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Urteil vom 14. Juli 2020, VIII R 27/18

Zur Steuerfreiheit von Leistungen, die für die vollzeitige Betreuung von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen gezahlt werden

ECLI:DE:BFH:2020:U.140720.VIIIR27.18.0

BFH VIII. Senat

EStG § 3 Nr 11, SGB 8 § 33, SGB 8 § 35, EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 29. January 2018, Az: 9 K 9105/16

Leitsätze

1. Für die Beantwortung der Frage, ob eine gemäß § 3 Nr. 11 EStG steuerfreie Beihilfe oder die steuerpflichtige Vergütung einer erwerbsmäßigen Tätigkeit vorliegt, sind Inhalt und Durchführung des jeweiligen Betreuungsverhältnisses maßgebend.

2. Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln der Jugendhilfe für eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung verhaltensauffälliger Kinder bzw. Jugendlicher erbracht werden, können gemäß § 3 Nr. 11 EStG steuerfreie Bezüge sein. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn jeweils nur ein Kind bzw. ein Jugendlicher zeitlich unbefristet in den Haushalt des Betreuers aufgenommen und dort umfassend betreut wird.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30.01.2018 - 9 K 9105/16 aufgehoben.

Die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 2012 und 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 02.05.2016 werden dahin geändert, dass die Einkommensteuer auf jeweils 0 € herabgesetzt wird.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der ausgebildeter Erzieher ist, nahm in den Streitjahren 2012 und 2013 verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche in seinen Haushalt auf und betreute diese dort. Die jüngste von ihm betreute Person war damals elf Jahre alt. Der Kläger nahm stets nur ein Kind bzw. einen Jugendlichen bei sich auf.

  2. Den Jugendlichen B betreute der Kläger vom 16.08.2010 bis zu dessen Volljährigkeit im Juli 2012. Hierfür erhielt er nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) vom Verein C ein monatliches Honorar in Höhe von durchschnittlich rund 3.600 €. Der Betreuung lag ein "Vertrag über Freie Mitarbeit" vom 29.08.2010 zugrunde, dessen Bestandteil auch das pädagogische Konzept des Klägers war. Der Kläger übernahm die Tätigkeit "in einem Vollzeitumfang mit einem Betreuungsschlüssel von 1:1". Die Betreuungsleistungen waren in der Vereinbarung spezifiziert. Der Vertrag war jederzeit ohne Einhaltung einer Frist mit sofortiger Wirkung kündbar.

  3. Nach dem Ende der Betreuung des Jugendlichen B schloss sich bis September 2013 die Betreuung weiterer Kinder bzw. Jugendlicher im Auftrag des Vereins C an. Es galten entsprechende vertragliche Vereinbarungen. Der Kläger betreute von August 2012 bis April 2013 D, im Juni und Juli 2013 E und im September 2013, für zehn Tage, F.

  4. Der Kläger rechnete seine Vergütungsansprüche gegenüber dem Verein C monatlich ab. In den Rechnungen heißt es zu "Art und Umfang der Leistung": "Für die Betreuung im Rahmen einer stationären Jugendhilfemaßnahme nach § 35 SGB VII berechne ich ...".

  5. Der Verein C bescheinigte dem Kläger am 31.12.2012, "dass die von uns gezahlten Sachkosten und das ausgezahlte Honorar ausschließlich aus Mitteln der öffentlichen Hand stammen".

  6. In den Monaten November und Dezember 2013 übernahm der Kläger die Betreuung des Jugendlichen G im Rahmen eines Jugendhilfeprojektes. Grundlage war ein mit der H-GmbH in I geschlossener "projektbezogener Honorarvertrag", dessen Bestandteil wiederum das pädagogische Konzept des Klägers war. Auch hier verpflichtete sich der Kläger zur stationären Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Hierfür erhielt er ein Honorar von monatlich 3.000 €. Der Vertrag, der jederzeit kündbar war, weist zudem auf den "Projektcharakter" und die damit verbundene Möglichkeit eines jederzeitigen, plötzlichen Abbruchs der Maßnahme hin.

  7. Gegenüber der H-GmbH rechnete der Kläger seine Vergütungsansprüche in gleicher Weise wie gegenüber dem Verein C monatlich ab.

  8. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) schätzte zunächst die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer der Streitjahre mit Bescheiden vom 08.04.2015 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Zur Begründung der hiergegen gerichteten Einsprüche reichte der Kläger Einkommensteuererklärungen ein, in denen er ausschließlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Erzieher erklärte.

  9. Das FA setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre mit Änderungsbescheiden vom 11.06.2015 (2012) und 25.02.2016 (2012 und 2013) herab. Dabei legte es der Besteuerung des Klägers Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 21.069 € (2012) bzw. 11.568 € (2013) zugrunde. Aus hier nicht streitgegenständlichen Gründen änderte das FA die Steuerfestsetzung 2013 am 02.05.2016 erneut. Im Übrigen blieben die Einsprüche des Klägers jedoch ohne Erfolg (Einspruchsentscheidungen vom 02.05.2016), ebenso die nachfolgende Klage. Das FG hat zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) veröffentlichten Urteils (EFG 2018, 1699) darauf abgestellt, dass eine unmittelbare Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorliege, wenn die Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen in den Haushalt der Pflegeperson als Erwerbstätigkeit anzusehen sei. Dies sei bei der Erbringung von ‑‑mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) nicht vergleichbaren‑‑ Leistungen gemäß § 35 SGB VIII der Fall.

  10. Seine hiergegen gerichtete Revision begründet der Kläger mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts.

  11. Er beantragt,
    das angefochtene FG-Urteil aufzuheben, die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 2012 und 2013 vom 25.02.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 02.05.2016 zu ändern und die Einkommensteuer jeweils auf 0 € herabzusetzen.

  12. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

  13. Es meint, Leistungen des Jugendamtes für eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung i.S. des § 35 SGB VIII stellten steuerpflichtige Einnahmen dar.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Das FG hat die Steuerfreiheit der Einnahmen, die der Kläger in den Streitjahren für die Betreuung verhaltensauffälliger Jugendlicher und Kinder in seinem Haushalt bezogen hat, zu Unrecht verneint. Es hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe erwerbsmäßig nicht mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII vergleichbare Leistungen gemäß § 35 SGB VIII erbracht, für die die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 11 EStG nicht gelte.

  3. 1. Nach § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.

  4. a) Öffentliche Mittel sind solche, die aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt werden. Diese Voraussetzung ist auch gewahrt, wenn die derart in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt. Der Annahme von Zahlungen "aus öffentlichen Mitteln" steht nicht entgegen, wenn zur Begründung von Pflegeverhältnissen der Abschluss eines zivilrechtlichen Pflegevertrages erforderlich ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 05.11.2014 - VIII R 29/11, BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; VIII R 27/11, BFH/NV 2015, 960, und VIII R 9/12, BFH/NV 2015, 967; BFH-Beschluss vom 10.12.2019 - VIII S 12/19 (AdV), BFH/NV 2020, 357).

  5. b) Aus öffentlichen Mitteln an Pflegeeltern geleistete Erziehungsgelder sind regelmäßig dazu bestimmt, die Erziehung der in den Haushalt der Pflegeeltern dauerhaft aufgenommenen und wie leibliche Kinder betreuten Kinder und Jugendlichen unmittelbar zu fördern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432). Ist mit den Zahlungen keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt, sind sie als steuerfreie Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 EStG anzusehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28.06.1984 - IV R 49/83, BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571). Am Charakter einer Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 EStG fehlt es hingegen, wenn die Zahlungen im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erfolgen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; in BFH/NV 2015, 960, und in BFH/NV 2015, 967, m.w.N.), z.B. weil sie an Personen erbracht werden, die Kinder von Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17.05.1990 -IV R 14/87, BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).

  6. c) Pflegegelder und anlassbezogene Beihilfen sowie Zuschüsse jeweils aus öffentlichen Mitteln, die im Rahmen einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII ausgezahlt werden, beurteilt die Rechtsprechung des BFH grundsätzlich als steuerfreie Beihilfe gemäß § 3 Nr. 11 EStG, die die Erziehung unmittelbar fördern, da mit der Zahlung der Pflegegelder keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; in BFH/NV 2015, 960, und in BFH/NV 2015, 967; BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 357, m.w.N.; so auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 22.10.2018 - IV C 3-S 2342/07/0001:138, BStBl I 2018, 1109, unter A). Weder die besondere Qualifikation der Pflegeperson noch ein in diesem Kontext für eine Familienpflege für besonders beeinträchtigte Kinder gezahltes bedarfsabhängiges, erhöhtes Pflegegeld schließt die Annahme einer Beihilfe zur Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG aus (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2018, 1109, unter A). Die Voraussetzungen eines erwerbsmäßigen Bezugs von Pflegegeld nimmt die Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII erst an, wenn von der Pflegeperson mehr als sechs Kinder gleichzeitig in den Haushalt aufgenommen werden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; in BFH/NV 2015, 960; in BFH/NV 2015, 967; BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 357, m.w.N.; vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 2018, 1109, unter A).

  7. 2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FG rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe erwerbsmäßig Leistungen gemäß § 35 SGB VIII erbracht, für die die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 11 EStG nicht gelte. Seine Würdigung, der Kläger habe keine Beihilfen erhalten, weil er Hilfeleistungen i.S. des § 35 SGB VIII erbracht habe, die insbesondere wegen des vertraglich vereinbarten voraussetzungslosen Kündigungsrechts nicht mit der Hilfe zur Erziehung in der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII vergleichbar seien und für die er vollständig vergütet worden sei, hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

  8. a) Für die Beurteilung der Frage, ob die an Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern, kommt es maßgeblich auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses an (vgl. BFH-Urteile in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; in BFH/NV 2015, 960, und in BFH/NV 2015, 967, m.w.N.).

  9. Dieses war im Streitfall in besonderer Weise dadurch geprägt, dass der Kläger die von ihm betreuten, verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen in seinen Haushalt aufgenommen hat und mit diesen in einer häuslichen Gemeinschaft lebte. In diesem Umfeld betreute der Kläger jeweils lediglich ein Kind bzw. einen Jugendlichen, bei dem ein besonderer Unterstützungsbedarf bestand, wobei die Betreuung nicht nur individuell, sondern auch umfassend war. Die Betreuungsverhältnisse waren ausweislich der geschlossenen Verträge zeitlich nicht befristet. Das danach vorliegend prägende Element der vollzeitigen Betreuung von Kindern und Jugendlichen im eigenen Haushalt kennzeichnet auch die Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII.

  10. b) Da es maßgeblich auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses ankommt, ist es im Streitfall ohne Belang, ob der Kläger seine Leistungen in den von ihm erteilten Rechnungen als "Betreuung im Rahmen einer stationären Jugendhilfemaßnahme nach § 35 SGB VII" bezeichnet hat und diese sozialrechtliche Einordnung zutreffend ist. Letzteres ist ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ zudem zweifelhaft, weil die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung gemäß §§ 27 Abs. 2, 35 SGB VIII zum einen regelmäßig ambulante Leistungen betrifft und zum anderen Adressaten dieser Leistungen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes allein Jugendliche, d.h. junge Menschen im Alter von 14 bis 18 Jahren, nicht aber Kinder ‑‑die der Kläger ebenfalls betreut hat‑‑ sind (vgl. hierzu z.B. Nellissen in Schlegel/Voelzke, § 35 SGB VIII Rz 11; Stähr in Hauck/Noftz, § 35 SGB VIII Rz 1, 4).

  11. c) Dass der Kläger die in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder und Jugendlichen entsprechend deren besonderen Bedürfnissen intensiv sozialpädagogisch betreut und hierfür ein über den Regelsätzen für die Vollzeitpflege von Kindern und Jugendlichen liegendes Pflegegeld bezogen hat, steht der Steuerfreiheit der Bezüge nicht entgegen.

  12. aa) Der Umstand, dass wegen der besonderen Situation der Kinder und Jugendlichen hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Qualifikation des Klägers bestanden und dementsprechend dessen pädagogisches Konzept Bestandteil des Betreuungsverhältnisses war, kann keine Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit begründen (anderer Ansicht BMF-Schreiben in BStBl I 2018, 1109, unter D; vgl. auch Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3 Nr. 11 EStG Rz 7). Sowohl die besondere Qualifikation des Betreuers als auch ein in diesem Kontext gezahltes bedarfsabhängiges erhöhtes Pflegegeld (vgl. zu Leistungen im Rahmen der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGV VIII BMF-Schreiben in BStBl I 2018, 1109, unter A) sind dem besonderen Bedarf des jeweils betreuten Jugendlichen bzw. Kindes geschuldet, ohne dass hieraus abgeleitet werden kann, dessen Aufnahme in den Haushalt des Klägers sei des Erwerbs wegen erfolgt. Gegen eine erwerbsmäßige Aufnahme spricht auch, dass der Senat nicht erkennen kann, dass die gezahlten Gelder den mit der vollzeitigen Betreuung der verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen verbundenen sachlichen und zeitlichen Aufwand des Klägers tatsächlich abdecken konnten. Auch die Höhe des jeweils vereinbarten Tagessatzes lässt einen solchen Schluss nicht zu (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432: Tagessatzhöhe von 83,82 € im Fall einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII). Die Annahme einer erwerbsmäßigen Betreuung ist im Zusammenhang mit einer Aufnahme von Kindern und Jugendlichen in den eigenen Haushalt ‑‑wie in den Fällen der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII‑‑ nur dann gerechtfertigt, wenn andere Umstände, wie z.B. die Anzahl der durch die Pflegeperson betreuten Kinder bzw. Jugendlichen, für einen Vergütungscharakter der gezahlten Gelder sprechen.

  13. bb) Entgegen der Auffassung des FG führt schließlich auch die Tatsache, dass die vom Kläger mit den Trägern der freien Jugendhilfe geschlossenen Verträge jederzeit kündbar waren, nicht zur Annahme einer Erwerbstätigkeit. Die dem Schutz der Kinder und Jugendlichen dienende Möglichkeit einer kurzfristigen Beendigung des Betreuungsverhältnisses besagt nicht, dass dieses lediglich auf einen kurzen Zeitraum angelegt war. Die geschlossenen Verträge lassen ebenfalls nicht erkennen, dass eine nur kurzzeitige Betreuung durch den Kläger beabsichtigt war, zumal eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ gemäß § 35 Satz 2 SGB VIII grundsätzlich auf längere Zeit angelegt ist, während eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII auch in der Form einer zeitlich befristeten Erziehungshilfe erfolgen kann.

  14. 3. Die Entscheidung des FG war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben. Da es sich bei den Zahlungen an den Kläger um steuerfreie Bezüge gemäß § 3 Nr. 11 EStG handelt, ist die Einkommensteuer für die Streitjahre antragsgemäß auf 0 € festzusetzen.

  15. a) Die Einnahmen des Klägers stammen aus öffentlichen Mitteln i.S. des § 3 Nr. 11 EStG. Sie wurden nach den Feststellungen des FG konkret bezogen auf den jeweils vom Kläger betreuten Jugendlichen bzw. das von ihm betreute Kind aus Mitteln der öffentlichen Hand gezahlt. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass die Zahlungen nicht im Haushaltsplan der Stadt festgelegt gewesen sein und das Jugendamt nicht der öffentlichen Rechnungskontrolle unterlegen haben könnten. Der Umstand, dass diese Zahlungen über einen zwischengeschalteten Träger der freien Jugendhilfe an den Kläger als Erziehenden auf der Grundlage eines Vertrages zwischen ihm und dem Träger geleistet wurden, steht der Annahme öffentlicher Mittel nicht entgegen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432; in BFH/NV 2015, 960; in BFH/NV 2015, 967; BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 357, m.w.N.).

  16. b) Die streitigen Gelder dienten ‑‑wie dargelegt‑‑ auch der unmittelbaren Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG. Es handelte sich um Zahlungen mit Beihilfecharakter und nicht um Zahlungen im Zusammenhang mit einer erwerbsmäßigen Betreuungstätigkeit des Klägers.

  17. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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