ECLI:DE:BFH:2018:U.060918.VR34.17.0
BFH V. Senat
UStG § 24 Abs 1 S 1 Nr 3, EGRL 112/2006 Art 295 Abs 1 Nr 5, UStG VZ 2011 , UStG VZ 2012
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 27. June 2017, Az: 1 K 203/16
Leitsätze
Entgeltliche Beweidungsleistungen eines Schäfers unterliegen der Durchschnittsatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG. Aufgrund der bei der Wanderschäferei bestehenden Besonderheiten steht dem nicht entgegen, dass der Leistungsempfänger die Beweidungsleistung aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes bezieht .
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 28. Juni 2017 1 K 203/16 und die Umsatzsteuerbescheide 2011 und 2012 jeweils vom 21. Juli 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Schäfer und unterhält eine Schafherde. Der Kläger lieferte Schafe zu Schlachtzwecken. In den Streitjahren 2011 und 2012 erbrachte er entgeltliche Leistungen durch die Beweidung von Grünflächen mit seinen Schafen an eine Immobilienmanagementgesellschaft zur Aufgabenerfüllung beim Natur- und Landschaftsschutz.
Der Kläger ging davon aus, dass er mit der entgeltlichen Beweidung von Grünflächen sonstige Leistungen i.S. von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) erbracht habe.
Im Anschluss an eine Außenprüfung war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) demgegenüber der Auffassung, dass es sich um Leistungen handele, die dem Regelsteuersatz unterlägen. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg.
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1485 veröffentlichten Urteil des FG ist der Kläger zur Anwendung der Besteuerung nach Durchschnittssätzen nicht berechtigt. Bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 295 ff. der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müsse eine landwirtschaftliche Dienstleistung vorliegen. Diese sei nicht gegeben, da die vom Leistungsempfänger bezweckte Erhaltungs- und Entwicklungspflege keinen landwirtschaftlichen Zwecken gedient habe.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die von ihm mit Hilfe seiner Schafe erbrachten Beweidungsleistungen seien unter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine landwirtschaftliche Dienstleistung. Er sei als landwirtschaftlicher Erzeuger mit der normalen Ausrüstung seines landwirtschaftlichen Betriebs tätig geworden. Ein gewerblicher Anbieter könne die Leistung nicht in der gleichen Weise erbringen. Die Abgrasung durch Schafe sei eine urtypische landwirtschaftliche Dienstleistung. Dies zeige sich auch im Vergleich zur Pensionspferdehaltung oder der Entsorgung von Klärschlamm oder von Speiseresten. Die Beweidungsleistung trage auch zur landwirtschaftlichen Erzeugung bei, da die Weideschafe geschlachtet und zu Fleisch- und Wurstwaren verarbeitet würden. Es komme nicht darauf an, dass die Leistung beim Leistungsempfänger zu landwirtschaftlichen Zwecken diene. So sei es auch bei einem Hofladen. Zu berücksichtigen seien schließlich die Besonderheiten bei Magerwiesen, die eine zusätzliche Fütterung erforderlich machten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide 2011 und 2012 vom 21. Juli 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016 aufzuheben.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Die landwirtschaftliche Dienstleistung müsse zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen. Hieran fehle es, da der Leistungsempfänger die vom Kläger bezogene Leistung nicht für landwirtschaftliche Zwecke, sondern aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes bezogen habe. Es sei um die Erhaltung kulturhistorisch bedeutsamer Lebensräume gegangen. Ausnahmevorschriften seien schließlich eng auszulegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Entgegen der Vorentscheidung scheitert die Anwendung von § 24 Abs. 1 UStG auf die vom Kläger erbrachten Beweidungsleistungen nicht daran, dass es sich bei diesen nicht um landwirtschaftliche Dienstleistungen handelt.
1. Für die Anwendung von § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG muss der Unternehmer als Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen.
a) Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG wird die Steuer für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen unter weiteren hier nicht bedeutsamen Voraussetzungen auf 10,7 % festgesetzt. Aus § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG ergibt sich ein Vorsteuerabzug in gleicher Höhe. Zu den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG insbesondere Tierhaltungsbetriebe.
b) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG richtlinienkonform entsprechend Art. 295 ff. MwStSystRL auszulegen (z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 2013 V R 34/11, BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460, unter II.1.b, und vom 21. Januar 2015 XI R 13/13, BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730, unter II.1.b). Danach finden die sog. Pauschalausgleich-Prozentsätze gemäß Art. 300 f. MwStSystRL auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen Anwendung.
c) Landwirtschaftliche Dienstleistungen sind nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL Dienstleistungen, die von einem landwirtschaftlichen Erzeuger mit Hilfe seiner Arbeitskräfte oder der normalen Ausrüstung seines land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betriebs erbracht werden und die normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen, und zwar insbesondere die in Anhang VIII aufgeführten Dienstleistungen. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ist bei richtlinienkonformer Auslegung auf diese landwirtschaftlichen Dienstleistungen, nicht aber auch auf andersartige sonstige Leistungen anzuwenden. Wie der BFH bereits ausdrücklich entschieden hat, muss die Dienstleistung vom Empfänger zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden (BFH-Urteil in BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730, Leitsätze 1 und 2, sowie unter II.2.b cc).
d) Allerdings gilt der Grundsatz, dass die Dienstleistung vom Empfänger zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden muss, nicht uneingeschränkt. Auch bei richtlinienkonformer Auslegung kommt dem Wortlaut des nationalen Rechts für die Gesetzesauslegung entscheidende Bedeutung zu (vgl. allgemein z.B. BFH-Urteil vom 8. März 2012 V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, unter II.2.a. dd). Nach der ausdrücklichen Anordnung in § 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt die Wanderschäferei als landwirtschaftlicher Betrieb. Aufgrund der mündlichen Verhandlung geht der erkennende Senat dabei davon aus, dass die Beweidung im Rahmen der Wanderschäferei im Verhältnis zum Grundstückseigentümer unentgeltlich, gegen Entgelt des Schäfers oder ‑‑wie im Streitfall‑‑ gegen Entgelt des Grundstückseigentümers erfolgen kann. Der Begriff der Wanderschäferei differenziert weder nach dem Vorliegen derartiger Zahlungen noch nach der Person, die das Entgelt entrichtet, und umfasst damit alle der vorstehenden Formen der Beweidungsleistung.
2. Danach hat das FG zu Unrecht entschieden, dass der Kläger § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG auf seine Beweidungsleistungen nicht anwenden kann. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben und der Klage stattzugeben.
a) Zwar hat der Empfänger der vom Kläger erbrachten sonstigen Leistungen diese für Zwecke der Erhaltungs- und Entwicklungspflege bezogen, so dass sie nicht zur landwirtschaftlichen Erzeugung beim Empfänger beigetragen haben.
b) Hierauf kommt es indes im Rahmen der gesetzlich ausdrücklich genannten Wanderschäferei nicht an. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seine Tätigkeit überwiegend auf eigenen Flächen und nur ausnahmsweise und vorübergehend wie bei den hier streitigen Leistungen auf fremden Flächen ausgeübt hat. Denn der Begriff der Wanderschäferei ist insoweit funktional zu verstehen, so dass es insoweit nur auf die Beweidung fremder Flächen ankommt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.