ECLI:DE:BFH:2018:U.041218.IXR15.18.0
BFH IX. Senat
BGB § 133
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 18. December 2017, Az: 11 K 3703/16
Leitsätze
1. NV: Die Auslegung von Willenserklärungen ist objektiv willkürlich, wenn das Gericht anerkannte Auslegungsgrundsätze in einem Maße außer Acht lässt, dass seine Entscheidung nicht mehr nachvollziehbar ist .
2. NV: Die Auslegung eines Vertrags darf nicht widersprüchlich sein; sie darf sich auch nicht auf widersprüchliche Annahmen stützen. Beruht das Urteil auf zwei Annahmen, die sich gegenseitig ausschließen, ist es insgesamt nicht mehr nachvollziehbar .
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 19. Dezember 2017 11 K 3703/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Im Revisionsverfahren ist nur noch die Höhe der Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus der Vermietung eines ihr gehörenden Wohnhauses in H streitig. Die Klägerin und ihr Ehemann, der Kläger und Revisionskläger (Kläger), werden in den Streitjahren (2010 bis 2014) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung des Objekts in H u.a. Darlehenszinsen in Höhe von 36.000 € (2010, 2012 und 2013), 39.800 € (2011) und 18.000 € (2014) geltend und erläuterten die Aufwendungen in Anlagen mit den Kurzbezeichnungen "A/ex ..." bzw. "Ex-Spk .../B ..." oder "Ex-Spk .../ExA/B ...". Nach den bisher vom Finanzgericht (FG) getroffenen Feststellungen liegt dem folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war u.a. Betreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheit und Aufenthaltsbestimmung für seinen nach einem ärztlichen Behandlungsfehler schwer behinderten Bruder A. Daneben war er aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter Generalvollmacht zu dessen Vertretung umfassend ermächtigt. Die Versicherung des Schädigers leistete zum Ausgleich eine Zahlung von 1,2 Mio. € an A.
Die Kläger verwendeten dieses Geld dazu, um zwei Darlehen, mit denen die Klägerin die Anschaffung des Objekts in H finanziert hatte, abzulösen. Die Klägerin zahlte seitdem "Darlehenszinsen" in Höhe von 3.000 € monatlich an A und setzte die Zahlungen auch nach dessen Tod am xx. Dezember 2011 fort. Erst zu Beginn des Jahres 2014 reduzierte sie die Zahlungen auf 1.500 € monatlich. Nach den Angaben des Klägers dienten die Zahlungen nach dem Ableben des Bruders A der Versorgung der Schwester (B). Der Kläger garantierte A, für dessen Versorgung lebenslang aufzukommen.
In einer auf den 2. Juli 2005 datierten, privaten Vereinbarung zwischen dem Kläger, seinem Bruder A, vertreten durch den Kläger, und deren Mutter heißt es auszugsweise:
"7. im Gegenzug erhält ... (Anm.: der Kläger) den Betrag, welcher von der Versicherung als Schadenersatz in Höhe von € 1.200.000 zur Auszahlung kam. Er sagt zu, hiermit seine Darlehen für das Immobiliengrundstück ... zu tilgen, um dauerhaft die Mittel für den unter dem Vorbehalt der Abänderung stehenden Unterhalt der o.g. Personen aufbringen zu können. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass die Leistungen gegenseitig wirtschaftlich ausgewogen sind. Lt. Anlage 9 zum sog. BewG beträgt der Kapitalwert für solche eine lebenslange Leistung rund € 1.200.000,-.
8. Sollte die Betreuungstätigkeit aus welchen Gründen auch immer, aufgehoben werden zahlt ... (Anm.: der Kläger) gegfls. den dann bestehenden Restkapitalwert zur Aufrechterhaltung der Versorgung von A an diesen zurück."
Das Finanzamt (FA) berücksichtigte die erklärten "Schuldzinsen" in allen Jahren nicht. Der zwischen den Klägern zustande gekommene Darlehensvertrag vom 21. Januar 2006 könne der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, weil er dem Fremdvergleich nicht standhalte.
Nach erfolglosen Einsprüchen haben die Kläger dagegen Klage erhoben. Das FG hat der Klage wegen Einkommensteuer 2013 im Hinblick auf einen im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen Sachverhalt teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Der Darlehensvertrag weiche inhaltlich und hinsichtlich seiner tatsächlichen Durchführung von dem zwischen Fremden Üblichen ab. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers sei nicht besichert worden. Der Kläger habe sich lediglich die Mietforderungen still abtreten lassen. Außerdem hätte er verlangen können, dass die Klägerin die zugunsten der abgelösten Sparkasse bestellten Grundschulden an ihn abtritt. Dies sei jedoch nicht geschehen. Die fehlende Besicherung sei aufgrund der Höhe des Darlehens unüblich. Das gelte auch für das vereinbarte jederzeitige Kündigungsrecht im Falle "der Veränderung der Gesundheitsverhältnisse des Erkrankten". Ein fremder Kreditnehmer hätte eine solche Klausel nicht akzeptiert. Sie zeige, dass hier die Versorgung von Angehörigen und nicht die Erzielung von Mieteinkünften im Vordergrund stehe. Auch die Durchführung des Vertrags entspreche nicht dem Üblichen. So sei die vollständige Valutierung des Darlehens nicht nachvollziehbar. Der vereinbarte Darlehenszins (36.000 € p.a.) sei im Jahr 2011 überschritten (39.600 €) und im Jahr 2014 unterschritten (Kürzung auf 1.500 € monatlich).
Der Kläger könne die an seinen Bruder oder an seine Geschwister geleisteten Zahlungen weder als Sonderausgaben noch als außergewöhnliche Belastungen abziehen. Eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen liege nicht vor. Zum einen sei völlig unklar, ob der Vertrag vom 2. Juli 2005 zivilrechtlich wirksam sei und wozu sich der Kläger in diesem Vertrag verpflichtet habe. Zum andern sei aber auch keine Versorgungsleistung vereinbart worden, sondern die Beteiligten hätten ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft abgeschlossen. Außergewöhnliche Belastungen seien ebenfalls nicht anzunehmen. Zum einen müsse sich der Kläger den Vorteil der von seinem Bruder erlangten 1,2 Mio. € anrechnen lassen. Zum andern seien ihm die Belastungen nicht zwangsläufig entstanden, da der Unterstützungsbedarf des Bruders erst dadurch entstanden sei, dass der Bruder sein Vermögen auf den Kläger übertragen habe.
Auf die Beschwerde der Kläger hat der Senat die Revision gegen das Urteil wegen eines schweren materiellen Rechtsfehlers zugelassen und u.a. ausgeführt, das FG habe den Abzug von Sonderausgaben mit nicht nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Es habe widersprüchlich angenommen, dem Vertrag vom 2. Juli 2005 ließen sich zum einen konkrete Verpflichtungen des Klägers gegenüber seinem Bruder nicht entnehmen und der Vertrag sei zum andern (gleichwohl) als Veräußerungsgeschäft zu würdigen. Beide Annahmen seien miteinander unvereinbar.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (Widersprüchlichkeit der Sachverhaltswürdigung).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben, die Einkommensteuerbescheide für 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 in Gestalt der dazu jeweils ergangenen Einspruchsentscheidungen zu ändern und die Einkommensteuer für 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn die Schuldzinsen bei den Einkünften der Klägerin aus dem Objekt H erklärungsgemäß berücksichtigt werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Mit rechtsfehlerhaften Erwägungen hat das FG den Abzug von Sonderausgaben beim Kläger verneint. Zur Begründung verweist der Senat auf seinen begründeten Zulassungsbeschluss (vom 18. Mai 2018 IX B 8/18, BFH/NV 2018, 960), der den Beteiligten bekannt ist, und auf sein Urteil in der Parallelsache IX R 14/18 vom heutigen Tag.
2. Im zweiten Rechtsgang wird das FG insbesondere noch einmal prüfen müssen, ob der Kläger aufgrund des Vertrags vom 2. Juli 2005 wirklich das Eigentum an den 1,2 Mio. € erlangt hat. Nur dann hätte er (als Berechtigter) der Klägerin das Darlehen gewähren und (ihm persönlich zurechenbare) Kapitaleinkünfte daraus erzielen können.
Sollte das FG zu dem Schluss kommen, dass nicht der Kläger das Darlehen gewährt, sondern dass der Bruder A (vertreten durch den Kläger) der Klägerin sein Kapital zur Nutzung überlassen hat, wird es bei der Durchführung des Fremdvergleichs auch beachten müssen, dass die Klägerin dem A gegenüber weder aufgrund Gesetzes noch vertraglich zu Unterhalt verpflichtet war. Die Gefahr einer Verlagerung von nicht abziehbaren Unterhaltsleistungen in den Einkünftebereich bestand bei ihr nicht. Die Klägerin hat vor wie nach der Umschuldung Fremdkapital in Anspruch genommen und dafür Zinsen entrichtet. Sie hat im familiären Interesse akzeptiert, die Zinsen nicht mehr an die Bank, sondern an den Bruder des Klägers zu zahlen. Sie hat dafür auch die Gefahr einer kurzfristigen Kündigung des Darlehens in Kauf genommen. Sie hat sich dadurch jedoch keinen steuerlichen Vorteil verschafft. Wenn der Fremdvergleich die Aufgabe hat, den steuerbaren vom nicht steuerbaren Bereich abzugrenzen, besteht insofern auch keine Veranlassung für eine strenge Prüfung. Es überzeugt nicht, die Klägerin für eine Gestaltung steuerlich zu bestrafen, die ihr keinerlei Vorteile bringen konnte oder gebracht hat. Dass sie mit der Umschuldung auch private Interessen verfolgt hat, steht der steuerlichen Anerkennung des Vorgangs nicht per se entgegen.
Der Abzug von Zahlungen, die über den vereinbarten Zins von 3 % hinausgehen (wie im Jahr 2011), wäre damit allerdings nicht vereinbar. Außerdem wäre eine solche Betrachtung allenfalls bis zum Tod des A möglich. Es bedürfte insofern noch der Aufklärung, von wem A beerbt worden ist und wie die Beteiligten den Anspruch des A auf Rückzahlung des Darlehens behandelt haben. Davon hängt ab, wer der Klägerin nach dem Tod des A das Kapital (weiterhin) zur Verfügung gestellt hat. Daraus ergibt sich dann zugleich, wem die Zinseinkünfte nach diesem Zeitpunkt persönlich zuzurechnen waren. Auch insoweit dürfte der Fremdvergleich nicht der passende Maßstab zur Beurteilung des Sachverhalts sein.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die weitere Sachaufklärung und abschließende tatsächliche Würdigung obliegen dem FG, dessen Würdigung im ersten Rechtsgang keinen Bestand haben konnte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.