ECLI:DE:BFH:2019:B.191219.XIB115.18.0
BFH XI. Senat
AO § 233a, FGO § 115 Abs 2, FGO § 118 Abs 1, SpielbkG HE 2007
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 21. October 2018, Az: 6 K 664/17
Leitsätze
NV: Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Eine entsprechende Anwendung des § 233a AO kommt deshalb nicht in Betracht .
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 22.10.2018 - 6 K 664/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) betrieb im Besteuerungszeitraum 2012 (Streitjahr) im Bundesland Hessen eine Spielbank.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hatte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 12.08.2014 die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf ... € festgesetzt. Mit "geänderten Abrechnungen" vom 27.06.2016 buchte das FA auf die bereits getilgte Umsatzsteuerschuld einen Betrag von ... €, der dem auf den Tronc entfallenden Teil der Umsatzsteuer entspricht, aus dem Aufkommen der Spielbankabgabe um und erstattete diesen Betrag.
Mit Schreiben vom 19.07.2016 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) in Höhe von ... €; diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 13.09.2016 ab. Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 08.03.2017 als unbegründet zurück.
Das Hessische Finanzgericht (FG) gab der Klage wegen Zinsen zur Umsatzsteuer 2012 mit Urteil vom 22.10.2018 - 6 K 664/17 statt.
Es entschied, es sei in entsprechender Anwendung von § 233a Abs. 5 AO ein Anspruch der Klägerin auf Erstattungszinsen entstanden. Der Bundesgesetzgeber habe bei Einführung der Verzinsungsregelung in § 233a AO mit dem Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.1988 (BStBl I 1988, 224) die erstmalig mit dem Hessischen Spielbankgesetz vom 15.11.2007 (Hessisches GVBl I 2007, 753) angeordnete "Tilgung" einer Steuer aus dem Aufkommen einer anderen Steuer nicht gekannt. Diese planwidrige Regelungslücke sei zu schließen, indem die Tilgung der Umsatzsteuer aus dem Aufkommen der Spielbankabgabe im Rahmen der Vollverzinsung nach § 233a AO anrechenbaren Steuerabzugsbeträgen gleichgestellt werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA wegen Nichtzulassung der Revision. Es beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sowie wegen materieller Rechtsfehler des FG zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt wurden, liegen solche nicht vor.
1. Das angefochtene FG-Urteil ist revisibel, soweit das FG aus dem von ihm dem Bestande und dem Inhalt nach festgestellten irrevisiblen Landesrecht, dem Hessischen Spielbankgesetz, Schlüsse auf die Anwendbarkeit von Vorschriften des Bundesrechts, der AO, gezogen hat (vgl. allgemein Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 08.03.1995 - II R 10/93, BFHE 177, 276, BStBl II 1995, 432, unter II.3., Rz 19).
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zu.
a) Das FA sieht es als klärungsbedürftig an, ob "die Erstattung in einem geänderten Abrechnungsbescheid, der auf einer abweichenden Tilgung von Spielbankabgabe auf die Umsatzsteuer bzw. auf einer abweichenden Anrechnung von Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe beruht, zu einem Anspruch auf Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a Abs. 5 i.V.m. Abs. 3, § 238, § 239 Abs. 2 AO" führt.
b) Diese Rechtsfrage bedarf keiner weiteren Klärung; sie ist zu verneinen.
Der Wortlaut des § 233a AO sieht für einen ‑‑wie nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Streitfall gegebenen‑‑ Sachverhalt keine Verzinsung vor. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht, da sich der AO kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts entnehmen lässt, dass Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen seien; vielmehr werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2009 - I R 48/09, BFH/NV 2010, 827, unter II.4., Rz 14). Soweit sich dabei Verzinsungslücken ergeben, ist dies de lege lata hinzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 18.09.2007 - I R 15/05, BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332, unter III.1.b, Rz 15).
3. Danach ist die Revision auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen. Denn hierbei handelt es sich um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung, weshalb dieselben Zulassungsgrundsätze gelten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 20.03.2018 - III B 135/17, BFH/NV 2018, 705, Rz 5; vom 30.01.2019 - II B 104/17, BFH/NV 2019, 401, Rz 4).
4. Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO hat das FA nicht hinreichend dargetan.
Zur schlüssigen, den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Darlegung einer Divergenzrüge gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 08.08.2019 - X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219, Rz 27, m.w.N.).
Dem wird das FA mit seinen Rechtsausführungen nicht gerecht.
5. Die Revision ist schließlich nicht ausnahmsweise aufgrund geltend gemachter materieller Fehler der Vorentscheidung zuzulassen.
a) Zwar kann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Revision u.a. auch dann zuzulassen sein, wenn dem FG ein so schwerwiegender Rechtsfehler unterläuft, dass eine greifbar gesetzeswidrige oder willkürliche Entscheidung vorliegt, deren Fortbestehen das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen würde und einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedarf (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 02.07.2019 - VIII B 99/18, BFH/NV 2019, 1348, Rz 6).
b) Die Annahme einer greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung muss aber auf ganz ungewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt bleiben. So kann eine greifbare Gesetzeswidrigkeit bejaht werden, wenn eine Entscheidung jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt, auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte, oder wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat oder eine solche Vorschrift völlig unvertretbar ausgelegt hat. Nur in solchen Fällen beruht das angegriffene Urteil auf einem gravierenden, unerträglichen und außerdem offensichtlichen, d.h. ohne Weiteres erkennbaren Rechtsverstoß. Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift substantiiert darzulegen, insbesondere der schwerwiegende Fehler, seine Offensichtlichkeit sowie seine Korrekturmöglichkeit im Revisionsverfahren. Unterhalb dieser Schwelle liegende ‑‑ggf. auch erhebliche‑‑ Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16.08.2013 - III B 28/12, BFH/NV 2013, 1936, Rz 3; vom 22.05.2019 - IV B 11/18, BFH/NV 2019, 1136, Rz 43; in BFH/NV 2019, 1348, Rz 7).
Die Voraussetzungen hierfür hat das FA allerdings nicht dargetan.
6. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.