ECLI:DE:BFH:2019:U.110619.XR29.17.0
BFH X. Senat
EStG § 22a Abs 5, GG Art 103 Abs 3, MRK Art 6, MRK Art 7, EStG VZ 2012 , GG Art 2 Abs 1, GG Art 20 Abs 3
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 16. May 2017, Az: 5 K 10290/15
Leitsätze
NV: Die Regelung über das ‑‑in Fällen verspäteter oder unterbliebener Übermittlung von Rentenbezugsmitteilungen festzusetzende‑‑ Verspätungsgeld (§ 22a Abs. 5 EStG) verstößt weder gegen das Verbot der Doppelbestrafung noch gegen die Unschuldsvermutung (Parallelentscheidung zum BFH-Urteil vom 20. Februar 2019 - X R 33/17) .
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 17.05.2017 - 5 K 10290/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein berufsständisches Versorgungswerk und eine teilrechtsfähige Einrichtung einer Kammer, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist.
Im Rahmen einer Prüfung nach § 22a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) hatte die Beklagte und Revisionsbeklagte (die Deutsche Rentenversicherung, Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen ‑‑ZfA‑‑) festgestellt, dass für das Veranlagungsjahr 2012 33 Rentenbezugsmitteilungen des Klägers aufgrund von Fehlern abgewiesen und 5 414 Rentenbezugsmitteilungen verspätet übermittelt worden seien. Zwölf Meldungen fehlten.
Die ZfA setzte deshalb ein auf den gesetzlichen Höchstbetrag begrenztes Verspätungsgeld von 50.000 € fest.
Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, § 22a Abs. 5 Satz 1 EStG sei nicht verfassungswidrig und verstoße auch nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung. Weder diese Norm noch § 50f EStG seien dem Kriminalstrafrecht zuzuordnen. Vielmehr regele § 22a Abs. 5 EStG eine steuerliche Nebenleistung und sei auch keine dem Ordnungswidrigkeitenrecht zuzuordnende Bußgeldvorschrift.
Das Verspätungsgeld des § 22a Abs. 5 EStG verletze auch dem Grunde nach nicht den aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies gelte ebenso für die Höhe des Verspätungsgeldes. Dabei komme es nicht darauf an, ob ein Missverhältnis zur Höhe der tatsächlich anfallenden Verwaltungskosten bestehe, da primärer Zweck des § 22a Abs. 5 EStG nicht die Abgeltung von zusätzlichem Verwaltungsaufwand, sondern die Durchsetzung der rechtzeitigen Übermittlung der Rentenbezugsmitteilungen sei. Als Druckmittel sei der Betrag von 10 € pro Monat und verspäteter Rentenbezugsmitteilung insoweit verhältnismäßig, zumal der Betrag nur bei Verschulden des Mitteilungspflichtigen an der verspäteten Übermittlung anfalle. Eine Verfassungswidrigkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger als Dritter unentgeltlich zur Übermittlung der Rentenbezugsmitteilungen verpflichtet werde. Er sei ohnehin zur Erstellung der Rentenbezugsmitteilungen für die Rentner verpflichtet, so dass ihm auch die Übermittlung an die ZfA zumutbar sei. Zudem geschehe diese Übermittlung im Rahmen der gebotenen sozialstaatlichen Fürsorgepflicht zur Unterstützung der Rentner bei deren steuerlichen Verpflichtungen.
An der Fristüberschreitung treffe den Kläger ein Verschulden. Er hätte die von ihm beauftragten Dienstleister überwachen müssen. Insoweit bedürfe es auch keines Zugriffs auf die bei der ZfA gespeicherten Daten, da der Kläger selbst entsprechende Daten zum Abgleich vorhalten müsse.
Der Kläger rügt im Rahmen seiner Revision (vorrangig) die Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG. Das Verbot der Doppelbestrafung sei zumindest unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt. Auch verstoße § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG gegen die Unschuldsvermutung, da der Mitteilungspflichtige sein fehlendes Verschulden darlegen müsse. Die Regelung des § 22a Abs. 5 EStG sei zudem unverhältnismäßig.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2015 und den Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungsgeldes für 2012 vom 8. Juli 2015 aufzuheben.Die ZfA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Sie verweist darauf, dass es sich lediglich bei § 50f EStG um einen Bußgeldtatbestand handele. Da im Streitfall nur ein Verspätungsgeld erhoben und kein Bußgeld verhängt worden sei, fehle es bereits in tatsächlicher Hinsicht an der Doppelbestrafung. § 22a Abs. 5 EStG, der sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach verhältnismäßig sei, sei ‑‑unabhängig davon, dass der Kläger als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht Grundrechtsträger sei‑‑ auch verfassungsgemäß und werde der im Massenverfahren notwendigen Pauschalierung gerecht.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Revisionsverfahren beigetreten und unterstützt in der Sache die Auffassung der ZfA.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Das FG hat die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zutreffend bejaht. Der Kläger ist keiner unzulässigen Doppelbestrafung ausgesetzt (vgl. unten 1.). Die gesetzliche Regelung über das Verspätungsgeld verstößt auch nicht gegen die Unschuldsvermutung (unten 2.). Die von der Revision gerügten Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegen nicht vor (unten 3.). Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 EStG sind im Streitfall erfüllt (unten 4.).
1. Der Kläger ist keiner Doppelbestrafung im verfassungsrechtlichen, menschenrechtlichen oder unionsrechtlichen Sinne ausgesetzt. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die ausführlichen Darlegungen unter B.II. seines in einem Parallelfall ergangenen Urteils vom 20. Februar 2019 - X R 28/17 (BFHE 264, 165, BStBl II 2019, 430).
2. Die Regelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG, wonach den Mitteilungspflichtigen die Darlegungslast für ein fehlendes Vertretenmüssen trifft, verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, und zwar weder in deren Gewährleistung durch das nationale Verfassungsrecht noch durch die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch insoweit verweist der Senat wegen der Einzelheiten auf sein in einem weiteren Parallelfall ergangenes Urteil vom 20. Februar 2019 - X R 32/17 (BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438).
3. Die vom Kläger gerügten Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegen nicht vor.
Abgesehen von der Frage, inwieweit sich der Kläger als Körperschaft des öffentlichen Rechts überhaupt auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berufen kann (vgl. dazu u.a. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50, Rz 239, m.w.N.), wurden in § 22a Abs. 1 und Abs. 5 EStG die Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beachtet.
Der Senat hat mit Urteil in BFHE 264, 165, BStBl II 2019, 430 (unter B.III.), auf das auch insoweit verwiesen wird, in Bezug auf eine privatrechtliche Körperschaft die Verfassungsmäßigkeit des § 22a Abs. 5 EStG auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bejaht. Dabei hat er in seine Prüfung auch die vom Kläger des vorliegenden Verfahrens gegen die Verhältnismäßigkeit der Regelung dem Grunde und der Höhe nach vorgebrachten Bedenken sowie den besonderen Aspekt der unentgeltlichen Indienstnahme der Mitteilungspflichtigen einbezogen.
4. Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 EStG sind vorliegend erfüllt.
Nach § 22a Abs. 5 Satz 1 EStG ist, wenn eine Rentenbezugsmitteilung nicht innerhalb der in § 22a Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Frist (1. März des Jahres, das auf das Jahr des Zuflusses der Rentenleistung folgt) übermittelt wird, für jeden angefangenen Monat, in dem die Rentenbezugsmitteilung noch aussteht, ein Betrag in Höhe von 10 € für jede ausstehende Rentenbezugsmitteilung an die ZfA zu entrichten. Von der Erhebung dieses Verspätungsgeldes ist abzusehen, soweit die Fristüberschreitung auf Gründen beruht, die der Mitteilungspflichtige nicht zu vertreten hat (§ 22a Abs. 5 Satz 3 EStG).
Das FG hat im Einzelnen festgestellt, dass der Kläger die streitgegenständlichen 5 414 Rentenbezugsmitteilungen verspätet übermittelt habe und die von ihm ‑‑ohnehin nur zu einem Teil der verspäteten Übermittlungen‑‑ vorgebrachten Tatsachen nicht darauf schließen ließen, dass er die Gründe für die Fristüberschreitung nicht zu vertreten habe. Gegen diese das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindende Tatsachenwürdigung der Vorinstanz wendet der Kläger sich im Revisionsverfahren nicht mehr.
Folglich hat die ZfA zu Recht das maximal mögliche Verspätungsgeld von 50.000 € festgesetzt.
Angesichts dieses bereits auf den gesetzlichen Höchstbetrag beschränkten Betrages kann offenbleiben, ob ein Verzögerungsgeld auch insoweit festgesetzt werden kann, als die ZfA die Annahme von Rentenbezugsmitteilungen abgelehnt hat, die zwar fehlerhaft waren, aber rechtzeitig übersandt worden sind (vgl. zur Problematik fehlerhaft übersandter Rentenbezugsmittlungen auch die Ausführungen im Senatsurteil in BFHE 264, 165, BStBl II 2019, 430, unter B.IV.). Dies ist lediglich bei 33 Meldungen geschehen und führt hier zu keiner Reduzierung des festgesetzten Verspätungsgeldes. Das Gleiche gilt in Bezug auf die zwölf fehlenden Meldungen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.