ECLI:DE:BFH:2020:B.300620.XIS11.20.0
BFH XI. Senat
FGO § 133a Abs 2 S 5, GG Art 103 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, FGO § 133a Abs 1 S 1
vorgehend BFH , 10. December 2019, Az: XI R 26/18
Leitsätze
NV: Mit dem Vorbringen, das Gericht habe in der Sache fehlerhaft entschieden, kann der Rügeführer im Verfahren der Anhörungsrüge nicht gehört werden.
Tenor
Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11.12.2019 - XI R 26/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Durch Urteil vom 11.12.2019 - XI R 26/18 (BFH/NV 2020, 616) hat der Senat die Revision der Klägerin, Revisionsklägerin und Rügeführerin (Klägerin) gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.01.2018 - 8 K 2620/15 wegen Umsatzsteuer 2010 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung, warum der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist, hat er zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Senatsurteil vom 11.12.2019 - XI R 13/18 (BStBl II 2020, 296) Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Anhörungsrüge nach § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie macht zur Begründung geltend, der Senat habe ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, dass
1.
der Senat sich nicht mit dem von der Klägerin angestellten Gesamtsteuervergleich zwischen Spielbanken und Spielhallen befasst habe. Die Spielbanken seien durch die Spielbankabgabe insgesamt steuerlich weniger belastet als die normal besteuerten Spielhallenbetreiber. Die Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe habe die Klägerin gerügt. Dies griffen die Urteilsgründe nicht auf. Weder der Hinweis des erkennenden Senats auf die Konkurrentenklage noch die Ausführungen zur Zulässigkeit der Anrechnung könnten dies ersetzen. Der Verstoß des Senats im Hinblick auf die Stillhalteverpflichtung des Art. 108 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sei evident.
2.
der Senat ausweislich des Leitsatzes 5 und der Rz 56 des Senatsurteils in BStBl II 2020, 296 unzutreffend davon ausgegangen sei, dass gesetzliche Vorschriften existierten, die es ermöglichen würden, dass ein bestimmter Mindestprozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt werde und die Einsätze technisch und gegenständlich von den Einsätzen getrennt werden, die der Betreiber tatsächlich für sich verbuchen könne. Seit der Novelle der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (Spielverordnung ‑‑SpielV‑‑) im Jahr 2006 bestehe eine solche nicht mehr.
Entscheidungsgründe
II.
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Anhörungsrüge ist auf die Geltendmachung der Verletzung rechtlichen Gehörs beschränkt (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 02.08.2007 - XI S 9/07, BFH/NV 2007, 2308; vom 13.11.2012 - V S 11/12, BFH/NV 2013, 237; vom 13.12.2013 - X S 48/13, BFH/NV 2014, 552).
a) Die Rüge muss das Vorliegen der Voraussetzungen der Anhörungsrüge darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 5 FGO). Dazu muss ein Rügeführer schlüssig und substantiiert darlegen, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen er sich im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht habe äußern können, welches entscheidungserhebliche Vorbringen in diesem Verfahren das Gericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen habe und woraus der Rügeführer dies meint folgern zu können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26.03.2014 - XI S 1/14, BFH/NV 2014, 1071, Rz 7; vom 25.02.2016 - VII S 26/15, BFH/NV 2016, 775, Rz 3). Zudem muss er u.a. vortragen, inwiefern dadurch die mit der Anhörungsrüge angefochtene Entscheidung ‑‑auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts‑‑ anders hätte ausfallen können (vgl. BFH-Beschluss vom 07.02.2011 - XI S 29/10, BFH/NV 2011, 824, Rz 10). Insbesondere genügen Ausführungen, die sich im Wesentlichen gegen die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung wenden, ohne im Übrigen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör substantiiert darzulegen, nicht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22.04.2013 - IX S 8/13, BFH/NV 2013, 1244, Rz 3; vom 11.09.2013 - I S 14, 15/13, BFH/NV 2014, 50, Rz 7).
b) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO) verlangt von dem erkennenden Gericht vornehmlich, dass es die Beteiligten über den Verfahrensstoff informiert, ihnen Gelegenheit zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.02.2011 - XI S 1/11, BFH/NV 2011, 829; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2014 - 1 BvR 1126/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 441, Rz 29). Ein Anspruch darauf, dass das Gericht einen Verfahrensbeteiligten "erhört", sich seinen rechtlichen Ansichten oder seiner Sachverhaltswürdigung anschließt, ergibt sich hingegen aus dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht (BFH-Beschlüsse vom 27.04.2015 - X B 47/15, BFH/NV 2015, 1356, Rz 9; vom 12.08.2015 - III B 50/15, BFH/NV 2015, 1670, Rz 15; BFH-Urteil vom 16.04.2015 - IV R 44/12, BFH/NV 2015, 1085, Rz 25).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2011, 824; vom 10.09.2014 - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47).
2. Gemessen daran ist die Anhörungsrüge jedenfalls unbegründet.
a) Soweit die Klägerin unter I.1. behauptet, der Senat habe ihren Vortrag zum Beihilfeverfahren und zu ihrer ‑‑unzutreffenden‑‑ Ansicht, auch im Verfahren wegen Umsatzsteuer sei ein Gesamtsteuervergleich anzustellen, nicht zur Kenntnis genommen, ist diese Rüge unzulässig.
aa) Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11.12.2019 (Bl. 490 ff. der Akte XI R 26/18) und dem Redemanuskript des Klägervertreters (Anlage zur Niederschrift, Bl. 494 ff. der Akte XI R 26/18) ergibt sich, dass diese Fragen Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Sowohl aus dem Leitsatz 6 als auch aus den Rz 6 und 12 der angefochtenen Entscheidung in BFH/NV 2020, 616 ergibt sich, dass der Senat den Vortrag der Klägerin gehört und erwogen, aber für nicht durchgreifend erachtet hat. Gleiches ergibt sich aus den Rz 62, 63 und 70 des Senatsurteils in BStBl II 2020, 296. Weshalb die Klägerin meint, gleichwohl ableiten zu können, dass der Senat ihren diesbezüglichen Vortrag nicht gehört und erwogen habe, zeigt die Rüge nicht auf.
bb) Nur beiläufig sei daher darauf hingewiesen, dass die Rüge auch unbegründet ist. Der Senat hat den Vortrag der Klägerin gehört und erwogen, aber aus den dort genannten Gründen nicht für durchgreifend erachtet. Er sieht außerdem seine Einschätzung, dass das Beihilfeverfahren keinen Einfluss auf die Umsatzsteuer hat, durch die Tz. 53, 119 ff. des ‑‑von der Klägerin im Rügeverfahren mit Schriftsatz vom 15.06.2020 eingereichten‑‑ Kommissionsdokuments (COM [2019] 8819 final) bestätigt.
b) Im Übrigen (Rüge unter I.2.) ist die Rüge jedenfalls unbegründet. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Senat nicht von einer unzutreffenden Bauart der Geräte und unzutreffenden rechtlichen Vorgaben in der SpielV ausgegangen.
aa) Die Ausführungen des Senats in den Rz 20 ff., 32 ff. des Senatsurteils in BStBl II 2020, 296 zeigen, dass der Senat den Vortrag der Klägerin zur Bauart zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Er hat nämlich seine Auffassung, dass die Umsätze steuerbar seien, nicht aus der Bauart der Geräte abgeleitet, sondern aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), die ebenfalls trotz Zufallsabhängigkeit die Steuerbarkeit der Veranstaltung eines (Geldautomaten-)Glücksspiels bejaht. Der Senat hat nicht nur auf die Rechtssache Glawe (EuGH-Urteil vom 05.05.1994 - C-38/93, EU:C:1994:188, BStBl II 1994, 548) abgestellt, die andere Geräte als im Streitfall betrifft, sondern auch auf die EuGH-Urteile in den Rechtssachen Fischer vom 11.06.1998 - C-283/95 (EU:C:1998:276, HFR 1998, 777, zum Roulette), Town & County Factors vom 17.09.2002 - C-498/99 (EU:C:2002:494, BFH/NV 2003, Beilage 1, 35, zu einem Ratewettbewerb) und RAL (Channel Island) u.a. vom 12.05.2005 - C-452/03 (EU:C:2005:289, BFH/NV 2005, Beilage 4, 302, zu Geldspielautomaten aus dem Vereinigten Königreich, für die weder die alte noch die neue deutsche SpielV galt). Trotz anderer tatsächlicher Umstände als in der Rechtssache Glawe (EU:C:1994:188, BStBl II 1994, 548) hat der EuGH in diesen Verfahren die Steuerbarkeit der Umsätze jeweils ebenfalls bejaht. Auch die vom Senat in den Rz 34 und 35 des in Bezug genommenen Senatsurteils in BStBl II 2020, 296 zitierten Ausführungen des Generalanwalts Jacobs gehen lediglich davon aus, dass der Veranstalter das Glücksspiel so ausgestaltet, dass seine durchschnittlichen Gewinne ausreichen, um die bei der Durchführung des Glücksspiels entstehenden Kosten zu decken und ihm einen angemessenen Nutzen zu verschaffen. Auf einen gesetzlich garantierten Gewinn hat auch der Generalanwalt nicht abgestellt, sondern auf die Gestaltungsfreiheit des Veranstalters. Der angeblich nicht berücksichtigte Vortrag der Klägerin ist daher nicht entscheidungserheblich.
bb) Aus dem von der Klägerin angeführten Leitsatz 5 (zur Bemessungsgrundlage) sowie den Rz 56 und 72 des in Bezug genommenen Senatsurteils in BStBl II 2020, 296 (ebenfalls zur Bemessungsgrundlage) ergibt sich (auch zur Bemessungsgrundlage) nichts anderes; denn auch dort hat der Senat nicht nur auf die Rechtssache Glawe (EU:C:1994:188, BStBl II 1994, 548), sondern auch auf die EuGH-Urteile in den Rechtssachen Town & County Factors (EU:C:2002:494, BFH/NV 2003, Beilage 1, 35, Rz 30), International Bingo Technology vom 19.07.2012 - C-377/11 (EU:C:2012:503, HFR 2012, 1011, Rz 23 ff.), Metropol Spielstätten vom 24.10.2013 - C-440/12 (EU:C:2013:687, HFR 2013, 1166, Tenor 2 und 3, ebenfalls zur Rechtslage im Jahr 2010) sowie die BFH-Beschlüsse vom 30.09.2015 - V B 105/14 (BFH/NV 2016, 84) und vom 14.12.2015 - XI B 113/14 (BFH/NV 2016, 599) verwiesen, bei denen die Bauart der Geräte anders gestaltet war als in der Rechtssache Glawe (EU:C:1994:188, BStBl II 1994, 548). Die angeblich nicht berücksichtigte Rechtsänderung in der SpielV sowie die Änderung der Bauart sind deshalb auch für die Bemessungsgrundlage nicht entscheidungserheblich. Jedenfalls aufgrund der Rechtssache Metropol Spielstätten (EU:C:2013:687, HFR 2013, 1166) liegt auch insoweit ein acte clair i.S. des Art. 267 Abs. 3 AEUV vor (Rz 72 des Senatsurteils in BStBl II 2020, 296).
c) Die Ausführungen der Klägerin wenden sich vornehmlich gegen die materielle Rechtsauffassung des Senats im angegriffenen Urteil, dass ihre Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig sind. Mit dem Vorbringen, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden, kann der Rügeführer im Rahmen des § 133a FGO indes nicht gehört werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30.09.2005 - V S 12, 13/05, BFHE 211, 6, BStBl II 2006, 75, unter II.4., Rz 13; vom 10.05.2016 - III S 10/16, BFH/NV 2016, 1290, Rz 10).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 60 € erhoben (Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes).
4. Der Senat entscheidet gemäß § 133a Abs. 4 Sätze 2 und 3, § 10 Abs. 3 Halbsatz 2 FGO in der Besetzung mit drei Richtern, obwohl sich die Anhörungsrüge gegen ein Urteil richtet, das in der Besetzung des Senats mit fünf Richtern ergangen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 12.04.2011 - III S 49/10, BFH/NV 2011, 1177, Rz 3).