ECLI:DE:BFH:2020:VV.171120.VIIIR11.18.0
BFH VIII. Senat
EStG § 20 Abs 6 S 5, GG Art 3 Abs 1, EStG § 20 Abs 6 S 4, EStG VZ 2012 , GG Art 14 Abs 1
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 27. February 2018, Az: 5 K 69/15
Leitsätze
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen.
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen.
Tatbestand
A.
Streitig ist, ob Verluste aus der Veräußerung von Aktien mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden können, die nicht aus Aktienveräußerungen resultieren.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden für das Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte neben freiberuflichen Einkünften aus einer Tätigkeit als ... Kapitalerträge in Höhe von 2.092 € sowie Verluste aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 4.819 €, über die ihm die depotführende Bank eine Verlustbescheinigung gemäß § 43a Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) ausstellte. Die Klägerin erzielte ebenfalls Kapitalerträge in Höhe von 1.289 €. Unter den Kapitalerträgen der Kläger befanden sich keine Aktienveräußerungsgewinne. Sämtliche Kapitalerträge hatten dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.10.2013 legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) aufgrund des Antrags der Kläger zur Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der Veranlagung der Kapitaleinkünfte zum gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1, Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG nach Abzug des Sparer-Pauschbetrags Einkünfte aus Kapitalvermögen des Klägers in Höhe von 1.291 € und der Klägerin in Höhe von 488 € zugrunde. Die Verluste aus der Veräußerung von Aktien behandelte das FA gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG als nicht ausgleichsfähig. Die auf die Kapitaleinkünfte der Kläger entfallende Steuer i.S. des § 2 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG betrug 445 €. Mit Bescheid vom 04.10.2013 stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer für die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Veräußerung von Aktien) zum 31.12.2012 auf 4.819 € fest.
Im Rahmen ihres Einspruchs beantragten die Kläger, die von ihnen erzielten Kapitalerträge mit den Verlusten aus der Veräußerung von Aktien des Klägers zu verrechnen. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24.03.2015 gegenüber dem Kläger als unbegründet zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Klage der Kläger beurteilte das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 948 veröffentlichtem Urteil vom 28.02.2018 - 5 K 69/15 als für beide Kläger zulässig erhoben, wies sie jedoch als unbegründet ab. Das FG vertrat die Auffassung, § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, weil er sich bei der Regelung des Verlustverrechnungsverbots auf den Zweck der Verhinderung von spekulationsbedingten, abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken als rechtfertigenden Grund i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) habe berufen können.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision, die sie auf die Verletzung materiellen Rechts stützen. Sie sehen sich in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Verlustverrechnung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ohne hinreichenden sachlichen Grund vom Grundsatz der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit abgewichen sei. Die Vermeidung qualifizierter Haushaltsrisiken stelle keine hinreichende Rechtfertigung für eine Benachteiligung der Veräußerungsverluste von Aktien gegenüber solchen aus anderen Kapitalanlagen wie Investmentfondsanteilen, Optionsscheinen, Zertifikaten oder Termingeschäften dar. Es sei in steuersystematischer Hinsicht nicht zu rechtfertigen, dass auch Dividenden nicht mit Veräußerungsverlusten verrechnet werden könnten.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.03.2015 dahingehend abzuändern, dass die positiven Kapitalerträge des Klägers in Höhe von 2.092 € mit seinen Aktienveräußerungsverlusten verrechnet und in Höhe von 0 € angesetzt werden.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Es hat sich in der Sache, ohne einen Antrag zu stellen, dem FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
B.
Infolge der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG war das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Nach Überzeugung des Senats verstößt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit anderen Kapitaleinkünften verrechnet werden dürfen.
I. Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften
1. Rechtslage bis 2008
Nach der bis zum Jahr 2008 geltenden Rechtslage gehörten Gewinne aus der Veräußerung von Aktien zu den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Fassung (EStG 2008), wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr betrug. Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften durften gemäß § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG 2008 nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hatte, ausgeglichen werden, nicht aber nach § 10d EStG abgezogen werden. Sie minderten lediglich nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG 2008 erzielt hatte (§ 23 Abs. 3 Satz 9 EStG 2008). Ein vertikaler Verlustausgleich zwischen Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften und positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten war somit ausgeschlossen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) war die Regelung des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG 2008 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BFH-Urteil vom 18.10.2006 - IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259; vgl. auch BFH-Urteil vom 01.06.2004 - IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26). Private Veräußerungsgeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2008 wiesen die Besonderheit auf, dass daraus erzielte Gewinne und Verluste nicht uneingeschränkt der Einkommensbesteuerung unterlägen, sondern ‑‑anders als bei anderen Einkunftsarten‑‑ nur, soweit sie durch Veräußerungsgeschäfte innerhalb einer bestimmten Frist nach Erwerb der Veräußerungsgegenstände entstanden seien. Die Vorschrift räume dem Steuerpflichtigen damit die Möglichkeit ein, durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts über den Eintritt des Steuertatbestandes zu entscheiden. Diese Dispositionsmöglichkeit rechtfertige es, die streitigen Einkünfte i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2008 von dem vertikalen Verlustausgleich nach Maßgabe des § 10d EStG auszuschließen und den Verlustausgleich nur durch Verrechnung mit positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in früheren oder späteren Veranlagungszeiträumen zuzulassen. Ohne den Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs habe es der Steuerpflichtige in der Hand, einerseits Verluste steuermindernd geltend zu machen und andererseits Gewinne durch entsprechende Disposition über den Zeitpunkt der Veräußerung steuerfrei vereinnahmen zu können. Damit werde der Steuerpflichtige mit seinen Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften gegenüber Steuerpflichtigen mit (ausschließlichen) Einkünften aus anderen Einkunftsarten im Hinblick auf den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ohne hinreichenden sachlichen Grund begünstigt (BFH-Urteil in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259, unter II.2.b bb bbb [Rz 21 ff.]).
2. Rechtslage ab 2009
Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz (UntStRefG) 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) hat der Gesetzgeber die Besteuerung von Kapitalanlagen u.a. für unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen, deren Kapitalanlagen ‑‑wie bei den Klägern‑‑ dem steuerlichen Privatvermögen zuzurechnen sind, zum 01.01.2009 grundlegend neu gestaltet. Durch die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (u.a. Aktien) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen in § 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG unterliegen die dabei realisierten Wertveränderungen (Gewinne und Verluste) nunmehr in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung, wenn es sich um nach dem 31.12.2008 erworbene Kapitalanlagen handelt (vgl. BFH-Urteile vom 24.10.2017 - VIII R 13/15, BFHE 259, 535, BStBl II 2020, 831; vom 20.11.2018 - VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, und vom 03.12.2019 - VIII R 34/16, BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836). Aktienveräußerungsgewinne und -verluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 EStG gehören zu den unter den gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG) fallenden Kapitalerträgen, wenn die Aktien dem Privatvermögen zuzuordnen sind und der Veräußerer am Kapital der Gesellschaft nicht innerhalb der letzten fünf Jahre unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG).
Da für Aktienveräußerungsgewinne und -verluste und die übrigen Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG ein vom allgemeinen progressiven Einkommensteuertarif abweichender proportionaler Steuersatz von 25 % gilt und der Kapitalertragsteuerabzug grundsätzlich abgeltende Wirkung entfaltet (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG), hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG vorgesehen, dass Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen und von diesen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden dürfen (BTDrucks 16/4841, S. 58). Verluste aus Kapitalvermögen mindern innerhalb der zum gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernden Kapitaleinkünfte jedoch diejenigen Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Steuerpflichtige im Verlustentstehungsjahr und in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. Ein Verlustrücktrag ist ausgeschlossen (§ 20 Abs. 6 Sätze 2 bis 4 EStG).
Von der gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG grundsätzlich bestehenden Möglichkeit des Verlustausgleichs und Verlustvortrags für die schedulär zu besteuernden Kapitaleinkünfte enthält § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 1 EStG eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift, die auf Empfehlung des Finanzausschusses eingefügt wurde, dürfen Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen (Aktienveräußerungsverluste), nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 EStG oder Gewinnen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 EStG, sondern nur mit (gleichartigen) Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien (Aktienveräußerungsgewinne) entstehen, ausgeglichen werden. Nur Aktienveräußerungsverluste unterliegen damit innerhalb der Schedule "Einkünfte aus Kapitalvermögen" einer gesonderten Verlustverrechnungsbeschränkung (vgl. Buge in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 20 EStG Rz 620; BMF-Schreiben vom 18.01.2016 - IV C 1-S 2252/08/10004:017, BStBl I 2016, 85, Rz 118). Sinn und Zweck des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist nach der Gesetzesbegründung die Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte bedingten, abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken (BTDrucks 16/5491, S. 19). Die Verrechnung von Verlusten aus Aktienveräußerungen mit anderen positiven Kapitaleinkünften berge bei erheblichen Kursstürzen die Gefahr erheblicher Steuermindereinnahmen. Aufgrund seiner Verantwortung für verfassungsgemäße öffentliche Haushalte sei der Gesetzgeber daher befugt, den mit den Aktienmärkten verbundenen spekulationsbedingten Risiken für die öffentlichen Haushalte durch die Einführung einer speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung vorzubeugen (BTDrucks 16/5491, S. 19).
Aktienveräußerungsverluste können auch im Rahmen des bei unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Kapitalanlagen im Privatvermögen als grundsätzlich abgeltend konzipierten Kapitalertragsteuerabzugs, der eine Veranlagung entbehrlich machen soll (vgl. § 25 Abs. 1 EStG), nur mit Aktienveräußerungsgewinnen verrechnet werden, da negative Kapitalerträge gemäß § 43a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 EStG nur unter Beachtung der Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ausgleichsfähig und auf die folgenden Veranlagungszeiträume zu übertragen sind. Für die Ermittlung der kapitalertragsteuerlichen Bemessungsgrundlage, die von den Entrichtungspflichtigen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung durchzuführen ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2012 - I R 27/12, BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682, Rz 10; nunmehr § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG), sind für Aktienveräußerungsverluste und sonstige Verluste aus Kapitalvermögen personenbezogen gesonderte Verlustverrechnungstöpfe zu bilden und fortzuführen (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 225, 228, 233; zur Praxis bei Gemeinschaftskonten s. Rz 220, und zu Ehegatten, die einen gemeinsamen Freistellungsauftrag erteilen, s. Rz 212). Bei Erteilung einer gemäß § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG zu beantragenden Verlustbescheinigung sind danach der Aktienverlustverrechnungstopf und der sonstige Verlustverrechnungstopf ‑‑je nach Antrag‑‑ beide oder einzeln zu schließen und im Rahmen des Steuerabzugs nicht mehr fortzuführen. Sie sind dann unter Ausübung des Veranlagungswahlrechts gemäß § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der Veranlagung geltend zu machen und werden, soweit dort eine Verrechnung nicht möglich ist, gemäß § 10d i.V.m. § 20 Abs. 6 Sätze 3 bis 5 EStG als Aktienveräußerungsverluste oder sonstige Kapitalvermögensverluste gesondert festgestellt.
Ausnahmen vom Verbot der Verrechnung von Aktienveräußerungsverlusten mit anderen Gewinnen aus Kapitalvermögen sind ‑‑anders als bei anderen Kapitaleinkünften aus dem Katalog des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 EStG (vgl. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 Satz 2 EStG)‑‑ weder gesetzlich noch auf Antrag vorgesehen. Der besondere Verrechnungskreis für diese Verluste ist stets zu beachten und kann auch nicht im Wege der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG, bei der entweder nur positive Kapitalerträge den tariflich zu besteuernden Einkünften hinzugerechnet oder negative tarifliche Einkünfte anderer Einkunftsarten mit positiven Kapitalerträgen verrechnet werden können (BFH-Urteil vom 30.11.2016 - VIII R 11/14, BFHE 256, 455, BStBl II 2017, 443), durchbrochen werden (Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 465c).
II. Entscheidungserheblichkeit
Die Revision ist unbegründet, wenn § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verfassungsgemäß ist. Sie hat dagegen Erfolg, wenn die Regelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
1. Der Senat teilt die Würdigung des FG, dass sowohl die Klage des Klägers als auch die Klage der Klägerin zulässig erhoben wurden und hierüber einheitlich durch Sachurteil zu entscheiden war.
2. Der Antrag der Kläger war in der oben wiedergegebenen Weise rechtsschutzgewährend auszulegen.
Die Kapitaleinkünfte der Kläger wurden jeweils unter Abzug des Sparer-Pauschbetrags gemäß § 32d Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG zum gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG) veranlagt. Auf den Kläger entfallen Kapitaleinkünfte in Höhe von 1.291 € und auf die Klägerin Einkünfte in Höhe von 488 € (insgesamt 1.779 €). Die gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigende Steuer nach § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG beträgt 445 €. Den Klägern geht es ausweislich des selbst formulierten und vor dem FG sowie im Revisionsverfahren gestellten Antrags (Verrechnung von Kapitaleinkünften in Höhe von 1.779 € mit Aktienveräußerungsverlusten des Klägers und Minderung der Steuer gemäß § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG um 445 €) darum, die veranlagten Einkünfte aus Kapitalvermögen vollständig mit den Aktienveräußerungsverlusten des Klägers zu verrechnen, sodass im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung statt des bisherigen Betrags (445 €) keine Steuer gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG mehr zu berücksichtigen ist.
Das so formulierte Begehren kann jedoch selbst im Falle einer Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG und einer daraus folgenden Verrechenbarkeit mit anderen positiven Kapitalerträgen als Aktienveräußerungsgewinnen keinen Erfolg haben. Es ist auf eine ehegattenübergreifende Verlustverrechnung der Kapitaleinkünfte der Kläger mit den Aktienveräußerungsverlusten des Klägers gerichtet, für die es im Rahmen der Veranlagung an einer Rechtsgrundlage fehlt. Außerdem gehen die Kläger im Rahmen ihrer Antragstellung zu Unrecht davon aus, dass ein Abzug der Aktienveräußerungsverluste erst von den um den Sparer-Pauschbetrag geminderten Einkünften aus Kapitalvermögen vorzunehmen wäre. Der Sparer-Pauschbetrag kann gemäß § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG aber erst von positiven Kapitalerträgen abgezogen werden, die nach einer Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 EStG verbleiben (s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 119b).
Eine Minderung der auf die Kapitaleinkünfte der Klägerin entfallenden Steuer gemäß § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG (488 € * 0,25 = 122 €) ist danach von vornherein ausgeschlossen. Der Antrag der Kläger ist jedoch bei rechtsschutzgewährender Auslegung im Sinne des oben sinngemäß formulierten Antrags dahin zu verstehen, dass nur eine Minderung der laufenden Kapitalerträge des Klägers vor Abzug des Sparer-Pauschbetrags (2.092 €) um seine Aktienveräußerungsverluste des Streitjahres bis auf Null € begehrt wird.
Die vorbeschriebene rechtsschutzgewährende Auslegung scheitert nicht daran, dass eine Klageänderung im Revisionsverfahren gemäß § 67 i.V.m. § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO unzulässig ist und eine solche Erweiterung des Antrags auch darin liegen kann, dass der Kläger im Revisionsverfahren die Festsetzung der Steuer auf einen niedrigeren Betrag als vor dem FG begehrt (BFH-Urteil vom 01.06.2016 - X R 43/14, BFHE 254, 536, BStBl II 2017, 55, Rz 14). Eine solche Klageänderung wird im Rahmen des sinngemäßen Antrags nicht geltend gemacht. Zwar übersteigt der im sinngemäßen Antrag genannte abzuziehende Betrag der Aktienveräußerungsverluste des Klägers (2.092 €) den im bisherigen Antrag genannten Betrag (1.779 €). Die nach dem sinngemäßen Antrag begehrte Minderung der Steuer gemäß § 32d Abs. 3 und Abs. 4 (445 € ./. 122 € = 323 €) ist jedoch geringer als die im selbst formulierten Antrag der Kläger begehrte Steuerminderung (445 €).
3. Legt man die Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG als verfassungsgemäß zugrunde, hat das FG im angefochtenen Urteil die Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen und die zu berücksichtigende Steuer gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 32d Abs. 3 und Abs. 4 EStG im Rahmen der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr der Höhe nach zutreffend ermittelt. Insbesondere hat das FG die beantragte Verrechnung der aus der Veräußerung von Aktien erzielten Verluste mit den laufenden Kapitalerträgen des Klägers zu Recht abgelehnt, weil es sich bei den laufenden Kapitalerträgen nicht um Aktienveräußerungsgewinne i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG handelt. Die Revision wäre daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FA hätte ‑‑im nicht angefochtenen Verlustfeststellungsbescheid‑‑ die Aktienveräußerungsverluste zutreffend gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. Sätze 3 und 4 und § 10d Abs. 4 EStG in voller Höhe gesondert festgestellt.
4. Sollte sich hingegen § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG als verfassungswidrig erweisen und für nichtig erklärt werden, käme eine vollständige Verrechnung der Aktienveräußerungsverluste des Klägers mit seinen positiven laufenden Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG in Betracht. Der Revision und Klage wäre auf der Grundlage des sinngemäß gestellten Antrags stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
5. Der Entscheidungserheblichkeit der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG steht ferner nicht entgegen, dass das BVerfG bei einer Unvereinbarkeitserklärung die weitere Anwendung des bisherigen Rechts nach § 35 BVerfGG anordnen kann, obwohl der Rechtsstreit dann nicht anders zu entscheiden wäre als bei Feststellung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung. Maßgebend für die Entscheidungserheblichkeit ist allein, dass die Verfassungswidrigerklärung der Norm den Klägern die Möglichkeit offen hält, eine für sie günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (BVerfG-Beschlüsse vom 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, Rz 96, und vom 17.04.2008 - 2 BvL 4/05, BVerfGE 121, 108, Rz 31).
III. Verfassungsrechtliche Beurteilung
Nach Überzeugung des vorlegenden Senats verstößt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, als im Rahmen einer Steuerfestsetzung gemäß § 32d Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit anderen positiven Kapitaleinkünften verrechnet werden dürfen.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als "wesentlich gleich" qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 12.02.2003 - 2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218, und vom 23.05.2006 - 1 BvR 1484/99, BVerfGE 115, 381). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 29.03.2017 - 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, und vom 19.11.2019 - 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14, BVerfGE 152, 274, m.w.N.).
2. Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es erfordert, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1). Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürfen nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106, Rz 100).
a) Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 05.10.1993 - 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132, und vom 18.07.2005 - 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, Rz 126). Willkür des Gesetzgebers liegt zwar nicht schon dann vor, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 89, 132, Rz 39; in BVerfGE 145, 106, Rz 101, m.w.N.).
b) Bei der Auswahl des Steuergegenstandes belässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (BVerfG-Beschlüsse vom 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280; in BVerfGE 152, 274, Rz 100). Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag. Als besondere sachliche Gründe kommen neben außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken auch die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht (BVerfG-Beschlüsse vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, und vom 22.07.1970 - 1 BvR 285/66, 1 BvR 445/67, 1 BvR 192/69, BVerfGE 29, 104). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106, Rz 150, m.w.N.).
c) Der Gesetzgeber darf allerdings bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 126, 268, und vom 07.05.2013 - 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377). Er darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 145, 106, Rz 108; in BVerfGE 152, 274, Rz 102, jeweils m.w.N.).
d) Die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen steigen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. z.B. BVerfG-Urteile vom 08.04.1997 - 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, und vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147, Rz 95, m.w.N.).
3. Nach diesen Maßstäben ist § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar (gleicher Ansicht HHR/Buge, § 20 EStG Rz 8; Dinkelbach, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2009, 870 (873); Englisch, Steuer und Wirtschaft ‑‑StuW‑‑ 2007, 221 (237 f.); von Glasenapp, Betriebs-Berater 2008, 360 (366); Geurts in Bordewin/Brandt, § 20 EStG Rz 773; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Kap. 8 Rz 506; Jachmann, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft ‑‑DStJG‑‑ Bd. 34, 251 (264); dieselbe, StuW 2018, 9 (27); dieselbe, DB 2018, 2777 (2779 f.); Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff ‑‑KSM‑‑, EStG, § 20 Rz H 77; dieselbe, Deutsche Steuer-Zeitung ‑‑DStZ‑‑ 2010, 309 (313 f.); Klotz, Die Abgeltungsteuer, 158 ff.; Loos, DStZ 2010, 78 (82 f.); Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung, 184 f.; Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, § 20 n.F. Rz 51 f.; Oho/Hagen/Lenz, DB 2007, 1322 (1324); Recnik, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte durch die Abgeltungsteuer, 143 ff.; Rockoff, Beeinflussung der Investitionsentscheidung durch die Abgeltungsteuer, 222; BeckOK EStG/Schmidt, 9. Ed. [01.01.2021], § 20 Rz 274 ff.; Schönfeld in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 640; Wernsmann, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2009, Beihefter zu Heft 34, 101 (104); Worgulla, Die Bruttobesteuerung in der Schedule der Einkünfte aus Kapitalvermögen, 266 f.; kritisch auch: Barth, Unternehmensteuerreform 2008, 202 f.; Bleschick in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 20 Rz 177; anderer Ansicht Birk, DStJG Bd. 34, 11 (22 f.)).
Die Vorschrift behandelt Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben (unter a). Für diese Ungleichbehandlung fehlt es selbst bei einer Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichenden rechtfertigenden Grund (unter b).
a) Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erzielt haben, werden durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG insoweit ungleich behandelt, als die Aktienveräußerungsverluste nur mit Aktienveräußerungsgewinnen und nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden können, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede in deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bestehen. Dies gilt insbesondere, soweit Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erzielt haben, gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus der Veräußerung aktienbasierter Kapitalanlagen, die keine Aktien sind, schlechter gestellt werden.
aa) Neben Verlusten, die durch die börsliche und außerbörsliche Veräußerung von Aktien gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG realisiert werden und Leitbild der gesetzgeberischen Vorstellung waren (BTDrucks 16/5491, S. 19), fallen unter die Verlustverrechnungsbeschränkung auch Verluste, die durch einen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG gleichgestellten veräußerungsähnlichen Vorgang mit Aktien erzielt werden. In analoger Anwendung des Veräußerungstatbestandes gehören zu den steuerbaren Aktienveräußerungsverlusten auch solche, die aufgrund einer Einziehung/eines Squeeze-Out (vgl. BFH-Urteil in BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836; BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 69, 70) oder eines Entzugs von Aktien im Rahmen eines Insolvenzplans mittels einer Kapitalherabsetzung auf Null mit Bezugsrechtsausschluss für die anschließende Kapitalerhöhung entstehen (BFH-Urteil in BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836) sowie Verluste, die entstehen, weil eine inländische AG im Rahmen eines Insolvenzverfahrens abgewickelt und im Register gelöscht oder die Aktie infolge der Insolvenz aus dem Depot ausgebucht wird (BFH-Urteil vom 17.11.2020 - VIII R 20/18, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG erfasst darüber hinaus auch Veräußerungsverluste, die im Zusammenhang mit ausländischen Aktien entstehen (BFH-Urteile vom 12.05.2015 - IX R 57/13, BFH/NV 2015, 1364; vom 29.09.2020 - VIII R 9/17, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
bb) Das in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verwendete Merkmal der "Aktie" ist unter Anknüpfung an das Gesellschaftsrecht (vgl. §§ 8, 10, 11 des Aktiengesetzes) auszulegen und erfasst auch vergleichbare ausländische Mitgliedschaftsrechte. Nach Ansicht der Finanzverwaltung fallen unter die Regelung auch Verluste aus der Veräußerung von American Depositary Receipts (ADRs) und anderen Hinterlegungsscheinen für Aktien (BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 68, 123, 228). Verluste aus Veräußerungen von Teilrechten und von Bezugsrechten auf Aktien sind hingegen aus Sicht der Finanzverwaltung ohne Einschränkung mit anderen positiven Kapitaleinkünften verrechenbar (BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 228). Ob dieser Auffassung zuzustimmen ist, bedarf im vorliegenden Verfahren allerdings keiner Entscheidung.
Maßgebend ist, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien im Sinne der zivilrechtlichen Definition und vergleichbarer ausländischer Mitgliedschaftsrechte nur eingeschränkt, d.h. nur mit gleichartigen Gewinnen verrechnet werden dürfen, während Verluste aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG, insbesondere solcher, die die Wertentwicklung von Aktien ab- bzw. nachbilden und deshalb im wirtschaftlichen Ergebnis auf eine mittelbare Investition in Aktien gerichtet sind (z.B. Aktienfondsanteile, Aktienzertifikate, Aktienoptionen u.ä.), ohne die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG innerhalb der Schedule verrechenbar sind. Der Gesetzgeber hat solche Kapitalanlagen ausdrücklich nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG einbezogen, weil von ihnen, anders als von Aktien, kein qualifiziertes Haushaltsrisiko ausgehe (BTDrucks 16/5491, S. 19). Nicht von § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG erfasst sind nach Auffassung im Schrifttum beispielsweise Veräußerungsverluste aus Zertifikaten (Index-, Basket-, Discount-, Bonus-, Express-, Sprint-, Faktor-Zertifikate etc.), Optionsscheinen (Call-, Put-, Discount-, Knock-out-, Inline-Optionsscheine etc.), Aktienanleihen, Termingeschäften, eigenkapitalähnlichen Genussrechten, Teilrechten und Bezugsrechten auf Aktien (vgl. Bleschick in Kirchhof, a.a.O., § 20 Rz 177; Kempf in Kanzler/Kraft/Bäuml/Marx/Hechtner, EStG, 5. Aufl., § 20 Rz 410; vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 228).
cc) Die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste bewirkt bei vorhandenen positiven Kapitalerträgen (§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 EStG), die keine Aktienveräußerungsgewinne sind, dass sich die Steuerlast für den Veranlagungszeitraum der Veräußerung (Verlustentstehungszeitraum) im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs und der Veranlagung erhöht und ein Liquiditäts- und Zinsnachteil verursacht wird, da der Gesetzgeber anders als bei der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG nicht einen Höchstbetrag zum Abzug im jeweiligen Veranlagungszeitraum zulässt, sondern diesen auf einen ungewissen zukünftigen Zeitpunkt, zu dem Aktienveräußerungsgewinne in der zum Verlustausgleich erforderlichen Höhe vorliegen, verschiebt.
Anders als bei einer einkünfteübergreifenden Verlustverrechnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22.07.1991 - 1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1992, 423, Rz 7) kann nicht im Wege typisierender Betrachtung davon ausgegangen werden, dass Aktienveräußerungsverluste in der Totalperiode vollständig ausgeglichen werden können, sodass dem Steuerpflichtigen über einen Liquiditäts- und Zinsnachteil hinaus die ganze oder teilweise Nichtberücksichtigung des Verlusts und damit seiner Anschaffungskosten droht. Bereits zu Lebzeiten besteht die typische Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit, wenn nach der Realisation eines Aktienveräußerungsverlusts keine gleichartigen Gewinne nachfolgen. Aktienveräußerungsgewinne werden im Veranlagungszeitraum, in dem sie erzielt werden, uneingeschränkt besteuert, können aber auch im Rahmen des Steuerabzugs (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 229) und in der Veranlagung mit sonstigen negativen Kapitalerträgen ausgeglichen werden. So stehen Aktienveräußerungsgewinne typischerweise nicht mehr als Verlustverrechnungspotential für zukünftig entstehende Aktienveräußerungsverluste zur Verfügung. Sie sind bereits mit sonstigen negativen Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG ausgeglichen oder besteuert worden und auch ein Verlustrücktrag ist nicht möglich. Es müssen daher erst wieder neue Aktienveräußerungsgewinne erzielt werden, um eine Verrechnung mit entstandenen Aktienveräußerungsverlusten zu erreichen.
Zudem besteht die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs bei Versterben des Steuerpflichtigen. Im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 237) ist von der auszahlenden Stelle ein verbleibender Aktienverlustverrechnungstopf zu schließen, sobald sie vom Tod des Steuerpflichtigen Kenntnis erlangt, weil der Antrag auf Ausstellung einer Verlustbescheinigung gemäß § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG nach den Vorgaben des genannten BMF-Schreibens als gestellt anzusehen ist. Hierdurch kommt es zu einer Verlagerung der Aktienveräußerungsverluste in die letzte Erblasserveranlagung. Fehlt es an Aktienveräußerungsgewinnen in diesem Veranlagungszeitraum, verfallen die Aktienveräußerungsverluste. Denn in der Erblasserveranlagung der Kapitaleinkünfte gemäß § 32d Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 EStG gewährt das Gesetz keine besondere "Schlussbesteuerung" in der Form, dass verbliebene Aktienveräußerungsverluste mit anderen positiven Kapitaleinkünften verrechnet werden können. Ebenso wenig sieht das Gesetz in diesem Fall eine Verlustverrechnungsmöglichkeit in Gestalt eines (ausnahmsweise zulässigen) Verlustrücktrags vor. Vom Erblasser nicht genutzte Verlustvorträge gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG, die gemäß § 10d Abs. 4 EStG in der Vergangenheit festgestellt wurden, können auch vom Rechtsnachfolger nicht im Rahmen seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend gemacht werden (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 - GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608). Aus Gründen effektiven Rechtsschutzes wäre es deshalb aus Sicht des Senats nicht angemessen, wenn die Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG erst mit dem Eintritt des endgültigen Verlustwegfalls in der Erblasserveranlagung geltend gemacht werden könnte.
b) Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einem rechtfertigenden Grund.
aa) Aus Sicht des Senats liegen hinreichende Gründe für eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung der gesetzgeberischen Differenzierung vor.
aaa) Dem Erfordernis einer strengeren, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfung widerspricht nicht, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, Rz 144) entschieden hat, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an das Kapitalvermögen und die Kapitalerträge auszurichten und entsprechend ‑‑zu den anderen Einkunftsarten‑‑ zu differenzieren. Die Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist danach ein Gemeinwohlanliegen, das der Gesetzgeber im Rahmen seines Entscheidungsspielraums verfolgen und im Vergleich zu anderen Zielen gewichten darf. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte anderen Regelungen zu unterwerfen als bei den anderen Einkunftsarten, um hierdurch den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen zu können, entbindet ihn nach Auffassung des Senats jedoch nicht von der Verpflichtung, die Besteuerung innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte folgerichtig, d.h. gleichheitsgerecht, auszugestalten. Dieser Verpflichtung hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der speziellen Verlustausgleichsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht hinreichend entsprochen. Er ist von seiner eigenen Grundentscheidung, innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte eine Verrechnung von Verlusten mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen zuzulassen (§ 20 Abs. 6 Satz 2 EStG), abgewichen, indem er vorhergehende Veräußerungsgewinne aus Aktien uneingeschränkt besteuert und Veräußerungsverluste aus Aktien abweichend von der allgemeinen Regelung einer zusätzlichen Verlustverrechnungsbeschränkung unterwirft. Auch wenn man die allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG für negative Kapitaleinkünfte mit den positiven Einkünften tariflich besteuerter Einkunftsarten mit Blick auf den proportionalen Sondertarif des § 32d Abs. 1 EStG als gerechtfertigt ansieht, weil die Verrechnung proportional niedrig besteuerter Verluste aus Kapitalvermögen mit progressiv hoch besteuerten Gewinnen aus anderen Einkunftsarten nicht folgerichtig wäre, bedarf es einer gesonderten verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dafür, dass innerhalb der schedulär besteuerten Kapitaleinkünfte Aktienveräußerungsverluste wiederum anders als die übrigen negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen behandelt werden (vgl. HHR/Buge, § 20 EStG Rz 8; Wernsmann, DStR 2009, Beihefter zu Heft 34, 101 (104); BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106, Rz 105; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 08.03.1978 - 1 BvR 117/78, HFR 1978, 293).
bbb) Für eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung spricht auch, dass sich § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (vgl. oben unter B.III.2.d). Denn die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen auszuwählen, wird dadurch beeinträchtigt, dass der Steuerpflichtige, wenn er aufgrund erzielter Verluste nicht mehr in Aktien investieren kann oder will, die endgültige Nichtberücksichtigung der erlittenen Verluste hinnehmen muss. Er wird von der durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkten Verluststreckung deshalb dazu angehalten, seine Investition in die Verlustaktien auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde (vgl. Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz H 65).
bb) § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG hält jedoch bereits einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand. Die Regelung genügt daher erst recht nicht den sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen (vgl. oben unter aa). Es fehlt ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung. Er ergibt sich weder aus der Gefahr der Entstehung erheblicher Steuermindereinnahmen aufgrund qualifizierter Haushaltsrisiken (aaa) noch aus dem Gesichtspunkt der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen (bbb) oder aus anderen außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen (ccc). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung kommt als Rechtfertigungsgrund ebenfalls nicht in Betracht (ddd). Der Steuerpflichtige kann der Ungleichbehandlung auch nicht durch ein zumutbares Verhalten ausweichen (eee).
aaa) Die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist nicht aufgrund der Notwendigkeit zur Verhinderung von durch Spekulation mit Aktien bedingten, abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
(1) Der Gesetzgeber hat die Einführung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG maßgeblich mit den von Spekulationsgeschäften mit Aktien ausgehenden erheblichen Risiken für die öffentlichen Haushalte begründet. Die Erfahrung der Vergangenheit habe gezeigt, dass Kursstürze an den Aktienmärkten zu einem erheblichen Verlustpotential bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften führen könnten, wie insbesondere die Börsenbaisse der Jahre 2000 bis 2002 gezeigt habe, im Rahmen derer aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien innerhalb der Jahresfrist Verluste in Höhe von insgesamt 11,2 Mrd. € angefallen seien. Für das gesamte Steueraufkommen hätten diese Verluste keine relevante Bedeutung gehabt, da Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften lediglich mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften, also insbesondere nicht mit Zins- und Dividendeneinkünften, hätten verrechnet werden können. Ließe man mit der Überführung der Besteuerung von Einkünften aus der Veräußerung von Aktien von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2008 nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG eine Verrechnung von Verlusten aus der Spekulation mit Aktien mit positiven Einkünften aus (anderem) Kapitalvermögen zu, bestünde die Gefahr, dass bei vergleichbaren Kursstürzen innerhalb kürzester Zeit Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe drohten. Zur Verhinderung der von Veräußerungsgeschäften mit Aktien danach ausgehenden erheblichen Risiken für die öffentlichen Haushalte sei es daher geboten, die Verrechnung von Verlusten aus Spekulationsgeschäften mit Aktien auf ebensolche Gewinne zu beschränken (vgl. BTDrucks 16/5491, S. 19; vgl. auch Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, § 20 n.F. Rz 51 f.).
(2) Der Gesetzgeber hat der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG damit eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Rechtfertigung gegeben, die zwar nicht in erster Linie in dem Zweck der Erzielung von Steuermehreinnahmen besteht, aber auf die Sicherung des Steueraufkommens durch die Vermeidung von abstrakt drohenden erheblichen Steuermindereinnahmen aufgrund von Spekulationsgeschäften mit Aktien gerichtet ist. Das BVerfG hat zwar entschieden, dass die Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ein Gemeinwohlanliegen ist, das der Gesetzgeber im Rahmen seines Entscheidungsspielraums verfolgen und im Vergleich zu anderen Zielen gewichten darf (oben unter B.III.3.b aa aaa; vgl. auch BFH-Urteil vom 22.08.2012 - I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512, Rz 23, zur Verstetigung des Steueraufkommens als "qualifizierter Fiskalzweck"). Aus Sicht des Senats sind die vom Gesetzgeber zur Einführung der Verlustausgleichsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG angeführten Gründe jedoch nicht geeignet, die vorliegende Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu rechtfertigen. Denn auch wenn man annimmt, dass einzelne Steuerpflichtige jedenfalls dann, wenn sie durch ihr Verhalten besondere Risiken für die öffentlichen Haushalte verursachen, zu Sonderlasten herangezogen werden dürfen, muss die gesetzgeberische Rechtfertigung, die typisierend an die mit Aktiengeschäften verbundenen Verlustrisiken anknüpft, realitätsgerecht ausgestaltet sein. Die gesetzliche Typisierung darf keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Dies ist hier zur Überzeugung des Senats nicht der Fall.
(a) Der Gesetzgeber überschreitet die Grenzen zulässiger Typisierung (oben unter B.III.2.c), wenn er davon ausgeht, dass die aufgrund eines Börsencrashs zu erwartenden Verluste aus der Veräußerung von Aktien ohne die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in vollem Umfang steuermindernd geltend gemacht werden und gravierende Auswirkungen auf das Steueraufkommen haben können.
Unter Geltung der früheren Rechtslage bis zum 31.12.2008 (vgl. oben unter B.I.1.) war eine Verrechnung von Aktienveräußerungsverlusten mit Gewinnen aus allen anderen privaten Veräußerungsgeschäften, also auch mit Gewinnen aus der Veräußerung anderer Wertpapierformen oder von Grundstücken möglich (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 26. Aufl., § 23 Rz 16 ff.). Die Wahrscheinlichkeit, Verluste aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien bereits im jeweiligen Veranlagungszeitraum ausgleichen zu können, war folglich deutlich größer (vgl. Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz H 65). Zudem bestand aufgrund der Haltefristen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 2008 der Zwang, die Verluste vor deren Ablauf zu realisieren, um sie steuerlich geltend machen zu können.
Anders ist dies unter der geltenden Rechtslage, in der der Steuerpflichtige die Aktien in Verlustphasen halten kann, ohne die Nichtsteuerbarkeit eines späteren Aktienveräußerungsverlusts befürchten zu müssen. Selbst wenn man aber von dem nicht realitätsgerechten Fall ausginge, dass die zunächst rein buchmäßig bestehenden Verluste durch Veräußerung sämtlicher betroffenen privat gehaltenen Aktien steuerbar realisiert würden, wäre angesichts der Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG eine Verrechnung der Aktienverluste mit tariflich zu besteuernden positiven Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeschlossen. Verrechnungspotential bestünde ohne die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur innerhalb der zum gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG) zu besteuernden Kapitaleinkünfte, soweit neben den realisierten Aktienveräußerungsverlusten ausreichend positive Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 EStG erzielt würden; ansonsten bliebe es beim Vortrag nicht genutzter Aktienveräußerungsverluste.
Die Annahme des Gesetzgebers, auch bei Eintritt eines Börsencrashs würden trotz erheblicher Veräußerungsverluste andere positive Kapitalerträge (z.B. Zins- und Dividendenerträge und Veräußerungsgewinne gemäß § 20 Abs. 2 EStG) in einem Maße erzielt, dass die dadurch ermöglichte Verlustverrechnung innerhalb der Schedule ein strukturelles Haushaltsrisiko für den Fiskus aufgrund massiver Steuerausfälle mit sich bringen würde, ist jedoch nicht ohne weiteres realitätsgerecht. Anders als noch die Beschränkung der Verlustverrechnung bei privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG 2008 isoliert § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG die Verluste aus der Veräußerung von Aktien in einer eigenen Schedule innerhalb der Schedule des § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG. Dass von Veräußerungsgeschäften mit Aktien auch unter Geltung der neuen Rechtslage qualifizierte Haushaltsrisiken für das staatliche Steueraufkommen ausgehen, ist vom Gesetzgeber daher nicht plausibel dargetan.
(b) Auch soweit der Gesetzgeber zwar Verluste aus der Veräußerung von Aktien, nicht aber solche aus der Veräußerung indirekter Aktienanlagen (z.B. von Aktienfondsanteilen, Aktienzertifikaten oder Aktienoptionen) der besonderen Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterwirft, geht er von einer unzutreffenden Typisierung der Haushaltsrisiken aus.
Es ist nicht realitätsgerecht, wenn der Gesetzgeber bei der Veräußerung von Aktienfondsanteilen in einem Börsencrash typisierend ein geringeres Haushaltsrisiko annimmt. Aktienfonds mindern zwar im Vergleich zu Einzelaktien durch ihre Streuung die Gefahr sehr hoher Verluste aufgrund von Unternehmensrisiken, sind aber von gesamtwirtschaftlichen Marktrisiken, die der Gesetzgeber als maßgeblichen Grund für die Schaffung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG angesehen hat, in gleicher Weise betroffen. Von in Zusammenhang mit einem Börsencrash auftretenden Kursstürzen wären sie ebenfalls erfasst, und eine hierdurch ausgelöste Veräußerung einer großen Zahl von Aktienfondsanteilen würde ebenso wie die Veräußerung von Einzelaktien zu einer Minderung des Steueraufkommens beitragen. Die Gesetzesbegründung verkennt ferner, dass auch Optionsscheine und Zertifikate zum Teil weit höhere Verlustrisiken als Aktien bergen (vgl. Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz H 57).
Nichts anderes gilt, soweit der Gesetzgeber bei der Einschätzung des Haushaltsrisikos auf den tatsächlichen Verbreitungsgrad der einzelnen Anlageform (z.B. bei Aktienzertifikaten) abstellt. Dies erscheint angesichts des Umstandes, dass das Anlagerisiko in seiner Höhe nicht (nur) von der Zahl der gehandelten Kapitalanlagen, sondern auch von dem zugrunde liegenden Investitionsvolumen und dem Risikopotential der jeweiligen Kapitalanlage abhängt, ebenfalls nicht realitätsgerecht. Abgesehen davon knüpft der Gesetzgeber mit dem Verbreitungsgrad einer Kapitalanlage an ein Kriterium an, auf das der einzelne Steuerpflichtige bei seiner Anlageentscheidung keinen Einfluss nehmen kann, so dass hier ungeachtet gesetzgeberischer Einschätzungs- und Prognosespielräume verschärfte Anforderungen an die Typisierung zu stellen sind. Diese Anforderungen sind nach Auffassung des Senats nicht mehr gewahrt, wenn die Ungleichbehandlung darauf gestützt wird, dass der Steuerpflichtige einer größeren Anlegergruppe angehört, auch wenn sich ein Haushaltsrisiko regelmäßig erst aus einer Addition einer Vielzahl von Einzelrisiken ergeben kann.
Vor diesem Hintergrund hätte eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung erfordert, dass auch solche Kapitalanlagen, die mit weit höheren Verlustrisiken als Aktien verbunden sind und ein im Vergleich zum Verbreitungsgrad deutlich größeres Investitionsvolumen aufweisen, in die Verlustverrechnungsbeschränkung einbezogen werden (Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, § 20 n.F. Rz 51 f.; Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz H 59).
(c) Der Gesetzgeber überschreitet seine Typisierungsbefugnis schließlich auch insoweit, als er abstrakt drohende Haushaltsrisiken aufgrund eines Börsencrashs als Rechtfertigungsgrund für eine Verlustverrechnungsbeschränkung heranzieht, die ihre Wirkung unabhängig vom Eintritt eines Börsencrashs entfaltet. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG gilt nämlich nicht nur für Aktienveräußerungsverluste, die aus der Veräußerung infolge massiver Kursstürze resultieren, sondern auch (überschießend) für solche, die in der Phase eines Börsenanstiegs erzielt werden oder entstehen, wenn der Steuerpflichtige die Aktien bis zur Abwicklung und Löschung der AG im Register oder einer insolvenzbedingten Ausbuchung aus seinem Depot hält (vgl. oben unter B.III.3.a aa). Der Gesetzgeber hat damit die abstrakte Gefahr eines Börsencrashs zum Anlass für eine von dieser Situation losgelöste und über diese hinausgehende generelle Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste genommen. Der der Regelung zugrunde liegende Ausnahmefall hat im Tatbestand der Norm keinen Niederschlag gefunden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106, Rz 128).
bbb) Die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG lässt sich auch nicht mit der Notwendigkeit zur Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen verfassungsrechtlich rechtfertigen. Insbesondere scheidet ein Rückgriff auf die Begründung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG 2008 aus (vgl. oben unter B.I.1.). Der BFH sah in der Möglichkeit, Verluste innerhalb der Haltefrist des § 23 EStG 2008 zu realisieren, Gewinne dagegen erst nach Ablauf der Haltefrist und damit steuerfrei vereinnahmen zu können, eine Missbrauchsmöglichkeit, der der Gesetzgeber mit einer Verlustverrechnungsbeschränkung begegnen durfte, da in einem solchen Fall eine unmittelbare Verrechnung dieser Verluste mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten nicht ermöglicht werden müsse (vgl. BFH-Urteile in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259; vom 07.11.2006 - IX R 45/04, BFH/NV 2007, 1473, und vom 06.03.2007 - IX R 31/04, BFH/NV 2007, 1478). Dieser Zweck greift indes nicht mehr, seit § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgewinne und -verluste unabhängig von einer Haltefrist steuerlich erfasst, so dass die Steuerbarkeit von Verlusten und die Nichtsteuerbarkeit von Gewinnen vom Steuerpflichtigen nicht mehr planmäßig gestaltet werden kann. Im Übrigen stellt die Herbeiführung von Verlustverrechnungspotential keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten dar, weil der Steuerpflichtige, wenn er sich durch die Veräußerung von Verlustaktien trennt, nicht gegen eine gesetzlich vorgegebene Wertung verstößt, sondern im Gegenteil von der ihm in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht (BFH-Urteile vom 12.06.2018 - VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 21, und vom 29.09.2020 - VIII R 9/17, Rz 21). Auch aus § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG folgt, dass der Steuerpflichtige Verluste zeitlich so realisieren darf, dass ein unmittelbarer Ausgleich mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen im jeweiligen Veranlagungszeitraum möglich ist, weil sich im Saldo ein realitätsgerechtes Abbild seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zeigt. Dass die Veräußerung einer Aktie im Verlustzeitpunkt als solche nicht als missbräuchlich angesehen werden kann, zeigt sich schließlich auch daran, dass Verluste natürlicher Personen aus der Veräußerung von im Betriebsvermögen gehaltenen Aktien oder aus wesentlichen privaten Beteiligungen i.S. des § 17 Abs. 1 EStG (unter den weiteren Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG) weiterhin voll ausgleichsfähig sind, obwohl der Realisationszeitpunkt hier gleichermaßen der Disposition des Steuerpflichtigen unterliegt (vgl. Jachmann, DStJG Bd. 34, 251 (264); Englisch, StuW 2007, 221 (238); Worgulla, Die Bruttobesteuerung in der Schedule der Einkünfte aus Kapitalvermögen, 266 f.).
ccc) Ein sachlicher Grund für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung ergibt sich auch nicht aus etwaigen mit der Regelung verfolgten außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen.
(1) Der Steuergesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen (zu den Kapitaleinkünften s. BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239). Nur dann jedoch, wenn solche Förderungs- und Lenkungsziele von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen werden, sind sie auch geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Belastungen oder Entlastungen zu liefern. Weiterhin müssen die Förderungs- und Lenkungszwecke gleichheitsgerecht ausgestaltet sein und jedenfalls ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen (BVerfG-Beschlüsse vom 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, und vom 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1; BVerfG-Urteile vom 06.03.2002 - 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, und in BVerfGE 122, 210, m.w.N.).
(2) Danach kommen Förderungs- oder Lenkungszwecke als Grundlage sachlicher Rechtfertigung der Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht in Betracht. Zwar kann der Gesetzesbegründung das Lenkungsziel entnommen werden, dass mit der Verlustverrechnungsbeschränkung gesamtwirtschaftlich unerwünschten Fehlanreizen zur Durchführung von Spekulationsgeschäften, die mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken für die Allgemeinheit verbunden sind, entgegengewirkt werden sollte (BTDrucks 16/5491, S. 19). Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit zu verhindern, stellt auch grundsätzlich einen legitimen Grund für eine Durchbrechung des einkommensteuerrechtlichen Grundsatzes dar, wonach Verluste eines Veranlagungszeitraums mit anderen vom Steuerpflichtigen erzielten positiven Einkünften ausgeglichen werden können (vgl. BFH-Urteil vom 17.10.1990 - I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136, unter II.B.III.1.b [Rz 23]; BVerfG-Beschluss vom 08.10.1975 - 1 BvR 141/75, HFR 1975, 581). Aufgrund der generellen Einbeziehung von Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien in die Steuerbarkeit unabhängig von einer Mindesthaltedauer kann nach Auffassung des Senats aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausgestaltung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG vom Gesetzgeber hinreichend auf diesen Zweck abgestimmt worden ist (vgl. Wernsmann, DStR 2009, Beihefter zu Heft 34, 101 (104); Schönfeld in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 640). Denn die Einschränkung der Verlustverrechnung betrifft sämtliche Fälle der Entstehung von Aktienveräußerungsverlusten und damit auch Verluste aus der Veräußerung von langfristigen (nicht-spekulativen) Aktienanlagen (vgl. oben unter B.III.3.a).
Die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist im Hinblick auf den Lenkungszweck der Verhinderung von Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit aber auch zu eng gefasst. Nicht in die Verlustverrechnungsbeschränkung einbezogen sind nämlich solche Kapitalanlagen, die deutlich höhere Gewinnchancen und Verlustrisiken als Aktien beinhalten und sich deshalb besser für Spekulationszwecke eignen (Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, § 20 n.F. Rz 52; Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27)).
Vor diesem Hintergrund vermag der Rechtfertigungsgrund der Vermeidung der Spekulation auf Kosten der Allgemeinheit die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht zu tragen.
ddd) Offen bleiben kann, ob die Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG auch der Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform 2008 diente (vgl. hierzu Loos, DStZ 2010, 78 (79 ff.)). Denn der rein fiskalische Zweck der staatlichen Einnahmenmehrung reicht für sich genommen nicht als rechtfertigender Grund für eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aus (BVerfG-Beschlüsse vom 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, und in BVerfGE 141, 1, Rz 96).
eee) Eine hinreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung kann schließlich nicht daraus erwachsen, dass der Steuerpflichtige grundsätzlich die Möglichkeit hätte, anstelle einer Direktanlage in Aktien auf andere (auch aktienbasierte) Kapitalanlagen auszuweichen, die nicht zu nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur eingeschränkt verrechenbaren Veräußerungsverlusten führen. Ein mögliches Ausweichverhalten des Steuerpflichtigen vermag eine Ungleichbehandlung nur dann zu rechtfertigen, wenn es für den Steuerpflichtigen zumutbar ist und diesen insbesondere nicht an der Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Freiheiten hindert (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008 - 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 135). Von einer solchen Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Freiheiten wäre aus Sicht des Senats aber auszugehen, wenn sich der Steuerpflichtige aus Gründen der steuerlichen Verlustnutzung auf andere Anlageformen verweisen lassen müsste, da es allein ihm obliegt, im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit zwischen den verschiedenen Anlageformen zu entscheiden (vgl. oben unter B.III.3.b aa bbb).
4. Eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung von § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist nicht möglich.
a) Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung gebietet es, bei mehreren Möglichkeiten der Normauslegung, die teils zu einem verfassungswidrigen und teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige maßgeblich sein zu lassen, bei der die Regelung mit der Verfassung vereinbar ist. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz jedoch nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 02.04.2001 - 1 BvR 355/00, 1 BvR 409/00, 1 BvR 674/00, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 2160, und vom 26.04.1994 - 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263).
b) Danach scheidet im Streitfall eine verfassungskonforme Auslegung aus. Insbesondere kann § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht dahin einschränkend ausgelegt werden, dass Verluste aus Aktienveräußerungen mit anderen positiven Erträgen aus Aktien i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, z.B. Dividenden, verrechnet werden können, obwohl es sich insoweit um dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit handelt und Aktienkursverluste ‑‑insbesondere bei zeitlicher Nähe der Veräußerung zum Dividendenstichtag‑‑ auch auf zuvor erfolgten Ausschüttungen beruhen können (vgl. Dinkelbach, DB 2009, 870 (873)). Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist ein Ausgleich nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, möglich. Auch nach dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 16/5491, S. 19) sollte eine Verrechnung der Aktienveräußerungsverluste mit jeglichen anderen Einkünften aus Kapitalvermögen, insbesondere auch mit Zins- und Dividendeneinkünften, ausgeschlossen sein (im Ergebnis ebenso auch Recnik, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte durch die Abgeltungsteuer, 151).
IV. Weitere Verfassungsverstöße
Ob und inwieweit § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 14 GG verfassungswidrig ist, lässt der Senat offen. Die Beurteilung etwaiger weiterer Verfassungsverstöße obliegt allein dem BVerfG; sie gehört nicht zur Begründung des Vorlagebeschlusses (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 141, 1, Rz 31; vgl. auch BeckOK BVerfGG/Geißler, 10. Ed. [01.01.2021], § 80 Rz 61, m.w.N.).