ECLI:DE:BFH:2018:B.090718.VIB113.17.0
BFH VI. Senat
FGO § 76 Abs 1 S 1, FGO § 79b Abs 1, FGO § 79b Abs 2, FGO § 79b Abs 3 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, GG Art 103 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 18. May 2017, Az: 9 K 1624/16
Leitsätze
1. NV: Eine wirksame Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO erfordert, dass die die Frist anordnende Verfügung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters von diesem unterschrieben worden ist, so dass ein Namenskürzel (Paraphe) nicht ausreicht.
2. NV: Soll einem Beteiligten nach § 79b Abs. 2 FGO aufgegeben werden, zu bestimmten Vorgängen entweder Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, muss der Vorsitzende oder der Berichterstatter zum einen die bestimmten Vorgänge und zum anderen die Tatsachen und Beweismittel oder die vorzulegenden Sachen in der Verfügung über die Fristsetzung möglichst genau bezeichnen, um es dem Beteiligten zu ermöglichen, die Anordnung zu befolgen und so eine Präklusion zu vermeiden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 19. Mai 2017 9 K 1624/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
Die Beschwerde ist wegen eines Verfahrensfehlers des Finanzgerichts (FG) i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Das angefochtene Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
1. Das FG hat § 79b Abs. 3 FGO und damit zugleich den Anspruch des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es die vom Kläger vorgelegten Beweismittel zu Unrecht zurückgewiesen hat. Die Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO für die Zurückweisung lagen nicht vor, wie der Kläger mit seiner Beschwerde zu Recht gerügt hat.
a) § 79b FGO lässt es zu, dem Kläger eine Frist zu setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt (Abs. 1 Satz 1), und einem Beteiligten unter Fristsetzung aufzugeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist (Abs. 2).
Gemäß § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn (1.) ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und (2.) der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und (3.) der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
b) Der Senat kann bereits nicht feststellen, dass das Schreiben des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 in formeller Hinsicht den Anforderungen an eine wirksame Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO genügt.
§ 79b FGO erfordert insoweit nach allgemeiner Meinung insbesondere, dass die eine Frist anordnende Verfügung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters (§ 79 FGO) unterschrieben worden ist, so dass ein Namenskürzel (Paraphe) nicht ausreicht (s. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23; vom 16. März 1983 IV R 147/80, BFHE 138, 143, BStBl II 1983, 476, und vom 30. Juni 1983 IV R 23/81, juris; BFH-Beschluss vom 25. Januar 2016 VII B 97/15, BFH/NV 2016, 764; Stalbold in Gosch, FGO § 79b Rz 38; Seer und Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 79b FGO Rz 11 und § 65 FGO Rz 26; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79b FGO Rz 115).
Die sich in der FG-Akte befindliche Verfügung vom 4. Januar 2017 über die Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO trägt jedoch keine Unterschrift des Berichterstatters. Allenfalls ist das Namenszeichen des Berichterstatters im oberen rechten Bereich der Verfügung erkennbar. Das Namenszeichen deckt darüber hinaus auch räumlich nicht, wie es eine Unterschrift erfordert, die vollständige Anordnung über die Fristsetzung ab (s. dazu auch Stalbold in Gosch, FGO § 79b Rz 38).
Die Zurückweisung des Vorbringens des Klägers gemäß § 79b Abs. 3 FGO erweist sich damit schon wegen des Fehlens einer formell wirksamen Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO als verfahrensfehlerhaft.
c) Das FG durfte die vom Kläger vorgelegten Beweismittel aber auch dann nicht ‑‑wie geschehen‑‑ gemäß § 79b Abs. 3 FGO zurückweisen, wenn die Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO formell wirksam gewesen wäre.
Die Verfügung des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 enthält ihrem Wortlaut nach sowohl eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 FGO als auch eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO.
aa) Die Fristsetzung konnte inhaltlich indessen allenfalls auf § 79b Abs. 1 FGO gestützt werden, nicht jedoch auch auf § 79b Abs. 2 FGO.
Soll einem Beteiligten nach § 79b Abs. 2 FGO aufgegeben werden, zu bestimmten Vorgängen entweder Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder aber Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, muss der Vorsitzende oder der Berichterstatter zum einen die bestimmten Vorgänge und zum anderen die Tatsachen und Beweismittel oder die vorzulegenden Sachen in der Verfügung über die Fristsetzung möglichst genau bezeichnen, um es dem Beteiligten zu ermöglichen, die Anordnung ohne weiteres zu befolgen und so eine Präklusion zu vermeiden (s. BFH-Urteil vom 25. April 1995 IX R 6/94, BFHE 177, 233, BStBl II 1995, 545, unter 2.b, m.w.N.). Es ist insoweit Aufgabe des Richters, aufgrund des bisherigen Vorbringens der Beteiligten und seiner Einschätzung der Rechtslage die seiner Ansicht nach noch aufklärungs- und/oder beweisbedürftigen Punkte zu ermitteln und in der Aufklärungsverfügung gemäß § 79b Abs. 2 FGO genau anzugeben (BFH-Urteil vom 23. April 2003 IX R 22/00, BFH/NV 2003, 1198).
Der Berichterstatter hat in seiner Verfügung vom 4. Januar 2017 aber keine näheren Angaben zu den Beweismitteln, Urkunden und sonstigen Dokumenten gemacht, die der Kläger nach der Verfügung dem Gericht hätte übermitteln sollen. Deshalb war die Verfügung des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 auch aus diesem Grund nicht geeignet, gegenüber dem Kläger wirksam eine Frist nach § 79b Abs. 2 FGO zu setzen.
bb) Konnte die Verfügung des Berichterstatters hiernach allenfalls auf § 79b Abs. 1 FGO gestützt werden, hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 15. Mai 2017 und der gleichzeitigen Vorlage der Belege, deren (steuermindernde) Berücksichtigung er hiernach begehrte, innerhalb der vom Berichterstatter bis zum 15. Mai 2017 verlängerten Frist die Tatsachen angegeben, durch deren Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlte. Sowohl das Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2017 als auch der Ordner mit den Belegen gingen dem FG vor Ablauf der verlängerten Frist am 15. Mai 2017 zu. Damit wurden die entsprechenden Tatsachen nicht "nach Ablauf" einer nach § 79b Abs. 1 FGO gesetzten Frist vorgebracht, was Grundvoraussetzung einer Zurückweisung gemäß § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO ist.
Das FG hätte sich daher mit der Frage beschäftigen müssen, ob sich aus den vorgelegten Unterlagen steuermindernd zu berücksichtigende Aufwendungen des Klägers ergaben.
2. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG ergibt sich aus § 143 Abs. 2 FGO.