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Urteil vom 28. Juni 2017, VIII R 46/14

Zur Vorgreiflichkeit eines Feststellungsbescheides gemäß § 15b Abs. 4 Satz 1 EStG

ECLI:DE:BFH:2017:U.280617.VIIIR46.14.0

BFH VIII. Senat

EStG § 15b Abs 1, EStG § 15b Abs 4 S 1, EStG § 20 Abs 2b, AO § 179, AO § 182, FGO § 127, FGO § 126 Abs 3 S 1 Nr 2, EStG VZ 2008

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 25. September 2013, Az: 3 K 12341/11

Leitsätze

1. NV: Die gesonderte Feststellung des § 15b Abs. 4 Satz 1 EStG erfordert auch bei Einzelinvestitionen die Feststellung, dass die hinreichend bezeichnete Einkunftsquelle als Steuerstundungsmodell i.S. von § 15b Abs. 2, § 20 Abs. 2b EStG zu qualifizieren ist, die Höhe des nicht ausgleichsfähigen Verlustes des Verlustentstehungsjahres und den zum Ende eines Veranlagungszeitraums ermittelten verrechenbaren Verlust .

2. NV: Die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens für das Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen gehört zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Grundordnung des Verfahrens .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. September 2013 3 K 12341/11 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2008) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erwarb im Jahr 2008 Anteile an dem am ... September 2007 in Luxemburg errichteten thesaurierenden X-Fonds. Die Anschaffungskosten der Fondsanteile beliefen sich auf insgesamt 1.000.000 €. In der Kaufabrechnung wies die Bank Y einen steuerpflichtigen negativen Zwischengewinn in Höhe von 460.288,90 € aus. Diesen negativen Zwischengewinn machte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für 2008 als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte den negativen Zwischengewinn in dem Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 26. August 2010 nicht. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Am 18. November 2010 legten die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 Einspruch ein. In der Sache begehrten sie die Berücksichtigung des negativen Zwischengewinns aus dem Erwerb der Anteile an dem X-Fonds. Da zu diesem Zeitpunkt die Einspruchsfrist bereits abgelaufen war, legte das FA das Schreiben als Antrag auf Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO aus und lehnte diesen ab. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

  2. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 131 veröffentlichten Urteil vom 26. September 2013  3 K 12341/11 stattgegeben.

  3. Zur Begründung seiner Revision macht das FA geltend, das FG-Urteil verletze § 20 Abs. 2b, § 15b des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG), da es sich vorliegend um ein Steuerstundungsmodell handele.

  4. Das FA beantragt,
    das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  5. Die Kläger beantragen,
    die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

  6. Das FA hat den Bescheid, dessen Änderung beantragt wird, am 2. März 2015 aus nicht streitbefangenen Gründen geändert.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Während des Revisionsverfahrens ist der Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr vom 2. März 2015 an die Stelle des Einkommensteuerbescheides getreten, dessen Änderung beantragt wurde, und zum Gegenstand des Verfahrens geworden (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 68 FGO). Danach kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28. Mai 2015 IV R 27/12, BFHE 249, 544, BStBl II 2015, 837, Rz 17 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob das Revisionsverfahren eine Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage betrifft (BFH-Urteil vom 5. Juli 1991 III R 3/87, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854; BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2003 II B 31/00, BFHE 204, 35, BStBl II 2004, 237). Der Senat kann über den Antrag auf Änderung des Einkommensteueränderungsbescheides vom 2. März 2015 nicht abschließend entscheiden, da die Sache nicht spruchreif ist.

  3. 2. Der Senat kann aufgrund des Fehlens der vorgreiflichen gesonderten Feststellung des nicht ausgleichsfähigen Verlustes des Klägers gemäß § 15b Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzung nicht abschließend entscheiden. Die Sache wird aus diesem Grund an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 127 FGO).

  4. a) Die Entscheidung über den gemäß § 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähigen Verlust für das Streitjahr hat im Rahmen eines Feststellungsbescheides gemäß § 15b Abs. 4 Satz 1 EStG zu erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine gesonderte Feststellung i.S. der §§ 179 ff. AO. Diese erfasst grundsätzlich auch Investitionen von Einzelpersonen, soweit das FA annimmt, dass es sich um ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 20 Abs. 2b i.V.m. § 15b EStG handelt. Die gesonderte Feststellung des § 15b Abs. 4 Satz 1 EStG erfordert auch bei Einzelinvestitionen die Feststellung, dass die hinreichend bezeichnete Einkunftsquelle als Steuerstundungsmodell i.S. von § 15b Abs. 2, § 20 Abs. 2b EStG zu qualifizieren ist, die Höhe des nicht ausgleichsfähigen Verlustes des Verlustentstehungsjahres und den zum Ende eines Veranlagungszeitraums ermittelten verrechenbaren Verlust (Senatsurteil vom 11. November 2015 VIII R 74/13, BFHE 252, 364, BStBl II 2016, 388).

  5. b) Im vorliegenden Fall fehlt es an der entsprechenden Feststellung eines nicht ausgleichsfähigen Verlustes gemäß § 15b Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 EStG, so dass die Sache an das FG zurückverwiesen wird (§ 127 FGO). Das Fehlen der entsprechenden Feststellung steht einer Entscheidung des Senats über die Klage entgegen. Denn die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens für das Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen gehört zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Grundordnung des Verfahrens. Das FG muss das Verfahren im zweiten Rechtsgang gemäß § 74 FGO aussetzen und damit dem FA Gelegenheit geben, die fehlende Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15b Abs. 4 EStG nachzuholen (Senatsurteil in BFHE 252, 364, BStBl II 2016, 388, m.w.N.).

  6. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

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