ECLI:DE:BFH:2020:U.171220.IVR40.19.0
BFH IV. Senat
KraftStG § 1 Abs 1 Nr 1, KraftStG § 3 Nr 5
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 25. September 2019, Az: 8 K 8214/18
Leitsätze
Der für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG erforderliche Zusammenhang zwischen der Beförderung eines Kranken und dessen medizinischer Behandlung liegt nicht vor, wenn Personen zu einer Tagespflegestätte befördert werden.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.09.2019 - 8 K 8214/18 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist seit dem 10.04.2018 Halterin eines Fahrzeugs der Marke Ford Transit, das unter dem amtlichen Kennzeichen ... zugelassen ist (nachfolgend: das Fahrzeug). Eingetragen in die Zulassung des Fahrzeugs sind eine Auffahrrampe für Rollstühle im Heck des Fahrzeugs, eine mechanisch betätigte Trittstufe sowie Befestigungseinrichtungen für zwei Rollstühle in Verbindung mit Verankerungspunkten für Personenrückhaltesysteme.
Die Klägerin betreibt einen Fahrdienst. Sie schloss eine Rahmenvereinbarung mit der Krankenkasse X "über die Leistungserbringung und Vergütung von Krankenfahrten auf Grund ärztlicher Verordnung für gehunfähige Patienten". Gegenstand der Vereinbarung ist die Leistung und Vergütung von ärztlich verordneten Krankenfahrten ohne medizinisch-fachliche Betreuung für gehunfähige Patienten, die auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sind oder nach ärztlicher Beurteilung liegend oder im Tragestuhl befördert werden müssen. Einen weiteren Vertrag schloss die Klägerin mit der Betreiberin der Tagespflegestätte "S". Gegenstand dieser Vereinbarung ist die morgendliche Beförderung von Personen von ihrer Wohnung zu der Tagespflegestätte für Senioren "G" und die nachmittägliche Beförderung zurück.
Am 16.04.2018 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG).
Das HZA lehnte die Erteilung der beantragten Steuerbefreiung ab und setzte für das Fahrzeug Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 324 € jährlich gegen die Klägerin fest. Die Steuerbefreiung sei nicht zu gewähren, da mangels fachgerechter medizinischer Betreuung keine qualifizierten Krankentransporte durchgeführt worden seien. Die steuerbefreite Krankenbeförderung beinhalte im Übrigen nicht den Transport von Senioren zu Tagespflegestätten.
Den Einspruch der Klägerin wies das HZA zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 26.09.2019 - 8 K 8214/18 statt. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen der Steuerbefreiung. 20 % der Fahrten dienten der Beförderung von erkrankten und behandlungsbedürftigen Personen im Sinne des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts. Auch die mit den übrigen 80 % der Fahrten durchgeführte Beförderung von Pflegebedürftigen zu einer Tagespflege erfülle die Voraussetzungen der Steuerbefreiung. Dem stehe nicht entgegen, dass dem Aufenthalt in einer Tagespflegeeinrichtung oft nur betreuender Charakter zukomme. Die unterstützenden Maßnahmen wie Gymnastik, Gruppen- und Einzelbetreuung dienten jedenfalls der Aufrechterhaltung eines lebenswerten Daseins und böten eine Hilfe, die körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen zu mildern und ihnen entgegenzuwirken und damit den Krankheitszustand des zu Pflegenden zu verbessern.
Das HZA rügt mit der Revision die Verletzung des § 3 Nr. 5 KraftStG.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Die von dem HZA geforderte naturwissenschaftlich-medizinische Begründung des Begriffs der Krankheit werde von den Personen erfüllt, die mit dem Fahrzeug der Klägerin befördert würden. Weshalb das HZA schwerste Krankheitsbilder wie Demenz, Parkinson oder Schlaganfall nicht als solche Krankheiten, die behandlungsbedürftig seien, einstufe, könne nicht nachvollzogen werden.
Die Klägerin und das HZA haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin das Fahrzeug ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet, wenn sie auch Personen in eine Tagespflegestätte befördert. Das FG hat deshalb rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG bejaht.
1. Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG das Halten inländischer Fahrzeuge zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Befreit von der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 3 Nr. 5 KraftStG das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich im Feuerwehrdienst, im Katastrophenschutz, für Zwecke des zivilen Luftschutzes, bei Unglücksfällen, im Rettungsdienst oder zur Krankenbeförderung verwendet werden. Voraussetzung ist weiterhin, dass die Fahrzeuge äußerlich als für diese Zwecke bestimmt erkennbar sind. Bei Fahrzeugen, die nicht für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder einen Zweckverband zugelassen sind, ist außerdem Voraussetzung, dass sie nach ihrer Bauart und Einrichtung den bezeichneten Verwendungszwecken angepasst sind.
2. Das vorliegend ‑‑alleine‑‑ streitige Tatbestandsmerkmal der ausschließlichen Verwendung des Fahrzeugs zur Krankenbeförderung setzt voraus, dass kranke Menschen befördert werden.
Eine Krankheit i.S. des § 3 Nr. 5 KraftStG ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei einem anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand anzunehmen, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Die Behandlungsbedürftigkeit schließt eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung ein; das Vorliegen eines dringenden Soforteinsatzes ist jedoch nicht erforderlich. Krankenbeförderung i.S. des § 3 Nr. 5 KraftStG setzt danach voraus, dass die beförderte Person behandlungsbedürftig ist und die Beförderung mit der Behandlung im Zusammenhang steht (BFH-Urteile vom 13.09.2018 - III R 10/18, BFHE 262, 532, Rz 12, und vom 10.06.2019 - III R 47/18, BFHE 265, 466, Rz 14 f.).
3. Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 5 KraftStG stellt Anforderungen an die zu befördernde Person (dazu unter a), an das Fahrzeug (dazu unter b) und an den Zweck der Beförderung (dazu unter c).
a) Bei der beförderten Person muss es sich um einen kranken Menschen handeln. Diese Person muss nach der oben unter II.2. ausgeführten Definition nicht nur einen anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitszustand aufweisen, sondern auch behandlungsbedürftig sein.
b) Das für den Krankentransport eingesetzte Fahrzeug selbst muss äußerlich erkennbar für diesen Zweck bestimmt sein. Wenn Halter des Fahrzeugs weder eine der im Gesetz genannten Gebietskörperschaften noch ein Zweckverband ist, muss das Fahrzeug zudem nach Bauart und Einrichtung dem Verwendungszweck der Krankenbeförderung angepasst sein.
c) Die Beförderung muss schließlich mit der medizinischen Behandlung des beförderten Kranken in einem Zusammenhang stehen. Auch wenn es keines dringenden Soforteinsatzes bedarf, wie er regelmäßig bei Fahrzeugen des Rettungsdienstes gegeben ist, bedarf es für die Verwendung zur Krankenbeförderung doch einer gewissen Dringlichkeit. Diese kommt in der medizinischen Behandlungsbedürftigkeit der beförderten kranken Person zum Ausdruck.
4. Das Urteil des FG ist aufzuheben, da das FG den nach § 3 Nr. 5 KraftStG erforderlichen Zusammenhang zwischen der Krankheit der beförderten Person und dem Bedürfnis ihrer Beförderung zur medizinischen Behandlung übersehen hat (dazu unter a). Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen selbst entscheiden und weist die Klage nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO ab (dazu unter b).
a) Das FG hat es für die Verwendung eines Fahrzeugs zur Krankenbeförderung als ausreichend erachtet, dass an dem Ziel der Beförderung ‑‑der Tagespflegestätte‑‑ oftmals nur betreuende Tätigkeiten vorgenommen werden. Der Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung sei gleichwohl zu bejahen, da der Aufenthalt durch unterstützende Maßnahmen letztlich der Aufrechterhaltung eines lebenswerten Daseins diene und helfe, den krankheitsbedingten Zustand zu verbessern.
Mit diesem Rechtsverständnis verlässt das FG jedoch den für die Steuerbefreiung gezogenen Rahmen für die Annahme der Verwendung eines Fahrzeugs zur Krankenbeförderung. Dient die Beförderung im Wesentlichen dazu, die beförderte Person in eine Einrichtung zu bringen, in der lediglich betreuende Maßnahmen erbracht werden, so dient sie nicht dazu, eine behandlungsbedürftige kranke Person zu der erforderlichen medizinischen Behandlung zu bringen. Der Senat verkennt nicht die wichtige soziale Bedeutung, die Angebote der Tagespflege für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige erfüllen. Der Befreiungstatbestand des § 3 Nr. 5 KraftStG lässt sich nach seinem Wortlaut jedoch nicht dahin auslegen, dass die Steuerbefreiung auch eine Personenbeförderung von Menschen zu sozialrechtlich beanspruchbaren Betreuungen oder allgemein sozial wertvollen Angeboten umfasst. Eine dahingehende Steuerbefreiung bedürfte einer erweiternden gesetzlichen Regelung.
b) Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen selbst entscheiden und weist die Klage ab.
Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin mit dem Fahrzeug zu 80 % Fahrten vorgenommen, durch die Personen von deren Wohnung in eine Tagespflegeeinrichtung und später wieder zurück befördert wurden. Dass es sich bei den beförderten Personen um behandlungsbedürftige Kranke gehandelt und ihre Beförderung im Zusammenhang mit der notwendigen medizinischen Behandlung gestanden hat, ist nicht ersichtlich.
Da die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG eine ausschließliche Verwendung des Fahrzeugs zu steuerbefreiten Zwecken verlangt, ändert es nichts an dem Entscheidungsergebnis, dass die Klägerin mit dem Fahrzeug zu 20 % auch Fahrten unternommen hat, denen eine ärztliche Verordnung zugrunde lag und bei denen deshalb eine Verwendung zur Krankenbeförderung anzunehmen ist. Die Klage musste deshalb (vollständig) abgewiesen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
6. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).