ECLI:DE:BFH:2019:B.170719.IIB29.18.0
BFH II. Senat
FGO § 76 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 23. October 2017, Az: 1 K 224/16
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 24.10.2017 - 1 K 224/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) lebte mehrere Jahre in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem am 15. November 2012 verstorbenen italienischen Staatsangehörigen X in der Schweiz.
Bis zum 19. Juni 2002 betrieb die Klägerin in … ein Einzelunternehmen und wurde wegen ihres Wohnsitzes in der im Inland angemieteten Wohnung B bis 2002 unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer veranlagt. Unter der Wohnungsadresse war sie beim Einwohnermeldeamt der Stadt O bis Ende 2011 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Mit notariell beurkundeter letztwilliger Verfügung vom 12. Juli 2011 (Testament) setzte X die Klägerin als Alleinerbin ein. Im Testament wird als Adresse der Klägerin die inländische Wohnung angegeben. Seit 1. Januar 2012 ist die Klägerin bei der Schweizer Meldebehörde angemeldet.
Die inländische Wohnung der Klägerin wurde durch den Aufsichtsdienst S betreut. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) suchte S die Wohnung täglich auf, leerte regelmäßig den Briefkasten, stellte im Winter die Heizung an und führte alle anstehenden Arbeiten (beispielsweise Reinigungsarbeiten) aus.
Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen die Klägerin u.a. wegen des Verdachts der Hinterziehung von Schenkungsteuer für den Zeitraum ab 2007 fand am 5. Februar 2014 eine Durchsuchung der inländischen Wohnung der Klägerin durch Beamte der Steuerfahndung in Anwesenheit der Mitarbeiter der S statt.
Am 19. März 2015 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mehrere Schenkungsteuerbescheide und setzte u.a. unter der Steuernummer gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des X Schenkungsteuer in Höhe von 422.820 € fest. Als steuerpflichtiger Erwerb wurde eine Zahlung der Klägerin an X am 9. März 2012 in Höhe von 1.725.000 CHF mit einem Wert von 1.429.400 € angesetzt. Der Erwerb unterliege der unbeschränkten Steuerpflicht. Die Klägerin habe einen inländischen Wohnsitz in ihrer Wohnung unterhalten, die vollständig mit Festnetztelefon, Möbeln, Kleidung und Bad-Accessoires ausgestattet gewesen sei. Das nach den Ermittlungen der Steuerfahndung gefertigte Bewegungsprofil der Jahre 2004 bis 2013 zeige, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum sich längere Zeit im Inland aufgehalten und hier ihren Lebensmittelpunkt gehabt habe.
Mit Beschluss vom 16. November 2015 lehnte das AG die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Hinterziehung von Schenkungsteuer ab. Zur Begründung führte das AG u.a. aus, die Zahlung in Höhe von 1.429.400 € lasse sich nicht mit notwendiger Sicherheit als Schenkung klassifizieren. Sie sei zu einem Zeitpunkt geleistet worden, als X "im Sterben" lag "und seine Verwandten nach dem Erbe trachteten (was die aktuellen Rechtsstreitigkeiten eindrucksvoll beweisen" könnten). Schenkungen in einer solchen Situation würden unüblich erscheinen, wenn sie nicht für die Bezahlung von Notwendigem (z.B. Pflegeleistungen) erforderlich seien.
Der gegen den Schenkungsteuerbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2016). Das FA führte u.a. zur Begründung aus, bei der Zahlung am 9. März 2012 handle es sich ‑‑entgegen des Vortrags der Klägerin‑‑ nicht um die Rückzahlung eines Darlehens. Als einzige Rückzahlung eines Geldbetrags der Klägerin an X habe die Zahlung am 9. März 2012 festgestellt werden können. Das Geld sei in die Lebensversicherung des X eingezahlt worden, deren Begünstigte wiederum die Klägerin sei.
Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage. In der Klagebegründung führte sie u.a. aus, die Einzahlung des am 9. März 2012 von der Klägerin an X gezahlten Betrags in eine Lebensversicherung zugunsten der Klägerin spreche für eine vorherige Absprache zwischen der Klägerin und X. Aufgrund dieser Absprache läge es nahe, dass X über den Betrag nicht frei habe verfügen können, was aber Voraussetzung für die Annahme einer Schenkung sei. Die Einzahlung in eine Lebensversicherung, bei der die Klägerin als Begünstigte eingesetzt worden sei, sei ein Weg des X gewesen, die Klägerin bei seinem Tod abzusichern.
Das FG verhandelte am 21. August 2017 und am 24. Oktober 2017 mündlich. Am 21. August 2017 hörte es zu der Dauer und dem Umfang der Nutzung der inländischen Wohnung durch die Klägerin u.a. den Zeugen E (Mitarbeiter der S) und zu den Feststellungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und der Durchsuchung der Wohnung als Zeugen u.a. die Beamten der Steuerfahndung Zeuge A, Zeuge B und Zeuge C. Am 24. Oktober 2017 verlas das FG u.a. die schriftlichen Aussagen der Zeuginnen K (Schwester der Klägerin)und I (Nichte der Klägerin).
Die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, bei der Zahlung am 9. März 2012 handle es sich um eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Für den Nachweis der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Norm als steuerbegründende Tatsachen trage zwar grundsätzlich die Finanzbehörde die Beweislast. Sie kehre sich aber um, wenn der objektive Geschehensablauf für das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung spreche und sich ein Steuerpflichtiger ‑‑wie im Streitfall‑‑ auf einen inneren Vorbehalt bzw. eine ungewöhnliche Gestaltung oder einen ungewöhnlichen Geschehensablauf berufe. Unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei das FG zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Zahlung am 9. März 2012 um eine freigebige Zuwendung handle. Das FA müsse nicht den Nachweis führen, dass die Klägerin X den Geldbetrag schenken habe wollen. Es reiche vielmehr aus, dass X durch die Einzahlung auf sein Konto frei über die Gelder habe verfügen können. Dass es sich bei der Zahlung um die Rückzahlung eines Darlehens handle, habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Auch der subjektive Tatbestand einer Zuwendung sei erfüllt. Die Klägerin habe ihren angeblichen inneren Vorbehalt, sie habe die Zahlungen als Rückzahlung eines Darlehens betrachtet, nicht nachgewiesen. Außerdem falle die Zuwendung zumindest unter die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG, da sich die Klägerin zum Besteuerungszeitpunkt im März 2012 noch nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten habe, ohne einen inländischen Wohnsitz zu haben. Die Klägerin habe zumindest im gesamten Jahr 2008 ihre zum dauerhaften Wohnen geeignete Mietwohnung regelmäßig in einem Umfang aufgesucht und genutzt, der einer Aufgabe des Wohnsitzes entgegenstehe.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Außerdem rügt die Klägerin nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO diverse Verfahrensmängel, auf denen das Urteil beruhen könne. U.a. macht sie geltend, das FG habe gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 FGO verstoßen. In der Einspruchsentscheidung habe das FA angeführt, die Zahlung der Klägerin an X am 9. März 2012 habe X in eine Lebensversicherung eingezahlt, deren Begünstigte die Klägerin gewesen sei. Das FG habe in der mündlichen Verhandlung am 21. August 2017 die Angaben des FA aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass es dann möglicherweise eine diesbezügliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und X gegeben habe, sodass X über den Betrag nicht frei habe verfügen können, was als Voraussetzung für die Annahme einer freigebigen Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erforderlich sei. Das FG habe eine tatsächliche Verständigung mit dem FA angeregt, der das FA aber entgegengetreten sei. Das FG habe den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt, obgleich er entscheidungserheblich sei. Im Tatbestand seines Urteils habe das FG den Sachvortrag zwar erwähnt. In den Entscheidungsgründen habe es sich aber nicht damit auseinandergesetzt. Dadurch verletze das FG auch das rechtliche Gehör der Klägerin.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist begründet. Das Unterlassen einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch das FG in Bezug auf eine mögliche Einzahlung des von der Klägerin an X am 9. März 2012 entrichteten Betrags in Höhe von 1.429.400 € in eine Lebensversicherung, deren Begünstigte die Klägerin gewesen sein soll, und eine mögliche diesbezügliche Absprache zwischen der Klägerin und X stellt einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 76 Abs. 1 FGO dar. Der BFH hebt das Urteil wegen des Verfahrensmangels auf und verweist die Sache nach § 116 Abs. 6 FGO an das FG zurück.
1. Das FG hat gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 FGO verstoßen, indem es nicht weiter aufgeklärt hat, ob und ggf. wann der von der Klägerin am 9. März 2012 an X entrichtete Betrag in Höhe von 1.429.400 € in eine Lebensversicherung, deren Begünstigte die Klägerin sein sollte, eingezahlt wurde und ob diesbezüglich Abreden zwischen der Klägerin und X getroffen wurden.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das FG die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen. Die Sachaufklärungspflicht des FG kann allerdings nicht losgelöst von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) gesehen werden (BFH-Beschluss vom 18. September 2013 - X B 38/13, BFH/NV 2014, 54, Rz 32). Die Aufklärung des Sachverhalts unter Ausschöpfung aller potentieller Beweismittel hat Vorrang vor einer Entscheidung unter Anwendung der Grundsätze der Feststellungslast. Die Anwendung der Regeln über die Feststellungslast stellt lediglich eine "ultima ratio" dar; vorrangig sind in jedem Fall eigene Bemühungen des FG zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 54, Rz 37).
b) Im Streitfall hat das FG die Auffassung des FA in der Einspruchsentscheidung, die von der Klägerin am 9. März 2012 an X geleistete Zahlung sei in eine Lebensversicherung eingezahlt worden, deren Begünstigte die Klägerin gewesen sei, im Tatbestand seines Urteils wiedergegeben. Nach Angaben der Klägerin sind außerdem in der mündlichen Verhandlung am 21. August 2017 eine mögliche Einzahlung in eine Lebensversicherung zugunsten der Klägerin und eine mögliche Absprache zwischen der Klägerin und X angesprochen worden. Die Klägerin führte überdies die Thematik in ihrer Klagebegründung an. Das FG hat jedoch diesbezüglich den Sachverhalt nicht mehr weiter aufgeklärt. In den Gründen seines Urteils hat es vielmehr ausgeführt, X habe über den erhaltenen Betrag frei verfügen können. Eine mögliche Absprache zwischen der Klägerin und X hat es nicht angesprochen. Diesbezüglich hätte das FG den Sachverhalt ‑‑unter Heranziehung der Klägerin und des FA, das eine solche Einzahlung in eine Lebensversicherung aufgeworfen hat‑‑ aber weiter aufklären müssen, da es sich um eine entscheidungserhebliche Tatsache handelt. Die weitere Sachverhaltsaufklärung musste sich dem FG zudem aufdrängen, da bereits das AG Zweifel am Vorliegen einer Schenkung hatte und es als ungewöhnlich ansah, dass die Klägerin kurz vor dem Tod des X ihm einen erheblichen Betrag zuwandte, obgleich Erbstreitigkeiten wahrscheinlich waren, und sie nicht davon ausgehen konnte, das Geld im Rahmen des Erbes wieder zu erlangen. Wäre der Geldbetrag hingegen in Absprache zwischen der Klägerin und X an X gezahlt worden mit dem Ziel, dass X den Betrag in eine Lebensversicherung mit der Klägerin als Begünstigte einzahlen würde, hätte die Klägerin bei dem Tod des X wieder von dem Geld profitieren können. Hätte es eine solche Absprache gegeben, dann hätte X über das Geld aber nicht frei verfügen können. Es wäre bereits der objektive Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht erfüllt. Das FG könnte eine freigebige Zuwendung nicht mehr dadurch bejahen, dass es die objektiven Voraussetzungen einer Schenkung annimmt und im Rahmen einer Umkehr der Beweislast auch den subjektiven Tatbestand als erfüllt ansieht.
2. Da das FG seine Pflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt hat und hierdurch die Voraussetzungen des § 116 Abs. 6 FGO erfüllt sind, war auf die weiteren Rügen der Klägerin nicht mehr in Einzelheiten einzugehen.
3. Für das weitere Verfahren weist der BFH ‑‑ohne Bindungswirkung‑‑ auf Folgendes hin:
Sollte das FG nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts zu der Auffassung gelangen, die Zahlung der Klägerin an X am 9. März 2012 stelle eine freigebige Zuwendung dar, wird es zu prüfen haben, ob die Klägerin im Jahr 2012 unbeschränkt steuerpflichtig nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a oder b ErbStG war. Das würde voraussetzen, dass die Klägerin im Inland einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG) oder sich noch nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG).
a) Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 der Abgabenordnung (AO). Danach kommt es darauf an, ob die betroffene Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Begibt sich ein Steuerpflichtiger ins Ausland, ist zu prüfen, ob er seinen vorher im Inland begründeten Wohnsitz während seines Auslandsaufenthalts beibehalten oder aufgegeben hat. Der Wohnsitz wird erst dann aufgegeben, wenn die Voraussetzungen des § 8 AO nicht mehr erfüllt sind. Ob dies der Fall ist, richtet sich ebenfalls nach objektiv erkennbaren Umständen (BFH-Urteil vom 24. Juli 2018 - I R 58/16, BFH/NV 2019, 104, Rz 16 f.).
Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben und diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Demgemäß ist es auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet (BFH-Urteil vom 10. April 2013 - I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, Rz 13).
Ein inländischer Wohnsitz kann auch dann zur unbeschränkten Steuerpflicht eines Steuerpflichtigen führen, wenn der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sich im Ausland befindet (vgl. zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 des Einkommensteuergesetzes BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 - I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, unter II.3.d).
Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit ‑‑wenn auch in größeren Zeitabständen‑‑ aufsucht. Der Wohnsitzbegriff setzt keinen Aufenthalt während einer Mindestzeit voraus. Erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 25. September 2014 - III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 14 f., m.w.N.). Auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung können zur Aufrechterhaltung eines dortigen Wohnsitzes führen (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 917, unter II.3.b). Ausreichend ist z.B. eine Nutzung der Wohnung zweimal jährlich für mehrere Wochen (BFH-Urteil vom 23. November 1988 - II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182).
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Wegen dieser objektiven Betrachtungsweise ist es daher z.B. ohne Bedeutung, wo jemand polizeilich gemeldet ist (BFH-Urteile vom 27. April 1995 - III R 57/93, BFH/NV 1995, 967, unter 1., und vom 22. August 2007 - III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, unter II.1.). Auch die Angabe einer Postadresse reicht für einen Wohnsitz nicht aus.
Die Beurteilung, ob die Umstände auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung schließen lassen, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet. Das FG hat die Tatsachen, die auf einen Wohnsitz schließen lassen, festzustellen und zu würdigen (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 104, Rz 11 f.).
b) Im Streitfall hat das FG für die Annahme einer zumindest erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG festzustellen, ob objektive Umstände den Schluss zulassen, dass die Klägerin zumindest bis 9. März 2007 ihren inländischen Wohnsitz beibehalten hat. Dafür hat das FG festzustellen, ob und in welchem konkreten Zeitraum die Klägerin die inländische Wohnung in einem Umfang genutzt hat, der über einen bloßen Besuchscharakter hinausgeht. Die pauschale Angabe, die Klägerin habe bis in das Jahr 2008 hinein die Wohnung regelmäßig in einem nicht so unerheblichen Umfang genutzt, dass sie dort ‑‑neben ihrem Wohnsitz in der Schweiz‑‑ einen weiteren Wohnsitz gehabt habe, reicht nicht aus. Erforderlich sind Angaben zum Zeitpunkt (Bezeichnung des Monats/der Monate) und der konkreten Dauer (Angabe der Tage/ Wochen), in denen das FG von einer Nutzung der inländischen Wohnung durch die Klägerin ausgeht.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.