ECLI:DE:BFH:2020:B.180420.XB146.19.0
BFH X. Senat
FGO § 119 Nr 6, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr 6b, EStG VZ 2009 , EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011
vorgehend FG Nürnberg, 25. July 2019, Az: 4 K 949/17
Leitsätze
NV: Das FG verstößt gemäß § 119 Nr. 6 FGO gegen seine Begründungspflicht, wenn es einen vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Betriebsausgabenabzug, der auf einem selbständigen Sachverhaltskomplex beruht, zwar im Tatbestand des Urteils darstellt, in den Entscheidungsgründen aber unberücksichtigt lässt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 26.07.2019 - 4 K 949/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Nürnberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 2009 bis 2011 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Die Kläger erzielen als jeweils selbständig tätige Vermögens- und Finanzberater gewerbliche Einkünfte. Sie vermitteln Finanzprodukte für die A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Kläger ist. Die Klägerin hatte in den Streitjahren vereinbarungsgemäß 60 % ihrer erzielten Provisionen an den Kläger abzuführen.
Die A-GmbH übt ihre Tätigkeit in einer im Eigentum des Klägers befindlichen Immobilie in X aus. Für seine Geschäftsführungstätigkeit steht dem Kläger dort ein Arbeitsplatz zur Verfügung.
Das von den Klägern zu eigenen Wohnzwecken genutzte Einfamilienhaus in Y steht im Alleineigentum des Klägers. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) befindet sich im Erdgeschoss ein vom Kläger sowie im Obergeschoss ein von der Klägerin jeweils für betriebliche Zwecke genutzter Büroraum. Die Aufwendungen, die in den Streitjahren auf diese beiden Räume entfielen, brachte der Kläger bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb als Betriebsausgaben in Abzug. Nach einer Außenprüfung beschränkte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Abzug auf jährlich 1.250 € und verwies hierzu auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Im Klageverfahren begehrten die Kläger für die Raumkosten vordergründig einen vollständigen Betriebsausgabenabzug bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers. Sie begründeten dies damit, es handele sich bei den Räumen nicht um häusliche Arbeitszimmer, sondern um eine (außerhäusliche) Betriebsstätte der A-GmbH. Darüber hinaus liege der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit eines Finanzberaters nicht im Außendienst, sondern dort, wo die Kundenkonzepte ausgearbeitet würden. Der von der Klägerin genutzte Büroraum im Obergeschoss sei dem Betriebsvermögen des Klägers zugeordnet worden, da dieser von den durch die Klägerin erzielten Provisionen anteilig profitiere. Zumindest hilfsweise beanspruchten die Kläger insoweit einen anteiligen Kostenabzug bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin, da sie neben dem Kläger Verpflichtete aus dem Hausfinanzierungsdarlehen sei. Weiterhin hilfsweise machten die Kläger einen Abzug von jährlich 1.250 € bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin geltend.
Das FG hat die Klage ‑‑auch aus anderen als den vorliegend noch streitigen Punkten‑‑ als unbegründet abgewiesen. Hierbei hat es zum einen entschieden, dass der Kläger bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb jedenfalls keine über den Betrag von 1.250 € hinausgehende Aufwendungen für "das" häusliche Arbeitszimmer als Betriebsausgaben abziehen könne. Das vom Kläger im Erdgeschoss des Wohnhauses genutzte Büro sei als häusliches Arbeitszimmer zu qualifizieren, für dessen Aufwendungen die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gelte. Es bilde nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers. Vielmehr befinde sich der qualitative Schwerpunkt von dessen Gesamtbetätigung am Geschäftssitz der A-GmbH. Zum anderen könne die Klägerin die auf den von ihr im Obergeschoss betrieblich genutzten Raum entfallenden Kosten bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb jedenfalls deshalb nicht in Abzug bringen, da sie weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen habe, solche Kosten tatsächlich selbst getragen zu haben.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger u.a. Verfahrensfehler geltend. Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Kläger machen insoweit zu Recht geltend, das Urteil sei nicht gemäß § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen. Dieser Mangel liegt auch tatsächlich vor.
a) Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Die Begründungspflicht setzt zwar nicht voraus, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden muss (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26.02.2019 - VIII B 133/18, BFH/NV 2019, 574, Rz 10). Verletzt wird sie allerdings, wenn den Prozessbeteiligten die Grundlage entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 28.11.2006 - X B 160/05, BFH/NV 2007, 480, unter II.2., m.w.N.). Es reicht insoweit aus, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen und das Gericht hierbei einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht bzw. einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt (BFH-Urteil vom 14.11.2018 - XI R 32/17, BFH/NV 2019, 280, Rz 22, m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 FGO Rz 358).
b) Die Kläger rügen zu Recht, das FG sei diesem Begründungserfordernis im angefochtenen Urteil nicht gerecht worden.
Das FG hat zwar ‑‑ausführlich‑‑ begründet, weshalb der Kläger für den im Erdgeschoss des Wohnhauses in Y belegenen Büroraum jedenfalls keine über den in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 FGO genannten Betrag von 1.250 € hinausgehende Aufwendungen als Betriebsausgaben in Abzug bringen kann (unter 3. der angefochtenen Entscheidung). Das inhaltlich weitergehende ‑‑gegenüber dem Abzug für das Erdgeschoss-Büro auf einem selbständigen Sachverhaltskomplex beruhende‑‑ Begehren der Kläger, auch die auf den Büroraum im Obergeschoss entfallenden Kosten bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers als Betriebsausgaben zu erfassen, hat es zwar im Tatbestand seines Urteils ‑‑sogar unter Benennung von Haupt- und Hilfsbegehren‑‑ wiedergegeben, in den Entscheidungsgründen aber vollständig unberücksichtigt gelassen. Hierdurch hat das FG es den Prozessbeteiligten nicht ermöglicht, seine Entscheidung, mit der es implizit den Betriebsausgabenabzug abgelehnt hat, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Begründet hat es insoweit lediglich seine Entscheidung, die dem Obergeschoss-Büro zuzuordnenden Aufwendungen vom hilfsweise geltend gemachten Betriebsausgabenabzug bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin auszuschließen (unter 4. der dortigen Entscheidungsgründe).
2. Da das angefochtene Urteil bereits aufgrund dieses Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, muss auf das weitere Vorbringen der Kläger nicht eingegangen werden.
3. Der Senat hält es für angezeigt, gemäß § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren. Für den zweiten Rechtsgang weist er ‑‑ohne Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO‑‑ auf Folgendes hin:
a) Ein Betriebsausgabenabzug des Klägers für diejenigen Aufwendungen, die auf den betrieblich genutzten Raum im Obergeschoss des Wohnhauses entfallen, setzt zunächst grundsätzlich voraus, dass der Kläger die Aufwendungen ‑‑was der Senat nach Aktenlage und den vorgerichtlichen Erklärungen allerdings für sehr wahrscheinlich hält‑‑ tatsächlich getragen hat (vgl. hierzu auch unten 3.b).
aa) Der Zuordnung jenes Gebäudeteils nebst anteiligem Grund und Boden zum Betriebsvermögen des Klägers stünde jedenfalls nicht der Umstand entgegen, dass das Obergeschoss-Büro nicht vom Kläger selbst, sondern von der Klägerin für deren eigene gewerbliche Betätigung genutzt wird. Denn nach den Erkenntnissen des ersten Rechtsgangs partizipiert der Kläger aufgrund eines Strukturvertriebssystems an den Provisionen der Klägerin, so dass die Nutzung dieses Raums für den Gewerbebetrieb des Klägers zumindest förderlich ist.
bb) Sollte es sich auch bei dem Obergeschoss-Büroraum ‑‑was das FG im ersten Rechtsgang noch offengelassen hat‑‑ um ein häusliches Arbeitszimmer handeln, wären auch insoweit die Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG zu beachten. Eine unmittelbar eigene Nutzung durch den Steuerpflichtigen, bei dessen Einkünften der Abzug begehrt wird, ist nicht erforderlich. Insbesondere ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt, dass § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG auch dann anwendbar ist, wenn der im Haushalt des Steuerpflichtigen lebende Ehegatte bei diesem beschäftigt ist und das Büro zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nutzt (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 29.04.2010 - VI B 153/09, BFH/NV 2010, 1442, Rz 5, m.w.N.). Nichts anderes kann nach Ansicht des Senats gelten, wenn ‑‑wie im Streitfall‑‑ zwischen den Eheleuten kein Arbeits-, wohl aber ein gewerbliches Vertragsverhältnis, im Rahmen dessen das häusliche Büro genutzt wird, besteht.
Würden sowohl das Büro im Erd- als auch dasjenige im Obergeschoss als häusliche Arbeitszimmer des Klägers zu qualifizieren sein, wäre zudem zu beachten, dass bei mehreren steuerlich dem Grunde nach anzuerkennenden Arbeitszimmern desselben Steuerpflichtigen eine raumbezogene Vervielfältigung des Höchstbetrags von 1.250 € ausgeschlossen ist; insofern findet eine personenbezogene Betrachtung statt (BFH-Urteil vom 09.05.2017 - VIII R 15/15, BFHE 258, 68, BStBl II 2017, 956, Rz 15 ff.; Schmidt/ Loschelder, EStG, 39. Aufl., § 4 Rz 598). Anderes würde nur gelten, wenn die häuslichen Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers bildeten (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 2 EStG).
cc) Sollte es sich dagegen ‑‑was im zweiten Rechtsgang festzustellen ist‑‑ beim Obergeschoss-Büroraum nicht um ein häusliches Arbeitszimmer handeln, fänden die Abzugsbegrenzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG jedenfalls insoweit keine Anwendung.
Die Vorinstanz hat bereits auf die BFH-Rechtsprechung verwiesen, nach der ein im selbst genutzten Wohnhaus gelegenes Büro aus dem Anwendungsbereich der vorgenannten Vorschrift herausfallen kann, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls die Einbindung des Büros in die häusliche Sphäre aufgehoben oder überlagert wird (z.B. Urteil vom 09.11.2006 - IV R 2/06, BFH/NV 2007, 677). Ein solcher Ausnahmefall liegt u.a. dann vor, wenn ein solcher Büroraum auch von dritten ‑‑nicht familienangehörigen und auch nicht haushaltszugehörigen‑‑ Personen genutzt wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 677, unter II.3.b, m.w.N.). Der Zweck der Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, die betriebliche von der privaten Sphäre des Steuerpflichtigen abzugrenzen und den Verwaltungsvollzug zu vereinfachen (BTDrucks 13/1686, S. 16), greift in einem solchen Fall nicht.
Anlass für dementsprechende Feststellungen im zweiten Rechtsgang sollte das bisherige Vorbringen der Kläger sein, die Büroräume im Wohnhaus in Y seien in den Streitjahren zunächst wöchentlich an einem Tag und später sogar regelmäßig an drei Tagen die Woche jeweils für sechs Stunden durch zwei bei der Klägerin angestellte Verwaltungskräfte genutzt worden (vgl. hierzu Bl. 7, 26 der Urteilsausfertigung der angefochtenen Entscheidung).
b) Der Hilfsantrag der Kläger, die Raumkosten für das Obergeschoss-Büro in vollem Umfang oder zumindest in Höhe von 1.250 € bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, dürfte nach bisheriger Aktenlage ‑‑wie vom FG zutreffend beurteilt‑‑ an deren fehlender wirtschaftlicher Belastung scheitern. Die Kläger haben bislang schlicht behauptet, die Klägerin habe die Kosten "mitgetragen". Soweit sie meinen, dies ergebe sich bereits daraus, dass die Klägerin neben dem Kläger gesamtschuldnerisch für die Kapitaldienste aus dem Hausfinanzierungsdarlehen einzustehen habe, können sie sich hierfür nicht auf einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung berufen. Vielmehr hat der BFH ausdrücklich entschieden, dass ein Nichteigentümer-Ehegatte bei beruflicher/betrieblicher Nutzung einer im alleinigen Eigentum des anderen Ehegatten stehenden Immobilie hierfür entstehende Kosten nur dann steuerlich in Abzug bringen kann, wenn er sich hieran tatsächlich beteiligt. Für die Erwerbskosten kann dies zwar auch dann der Fall sein, wenn der Nichteigentümer-Ehegatte Mitverpflichteter aus einem hierfür aufgenommenen Darlehen ist (§ 421 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Hinzukommen muss aber, dass er die Tilgungen auch selbst mitträgt (Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 23.08.1999 - GrS 1/97, BFHE 189, 151, BStBl II 1999, 778, unter C.II.2.a, und GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782, unter C.I.1.; vgl. ebenso Bode in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 4 Rz 174; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 92).
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG ergibt sich aus § 143 Abs. 2 FGO.