ECLI:DE:BFH:2019:BA.290519.VIIB10.19.0
BFH VII. Senat
AO § 130, AO § 322, AO § 367 Abs 2 S 3, FGO § 69
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 10. December 2018, Az: 7 V 7186/18
Leitsätze
1. NV: Das Einspruchsverfahren ist durch einen Änderungsbescheid nur dann beendet, wenn dem Begehren des Steuerpflichtigen in vollem Umfang entsprochen wird .
2. NV: Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen die Zwangsgeldandrohung besteht auch bei bestandskräftiger Zwangsgeldfestsetzung, weil der Steuerpflichtige bei Aufhebung der Zwangsgeldandrohung einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA nach § 130 AO hat .
3. NV: Im einstweiligen Rechtsschutz fehlt allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, weil eine AdV der Zwangsgeldandrohung keine Auswirkungen auf die bestandskräftige Zwangsgeldfestsetzung haben kann .
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.12.2018 - 7 V 7186/18 aufgehoben und der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) betreibt eine Pension und hatte im Dezember 2017 weder seine Steuererklärungen ab 2011 noch die Umsatzsteuer-Voranmeldung für 2017 eingereicht. Daher drohte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit Verfügung vom 13. Dezember 2017 die Festsetzung von Zwangsgeldern in Höhe von jeweils 1.000 € je Erklärung, Gewinnermittlung und Umsatzsteuer-Voranmeldung an, wenn der Antragsteller die Erklärungen nicht bis 3. Januar 2018 elektronisch beim FA einreiche.
Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte ausdrücklich, den Bescheid unter angemessener Fristsetzung abzuändern. Weil er nicht in der Lage sei, die offenen sieben Jahre innerhalb der Frist abzuarbeiten, schlug er gestaffelte Fristen mit Ablaufdaten zwischen dem 31. Januar 2018 und dem 30. Juni 2018 vor. Weiter wies er "der Vollständigkeit halber" darauf hin, dass die Androhung der Zwangsmittel für jede einzelne Verpflichtung mit gesondertem Verwaltungsakt erfolgen müsse, woraus sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergebe. Schließlich beantragte er die Aussetzung der Vollziehung (AdV).
Daraufhin änderte das FA mit Schreiben vom 9. Januar 2018 die Androhung und übernahm die vorgeschlagenen Fristen (unter Korrektur eines Schreibfehlers des Antragstellers). Damit sah es den Einspruch als erledigt an und wies vorsorglich darauf hin, dass die Androhung von Zwangsmitteln zwar getrennt erfolgen müsse, aber in einem Schriftstück geschehen könne. Deshalb sei die Androhung rechtmäßig. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt das Schreiben nicht.
Weil der Antragsteller seinen Pflichten weiterhin nicht nachkam, setzte das FA mit mehreren Bescheiden Zwangsgelder fest. Diese Bescheide sind sämtlich bestandskräftig geworden.
Nachdem der Antragsteller das Einspruchsverfahren nicht als beendet ansah, erließ das FA am 8. Juni 2018 eine Einspruchsentscheidung. Darin wies es den Einspruch gegen die Androhung als unbegründet zurück und lehnte die AdV ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage und beantragte gerichtliche AdV. Das Finanzgericht (FG) gewährte AdV, soweit nicht das Jahr 2013 betroffen war. Der Zulässigkeit des Antrags stehe nicht entgegen, dass die Zwangsgeldfestsetzungen zwischenzeitlich in Bestandskraft erwachsen seien. Diese Festsetzungen stellten die Vollziehung der Androhung dar. Wie andere Vollziehungsmaßnahmen müssten sie nach der Anordnung der AdV aufgehoben werden. Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 145 veröffentlicht.
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde. Der Antrag auf gerichtliche AdV sei mangels Beschwer unzulässig. Durch die Bestandskraft der Zwangsgeldfestsetzungen hätten sich die Androhungen erledigt (unter Verweis auf das Urteil des FG Hamburg vom 29. Oktober 2009 - 3 K 204/09, EFG 2010, 612).
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Der Zulässigkeit des AdV-Antrags steht der Änderungsbescheid über die Zwangsgeldandrohungen vom 9. Januar 2018 nicht entgegen. Zwar könnte ein bereits bestandskräftiger Bescheid nicht ausgesetzt werden, weil § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen angefochtenen Verwaltungsakt voraussetzt (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. Juli 2003 - I S 4/03, BFH/NV 2003, 1445).
Das Einspruchsverfahren war jedoch durch den Änderungsbescheid nicht beendet, weil das FA dem Begehren des Antragstellers nicht in vollem Umfang entsprochen hat (§ 367 Abs. 2 Satz 3 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑). Das FA hat sich in dem Änderungsbescheid auch zu dem Einwand geäußert, die Androhung hätte für jede einzelne Verpflichtung in einem gesonderten Verwaltungsakt erfolgen müssen. Weil das FA insoweit jedoch ausdrücklich nicht dem Begehren des Antragstellers gefolgt ist, hätte es nicht von einer Erledigung des Einspruchsverfahrens ausgehen dürfen, sondern es hätte eine Einspruchsentscheidung erlassen müssen.
Dass das FA tatsächlich von einem nicht abgeschlossenen Einspruchsverfahren ausging, belegt der Umstand, dass es nach einem entsprechenden Hinweis des Antragstellers eine Einspruchsentscheidung erlassen hat.
2. Das FG hat allerdings zu Unrecht die Zulässigkeit des gerichtlichen Antrags auf AdV der Zwangsgeldandrohungen bejaht. Seiner Auffassung, die Bestandskraft der Zwangsgeldfestsetzungen stehe dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegen, kann für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gefolgt werden.
a) Grundsätzlich besteht ein Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen, weil er ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Androhung hat (anderer Ansicht Horn in Schwarz/Pahlke, AO, § 332 Rz 15; Urteil des FG Hamburg in EFG 2010, 612). Fehlt nämlich eine wirksame (regelmäßig schriftliche) Androhung des Zwangsmittels gemäß § 332 Abs. 1 Satz 1 AO, so ist die Festsetzung der Zwangsmittel rechtswidrig. Auch bei formeller Bestandskraft der Festsetzung ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ kann diese gemäß § 130 AO zurückgenommen werden (für eine Pflicht zur Rücknahme: Neumann in Gosch, AO § 332 Rz 24; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 332 AO Rz 22; Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 332 AO Rz 28; Koenig/Zöllner, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 332 Rz 14). Aus § 130 AO ergibt sich ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA (Wernsmann in HHSp, § 130 AO Rz 35). Eine Ermessensreduktion auf Null kommt allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht.
b) Wie im Hauptsacheverfahren ist auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers erforderlich.
Im Hinblick darauf, dass die Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs ‑‑sowie die Erhebung der Klage‑‑ die Vollziehung eines Steuerverwaltungsakts grundsätzlich nicht hemmt (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO), verfolgen die Vorschriften des § 69 Abs. 2 und Abs. 3 FGO den Zweck, dem Steuerpflichtigen vorläufigen Rechtsschutz gegenüber ihm möglicherweise aus der Vollziehung erwachsenden und nicht mehr behebbaren Nachteilen zu gewähren (BFH-Beschluss vom 28. November 1974 - V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975, 240, m.w.N.). Im Umkehrschluss muss der Antragsteller mittels des Aussetzungsverfahrens einen Vorteil erlangen können, woran es im vorliegenden Fall allerdings fehlt.
c) Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die AdV der Androhung des Zwangsgeldes. Gegenstand des Verfahrens ist somit nicht die Festsetzung des Zwangsgeldes. Eine Einbeziehung der Zwangsgeldfestsetzung in das vorliegende Verfahren ist nicht möglich (vgl. Senatsurteil vom 7. April 1964 - VII 152/62 U, BFHE 79, 237, BStBl II 1964, 317). Hätte der AdV-Antrag des Antragstellers Erfolg, ergäben sich daraus noch keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung, weil der Zwangsgeldfestsetzung die rechtliche Grundlage nicht entzogen wäre. Denn eine Ermessensentscheidung gemäß § 130 AO darüber, ob die Zwangsgeldfestsetzung zurückgenommen wird, ist erst dann zu treffen, wenn die Zwangsgeldandrohung aufgehoben worden ist (anderer Ansicht Beschluss des Sächsischen FG vom 31. März 2010 - 8 V 2120/09, ohne weitere Begründung).
Entgegen der Ansicht des FG kann eine AdV der Zwangsgeldandrohung nicht dazu führen, dass auch eine AdV der Zwangsgeldfestsetzung zu gewähren ist. Dem steht der klare Gesetzeswortlaut entgegen, weil § 69 FGO einen anfechtbaren Verwaltungsakt voraussetzt. Im Streitfall ist die Festsetzung jedoch bereits bestandskräftig.
d) Aus dem bereits zitierten Senatsurteil in BFHE 79, 237, BStBl II 1964, 317 lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten. Zum einen erging diese Entscheidung nicht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Zum anderen trifft diese Entscheidung lediglich die Aussage, dass die nicht angefochtene, das Zwangsgeld festsetzende Verfügung nicht in das die Androhung betreffende Rechtsmittelverfahren einbezogen werden kann. Davon ging auch das FG aus.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.