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Urteil vom 23. Mai 2019, V R 7/19 (V R 38/16)

Fahrschulunterricht ist kein steuerfreier Schulunterricht

ECLI:DE:BFH:2019:U.230519.VR7.19.0

BFH V. Senat

UStG § 4 Nr 21, FahrlG § 1, FahrlG § 2 Abs 1, FahrlG § 4, FahrlG § 10, FahrlG § 11, FahrlG § 13, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst i, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst j, UStAE Abschn 4.21.2 Abs 6 S 6, UStG § 4 Nr 21 Buchst a DBuchst bb, UStG VZ 2010

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 25. May 2016, Az: 11 K 10284/15

Leitsätze

Fahrunterricht in einer Fahrschule ist ein spezialisierter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt und deshalb nicht unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL fällt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26.05.2016 - 11 K 10284/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ausgeführten Fahrschulleistungen zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 im Streitjahr (2010) von der Umsatzsteuer befreit sind.

  2. Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) eine Fahrschule. In den von ihr ausgestellten Rechnungen wies sie keine Umsatzsteuer gesondert aus. Für das Streitjahr erklärte sie zunächst steuerpflichtige Umsätze. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte der Umsatzsteuererklärung der Klägerin. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuer auf 0 € herabzusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

  3. Zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1481 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht im Wesentlichen aus, eine Steuerbefreiung nach nationalem Recht scheide aus. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) berufen. Die einheitliche Leistung der Klägerin bestehe aus der theoretischen Schulung und dem praktischen Fahrunterricht. Dabei handele es sich nicht um Schul- oder Hochschulunterricht, weil der praktische Fahrunterricht nach der im Streitjahr 2010 geltenden Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 7. Juli 1972 in der Fassung des Beschlusses vom 17. Juni 1994) weder erforderlicher noch wünschenswerter Bestandteil des Schul- oder Hochschulunterrichts sei.

  4. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Gesetzgeberisches Ziel der Fahrschulausbildung sei es, verantwortungsvolle und umsichtige Verkehrsteilnehmer auszubilden. Der praktische Fahrunterricht sei dabei nur ein Aspekt.

  5. Im Übrigen deckten sich die praktische Fahrschulausbildung und die Fahrsicherheitstrainings u.a. des ADAC in ihren Zielsetzungen. Es verstoße gegen den Neutralitätsgrundsatz diese vergleichbaren Leistungen unterschiedlich zu besteuern.

  6. Die Klägerin beantragt,
    die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

  7. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  8. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat über die vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 16. März 2017 - V R 38/16 (BFHE 258, 167, BStBl II 2017, 1017) vorgelegten Fragen mit Urteil A & G Fahrschul-Akademie vom 14. März 2019 - C-449/17 (EU:C:2019:202) wie folgt entschieden:

  9. "Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er Fahrunterricht, der von einer Fahrschule wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kfz der Klassen  B und C1 i.S. des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein erteilt wird, nicht umfasst."

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Die Leistungen der Klägerin sind nach nationalem Recht nicht steuerfrei.

  3. a) Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) liegen nicht vor (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1974 - V R 54/73, BFHE 112, 313, BStBl II 1974, 527 zu § 4 Nr. 21 UStG 1967; bestätigt durch BFH-Urteil vom 10. Januar 2008 - V R 52/06, BFHE 221, 295, Rz 37).

  4. aa) Die Merkmale des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG sind nicht erfüllt, weil weder eine staatliche Genehmigung gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) noch eine landesrechtliche Erlaubnis vorliegt.

  5. Die auf Bundesrecht beruhende Erteilung der Fahrschulerlaubnis durch Aushändigung oder Zustellung der Erlaubnisurkunde gemäß § 13 des Fahrlehrergesetzes (FahrlG) ist keine staatliche Genehmigung als Ersatzschule nach Art. 7 Abs. 4 GG und auch keine landesrechtliche Genehmigung.

  6. bb) Es liegt keine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG vor. Ob mit Abschn. 4.21.2 Abs. 6 Satz 6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) bei Fahrschulen für die Leistungen im Rahmen der Fahrerlaubnisklassen 2 und 3 (bis 31. Dezember 1998) bzw. C, CE, D, DE, D1, D1E, T und L (ab 1. Januar 1999) die Fahrschulerlaubnisurkunde nach § 13 Abs. 1 FahrlG als Bescheinigung der zuständigen Behörde i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG anerkannt werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil es sich im Streitfall um die nicht in Abschn. 4.21.2 Abs. 6 Satz 6 UStAE genannten Leistungen zur Erlangung der Fahrerlaubnisklassen B und C1 handelt.

  7. b) Auch die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG greift nicht ein. Denn die Klägerin ist weder eine Hochschule i.S. der §§ 1 und 70 des Hochschulrahmengesetzes noch eine öffentliche allgemeinbildende oder berufsbildende Schule und aus den Gründen zu II.1.a aa auch keine private Schule oder andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung, die die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG erfüllt.

  8. 2. Die Klägerin kann sich nicht unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL berufen.

  9. Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL umfasst nur Tätigkeiten, die sich sowohl wegen ihrer spezifischen Art als auch aufgrund des Rahmens, in dem sie ausgeübt werden, abheben (EuGH-Urteil A & G Fahrschul-Akademie, EU:C:2019:202, Rz 24).

  10. Für die Zwecke der Mehrwertsteuerregelung verweist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen (EuGH-Urteil A & G Fahrschul-Akademie, EU:C:2019:202, Rz 26).

  11. Fahrunterricht in einer Fahrschule ist ein spezialisierter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt und fällt deshalb nicht unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL (EuGH-Urteil A & G Fahrschul-Akademie, EU:C:2019:202, Rz 29, 30). Dem schließt sich der Senat an.

  12. Soweit der Senat im Vorlagebeschluss vom 27. März 2019 - V R 32/18 (Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2019, 986) davon ausgeht, dass es sich bei Schwimmunterricht um Unterricht i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL handelt, beruht dies darauf, dass es sich beim Schwimmen um das Erlernen einer elementaren Grundfähigkeit handelt, an der ein ausgeprägtes Gemeininteresse besteht, was sich für den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kfz der Klassen B und C1 i.S. des Art. 4 Abs. 4 MwStSystRL nicht bejahen lässt (BFH-Beschluss in DStR 2019, 986, Rz 20).

  13. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

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