ECLI:DE:BFH:2018:VE.180918.XIR19.15.0
BFH XI. Senat
UStG § 4 Nr 14 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst c, AEUV Art 267, UStG VZ 2014
vorgehend FG Düsseldorf, 13. August 2015, Az: 1 K 1570/14 U
Leitsätze
1. Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG unterfällt ?
2. Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von "Patientenbegleitprogrammen" für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die telefonischen Beratungen von "Gesundheitscoaches" (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird ?
Tenor
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem unterfällt?
2. Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von "Patientenbegleitprogrammen" für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die telefonischen Beratungen von "Gesundheitscoaches" (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Tatbestand
A.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betrieb im Februar 2014 (Streitzeitraum) im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein sogenanntes Gesundheitstelefon, bei dem Versicherte in medizinischer Hinsicht beraten wurden, und führte Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidenden Patienten durch.
Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren. In mehr als einem Drittel der Fälle wurde zudem ein Arzt, regelmäßig ein Facharzt, hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine zweite Meinung erteilte.
Im Rahmen des Gesundheitstelefons richtete die Klägerin Informations-Hotlines ein, unter denen Mitarbeiter der Klägerin für die Versicherten regelmäßig rund um die Uhr an jedem Tag erreichbar waren. Die Mitarbeiter der Klägerin meldeten sich unter dem Namen der jeweiligen Krankenkasse. Soweit eine medizinische Beratung gewünscht wurde, erfolgte eine softwaregestützte Befunderhebung, das heißt, eine Kontexteinstufung mit gezielten Fragen zur Thematik, und darauf folgend eine Beratung zu der vom Anrufer angegebenen therapeutischen Versorgungssituation. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt.
Beispiele:
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Einer Versicherten mit einem Krampfanfall wurde geraten, sich weiterhin ihrem Neurologen anzuvertrauen.
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Einer Anruferin, die unter Brustkrebs leidet, und sich über den bei der Operation tätigen Anästhesisten sowie den Operateur beklagte, wurde wegen eines etwaigen Behandlungsfehlers an die Schlichtungsstelle bei der Landesärztekammer verwiesen, weil die Krankenkasse für diesen Fall nicht zuständig sei.
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Einer Versicherten, die nach operativer Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken unter leichten Blutungen leidet und schon bei drei Gynäkologen war, die ihr nicht helfen konnten, wurden Auskünfte zu möglichen postoperativen Therapien nach malignen metastasierenden Unterbauchtumoren gegeben, obwohl die Anruferin mitgeteilt hatte, dass sich der Verdacht auf Krebserkrankung nicht bestätigt habe.
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Einer Anruferin, die an einer Glukoseintoleranz leidet und Angst vor einer Diabeteserkrankung hat, wurde geraten, einen Diabetologen aufzusuchen. Sie wurde über eine Insulintherapie informiert und zu Diabetes mellitus sowie Prädiabetes beraten.
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Einem Anrufer mit ‑‑vom Kardiologen unbestätigten‑‑ Herzrhythmusstörungen und einer Lebensmittelunverträglichkeit wurden zunächst die Symptome von Herzrhythmusstörungen erläutert; dann wurde ihm geraten, den Hausarzt nochmals aufzusuchen und sich gegebenenfalls einen anderen Kardiologen zu suchen. Zudem wurden ihm die Kontaktdaten von Kardiologen in seiner Nähe mitgeteilt.
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Eine Anruferin stillt und möchte ‑‑ohne Bedenken ihres Hausarztes‑‑ gegen ihre Erkältung Echinazea-Tropfen nehmen. Ihr wurde mitgeteilt, dass diese in der Schwangerschaft nicht empfohlen werden.
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Einer Anruferin, die seit zehn Jahren unter Durchfall und Angststörungen leidet und sich nach Hypnose erkundigt, wurde geraten eine Therapie zu machen, zudem wurden entsprechende Ärzte genannt.
Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt und insbesondere auf die medizinisch fachliche Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Angaben überprüft.
Die Teilnehmer der Patientenbegleitprogramme wurden auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern von den Krankenkassen ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm eingeschrieben. Die Teilnehmer, die von Mitarbeitern der Klägerin über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten angerufen wurden, konnten bei Fragen jederzeit die medizinische Hotline erreichen und rund um die Uhr situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankenbild erhalten. Schwerpunkt der Begleitprogramme war, das Verständnis der Teilnehmer und ihrer Angehörigen für ihre Krankheit und die regel- und vorschriftsmäßige Einnahme der Medikamente oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern, Fehlmedikationen zu vermeiden und eine adäquate Reaktion auf Symptomzunahme und soziale Isolation herbeizuführen. Ziel dessen war es, die Kosten bei Versicherten mit chronischen oder psychischen Erkrankungen besser zu managen und insbesondere die Zahl erneuter stationärer Aufnahmen der Teilnehmer deutlich zu verringern. Weitere Ziele waren bei ambulanter Verdachtsdiagnose in Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, die Eltern zu unterstützen und zur Verringerung von Sekundärerkrankungen zu entlasten.
Die Klägerin stufte ihre Umsätze aus dem Betrieb des Gesundheitstelefons und der Patientenbegleitprogramme als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ein und meldete für den Streitzeitraum insoweit steuerfreie Umsätze an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig und setzte die Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2014 abweichend von der Voranmeldung fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, die telefonischen Beratungsleistungen der Klägerin seien nicht als ärztliche Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit. Die im Rahmen des Gesundheitstelefons erteilten Informationen beruhten nicht auf medizinischen Feststellungen, die von entsprechendem Fachpersonal getroffen worden seien, sondern allein auf den Angaben des Anrufers zu dem Krankheitsbild, zu dem dieser sich habe weiter informieren wollen, sei es zur Art der Diagnose, der Behandlungsmöglichkeiten oder der Präventionsmaßnahmen. Nur rund 60 % bis 70 % der beim Gesundheitstelefon eingehenden Anfragen seien durch eine vorhergehende Krankheitsdiagnose initiiert worden. Von der Klägerin würden keine Ferndiagnosen gestellt, sondern lediglich weitergehende Informationen über eine Erkrankung oder Auskünfte zu Diagnosen erteilt. Auch den Beratungsleistungen des Patientenbegleitprogrammes fehle es am erforderlichen therapeutischen Zweck. Die Leistungen seien weder ärztlich verordnet noch seien sie im Rahmen einer individuellen Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden.
Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2232 veröffentlicht.
Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, ihre vorbeugenden Beratungsleistungen unterfielen der Steuerbefreiung, da sie einen unmittelbaren Krankheitsbezug hätten und dazu dienten, spätere höhere Kosten durch ärztliche Heilbehandlungen zu vermeiden. Ebenso wie bei Erst- oder Notfallberatung sei eine vorherige von medizinischem Fachpersonal gestellte Diagnose nicht Voraussetzung. Auch ein (erstmaliger) telefonischer Arzt-Patienten-Kontakt sei Teil einer steuerbefreiten ärztlichen Leistung. Im Übrigen käme telemedizinischen Leistungen zunehmende Bedeutung zu.
Das FA verteidigt die angefochtene Vorentscheidung und führt aus, dass -selbst wenn der individuelle Gesundheitsfall des Anrufers Anlass des Telefonats gewesen sei- aufgrund der fehlenden Krankenunterlagen nur die Bandbreite der allgemein denkbaren medizinischen Möglichkeiten habe dargestellt werden können. Das Telefonat habe neben einer allgemeinen medizinischen Information nur eine Entscheidungshilfe geben können, ob der Anrufer zum Beispiel einen (weiteren) Arzt aufsucht oder die von seinem Arzt vorgeschlagene Therapie beziehungsweise Behandlung fortführt.
Entscheidungsgründe
B.
Der Senat setzt das Verfahren gemäß §§ 74, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor genannten Fragen gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Vorabentscheidung vor.
I. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen
1. Nationales Recht
Für die Beurteilung des Streitfalls sind die folgenden Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I 2008, 2794) ‑‑UStG‑‑ maßgebend:
a) § 1 Steuerbare Umsätze
"(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. ..."
b) § 4 Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen
"Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei: ...
14. a) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. ..."
2. Unionsrecht
Unionsrechtlich sind die folgenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Richtlinie 2006/112/EG) von Bedeutung:
a) Art. 2 Steueranwendungsbereich
"Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt tätigt; ..."
b) Art. 132 Steuerbefreiungen dem Gemeinwohl dienender Umsätze
"(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer: ...
c) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden; ..."
II. Zur Anrufung des EuGH
1. Die Leistungen der Klägerin im Bereich des Gesundheitstelefons sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG steuerbar. Fraglich ist, ob es sich hierbei um Heilbehandlungen handelt, für die der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG eröffnet ist.
a) Der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff (vgl. EuGH-Urteile Unterpertinger vom 20. November 2003 C-212/01, EU:C:2003:625, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2004, 70, Rz 35; D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services vom 20. November 2003 C-307/01, EU:C:2003:627, UR 2004, 75, Rz 53) und § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist richtlinienkonform auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‑‑BFHE‑‑ 201, 330, Bundessteuerblatt ‑‑BStBl‑‑ II 2003, 532; vom 1. April 2004 V R 54/98, BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681; vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, BFHE 248, 367, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH/NV‑‑ 2015, 451, Rz 16; vom 26. Juli 2017 XI R 3/15, BFHE 259, 150, BFH/NV 2017, 1692, Rz 16).
b) Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung erfassen sowohl der Begriff "ärztliche Heilbehandlung" als auch der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (vgl. EuGH-Urteile L.u.P. vom 8. Juni 2006 C-106/05, EU:C:2006:380, UR 2006, 464, Rz 27; CopyGene vom 10. Juni 2010 C-262/08, EU:C:2010:328, UR 2010, 526, Rz 28; BFH-Urteile vom 12. August 2004 V R 27/02, BFH/NV 2005, 583; vom 5. November 2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, BFH/NV 2015, 297, Rz 19; in BFHE 259, 150, BFH/NV 2017, 1692, Rz 17; BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2017 XI R 23/15, BFHE 259, 567, BStBl II 2018, 109, Rz 26).
Unter Heilbehandlungen fallen auch Maßnahmen, die ‑‑gegebenenfalls auch nur vorbeugend‑‑ dem Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit dienen (vgl. dazu EuGH-Urteil Klinikum Dortmund vom 13. März 2014 C-366/12, EU:C:2014:143, UR 2014, 271, Rz 30, mit weiteren Nachweisen; BFH-Urteile vom 18. August 2011 V R 27/10, BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, Rz 14; vom 26. August 2014 XI R 19/12, BFHE 247, 276, BStBl II 2015, 310, Rz 26; vom 19. März 2015 V R 60/14, BFHE 249, 562, BStBl II 2015, 946, Rz 12). Insofern werden auch Maßnahmen erfasst, die darauf abzielen, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen (BFH-Beschluss in BFHE 259, 567, BStBl II 2018, 109, Rz 27).
c) Eine Heilbehandlung liegt jedoch nur bei therapeutischer Zweckbestimmtheit vor, wobei diese nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. Vielmehr ist der Begriff der therapeutischen Zweckbestimmung unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken (EuGH-Urteile Kommission/Frankreich vom 11. Januar 2001 C-76/99, EU:C:2001:12, UR 2001, 62, Rz 23; Unterpertinger, EU:C:2003:625, UR 2004, 70, Rz 40; D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services, EU:C:2003:627, UR 2004, 75, Rz 58; L.u.P., EU:C:2006:380, UR 2006, 464, Rz 29; CopyGene, EU:C:2010:328, UR 2010, 526, Rz 29; Verigen Transplantation Service International vom 18. November 2010 C-156/09, EU:C:2010:695, UR 2011, 215, Rz 24, 27; PFC Clinic vom 21. März 2013 C-91/12, EU:C:2013:198, UR 2013, 335, Rz 26; BFH-Urteile in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214, Rz 21; in BFHE 249, 562, BStBl II 2015, 946, Rz 13; BFH-Beschlüsse in BFHE 259, 567, BStBl II 2018, 109, Rz 27; vom 27. Februar 2018 XI B 97/17, BFH/NV 2018, 738, Rz 11).
Mit therapeutischem Zweck erfolgen auch Leistungen, die unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil der gesamten Heilbehandlung sind, deren einzelne Abschnitte sinnvollerweise nicht isoliert voneinander durchgeführt werden können (EuGH-Urteil Verigen Transplantation Service International, EU:C:2010:695, UR 2011, 215, Rz 26). Nicht von der Steuerbefreiung erfasst sind dagegen Tätigkeiten, wenn die Heilbehandlung, mit der diese Tätigkeiten nur eventuell verbunden sind, weder stattgefunden noch begonnen hat oder geplant ist (EuGH-Urteil CopyGene, EU:C:2010:328, UR 2010, 526, Leitsatz 1; BFH-Urteil vom 29. Juli 2015 XI R 23/13, BFHE 251, 86, BStBl II 2017, 733, Rz 30).
d) Bei Maßnahmen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß kosmetischen Zwecken oder der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen können und insofern einem Grenzbereich zuzuordnen sind, kommt es auf eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls an (vgl. BFH-Urteile in BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 29 f.; vom 4. Dezember 2014 V R 33/12, BFHE 248, 424, BFH/NV 2015, 648, Rz 15; BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2008 XI B 11/08, BFH/NV 2008, 1547; vom 29. Oktober 2013 V B 58/13, BFH/NV 2014, 192; vom 11. Dezember 2014 XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 8; in BFH/NV 2018, 738, Rz 13). Insofern ist zu berücksichtigen, dass es bei der Frage, ob eine Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, um die Beurteilung einer medizinischen Frage geht, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind (BFH-Beschluss vom 19. Juni 2013 V S 20/13, BFH/NV 2013, 1643, Rz 17; BFH-Urteil in BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 19). Die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist als solche für die Beurteilung, ob diese einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich (EuGH-Urteil PFC Clinic, EU:C:2013:198, UR 2013, 335, Rz 34 f.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1643, Rz 17; BFH-Urteile in BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 19; in BFHE 248, 416, BFH/NV 2015, 645, Rz 12; in BFHE 248, 424, BFH/NV 2015, 648, Rz 14).
e) Nach diesen Kriterien fallen bei engem Verständnis die vorliegenden Beratungsleistungen nicht unter den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung, da weder feststeht, ob sich an die Beratung eine ärztliche Heilbehandlung anschließt, noch ob sie als "Erstberatung" Bestandteil einer komplexen Heilbehandlung werden. Zudem erfolgt die Information der Anrufenden ‑‑zumindest teilweise‑‑ nicht auf Grundlage vorheriger medizinischer Feststellungen oder Anordnungen und in allen Fällen ohne persönlichen Kontakt zwischen Versicherten und Mitarbeitern der Klägerin, sondern am Telefon.
f) Der Klärung durch den EuGH bedarf, ob es sich um eine zutreffende Interpretation seiner Rechtsprechung handelt, wenn telefonische Beratungsleistungen mit medizinischem Inhalt unabhängig von einer konkreten ärztlichen Behandlung beziehungsweise möglicherweise im Vorfeld einer solchen als noch nicht dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG unterfallend eingeordnet werden beziehungsweise ob die vorhandene Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen steuerfreien Heilbehandlungen und Behandlungen, die lediglich zur Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse, zum Beispiel zu Freizeit-/Wellness- oder kosmetischen Zwecken, vorgenommen wurden, heranzuziehen ist. Anderenfalls wären die telefonischen Informationsleistungen, die nicht unter Freizeit- oder Wellnessgesichtspunkten, sondern aufgrund eines konkreten medizinischen Anliegens von den Versicherten in Anspruch genommen wurden, nicht aus dem Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG auszuschließen. Hierbei ist aus Sicht des Senats abgrenzend zu berücksichtigen, dass die Bedeutung von Behandlungen ohne persönlichen Kontakt (zum Beispiel per Internet) aufgrund des technischen Fortschritts und des teilweise bestehenden Ärztemangels zukünftig zunehmen dürfte.
2. Ferner stellt sich für die von der Klägerin im Bereich der Patientenbegleitprogramme sowie, falls die Frage 1 zu bejahen ist, im Bereich des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen die Frage, ob aufgrund des genutzten Mediums eine Zusatzqualifikation der Ausführenden gefordert werden muss.
a) Für die gemäß § 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG steuerbaren Leistungen im Rahmen der Patientenbegleitprogramme ist der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG eröffnet. Es handelt sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch ‑‑SGB V‑‑) nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden und damit nachgewiesen einen therapeutischen Zweck haben. Auf das Fehlen einer ärztlichen Anordnung kommt es insoweit nicht an.
b) Eine Heilbehandlungsleistung ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG nur dann steuerfrei, wenn sie im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht wird. Nicht notwendig ist jedoch, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird (vgl. EuGH-Urteil Verigen Transplantation Service International, EU:C:2010:695, UR 2011, 215, Rz 28).
aa) Die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe obliegt nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG den Mitgliedstaaten. Das insofern bestehende Ermessen bezieht sich nicht nur auf die Festlegung der für die Ausübung dieser Berufe erforderlichen Qualifikationen, sondern auch auf die Festlegung der spezifischen Heiltätigkeiten im Bereich der Humanmedizin, die zu diesen Berufen gehören (EuGH-Urteil Solleveld u.a. vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, BFH/NV 2006, Beilage 3, 299, Rz 29, 30, mit weiteren Nachweisen).
bb) Dementsprechend regelt § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, dass Leistungen im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit erfasst werden.
cc) Für die nicht unter einen der genannten Katalogberufe fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation nach der nationalen Rechtsprechung aus einer berufsrechtlichen Regelung ergeben. Außerdem kann ‑‑entsprechend dem Zweck der Regelung, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten‑‑ grundsätzlich vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers durch heilberufliche Tätigkeit in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (BFH-Urteile vom 12. August 2004 V R 18/02, BFHE 207, 381, BStBl II 2005, 227, unter II.B.3.e bb, Rz 43; vom 11. November 2004 V R 34/02, BFHE 208, 65, BStBl II 2005, 316, unter II.4.a, Rz 21). Eine Kostentragung durch gesetzliche Krankenkassen ist dabei dann von Bedeutung, wenn sie den Charakter eines Befähigungsnachweises hat. Dies kann sich im Einzelfall aus den Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nach den nationalen Regelungen nach dem Vierten Kapitel des SGB V und damit aus den §§ 69 ff. SGB V ergeben. So ist zum Beispiel die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V oder die Zulassung nach § 124 SGB V als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen (BFH-Beschluss vom 14. Oktober 2010 V B 152/09, BFH/NV 2011, 326, Rz 4, mit weiterem Nachweis). Auch aus der Kostentragung nach § 43 SGB V in Verbindung mit einer Gesamtvereinbarung kann sich der erforderliche Qualifikationsnachweis ergeben (BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.3.b, Rz 24).
c) Im vorliegenden Fall waren Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren und in mehr als einem Drittel der Fälle von Fachärzten unterstützt wurden, tätig. Die Kosten wurden vollständig von gesetzlichen Krankenkassen getragen, da diese Auftraggeber der Maßnahmen waren.
Über die fachlichen Anforderungen für die Erbringung von telefonischen medizinischen Beratungsleistungen bestehen in der Bundesrepublik Deutschland keine Regelungen. Lediglich für Patientenschulungen haben die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene in Gemeinsamen Empfehlungen (Gemeinsame Empfehlungen zur Förderung und Durchführung von Patientenschulungen auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom 2. Dezember 2013 in der Fassung vom 8. Februar 2017), denen keine Bindungswirkung zukommt, dargelegt, dass das Schulungsprogramm von einem qualifizierten und interdisziplinär zusammengesetzten Schulungsteam unter Beteiligung eines Facharztes der jeweiligen Indikation durchzuführen sei. Für die nichtärztlichen Teammitglieder seien ein Berufsabschluss im Handlungsfeld mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation und mehrjähriger Berufserfahrung in der Arbeit mit chronisch Kranken und psychologische und pädagogische Fähigkeiten entsprechend der Indikation und Zielgruppe nachzuweisen. Die darin als "Regelbeispiele" angeführten Berufsabschlüsse umfassen Krankenschwestern oder medizinische Fachangestellte nicht. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nur "Regelbeispiele" aufgeführt sind, so dass der Katalog nicht als abschließend betrachtet werden kann.
d) Fraglich ist, ob die für herkömmliche Heilbehandlungen von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten Qualifikationsmerkmale eines ärztlichen und arztähnlichen Berufs im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG auch für solche Heilbehandlungen gelten, die gänzlich ohne persönlichen Kontakt (zum Beispiel telefonisch oder über das Internet) erbracht werden, oder ob es ‑‑zum Beispiel für Leistungen im Bereich der Telemedizin‑‑ insofern zusätzlicher Anforderungen bedarf. Diesbezüglich erscheint es relevant, dass das Ermessen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Regelung der Berufsqualifikation dadurch begrenzt wird, dass nicht alle Heilbehandlun-gen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit werden sollen, sondern nur diejenigen, die unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen (EuGH-Urteil Solleveld u.a., EU:C:2006:257, BFH/NV 2006, Beilage 3, 299, Rz 37; BFH-Urteil vom 23. August 2007 V R 38/04, BFHE 217, 323, BStBl II 2008, 37, unter II.a bb, Rz 19 f.).
3. Beide Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Wird die Frage 1 verneint, sind die Leistungen des Gesundheitstelefons steuerpflichtig. Wird sie bejaht, wird die Frage 2 entscheidungserheblich. Unabhängig davon ist die Frage 2 aber für die Patientenbegleitprogramme entscheidungserheblich, da es sich dabei fraglos um Heilbehandlungen handelt. Gegebenenfalls könnten auch nur die Umsätze steuerfrei sein, zu denen ein Arzt hinzugezogen wird.
4. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 267 Abs. 3 AEUV.
5. Die Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zu einer Entscheidung des EuGH beruht auf § 121 Satz 1 in Verbindung mit § 74 FGO.