ECLI:DE:BFH:2019:BA.070119.IXB79.18.0
BFH IX. Senat
AO § 33 Abs 1, AO § 34 Abs 1, AO § 34 Abs 3, FGO § 69 Abs 2 S 2, FGO § 69 Abs 2 S 3, FGO § 69 Abs 2 S 4, FGO § 69 Abs 2 S 5, FGO § 69 Abs 2 S 6, FGO § 69 Abs 3 S 1, ZVG § 155 Abs 1, EStG § 21, AO § 69, EStG VZ 2016
vorgehend FG Düsseldorf, 09. July 2018, Az: 3 V 1143/18 A (E)
Leitsätze
NV: Der Zwangsverwalter hat die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrührt .
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2018 3 V 1143/18 A (E) aufgehoben.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides vom 20. November 2017 wird abgelehnt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) als Zwangsverwalter verpflichtet ist, die auf die Einkünfte aus einem vermieteten, der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück entfallende (und durch materiell bestandskräftigen Bescheid festgesetzte) Einkommensteuer an den Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt ‑‑FA‑‑) abzuführen.
Der Antragsteller wurde durch Beschluss vom 24. August 2015 durch das Amtsgericht (AG) in dem Zwangsverwaltungsverfahren über ein Grundstück in X zum Zwangsverwalter bestellt. Mit Bescheid vom 20. November 2017 setzte der Antragsgegner die anteilige Einkommensteuer 2016 gegenüber dem Antragsteller "als Zwangsverwalter des Grundstücks (Grundstückseigentümerin: Frau Z)" fest. Die Einkommensteuer wurde auf der Grundlage einer vom Antragsteller eingereichten Einkommensteuererklärung ("Anlage V") in Höhe von 360,19 €, der Solidaritätszuschlag in Höhe von 19,81 € und Kirchensteuer in Höhe von 32,42 € festgesetzt. Der Antragsgegner stützte die Festsetzung gegenüber dem Antragsteller auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Februar 2015 IX R 23/14 (BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367) und die Ausführungen im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 3. Mai 2017 IV A 3-S 0550/15/10028, 2017/0384389 (BStBl I 2017, 718).
Unter dem 18. Dezember 2017 legte der Antragsteller gegen den Einkommensteuerbescheid vom 20. November 2017 Einspruch ein, den er u.a. damit begründete, er sei vom AG durch Beschluss vom 8. Januar 2018 angewiesen worden, keine Zahlung auf die private Einkommensteuer der Schuldnerin zu leisten. Der Einspruch wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 23. März 2018 als unbegründet zurückgewiesen. Die vom Antragsteller beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Einkommensteuerbescheides lehnte das FA ab.
Über die gegen den Einkommensteuerbescheid vom 20. November 2017 gerichtete Anfechtungsklage des Antragstellers, die beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. 3 K 1129/18 anhängig ist, ist noch nicht entschieden. Ein beim FG gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellter AdV-Antrag hatte indes Erfolg; das FG vertrat die Auffassung, an der Rechtmäßigkeit des an den Antragsteller als Zwangsverwalter adressierten Einkommensteuerbescheides bestünden ernstliche Zweifel. Zwar habe der BFH in seinem Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367 entschieden, dass der Zwangsverwalter die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten habe, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrühre, jedoch sei der Antragsteller durch Beschluss des AG vom 8. Januar 2018 angewiesen worden, keine Zahlungen auf die Einkommensteuer zu leisten. Dieser Beschluss sei nicht erkennbar nichtig; auch von anderen Amtsgerichten werde die ‑‑vom Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht abschließend beurteilte‑‑ Rechtsfrage, ob der Zwangsverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners als eigene zu erfüllen habe, anders beurteilt als vom BFH.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde das FA, der das FG nicht abgeholfen hat. Das FA vertritt die Auffassung, an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides vom 20. November 2017 bestünden keine ernstlichen Zweifel. Der Bescheid entspreche den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367) aufgestellten Grundsätzen. Der Beschluss des AG, mit dem der Antragsteller angewiesen wurde, keine Zahlung auf die private Einkommensteuer des Schuldners zu leisten, sei mangels Ermächtigungsgrundlage erkennbar nichtig und damit unwirksam. Auch der BGH habe in den Gründen seines Urteils vom 19. Oktober 2017 IX ZR 289/14 (Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2018, 706) keinen Zweifel daran gelassen, dass die Rechtsprechung des BFH zutreffend sei. Selbst wenn man den Beschluss des AG als wirksam ansehen wollte, könne dessen Inhalt die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung nicht infrage stellen.
Das FA beantragt,
den Beschluss des FG vom 10. Juli 2018 3 V 1143/18 A (E) aufzuheben und den Antrag auf AdV des Einkommensteuerbescheides vom 20. November 2017 als unbegründet zurückzuweisen.Der Antragsteller hat keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss des FG ist aufzuheben; der Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides vom 20. November 2017 auszusetzen, wird abgelehnt.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. April 2018 IX B 21/18, BFHE 260, 431, BStBl II 2018, 415, m.w.N.).
2. Nach der im vorliegenden Verfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts.
a) Zutreffend ist das FA im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367) davon ausgegangen, dass der Antragsteller ‑‑als Zwangsverwalter‑‑ die (anteilige) Einkommensteuer der Grundstückseigentümerin (Frau Z) zu entrichten hat, soweit sie aus der Vermietung des im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücks herrührt. Denn der Zwangsverwalter hat ‑‑als Vermögensverwalter i.S. von § 34 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO)‑‑ nicht nur die im Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG) geregelten Pflichten, sondern daneben ‑‑im Rahmen seiner Verwaltungsbefugnisse‑‑ auch die steuerlichen Pflichten des Vollstreckungsschuldners zu erfüllen. Als Vermögensverwalter tritt der Zwangsverwalter mithin als weiterer Steuerpflichtiger (§ 33 Abs. 1 AO) neben den Steuerschuldner; § 34 Abs. 3 AO enthält insoweit eine außerhalb des ZVG stehende Verpflichtungsgrundlage (BFH-Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367).
Zwar bleibt der Vollstreckungsschuldner auch nach Anordnung der Zwangsverwaltung Steuersubjekt und damit Schuldner der auf seine steuerpflichtigen Einkünfte entfallenden Einkommensteuer. Ihm sind auch die Einkünfte aus der Verwaltung des beschlagnahmten Vermögens persönlich zuzurechnen, obwohl er infolge der Beschlagnahme den Besitz an dem vermieteten Grundstück und die Verwaltungs- und Nutzungsbefugnis darüber verloren hat. Der Zwangsverwalter hat indes ‑‑unbeschadet der weiterhin bestehenden Steuerschuldnerschaft des Vollstreckungsschuldners‑‑ die steuerlichen Pflichten des Schuldners als eigene zu erfüllen, soweit seine Aufgaben und Befugnisse reichen (§ 34 Abs. 3 i.V.m. § 33 AO).
Hinsichtlich der steuerlichen Pflichten, die der Zwangsverwalter zu erfüllen hat, verweist der Wortlaut des § 34 Abs. 3 ("... soweit ihre Verwaltung reicht ...") vorrangig auf die Vorschriften des ZVG; inhaltlich ergeben sich die steuerlichen Pflichten aus den Steuergesetzen. Der Anspruch des Fiskus aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich insoweit (nur) gegen das liquide Verwaltungsvermögen; die Einkommensteuer ist, soweit sie aus der Tätigkeit des Verwalters herrührt, von diesem aus den erzielten Nutzungen des Grundstücks (vgl. § 155 Abs. 1 ZVG) zu entrichten (BFH-Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367).
b) Die vorstehenden (geänderten) Grundsätze der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung haben in der höchstrichterlichen Zivilrechtsprechung sowie im Schrifttum Zustimmung erfahren (BGH-Urteil in NJW 2018, 706, unter B.I.3.b cc der Gründe; Kahlert/Schmidt, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2015, 596; Kahlert, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ‑‑ZIP‑‑ 2015, 2488; Hilbert, Betriebs-Berater 2015, 1763, 1764; Bauhaus, AO-Steuerberater 2015, 222, 223; Schmittmann, Zeitschrift für Immobilienrecht ‑‑ZfIR‑‑ 2015, 545), andererseits aber auch Kritik hervorgerufen (Brandau/Darga, ZfIR 2016, 700; Cranshaw, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2015, 581; Drasdo, NJW 2015, 2528; ders., Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht 2016, 518; ders., Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung 2017, 889; Onusseit, Deutsches Steuerrecht 2016, 1297, 1300 f.; ders., ZfIR 2015, 577; Schmidberger, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht 2015, 739; Carlé, Deutsche Steuer-Zeitung 2015, 587; Engels, Rechtspfleger 2015, 525).
Der erkennende Senat hält die im Schrifttum geäußerte Kritik für nicht durchgreifend und hält an seiner im BFH-Urteil in BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367 geäußerten Rechtsauffassung fest.
c) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass er das im angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 20. November 2017 enthaltene Leistungsgebot nicht befolgen und mithin die festgesetzte Einkommensteuer nicht zahlen dürfe, da dem eine gegenläufige Weisung des AG entgegenstehe und eine Missachtung dieser Weisung zu Schadenersatz, Zwangsgeld und Entlassung führen könne. Der Senat entscheidet im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen, gegenüber dem Antragsteller ergangenen Steuerfestsetzung. Diese hängt nicht davon ab, ob dem Antragsteller die zur Steuerentrichtung benötigten Zahlungsmittel zur Verfügung stehen (vgl. FG München, Urteil vom 24. August 1989 14 K 116/89, ZIP 1990, 1606).
3. Da der angefochtene Beschluss des FG den vorstehenden, unter II.2.a) der Gründe genannten Maßstäben der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung nicht entspricht, ist er aufzuheben. Die Sache ist spruchreif; der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Da nach den vorstehend genannten Erwägungen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht bestehen, ist der Antrag des Antragstellers auf AdV des Einkommensteuerbescheides vom 20. November 2017 abzulehnen.
4. Gründe dafür, dass die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz, Abs. 2 Satz 2 FGO), sind weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren behauptet worden und sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.