ECLI:DE:BFH:2019:U.020419.IXR21.17.0
BFH IX. Senat
InsO § 53, InsO § 55 Abs 1 Nr 2, InsO § 301 Abs 1, AO § 34 Abs 1, AO § 34 Abs 3, AO § 85 S 1, AO § 122 Abs 1 S 1, AO § 124 Abs 1 S 1, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 6, EStG § 11 Abs 1 S, EStG § 21 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG VZ 2005 , EStG VZ 2006
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 14. March 2017, Az: 2 K 59/16
Leitsätze
1. Der Insolvenzschuldner erzielt die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn der Insolvenzverwalter die vom Schuldner als Vermieter begründeten Mietverträge erfüllt .
2. Wird die Einkommensteuer erstmals nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens festgesetzt, ist der Steuerbescheid dem vormaligen Insolvenzschuldner als Inhaltsadressat bekannt zu geben; eine Bekanntgabe an den vormaligen Insolvenzverwalter kommt nicht mehr in Betracht .
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 15. März 2017 2 K 59/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Eigentümer eines bebauten Grundstücks, welches er vermietete. Am ... Dezember 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Die Insolvenzverwalterin setzte die Vermietung zunächst fort. Daraus ergaben sich ‑‑unstreitig‑‑ Einkünfte für 2004 von 45.748 €, für 2005 von 32.698 € und für 2006 von 38.942 €. Anschließend wurde die Immobilie zu Gunsten der Masse veräußert.
Die Insolvenzverwalterin gab keine Steuererklärungen für den Kläger ab und leistete auch keine Zahlungen auf die aus der Vermietung entstandene Einkommensteuer.
Das Amtsgericht erteilte dem Kläger am ... November 2010 die Restschuldbefreiung. Das Insolvenzverfahren wurde am ... April 2011 aufgehoben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) begann im Juni 2011 mit einer Außenprüfung bei dem Kläger. Gegenstand der Prüfung war u.a. die Einkommensteuer 2004 bis 2006. Aufgrund der Prüfungsergebnisse (Bericht vom 27. März 2012) erließ das FA im Jahr 2012 erstmals Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006, in denen es u.a. die Einkünfte aus Vermietung ansetzte. Die Bescheide gab es dem Kläger bekannt.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑, § 34 Abs. 1 und Abs. 3 AO, § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑).
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide vom 18. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. März 2016 ersatzlos aufzuheben,
hilfsweise,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zutreffend erkannt, dass das FA nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Steueransprüche, bei denen es sich insolvenzrechtlich um vom Insolvenzverwalter nicht bezahlte Masseschulden handelt, gegen den Steuerpflichtigen persönlich festsetzen darf (und muss).
1. Das FG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Restschuldbefreiung (§ 301 InsO) wirke nur gegenüber den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO). In Bezug auf die streitigen Steuerforderungen, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien, entfalte sie keine Wirkung. Für sog. Masseschulden hafte der Insolvenzschuldner nach Aufhebung des Verfahrens persönlich.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
a) Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (§ 85 Satz 1 AO). Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO bleiben die Vorschriften der InsO unberührt. Vorschriften der InsO gehen denen der AO und der Steuergesetze danach grundsätzlich vor.
b) Der Kläger ist Schuldner der Einkommensteuer, soweit sie sich aus der Vermietung in den Jahren 2004 bis 2006 ergibt. Für die persönliche Zurechnung der Einkommensteuerschuld enthält die InsO keine Vorschriften. Die Einkommensteuer schuldet, wer die ihr zugrunde liegenden Einkünfte erzielt hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Das ist grundsätzlich derjenige, der durch eine eigene oder durch eine ihm steuerlich zurechenbare Handlung eines Dritten den Besteuerungstatbestand verwirklicht, also (bei § 21 EStG) z.B. Wohnraum gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Danach kann der Schuldner aus Rechtsgründen die vermietende Tätigkeit nicht mehr durch eigenes Tun ausüben, soweit das vermietete Grundstück dem Insolvenzbeschlag unterfällt (§ 35 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter muss jedoch Mietverträge, die der Schuldner als Vermieter geschlossen hat, fortführen (§ 108 InsO); insofern steht ihm kein Erfüllungswahlrecht zu (§ 103 InsO). Die daraus erzielten Einkünfte werden dem Schuldner und nicht dem Insolvenzverwalter persönlich zugerechnet. Der Insolvenzverwalter handelt steuerlich nicht auf eigene Rechnung, sondern als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO). Als solcher hat er lediglich die in § 34 Abs. 1 AO aufgeführten steuerlichen Pflichten des Steuerpflichtigen zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Die Steuerschuld (§ 33 AO) ist davon nicht erfasst. Dem Schuldner ist die Insolvenzmasse bis zu ihrer Verteilung rechtlich zuzurechnen. Ihm sind deshalb auch die Mieten zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG), die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter zur Masse gezahlt werden (§ 35 Abs. 1 InsO). Handlungen des Insolvenzverwalters werden dem Schuldner grundsätzlich zugerechnet. Dies gilt jedenfalls, soweit sie sich im Rahmen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis halten und der Masse zurechenbar sind. Deshalb sind auch die vom Insolvenzverwalter aus der Masse geleisteten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Vermietung dem Schuldner persönlich und wirtschaftlich zurechenbar.
c) Die Steuerschuld ist nicht durch die Restschuldbefreiung entfallen. Die Restschuldbefreiung wirkt nur gegen alle Insolvenzgläubiger (§ 301 Abs. 1 InsO). Insolvenzgläubiger ist, wer nach Maßgabe des § 38 InsO wegen der Erfüllung seiner Forderung auf die Insolvenzmasse verwiesen ist. Zutreffend ist das FG im Streitfall davon ausgegangen, dass die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. von § 38 InsO begründeten Steuerforderungen, soweit sie aus der von der Insolvenzverwalterin fortgeführten Vermietungstätigkeit des Klägers herrühren, insolvenzrechtlich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten geführt haben. Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, so dass weitere Ausführungen hierzu nicht erforderlich sind. Rechtsfolge davon ist u.a., dass die dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung sich nicht auf diese Forderungen erstreckt. Eine teleologische Erstreckung des § 301 InsO auf Masseverbindlichkeiten kommt nicht in Betracht (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457).
d) Die Steuerschuld ist auch nicht durch Zahlung (§§ 47, 224, 224a, 225 AO) erloschen. Masseverbindlichkeiten müssen zwar vor Verteilung der Masse vom Insolvenzverwalter berichtigt werden (§ 53 InsO). Das ist im Streitfall jedoch nicht geschehen. Die Insolvenzverwalterin hat auf die Steuerforderung nichts bezahlt und auch keine Rücklagen gebildet, sondern die Masse verteilt und das Insolvenzverfahren ohne Beachtung der Steuerforderung beendet. Auch darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Das FA muss die Steuerforderung deshalb ungeachtet der Aufhebung des Insolvenzverfahrens festsetzen und erheben (§ 85 Satz 1 AO).
e) Die Steuerforderung ist nicht durch Verjährung erloschen (§§ 47, 169 ff. AO). Das FA hat ‑‑insoweit ebenfalls unstreitig‑‑ in unverjährter Zeit mit einer den Streitgegenstand betreffenden Außenprüfung bei dem Kläger begonnen und dadurch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO ausgelöst.
f) Verfahrensrechtlich setzt das FA die Steuer, soweit es sich insolvenzrechtlich um eine Masseverbindlichkeit handelt, durch Steuerbescheid fest (BFH-Urteile vom 16. Juli 2015 III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, und vom 5. April 2017 II R 30/15, BFHE 257, 510, BStBl II 2017, 971). Daran ist es auch während der Dauer des Insolvenzverfahrens aufgrund des Insolvenzbeschlags nicht gehindert. Inhaltsadressat des Bescheids ist der Steuerschuldner. Rechtswirkungen gegen die Masse entfaltet der Bescheid nur, wenn er (zumindest auch) dem Insolvenzverwalter als solchem bekannt gegeben worden ist (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Auch dies ist im Streitfall bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht geschehen. Ob das FA den Steuerbescheid vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch dem Schuldner bekannt geben dürfte und welche Rechtsfolgen dies hätte, bedarf keiner Entscheidung.
g) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kann das FA den Steuerbescheid nicht mehr dem Insolvenzverwalter bekannt geben. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters, und die Verfügungsbefugnis über die (verbleibende) Masse fällt an den Schuldner zurück (§ 259 Abs. 1 InsO). Es gibt keine vermögensrechtlich verselbständigte Masse mehr (§ 35 InsO). Wegen vom Insolvenzverwalter nicht erfüllter Masseverbindlichkeiten findet eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) nicht statt. Wegen aller noch offenen Masseverbindlichkeiten kann ab diesem Zeitpunkt nur noch der Schuldner in Anspruch genommen werden.
3. Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht erkannt, dass die Einkommensteuer, soweit es sich um eine Masseverbindlichkeit handelte, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur noch gegen den Schuldner festgesetzt werden konnte (und musste). Der Steuerbescheid war dem Steuerpflichtigen als Inhaltsadressaten bekannt zu geben (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO).
4. Die dagegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch.
a) Es kann dahinstehen, ob die Insolvenzverwalterin die sie treffenden steuerlichen Pflichten des Schuldners (§ 34 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO), insbesondere die Pflicht, für den Schuldner Steuererklärungen abzugeben und die Pflicht, Masseverbindlichkeiten vorab zu berichtigen, (schuldhaft) nicht erfüllt hat und ob sie deshalb für einen etwaigen Steuerausfall persönlich haften müsste. Die Steuerpflicht des Schuldners beseitigt dies jedenfalls nicht. Das Bestehen der Hauptschuld ist Voraussetzung für die Haftung; eine etwaige Haftung lässt die Hauptschuld aber nicht entfallen. Unstreitig hat die Insolvenzverwalterin jedenfalls bei Fortsetzung der Mietverträge im Rahmen ihrer Verwaltungsbefugnis gehandelt. Sie musste nach § 108 InsO die vom Kläger begründeten Mietverträge gegenüber den Mietern erfüllen. Die diesbezüglichen Handlungen der Insolvenzverwalterin, aus denen der Steueranspruch erwachsen ist, sind deshalb der Masse und folglich auch dem Kläger persönlich zuzurechnen.
b) Auch mit dem (zutreffenden) Einwand, er habe das Grundstück nicht zurückerhalten, kann der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht durchdringen.
Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) erkannt, die Nachhaftung des Insolvenzschuldners für vom Insolvenzverwalter nicht erfüllte Masseverbindlichkeiten sei gegenständlich beschränkt auf Gegenstände, die der Insolvenzschuldner aus der Masse zurückerhalten habe. Der Insolvenzverwalter könne den Schuldner nicht über seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinaus verpflichten; diese sei auf die Masse beschränkt (BGH, Teilurteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, Neue Juristische Wochenschrift 2010, 69; zustimmend BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759). Der VII. Senat des BFH hat sich davon jedoch abgegrenzt und erkannt, die Rechtsprechung könne für Einkommensteuerschulden nicht gelten, weil deren Entstehung nur mittelbar durch Handlungen des Insolvenzverwalters beeinflusst werde; insofern fehle es an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters (BFH-Urteil in BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457). Im Schrifttum wird zumindest eine Einschränkung der BGH-Rechtsprechung z.B. für Ansprüche aus Mietverhältnissen gefordert, die der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet hat und die der Insolvenzverwalter erfüllen muss (Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013, § 53 InsO Rz 34; sog. oktroyierte Forderungen). Für daraus entstandene Steuerforderungen könnte nichts anderes gelten.
Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung, welcher Ansicht zu folgen ist. Eine gegenständliche Beschränkung der Nachhaftung führte jedenfalls auch nach Auffassung ihrer Befürworter nur zu einer Vollstreckungseinrede und beseitigt nicht die hier allein zu beurteilende Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. auch BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 26/14, BFHE 253, 518, BStBl II 2016, 848 zu einem Vollstreckungsverbot bei Masseunzulänglichkeit).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.