ECLI:DE:BFH:2021:B.190821.VR21.20.0
BFH V. Senat
UStG § 4 Nr 25, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst h, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst k, EStG VZ 2007 , EStG VZ 2008 , EStG VZ 2009 , EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012
vorgehend FG Münster, 14. July 2019, Az: 5 K 460/17 U
Leitsätze
1. NV: Geschäftsführungs- und Verwaltungsdienstleistungen sind keine mit der Kinder- und Jugendbetreuung eng verbundenen Dienstleistungen i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL.
2. NV: Eine entgeltliche Personalgestellung stellt keine im sozialen Bereich erbrachte Gemeinwohldienstleistung dar und wird somit nicht vom Begriff der "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL umfasst.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.07.2019 - 5 K 460/17 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist für die Jahre 2007 bis 2012, ob die "Personalgestellung" durch eine gemeinnützig tätige Körperschaft an Trägervereine Offener Ganztagsschulen umsatzsteuerbefreit ist.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein bundesweit organisierter Kinder- und Jugendverband, und der ihr zugehörige Trägerverein "Verein G. e. V." sind anerkannte und gemeinnützige Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe C-Stadt. Die "..." (Klägerin) ist in vielen pädagogischen Tätigkeitsfeldern aktiv. Die Klägerin ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (teilweise) von der Körperschaftsteuer befreit, weil sie ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken i.S. der §§ 51 ff. der Abgabenordnung dient. Ihre Steuerpflicht erstreckt sich ausschließlich auf den von der Körperschaft unterhaltenen (einheitlichen) steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.
Die Klägerin übernahm ab dem Jahr 2004 die Trägerschaft für die Betreuung in der Offenen Ganztagsschule (OGS) T-Schule und E-Schule, jeweils in C-Stadt. Um die Lehrer und Eltern mit in die Verantwortung zu nehmen, gründete die Klägerin für beide zu betreuenden Schulen je einen Förderverein, den "Trägerverein der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) e.V. der T-Schule" und den "Trägerverein der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) der E-Schule", die von den jeweiligen Schulkonferenzen mit der Trägerschaft beauftragt wurden. In den Satzungen dieser Trägervereine wurde jeweils in § 8 "Vorstand" festgeschrieben, dass sich der Vorstand des jeweiligen Vereins zusammensetzt aus dem/der Schulleiter/in als 1. Vorsitzende/n, dem/der Vorsitzenden der Schulpflegschaft oder dessen/deren Stellvertreter/in als 2. Vorsitzende/n und dem/der Geschäftsführer/in der Klägerin als Geschäftsführer/in. Weiter heißt es, dass die/der Geschäftsführer/in die laufenden Vereinsgeschäfte führt und sie/er für seine Tätigkeit als Geschäftsführer/in eine angemessene Vergütung erhalten darf.
Die dem Geschäftsführer der Klägerin als Geschäftsführer des jeweiligen Förder-/Trägervereins obliegenden Aufgaben wurden vom jeweiligen Vereinsvorstand beschlossen. Hiernach oblagen dem Geschäftsführer insbesondere folgende Aufgabenbereiche:
-
Beantragung und Abrechnung der öffentlichen Mittel (inhaltlich und betragsmäßig),
-
Erstellung der Verwendungsnachweise und Wirtschaftspläne,
-
Personalverantwortung gegenüber den eingesetzten Arbeitnehmern (Geschäftsführer),
-
Politische Außenvertretung und Vertretung gegenüber der Verwaltung,
-
Planung und Koordination von Arbeitsgemeinschaftsangeboten,
-
Konzeptentwicklung.
Die Klägerin stellte die erbrachten Geschäftsführungsleistungen den jeweiligen Fördervereinen der OGS monatlich in Rechnung, ohne hierin Umsatzsteuer auszuweisen. Da die Klägerin die streitigen Leistungen als umsatzsteuerfrei ansah, gab sie für die Streitjahre 2007 bis 2012 keine Umsatzsteuererklärungen ab.
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung sah die Prüferin die Umsätze aus der Tätigkeit des Geschäftsführers der Klägerin für die Fördervereine ("Personalgestellung") als umsatzsteuerpflichtig an und rechnete aus den abgerechneten Entgelten die Umsatzsteuer heraus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem und setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre entsprechend fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1544 veröffentlichten Urteil ab. Bei den Leistungen der Klägerin habe es sich um eine klassische Personalgestellung gehandelt, für die nach nationalem Recht keine Steuerbefreiungsnorm ‑‑insbesondere nicht die des § 4 Nr. 25 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)‑‑ eingreife. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) berufen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL nicht vorlägen. Eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen seien anzunehmen, wenn sie für die Kinder- und Jugendbetreuung typisch und unerlässlich seien, regelmäßig und allgemein beim laufenden Betrieb vorkämen und unmittelbar oder mittelbar damit zusammenhingen. Diese Voraussetzungen habe das FG nicht geprüft, sondern zu Unrecht angenommen, dass eine klassische Personalgestellung vorliege. Der Geschäftsführer der Klägerin sei den Trägervereinen aber nicht auf der Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages gestellt worden. Das sei bei einem Geschäftsführer, der eine Organfunktion innehabe, auch gar nicht möglich.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergebe sich zudem, dass eine Leistung auch dann als eng verbundene Leistung gelten könne, wenn sie von einem anderen Steuerpflichtigen als demjenigen erbracht werde, der die steuerbefreite Hauptleistung erbringe. Ohne die Leistungen des Geschäftsführers (Beantragung öffentlicher Mittel, Planung von AG-Angeboten etc.) sei die Hauptleistung, die Förderung der Erziehung und Bildung junger Menschen, gar nicht möglich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben, die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer zu 19 % für
2007 um ... €,
2008 um ... €,
2009 um ... €,
2010 um ... €,
2011 um ... €,
2012 um ... €
herabzusetzen und die bisher berücksichtigten Vorsteuern für die Streitjahre im neuen Verhältnis der steuerpflichtigen zu den steuerfreien Umsätzen aufzuteilen.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Die von der Klägerin erbrachten Leistungen seien nicht eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden, weil diese nicht unmittelbar gegenüber den Kindern und Jugendlichen erbracht worden seien, sondern gegenüber den Trägervereinen, die diese nutzten, um eine Leistung im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung zu erbringen. Dass kein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen worden sei, sei in diesem Zusammenhang unerheblich.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Revision ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die streitbefangenen Umsätze der Klägerin weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht von der Umsatzsteuer befreit sind.
1. Die Umsätze der Klägerin werden ‑‑wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist‑‑ weder von § 4 Nr. 25 UStG in der für das Streitjahr 2007 noch in der für die Streitjahre 2008 bis 2012 geltenden Fassungen noch von einer anderen Steuerbefreiungsnorm des nationalen Rechts umfasst.
2. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL berufen (zur grundsätzlichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie, z.B. EuGH-Urteil Zimmermann vom 15.11.2012 - C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 32, m.w.N.; Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 25.04.2013 - V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 21; vom 14.01.2016 - V R 56/14, BFH/NV 2016, 792, Rz 16, jeweils zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL).
a) Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL knüpft an leistungs- und personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen handeln und der leistende Unternehmer muss als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein (z.B. EuGH-Beschluss Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst vom 07.10.2019 - C-47/19, EU:C:2019:840, Rz 36, 37; BFH-Urteil vom 22.06.2016 - V R 46/15, BFHE 254, 272, Rz 25).
b) Bei den streitbefangenen Umsätzen handelt es sich nicht um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL. Denn nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG bestanden die Leistungen der Klägerin in der Überlassung ihres Geschäftsführers an die Trägervereine für die Ausführung von Geschäftsführungs- und Verwaltungsaufgaben, wobei der Geschäftsführer der Klägerin in den beiden Trägervereinen jeweils das Organ der Geschäftsführung ausfüllte.
aa) Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL definiert zwar nicht den Begriff der mit der Kinder- und Jugendbetreuung "eng verbundenen" Dienstleistung. Jedoch geht schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass sie sich nicht auf Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen bezieht, die keine Verbindung mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen aufweisen (vgl. zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG: EuGH-Urteil Horizon College vom 14.06.2007 - C-434/05, EU:C:2007:343). Schon aus diesem Grund scheiden Geschäftsführungs- und Verwaltungsdienstleistungen als mit der Kinder- und Jugendbetreuung "eng verbundene" Dienstleistungen aus.
Dieses Ergebnis wird zudem dadurch gestützt, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen von Art. 132 MwStSystRL umschrieben sind, eng auszulegen sind (EuGH-Beschluss Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst, EU:C:2019:840, Rz 36, 37; EuGH-Urteile "go fair" Zeitarbeit vom 12.03.2015 - C-594/13, EU:C:2015:164; Horizon College, EU:C:2007:343).
bb) Zudem hat das FG zutreffend entschieden, dass eine entgeltliche Personalgestellung, die als solche keine im sozialen Bereich erbrachte Gemeinwohldienstleistung darstellt und somit nicht vom Begriff der "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL umfasst wird (vgl. BFH-Beschluss vom 22.07.2015 - V R 20/12, Umsatzsteuer-Rundschau 2015, 877, Rz 3; BFH-Urteile in BFH/NV 2016, 792, Rz 18; vom 07.12.2016 - XI R 5/15, BFHE 256, 550, Rz 24). Das gilt auch dann, wenn die aufgrund der Gestellung auszuführende Tätigkeit als Leistung der Sozialfürsorge zu charakterisieren ist und die Gestellung an eine Einrichtung mit sozialem Charakter oder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts erbracht wird (EuGH-Urteil "go fair" Zeitarbeit, EU:C:2015:164, Rz 28; BFH-Urteil in BFH/NV 2016, 792, Rz 18). Nichts anderes gilt für eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen.
c) Eine Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL kommt auch nicht im Hinblick auf einen "Projektführungsvertrag" in Betracht. Soweit der Senat im Urteil in BFH/NV 2016, 792 einen solchen angesprochen und etwas anderes erwogen hat, hält er an diesen Erwägungen nicht mehr fest. Im Übrigen liegt im Streitfall eine steuerpflichtige Personalgestellung vor, so dass es auf die Aufgaben und Befugnisse des überlassenen Personals nicht ankommt.
3. Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. k MwStSystRL kommt nicht in Betracht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich die Klägerin ausdrücklich nur auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL berufen hat, denn dies schließt eine sog. stillschweigende Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. k MwStSystRL nicht aus (BFH-Urteil vom 23.09.2020 - XI R 35/18, BFHE 271, 243, Rz 28). Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. k MwStSystRL scheidet vorliegend aber schon deshalb aus, weil eine Personalgestellung der Klägerin an ihre Trägervereine vorliegt und es daher an einer Personalgestellung für die in dieser Bestimmung genannten steuerfreien Tätigkeiten fehlt. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob es sich bei der Klägerin um eine weltanschauliche Einrichtung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. k MwStSystRL handelt, weil die Personalgestellung aus den o.g. Gründen nicht für die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL genannten Tätigkeiten erfolgte.
4. Das BFH-Urteil vom 24.06.2020 - V R 21/19 (BFHE 270, 202) steht dem nicht entgegen. Maßgeblich für die Beurteilung jenes Streitfalls war die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch den Freiwilligendienst (vgl. § 1 Abs. 1 des Jugendfreiwilligendienstgesetzes), in dessen Rahmen Jugendliche unterschiedlichen Einsatzstellen zur Verfügung gestellt wurden. Bei den streitbefangenen Leistungen selbst handelte es sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen, während im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des FG die Ausführung von Geschäftsführungs- und Verwaltungsaufgaben zu beurteilen ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.