ECLI:DE:BFH:2019:U.160119.IR66.17.0
BFH I. Senat
DBA FRA Art 13 Abs 1, DBA FRA Art 18
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 09. January 2017, Az: 13 K 10148/15
Leitsätze
1. NV: Maßgeblich für die Bestimmung eines Staats als Tätigkeitsstaat, dem nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich das ausschließliche Recht zur Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zusteht, ist allein der Ort der Arbeitsausübung des Arbeitnehmers .
2. NV: Dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich enthaltenen Relativsatz "aus der die Einkünfte herrühren" kommt für die Bestimmung eines Staats als Tätigkeitsstaat keine Bedeutung zu .
3. NV: Nach Art. 18 DBA-Frankreich steht dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers das Recht zu, die Einkünfte aus einer in Drittstaaten ausgeübten nichtselbständigen Arbeit zu besteuern .
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10. Januar 2017 13 K 10148/15 aufgehoben. Die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. April 2015, werden dahingehend abgeändert, dass ein steuerpflichtiger Bruttoarbeitslohn im Jahr 2010 in Höhe von ... € und im Jahr 2011 in Höhe von ... € angesetzt wird.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren (2010 und 2011) ihren Wohnsitz in Frankreich hatten.
Der Kläger war Arbeitnehmer eines französischen Industriekonzerns. Dieser entsandte ihn im Zeitraum Dezember 2009 bis Dezember 2013 an eine deutsche Tochtergesellschaft, die den Kläger fortan beschäftigte. Seinen Familienwohnsitz behielt Letzterer über den gesamten Entsendezeitraum bei, er mietete allerdings eine Wohnung im Inland an, in der er sich unter der Woche regelmäßig aufhielt. An den Wochenenden reiste er zu seiner Familie nach Frankreich. Während des Entsendezeitraumes arbeitete der Kläger überwiegend im Inland, regelmäßige Dienstreisen führten ihn allerdings auch nach Frankreich, Finnland, Italien und in andere Staaten. Von den 229 Arbeitstagen des Jahres 2010 entfielen hierauf 50 Tage.
In ihren beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eingereichten Einkommensteuererklärungen wiesen die Kläger den auf solche Dienstreisetage entfallenden Teil des Arbeitslohns als steuerfrei aus. Dem folgte das FA in den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheiden nicht.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) ging in seinem Urteil vom 10. Januar 2017 13 K 10148/15 davon aus, dass der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) nach dem mit der Französischen Republik abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343), geändert durch das Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 (BGBl II 2002, 2372, BStBl I 2002, 892) ‑‑DBA-Frankreich‑‑, das Recht zustehe, den gesamten vom Kläger bezogenen Arbeitslohn zu besteuern. Dass die Arbeit zum Teil in Frankreich und in Drittstaaten ausgeübt worden sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Denn auch die für die Tätigkeit in diesen Staaten geleistete Vergütung rühre aus einem inländischen Arbeitsverhältnis her.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen eine Verletzung des Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich.
Sie beantragen, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. April 2015, dahingehend abzuändern, dass der steuerpflichtige Bruttoarbeitslohn im Jahr 2010 in Höhe von ... € und im Jahr 2011 in Höhe von ... € angesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Das angegriffene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 EStG auf das Welteinkommen und damit auch auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Solche Einkünfte sind allerdings dann von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wenn sie nach dem DBA-Frankreich nur in Frankreich besteuert werden können.
a) Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich etwaiger (hier nicht einschlägiger) Sonderregelungen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird (Satz 1). Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach Satz 2 der Regelung insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Art. 14 DBA-Frankreich bezeichneten Personen (das sind bestimmte öffentliche Kassen) gezahlt oder gewährt werden.
b) Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich regelt hiernach ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats. Maßgeblich für die Bestimmung eines Staats als Tätigkeitsstaat ist der Ort der Arbeitsausübung (Arbeitsort). Dieser befindet sich dort, wo der Arbeitnehmer sich zur Ausübung seiner Tätigkeit tatsächlich aufhält. Ausschlaggebend hierfür ist seine physische Anwesenheit im Tätigkeitsstaat (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 25. November 2014 I R 27/13, BFHE 248, 153, BStBl II 2015, 448, m.w.N.; zum DBA-Frankreich vgl. außerdem Senatsurteil vom 29. Januar 1986 I R 296/82, BFHE 146, 136, BStBl II 1986, 513; Kramer in Wassermeyer Frankreich Art. 13 Rz 21).
c) Hält sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeitsausübung (physisch) nicht in einem der beiden Vertragsstaaten, sondern in einem Drittstaat auf, so steht demjenigen Vertragsstaat, in dem der Arbeitnehmer üblicherweise seiner Arbeit nachgeht, kein Besteuerungsrecht an den auf die Drittstaatentätigkeit entfallenden Teil der Arbeitsvergütung zu. Denn sein Besteuerungsrecht setzt eine Arbeitsausübung auf seinem Staatsgebiet voraus, woran es bei einer Arbeitsausübung in Drittstaaten fehlt (vgl. Senatsurteil in BFHE 248, 153, BStBl II 2015, 448).
d) Welchem Staat das Besteuerungsrecht für die Vergütungen, die auf eine Tätigkeit in einem Drittstaat entfallen, zusteht, richtet sich nach Art. 18 DBA-Frankreich. Diese Abkommensbestimmung setzt Einkünfte voraus, die in den vorhergehenden Artikeln nicht behandelt sind. Zu solchen Einkünften rechnen insbesondere Drittstaateneinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, da Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich allein (ausschließliche) Besteuerungsrechte der beiden Vertragsstaaten hinsichtlich der im jeweiligen Vertragsstaat ausgeübten Arbeitnehmertätigkeiten regelt (strenges Arbeitsortprinzip) und somit Einkünfte aus Tätigkeiten, die in Drittstaaten ausgeübt werden, tatbestandlich nicht erfasst (Kramer, a.a.O., Art. 18 Rz 11; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 21 Rz 17 und 51; Tcherveniachki in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 21 Rz 58). Danach können die Drittstaateneinkünfte nur in demjenigen Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Bezugsberechtigte, dem diese Einkünfte zustehen, ansässig ist (Art. 18 DBA-Frankreich). Das ist bei Drittstaateneinkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers.
2. Nach diesen Maßgaben stand Deutschland nicht das Recht zu, die auf die Dienstreisen des Klägers nach Frankreich sowie in Drittstaaten entfallenden Teile des Arbeitslohns zu besteuern. Diese sind vielmehr steuerfrei zu stellen.
Da der Kläger im Inland über eine Wohnung verfügte, war er zwar unbeschränkt im Inland mit sämtlichen Arbeitseinkünften einkommensteuerpflichtig. Da sich sein Lebensmittelpunkt indes am Familienwohnsitz in Frankreich befand, gilt er für die Zwecke des Abkommens als in Frankreich ansässig (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Frankreich). Das (ausschließliche) Recht Deutschlands zur Besteuerung des Arbeitslohnes setzte eine im Inland ausgeübte Tätigkeit voraus. Zu einer inländischen Arbeitsausübung kam es im Streitfall allerdings nur insoweit, als der Kläger sich tatsächlich körperlich im Inland aufhielt, um seinen arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber seinem Arbeitgeber nachzukommen. Nach dem eindeutigen Abkommenswortlaut erstreckt sich das deutsche Besteuerungsrecht als Tätigkeitsstaat indes nicht auf solche Vergütungen, die aus Tätigkeiten herrührten, die der Kläger im Rahmen seiner Dienstreisen in Frankreich oder in Drittstaaten erbracht hatte. Hinsichtlich der Dienstreisen nach Frankreich steht Frankreich als dem Tätigkeitsstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich zu. Was die Dienstreisen in Drittstaaten angeht, so gebührt im Verhältnis zu Deutschland ebenfalls Frankreich als Ansässigkeitsstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht auf der Grundlage des Art. 18 DBA-Frankreich.
3. Das Urteil der Vorinstanz widerspricht dem Vorstehenden. Es ist deshalb aufzuheben.
Das FG hat zur Begründung seiner abweichenden Rechtsauffassung zu Unrecht auf die Senatsurteile vom 12. Januar 2011 I R 49/10 (BFHE 232, 436, BStBl II 2011, 446, und vom 24. Juli 2013 I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929) abgestellt. Beide Verfahren betrafen Sachverhalte, in denen wegen der Arbeitsausübung in Frankreich sowie in Deutschland deren ausschließliches Besteuerungsrecht als jeweilige Tätigkeitsstaaten außer Frage stand. Daran anschließend war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats sich sachlich auch auf bestimmte Vergütungen (Abfindung bzw. Bezüge in der Freistellungsphase bei Altersteilzeit nach dem sog. Blockmodell) erstreckte. Nur um diese Frage ‑‑positiv‑‑ zu beantworten, hat der Senat maßgeblich auf den in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich enthaltenen Relativsatz "aus der die Einkünfte herrühren" abgestellt.
Im Streitfall geht es indes nicht um die Bestimmung des Umfangs des Besteuerungsrechts des Tätigkeitsstaats, sondern um die Bestimmung, welcher Staat im Rechtssinne der Tätigkeitsstaat ist. Diese Festlegung richtet sich sowohl nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich als auch nach dem Text des Art. 15 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen) allein nach dem Ort der Arbeitsausübung und damit nach der körperlichen Anwesenheit des Arbeitnehmers. Es kommt entgegen der Meinung des FG insbesondere nicht darauf an, ob die Vergütung für eine tatsächlich nicht im Tätigkeitsstaat ausgeübte Arbeit von einem im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber gezahlt wird.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.