ECLI:DE:BFH:2020:B.170820.IIB32.20.0
BFH II. Senat
FGO § 105 Abs 5, FGO § 116 Abs 6, FGO § 119 Nr 6, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 10. March 2020, Az: 8 K 1638/19
Leitsätze
NV: Der pauschale Verweis auf "die nachvollziehbaren Feststellungen und schlüssigen Beweiswürdigungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen" ist als Begründung eines FG-Urteils nicht ausreichend.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 11.03.2020 - 8 K 1638/19 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Mit notariellem Vertrag vom 19.08.2014 erwarb der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ein Grundstück. Als Kaufpreis wurden … € beurkundet. Mit Grunderwerbsteuerbescheid vom 22.10.2014 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ausgehend von dieser Bemessungsgrundlage die Grunderwerbsteuer in Höhe von … € fest.
Eine spätere Steuerfahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass abweichend vom verbrieften Kaufpreis tatsächlich ein Kaufpreis in Höhe von … € vereinbart worden war. Die Steuerfahndungsstelle ging aufgrund von Feststellungen und Zeugenaussagen davon aus, dass Zahlungen durch eine dem Kläger zuzurechnende GmbH auf zwei Scheinrechnungen erfolgt seien und der Kläger eine Verbindlichkeit gegenüber einem der beiden Verkäufer zur angeblichen Rückzahlung eines nie begebenen Darlehens vereinbart habe.
Unter Verweis auf den strafrechtlichen Ermittlungsbericht erhöhte das FA die Grunderwerbsteuer entsprechend und wies den dagegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 10.11.2019 als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls gab der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2020 die wesentlichen Feststellungen des Ermittlungsberichts der Steuerfahndung zur Kenntnis. Eine Beweisaufnahme fand nicht statt. In der Urteilsbegründung führte das Finanzgericht (FG) aus, durch die Ermittlungen der Steuerfahndung sei bekanntgeworden, dass der Kaufpreis … € statt der beurkundeten … € betragen habe. Der Senat habe aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass die nachvollziehbaren Feststellungen und schlüssigen Beweiswürdigungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen, wie sie im Ermittlungsbericht vom 06.06.2019 im Einzelnen dargestellt seien, zutreffen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger u.a. geltend, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen. Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Dessen Urteil leidet an einem vom Kläger zu Recht gerügten Verfahrensmangel, auf dem es beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), da es nicht mit Gründen versehen ist (§ 119 Nr. 6 FGO).
1. Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss ein finanzgerichtliches Urteil u.a. Entscheidungsgründe enthalten. Fehlt es hieran, ist das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 6 FGO).
a) Eine Entscheidung ist nicht mit Gründen versehen, wenn sie nicht erkennen lässt, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für sie maßgeblich waren (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.11.2018 - XI R 32/17, BFH/NV 2019, 280, Rz 21, m.w.N.).
Der Begründungszwang bezweckt, die Prozessbeteiligten über die das Urteil tragenden Erkenntnisse und Überlegungen des Gerichts zu unterrichten. Dabei muss das FG zwar nicht auf alle Einzelheiten des Sachverhalts und auf jede von den Beteiligten angestellte Erwägung näher eingehen. Ein Urteil enthält aber keine hinreichenden Entscheidungsgründe, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht oder einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 280, Rz 22, m.w.N.)
Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist somit dann anzunehmen, wenn in Bezug auf einen wesentlichen Streitpunkt die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Urteile in BFH/NV 2019, 280, Rz 23, und vom 10.12.2019 - VIII R 33/16, BFH/NV 2020, 517, Rz 15, jeweils m.w.N.). Dagegen ist ein dahingehender Verfahrensmangel nicht gegeben, wenn noch zu erkennen ist, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Beschlüsse vom 21.07.2017 - X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447, Rz 11, und vom 08.05.2018 - XI B 5/18, BFH/NV 2018, 958, Rz 16, jeweils m.w.N.).
b) Zwar kann nach § 105 Abs. 5 FGO das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Dies soll einerseits nicht den Rechtsschutz des Bürgers einschränken, andererseits aber die Gerichte durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf bereits vorliegende und zutreffend begründete Verwaltungsentscheidungen von unnötiger Formulierungs- und Schreibarbeit entlasten (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 958, Rz 15, m.w.N.). Die Ausführungen, auf die verwiesen wird, sind stets eindeutig zu kennzeichnen (Brandt in Gosch, FGO § 105 Rz 67).
c) Im Streitfall lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen, auf welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage das FG für den Grundstückserwerb zu einer höheren Gegenleistung als im Kaufvertrag notariell beurkundet gelangt ist. Der pauschale Verweis auf "die nachvollziehbaren Feststellungen und schlüssigen Beweiswürdigungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen, wie sie im Ermittlungsbericht vom 06.06.2019 im Einzelnen dargestellt sind" ist hierfür nicht ausreichend.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2020 das FG den Beteiligten die wesentlichen Feststellungen des Ermittlungsberichts zur Kenntnis gab. Denn anders als im Sachverhalt, der dem BFH-Beschluss vom 07.07.2014 - X B 134/13 (BFH/NV 2014, 1772) zu Grunde lag und in dem sich aus dem Protokoll des Erörterungstermins ergab, dass konkret die im damaligen Fall relevante Höhe einer Schätzung besprochen wurde, ergibt sich weder aus dem Urteil im Streitfall noch dem Sitzungsprotokoll, welches die wesentlichen Feststellungen aus Sicht des FG waren und aus welchen Gründen diese für zutreffend gehalten wurden.
d) Eine Begründung des FG war auch nicht aufgrund § 105 Abs. 5 FGO entbehrlich, denn die pauschale Bezugnahme auf den Ermittlungsbericht stellt in diesem Fall keine Feststellung i.S. des § 105 Abs. 5 FGO dar. Das FG hat nicht festgestellt, dass es dem Ermittlungsbericht inhaltlich umfassend folgt, sondern dessen Bestandteile im Rahmen einer eigenen "Würdigung" als nachvollziehbar und schlüssig bezeichnet. Dabei wird jedoch nicht ersichtlich, was die maßgeblichen Feststellungen und Überlegungen für das Gericht waren (vgl. BFH-Beschluss vom 17.09.2009 - IV B 82/08, BFH/NV 2010, 50, Rz 10, m.w.N.).
Insofern kann dahingestellt bleiben, ob ein Verweis auf einen strafrechtlichen Ermittlungsbericht überhaupt gemäß § 105 Abs. 5 FGO ausreichend sein kann (so möglicherweise Brandt in Gosch, a.a.O., § 105 Rz 68 mit Verweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; anderer Ansicht wohl Brandis in Tipke/Kruse, § 105 FGO, Rz 21).
e) Das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO ist ein Verfahrensmangel, auf dem das FG-Urteil beruhen kann (§ 119 Nr. 6 FGO). Dessen Vorliegen stellt für sich allein eine Verletzung von Bundesrecht dar und führt grundsätzlich unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, und zwar ohne materiell-rechtliche Ausführungen des Revisionsgerichts (vgl. zu § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO: BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 280, Rz 25, m.w.N.).
Eine Ausnahme hiervon lässt die Rechtsprechung nur zu, wenn ein übergangenes Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung oder zur Abwehr des Angriffs ungeeignet war und eine erneute Entscheidung des FG deshalb nur zu einer Bestätigung des Urteils führen könnte (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 280, Rz 26, m.w.N.).
Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich im Streitfall indes nicht.
2. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
3. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO, der auch für das Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Anwendung findet (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2018, 958, Rz 24, und vom 12.11.2019 - V B 44/18, BFH/NV 2020, 236, Rz 5, jeweils m.w.N.), ohne Angabe weiterer Gründe.