern (z.B. durch die Einlage der Beteiligung in ein Betriebsvermögen). Eine dem Gesetzgeber zurechenbare materiell-rechtliche "Falle", in die einzelne Steuerpflichtige "hineintappen" könnten (Paus, FR 2012, 959, 961), kann darin nicht erblickt werden.

  18. cc) Anders stellt sich die Rechtslage im Hinblick auf die Klägerin dar. Unter Zugrundelegung einer Beteiligungsquote von 12,12 % ‑‑d.h. unter Außerachtlassung der eigenen Anteile der Gesellschaft‑‑ war sie erstmals nach Maßgabe von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 relevant an der W GmbH beteiligt. Dementsprechend hätten die bis zum 31.03.1999 bei ihr entstandenen Wertsteigerungen sowohl im Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.03.1999 als auch im Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage (Beteiligung von mehr als einem Viertel) steuerfrei realisiert werden können. Sie dürfen daher aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht der Besteuerung unterworfen werden.

  19. Für Wertsteigerungen zwischen dem 01.04.1999 und dem 26.10.2000 (Verkündung des StSenkG) gilt dies nicht gleichermaßen. Zwar erfüllte die nominelle Beteiligung der Klägerin von 8 % erstmals die durch das StSenkG eingeführte Relevanzschwelle von mindestens 1 %. Dies gilt jedoch ‑‑wie dargelegt‑‑ nicht, wenn die eigenen Anteile der W GmbH bei der Bestimmung der Beteiligungsquote außen vor gelassen werden (so dass sich eine Beteiligung von 12,12 % ergibt).

  20. 3. Ist aus verfassungsrechtlichen Gründen der bis zum 31.03.1999 entstandene Wertzuwachs der Beteiligung von der Besteuerung auszunehmen, ist ein Verlust, der sich ergibt, wenn man den gemeinen Wert der Beteiligung am 31.03.1999 dem Veräußerungserlös gegenüberstellt, bei der Besteuerung gleichwohl nicht zu berücksichtigen.

  21. a) Die Vorinstanz hat den von der Klägerin realisierten Veräußerungsgewinn in Höhe von 530.912,63 € (in Übereinstimmung mit dem FA) im Umfang der bis zum 31.03.1999 eingetretenen Wertsteigerung in Höhe von 915.155,05 € ‑‑und damit in voller Höhe‑‑ von der Besteuerung ausgenommen, einen durch nachträglich eingetretenen Wertverlust entstandenen Veräußerungsverlust jedoch nicht berücksichtigt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, weder das Gesetz noch die Entscheidung des BVerfG schützten ein Vertrauen darin, dass steuerfrei entstandene Wertsteigerungen durch einen Wertverlust nach der Gesetzesänderung zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Veräußerungsverlust führten. Der Verlust aus der Veräußerung der Anteile wäre nach der alten Gesetzeslage mangels Erreichens der Beteiligungsgrenze steuerlich unbeachtlich gewesen, so dass kein Vertrauensschutz in Betracht komme.

  22. b) Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

  23. aa) Nach dem Tenor des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86 verstößt § 17 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 unter den dort im Einzelnen aufgeführten ‑‑hier bei der Klägerin unstreitig vorliegenden‑‑ zeitlichen Voraussetzungen gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 entstanden sind. Im Streitfall hat das FG derartige Wertsteigerungen vom Veräußerungsgewinn der Klägerin abgezogen und damit von der Besteuerung ausgenommen.

  24. bb) Ob aus der Entscheidung des BVerfG zugleich gefolgert werden kann, dass ab dem 01.04.1999 eingetretene Wertverluste, die auf eine Wertsteigerung der Anteile bis zum 31.03.1999 folgen, zu einem Veräußerungsverlust führen oder einen solchen erhöhen, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Während dies in Teilen der Literatur befürwortet wird (Schmidt/Renger, DStR 2011, 693, 696; Brandis/Heuermann/Vogt, a.a.O., § 17 EStG Rz 335), sind das FG Münster (Urteil vom 22.08.2013 - 3 K 3371/11 E, EFG 2013, 1835) und die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 20.12.2010, BStBl I 2011, 16, unter C.II.3.b, Beispiel 2: "... ist die noch nicht verzehrte Werterhöhung ... nicht steuerbar"; zustimmend Gragert, Unternehmensteuern und Bilanzen ‑‑StuB‑‑ 2011, 43, 45) dem entgegengetreten.

  25. cc) Der Senat schließt sich der Auffassung der Finanzverwaltung an. Dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz ist Genüge getan, wenn die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen nicht besteuert werden; danach entstandene Wertverluste müssen aus Gründen des Vertrauensschutzes steuerlich nicht berücksichtigt werden.

  26. Aus dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86 ergibt sich nicht, dass die betreffenden Anteile bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns stets mit ihrem gemeinen Wert zum 31.03.1999 (anstelle der historischen Anschaffungskosten) zu berücksichtigen sind, so dass ein Veräußerungsverlust realisiert wird, wenn der Veräußerungspreis diesen Wert unterschreitet. Der Tenor des mit Gesetzeskraft (vgl. Senatsurteil in BFHE 239, 449, BStBl II 2013, 372, Rz 16) ausgestatteten Beschlusses des BVerfG trifft dazu keine Aussage.

  27. Aber auch die verfassungsrechtliche Rechtsprechung verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Zwar handelt es sich bei einer bis zum 31.03.1999 eingetretenen Wertsteigerung auch in Fallkonstellationen wie der vorliegenden im Grundsatz um eine konkret verfestigte Vermögensposition (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, beginnend ab B.I.2.b aa). Ebenso lässt sich der Gesichtspunkt ungleicher Bemessung steuerlicher Leistungsfähigkeit (im Vergleich zu einer Realisierung bis Ende 1998) anführen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, beginnend ab B.I.2.b bb). Die bis zum 31.03.1999 eingetretene Wertsteigerung ist indes ‑‑soweit sie den tatsächlich (über die gesamte Haltedauer der Beteiligung) erzielten Veräußerungsgewinn übersteigt‑‑ zu keinem Zeitpunkt realisiert worden (zum Merkmal der Realisation der Wertsteigerung s. den Tenor des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86). In der Zeit bis zum 31.03.1999 eingetretene Wertsteigerungen können zwar als Teil eines später tatsächlich realisierten Veräußerungsgewinns von der Besteuerung freigestellt, nicht aber zur Begründung eines tatsächlich nicht erlittenen ("fiktiven") Veräußerungsverlusts herangezogen werden (so auch FG Münster, Urteil in EFG 2013, 1835, Rz 23; Gragert, StuB 2011, 43, 45; vgl. aber auch Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 37. Aufl., § 17 Rz 34: "im Hinblick auf die lastenverteilungsrechtliche Natur des Steuerrechts bedenklich"). Wenngleich die Kläger zu Recht darauf hinweisen, dass der Wertverlust in den Anteilen an der W GmbH nach dem 31.03.1999 tatsächlich eingetreten und damit "real" sei, hat die Klägerin aus der Anteilsveräußerung im Ergebnis keinen Verlust, sondern einen Gewinn erzielt. Dieser verkörpert den über die Haltedauer der Beteiligung akkumulierten Zuwachs an Leistungsfähigkeit und steht der Berücksichtigung eines ‑‑nur rechnerischen, nicht mit einer entsprechenden Leistungsfähigkeitsminderung einhergehenden‑‑ Verlusts entgegen. Die Erwägungen des BVerfG zum Vertrauensschutz können es rechtfertigen, einen nach dem Steuergesetz entstandenen Veräußerungsgewinn aus verfassungsrechtlichen Gründen (teilweise) von der Besteuerung auszunehmen und damit den Besteuerungszugriff zu begrenzen, nicht aber, einen nach Maßgabe des einfachen Rechts nicht realisierten Veräußerungsverlust entstehen zu lassen und steuerlich zu berücksichtigen. Dies würde auch der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (dazu Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Kap. 3, Steuersystem und Steuerverfassungsrecht, Rz 3.40 ff.) nicht gerecht (FG Münster, Urteil in EFG 2013, 1835, Rz 23).

  28. dd) Aus dem Senatsurteil in BFH/NV 2015, 489 ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung (Rz 23) darauf hingewiesen, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes nur solche Wertsteigerungen steuerbar sind, die nach dem 31.03.1999 entstanden sind; dies gilt ‑‑zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen‑‑ für von der Wertsteigerung umfasste Währungsänderungen nach diesem Stichtag gleichermaßen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass eine über die gesamte Haltedauer der Beteiligung eingetretene Wertsteigerung ‑‑wie im Streitfall‑‑ aus verfassungsrechtlichen Gründen in eine nicht steuerbare Wertsteigerung bis zum 31.03.1999 und einen steuerbaren Wertverlust nach diesem Stichtag aufzuteilen ist.

  29. ee) Im Ergebnis werden damit Wertsteigerungen zwischen dem Erwerbszeitpunkt und dem 31.03.1999 verfassungsrechtlich geschützt, soweit sie in einem realisierten Veräußerungsgewinn (als Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und den historischen Anschaffungskosten) enthalten sind. Soweit sich die geschützten "stillen Reserven" nicht in einem Veräußerungsgewinn realisieren, weil der Wert der Anteile zwischen dem 01.04.1999 und dem Veräußerungszeitpunkt gesunken ist, besteht sowohl im Fall eines verbleibenden Veräußerungsgewinns (die Wertsteigerung vor dem 31.03.1999 übersteigt die Wertminderung nach diesem Zeitpunkt) ‑‑wie vorliegend‑‑ als auch im Fall eines Veräußerungsverlusts (die Wertsteigerung vor dem 31.03.1999 unterschreitet die Wertminderung nach diesem Zeitpunkt) kein Bedürfnis für einen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Der Vertrauensschutz kann nicht so weit gehen, dass die Steuerfreistellung von "Buchgewinnen" zur Entstehung von steuerbaren Veräußerungsverlusten führt. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand von nicht auf das Steuergesetz gegründeten Rechtspositionen ist nicht schutzwürdig.

  30. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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