ECLI:DE:BFH:2020:B.040320.VIIIB140.19.0
BFH VIII. Senat
AO § 171 Abs 4 S 1, AO § 171 Abs 4 S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 11. June 2019, Az: 2 K 1277/18
Leitsätze
NV: Es ist nicht klärungsbedürftig, dass die Regelung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO, nach der die Ablaufhemmung entfällt, wenn eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus von der Finanzbehörde zu vertretenden Gründen für die Dauer von mehr als sechs Monaten unterbrochen wird, auch dann eingreift, wenn der Prüfungsbeginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO).
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinfeld-Pfalz vom 12.06.2019 - 2 K 1277/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist Arzt und betrieb bis zum Jahr 2008 eine Privatklinik in A.
Am 15.11.2012 ordnete der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) gegenüber dem Kläger eine Betriebsprüfung u.a. betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2008 an. Mit Schreiben vom 29.11.2012 teilte das FA mit, es sei beabsichtigt, die Prüfung am 11.12.2012 zu beginnen. Daraufhin beantragte der Kläger die Verlegung des Prüfungsbeginns auf frühestens Ende Januar/Anfang Februar 2013 sowie die Durchführung der Prüfung an Amtsstelle. Mit Schreiben vom 07.08.2013 bestätigte das FA, dass die Prüfung an Amtsstelle erfolgen werde; zugleich wies es darauf hin, dass die für die Durchführung der Prüfung erforderlichen Unterlagen (u.a. eine Daten-CD) noch fehlten. Mit Schreiben vom 03.09.2013 übersandte der Kläger die Daten-CD. In der Zeit vom 14.11.2013 bis zum 25.04.2014 war die Prüferin arbeitsunfähig erkrankt. Am 11.08.2014 begann sie mit dem Aufspielen der Daten-CD und der Prüfung dieser Daten. Am 02.07.2015 erstellte sie den Prüfungsbericht.
Auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen erließ das FA am 17.12.2015 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2006 bis 2008 sowie Bescheide über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2007 und auf den 31.12.2008.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) hob die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007 sowie den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2007 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung auf und wies die Klage im Übrigen ab. Das FG war der Auffassung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist aufgrund der befristeten Verschiebung der Prüfung zwar zunächst gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 der Abgabenordnung (AO) gehemmt gewesen sei. Allerdings sei die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 2 AO rückwirkend entfallen, da die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus vom FA zu vertretenden Gründen unterbrochen worden sei.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Es beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18.03.2015 - III B 43/14, BFH/NV 2015, 978, Rz 7, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es die Vorinstanz getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 18.03.2010 - X B 124/09, BFH/NV 2010, 1278, Rz 6 f.).
b) Der vom FA aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Regelung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO, nach der die Ablaufhemmung entfällt, wenn eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus vom FA zu vertretenden Gründen für die Dauer von mehr als sechs Monaten unterbrochen wird, auch zu beachten ist, wenn der Prüfungsbeginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO), kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn sie ist offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat.
aa) § 171 Abs. 4 Satz 2 AO regelt, dass eine unter den Voraussetzungen des § 171 Abs. 4 Satz 1 AO eingetretene Ablaufhemmung rückwirkend wieder entfällt, wenn die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus von der Finanzbehörde zu vertretenden Gründen unterbrochen wird. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung (vgl. die Formulierung in § 171 Abs. 4 Satz 2 AO: "Dies gilt nicht …") tritt diese Rechtsfolge unabhängig davon ein, ob der Ablauf der Festsetzungsfrist deswegen gehemmt wurde, weil vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit der Außenprüfung begonnen (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 AO) oder weil ‑‑wie im Streitfall‑‑ deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO). Der Sinn und Zweck der Regelung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO besteht darin, einer missbräuchlichen Ausnutzung der Möglichkeit der Ablaufhemmung durch die Finanzbehörde entgegenzuwirken, und dem Bedürfnis des Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit Rechnung zu tragen (BFH-Urteil vom 24.04.2003 - VII R 3/02, BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739). Außenprüfungen sollen nicht pro forma begonnen werden, um den Ablauf der Festsetzungsfrist hinauszuschieben (BTDrucks 7/4292, S. 33; vgl. auch BFH-Urteil vom 17.03.2010 - IV R 54/07, BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7). Dieser Zweck des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO ist auch dann einschlägig, wenn der Beginn der Prüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde. Denn auch in einem solchen Fall ist der missbräuchlichen Ausnutzung der Möglichkeit, die in § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 AO bestimmte Rechtsfolge durch lediglich formelle Prüfungshandlungen oder Scheinhandlungen, die zu keinem ernsthaften tatsächlichen Beginn der Außenprüfung führen, eintreten zu lassen und den Ablauf der Festsetzungsfrist hierdurch weiter hinauszuschieben, entgegenzuwirken.
bb) Eine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des vom FA zitierten BFH-Urteils in BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7, wonach im Falle eines auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschobenen Beginns der Außenprüfung die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO wieder entfällt, wenn die Finanzbehörde nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags mit der Außenprüfung beginnt. Mit dem Urteil in BFHE 229, 20, BStBl II 2011, 7 hat der BFH lediglich klargestellt, dass der Finanzbehörde nach Eingang eines Antrags i.S. von § 171 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AO, der zum Eintritt der Ablaufhemmung führt, nicht unbegrenzte Zeit verbleiben soll, um mit der Außenprüfung zu beginnen. Die Finanzbehörde hat daher vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags auf Hinausschieben des Prüfungsbeginns mit der Prüfung zu beginnen, um den Ablauf der Festsetzungsfrist zu verhindern. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Ablaufhemmung auch dann fortbesteht, wenn die Außenprüfung zunächst auf Antrag des Klägers hinausgeschoben, dann aber fristgerecht innerhalb der Zweijahresfrist begonnen und unmittelbar nach ihrem Beginn aus vom FA zu vertretenden Gründen für mehr als sechs Monate unterbrochen wurde. Denn für einen solchen Fall sieht § 171 Abs. 4 Satz 2 AO gerade vor, dass die Ablaufhemmung entfällt. Es sind keine Gründe dargelegt oder erkennbar, die Regelung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO in einem solchen Fall entgegen ihrem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck nicht zur Anwendung kommen zu lassen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.