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Beschluss vom 12. Oktober 2018, XI B 29/18

Steuerbescheid als Grundlagenbescheid für Zinsbescheid; Verzinsung bei Berichtigung eines unrichtigen Steuerausweises

ECLI:DE:BFH:2018:B.121018.XIB29.18.0

BFH XI. Senat

AO § 233a, UStG § 14c Abs 1 S 1, EGRL 112/2006 Art 203, UStG VZ 2010

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 21. February 2018, Az: 6 K 2046/16

Leitsätze

1. NV: § 233a AO sieht keine hilfsweisen Nebenberechnungen zur Ermittlung einer von der festgesetzten Steuer abweichenden fiktiven Steuer und der danach zu berechnenden Zinsen vor .

2. NV: Einwendungen dagegen, dass ein Unternehmer die in einem Dokument offen ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 203 MwStSystRL geschuldet hat, können nicht im Verfahren wegen Zinsen zur Umsatzsteuer vorgebracht werden .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 22. Februar 2018 6 K 2046/16 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, erbrachte u.a. in den Jahren 2006 bis 2009 (Streitjahre) sowie 2010 Leistungen im Rahmen der rechtlichen Betreuung Volljähriger i.S. der §§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wofür sie Vergütungen erhielt. Gegenüber den zuständigen Amtsgerichten (AG) erteilte die Klägerin als "Rechnung" bezeichnete Dokumente, in denen jeweils u.a. eine Rechnungsnummer, das Aktenzeichen des AG, der Name und das Geburtsdatum der betreuten Person, eine Addition der im Abrechnungszeitraum erbrachten Betreuungsleistungen nach Stundensätzen, eine als "Rechnungsbetrag" bezeichnete Summe sowie folgender Satz enthalten waren: "Der Rechnungsbetrag enthält ... % Umsatzsteuer in Höhe von ... €. Nettobetrag ... €."

  2. In ihren gemäß § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2006 vom 21. Dezember 2007, für das Jahr 2007 vom 23. Dezember 2008, für das Jahr 2008 vom 21. Januar 2010 und für das Jahr 2009 vom 1. März 2011 erklärte die Klägerin die Betreuungsleistungen als steuerpflichtig zum Regelsteuersatz. Diese Bescheide (sowie spätere Änderungsbescheide für die Jahre 2006 und 2007, mit denen u.a. der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde) blieben unangefochten.

  3. Mit Schreiben vom 7. Juli 2010 reichte die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 1. Vierteljahr 2010 ein und trug vor, ihre Leistungen als Berufsbetreuerin seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsatzsteuerfrei. Im Dezember 2010 teilte sie den AG u.a. mit, dass die in den beigefügten Zusammenstellungen genannten Betreuungsleistungen umsatzsteuerfrei seien, was in den beigefügten Sammelberichtigungen klargestellt werde.

  4. In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 vom 3. Februar 2012 erklärte die Klägerin in Zeile 102 (unter "in Rechnungen unrichtig oder unberechtigt ausgewiesene Steuerbeträge ...") einen Betrag von ./. 61.971,36 €. Dem folgte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) zunächst nicht und ließ den Betrag im Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2010 vom 15. März 2012 unberücksichtigt.

  5. Durch Umsatzsteuer-Änderungsbescheide vom 11. Dezember 2013 und 10. März 2014 setzte das FA die Umsatzsteuer für das Jahr 2010 unter Berücksichtigung eines Betrages von zuletzt ./. 61.471,36 € auf zuletzt ./. 60.354,68 € herab. Gleichzeitig setzte es Zinsen zur Umsatzsteuer 2010 in Höhe von ./. 6.138 € fest. Die Zinsen auf den Unterschiedsbetrag berechnete es ab dem 1. April 2012.

  6. Mit Schreiben vom 14. März 2014 legte die Klägerin u.a. Einspruch gegen die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 10. März 2014 ein und machte geltend, die in den Abrechnungen der Jahre 2006 bis 2009 enthaltenen Steuerbeträge seien in diesen Jahren entstanden. Der Zinslauf beginne 15 Monate nach Ablauf der Kalenderjahre (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO). Sie legte im Laufe des Einspruchsverfahrens eine Berechnung vor, wonach Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 14.275,14 € festzusetzen seien.

  7. Mit Schreiben vom 10. März 2015, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, teilte das FA der Klägerin mit, eine vom Bescheid vom 14. März 2014 abweichende Zinsfestsetzung komme nicht in Betracht. Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 6. Juli 2015, unionsrechtswidrig erhobene Steuern seien abweichend von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO ab dem Zeitpunkt ihrer Zahlung zu verzinsen.

  8. Das FA wies durch Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2016 den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus, der Beginn des Zinslaufs folge aus § 233a Abs. 2 Satz 1 AO. Dies stehe in Einklang mit dem Unionsrecht.

  9. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es nahm an, die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich der Zinsen zur Umsatzsteuer 2006 bis 2009 nahm das FG auf Seite 16 ff. des Urteils an, eine Zinsfestsetzung komme nicht in Betracht, da für diese Besteuerungszeiträume keine Steuerfestsetzungen als Grundlagenbescheide existierten, aus denen sich zugunsten der Klägerin Erstattungsansprüche ergäben. Der Grundsatz, dass unionsrechtswidrig erhobene Steuern ab ihrer Zahlung zu verzinsen seien, sei schon deshalb nicht anwendbar, weil das FA der Klägerin antragsgemäß nicht eine unionsrechtswidrig erhobene Umsatzsteuer für die Jahre 2006 bis 2009, sondern in Folge einer Rechnungskorrektur nach § 14c Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) im Jahr 2010 entstandene Minderungsbeträge erstattet habe. Bis zur Berichtigung sei § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Besteuerung.

  10. Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit der Vorentscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.

  2. 1. Ist das Urteil des FG kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, muss für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12. März 2014 XI B 97/13, BFH/NV 2014, 1062, Rz 9; vom 15. April 2016 XI B 109/15, BFH/NV 2016, 1306, Rz 17; jeweils m.w.N.).

  3. 2. Hieran fehlt es im Streitfall.

  4. a) Die Klägerin wirft zwar in ihrer umfangreichen Beschwerdebegründung mehrere Rechtsfragen zur Auslegung der § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 203 MwStSystRL auf, behauptet außerdem zahlreiche Abweichungen von der Rechtsprechung des BFH, anderer Finanzgerichte und des Gerichtshofs der Europäischen Union und rügt darüber hinaus in diesem Zusammenhang die vermeintlich greifbare Gesetzeswidrigkeit der Vorentscheidung.

  5. b) Sie setzt sich allerdings nicht hinreichend mit der selbständig tragendenden Begründung des FG auseinander, dass ‑‑wie das FG zutreffend erkannt hat‑‑ nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschlüsse vom 31. März 1998 I S 8/97, BFH/NV 1998, 1318, unter II.5., Rz 26; vom 23. Dezember 2002 IV B 13/02, BFH/NV 2003, 737, unter 1., Rz 5; vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, BFHE 222, 36, BStBl II 2009, 117, unter II.1.c bb, Rz 26; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 66; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 233a Rz 41; s. zur Akzessorietät der Zinsfestsetzung auch BFH-Urteil vom 16. November 2016 V R 1/16, BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079, Rz 30) für die von der Klägerin beantragten Zinsbescheide der Jahre 2006 bis 2009 die Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2006 bis 2009 Grundlagenbescheide sind. § 233a AO sieht keine hilfsweisen Nebenberechnungen zur Ermittlung einer von der festgesetzten Steuer abweichenden fiktiven Steuer und der danach zu berechnenden Zinsen vor, wie sie die Klägerin begehrt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 76/01, BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236, unter II.3.a, Rz 27).

  6. c) Die Klägerin hätte daher ihre Einwendungen dagegen, dass sie aufgrund der (als "Rechnung" bezeichneten) Dokumente in den Jahren 2006 bis 2009 Umsatzsteuer gemäß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 203 MwStSystRL geschuldet hat (vgl. dazu BFH-Urteile vom 19. März 2009 V R 48/07, BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92; vom 12. Oktober 2016 XI R 43/14, BFHE 255, 474, BFH/NV 2017, 408, Rz 36 und 37; vom 8. November 2016 VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, Rz 14 und 18; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2017 V B 5/17, BFH/NV 2017, 1202, Rz 5 und 7), mit einem Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für diese Jahre geltend machen müssen. Würden die Festsetzungen der genannten Jahre geändert, zöge dies eine Änderung der betreffenden Zinsfestsetzungen nach sich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079, Rz 30). Im Verfahren gegen die Zinsbescheide als Folgebescheide hingegen kann sie ihre Einwendungen nicht mit Erfolg vorbringen (§ 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO).

  7. 3. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung.

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