ECLI:DE:BFH:2017:U.240817.VR11.17.0
BFH V. Senat
GG Art 101 Abs 1, FGO § 38, FGO § 41 Abs 2, AO § 125, AO § 127
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 14. February 2017, Az: 2 K 1149/14
Leitsätze
NV: Die in § 127 AO vorgesehene Anfechtungsbeschränkung kann nicht umgangen werden, indem wegen Verfahrensfehlern i.S. des § 127 AO, die nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, eine Feststellungsklage erhoben wird.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 15. Februar 2017 2 K 1149/14 aufgehoben, soweit es dem hilfsweise gestellten Antrag festzustellen, dass das Finanzamt die örtlich zuständige Behörde für die Umsatzbesteuerung der Klägerin und verpflichtet ist, den Besteuerungsfall vom Finanzamt L zu übernehmen, stattgegeben hat.
Die Feststellungsklage wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft ("Société Anonyme") luxemburgischen Rechts. Ihr Sitz ist in Y in Luxemburg. Zweck der Gesellschaft ist der An- und Verkauf sowie die Vermietung von Kränen und Baumaschinen aller Art. Seit Dezember 2008 ist die E Sarl, ebenfalls eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, zu 100 % am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Am Stammkapital der E Sarl war S mit Wohnsitz in B (Inland) zu 100 % beteiligt.
Die Klägerin war in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) steuerlich zunächst nicht erfasst. Die Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt (FA) A führte eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 2006 bis 2010 durch und kam zu dem Ergebnis, dass sich die Geschäftsleitung der Klägerin im Inland befunden habe. Am 17. April 2012 stellte die Klägerin beim Beklagten und Revisionskläger (dem gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑ i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 15 Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung für die Umsatzbesteuerung von Unternehmern mit statuarischem Sitz im Großherzogtum Luxemburg zuständigen FA) einen Antrag auf umsatzsteuerliche Erfassung als ausländische Unternehmerin. Das FA lehnte den Antrag ab und verwies die Klägerin auf eine umsatzsteuerliche Erfassung beim zuständigen Lagefinanzamt, damals dem FA B.
Die Klägerin, die im Juni 2012 ihren Sitz innerhalb Luxemburgs von X nach Y verlegt hatte, nunmehr eine Bankverbindung in Luxemburg angab, ihren in Deutschland wohnhaften Geschäftsführer abberufen und die in Luxemburg und Frankreich wohnhafte R zur neuen Geschäftsführerin bestellt hatte, stellte am 4. Dezember 2012 beim FA erneut den Antrag auf Erteilung einer Steuernummer. Diesen wies das FA am 11. Dezember 2012 unter Hinweis auf die zwischenzeitlich beim FA B erfolgte umsatzsteuerliche Erfassung zurück. Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 18. Dezember 2012 verwarf das FA mit Einspruchsentscheidung vom 1. April 2014 als unzulässig.
Das FA B hatte zwischenzeitlich unter dem 20. März 2013 Bescheide über Umsatzsteuer für 2006 bis 2010 erlassen. Hiergegen legte die Klägerin Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist. Für die Veranlagungszeiträume 2011 und 2012 reichte sie weder Steuererklärungen noch Voranmeldungen ein, und es erfolgten auch keine Festsetzungen. Für das Jahr 2013 erfolgte lediglich eine Voranmeldung für Januar mit einem Vorsteuerüberhang von 622.629,50 €. Für das Jahr 2014 wurde lediglich für Juni 2014 eine Umsatzsteueranmeldung eingereicht. Jahreserklärungen liegen nicht vor.
Aufgrund eines Organisationsaktes sind die FA B und C zum 1. Juli 2015 zum FA C fusioniert. Der Klägerin wurde daraufhin durch das FA C eine neue Steuernummer erteilt. Nach dem Ergehen von Schätzungsbescheiden zu den Umsatzsteuervoranmeldungszeiträumen Januar bis Mai 2015 teilte die Klägerin dem FA C mit, dass sie im Jahr 2015 keine inländischen Umsätze mehr ausgeführt habe. Das FA C löschte deshalb die Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zum 1. Mai 2016.
Mit der Klage begehrte die Klägerin, das FA zu verpflichten, ihr eine Steuernummer zu erteilen, hilfsweise festzustellen, dass das FA die örtlich zuständige Behörde für die Umsatzbesteuerung der Klägerin und verpflichtet sei, den Besteuerungsfall für die Umsatzsteuer vom FA C zu übernehmen.
Das Finanzgericht (FG) wies die (Verpflichtungs-)Klage auf Erteilung einer Steuernummer ab, gab aber mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 550 veröffentlichten Urteil der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage statt. Der Klage fehle nicht das besondere Feststellungsinteresse (§ 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Aus § 27 Satz 1 AO folge, dass ein Steuerpflichtiger gegen seinen Willen nicht die Besteuerung durch ein unzuständiges FA dulden müsse. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei das Zustimmungserfordernis in § 27 AO ausdrücklich deshalb aufgenommen worden, weil die Zuständigkeit des FG an die entscheidende Finanzbehörde anknüpfe (§ 63 Abs. 1 FGO) und der Steuerpflichtige damit in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) betroffen sein könne. Die Klage sei auch nicht subsidiär gegenüber einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 41 Abs. 2 FGO), denn wegen § 127 AO sei die Anfechtung eines Verwaltungsaktes nur mit der Begründung der Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht Erfolg versprechend.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es Verletzung von § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO geltend macht. Die Klägerin könne ihre in ihren Feststellungsanträgen zum Ausdruck kommenden Interessen durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen.
Das Interesse der Klägerin auf Feststellung der Zuständigkeit des FA habe die Klägerin bereits mit ihrem Hauptantrag auf Erteilung einer Steuernummer verfolgt. Für dieses Klagebegehren habe das FG die Klägerin ausdrücklich als nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt angesehen. Dann aber sei es nicht nachzuvollziehen, weshalb dasselbe Rechtsschutzbegehren vom FG nicht als subsidiär i.S. des § 41 Abs. 2 FGO beurteilt worden sei.
Auch das weitere Rechtsschutzziel der Klägerin, das FA möge die vom FA B bzw. C begonnenen Besteuerungsverfahren übernehmen, sei subsidiär i.S. des § 41 Abs. 2 FGO, weil die Klägerin in den laufenden Einspruchsverfahren die örtliche Unzuständigkeit des FA B bzw. C geltend machen könne.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil bezüglich der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage aufzuheben und die Feststellungsklage als unzulässig zu verwerfen.Die Klägerin beantragt,
die Revision des FA zurückzuweisen.Sie unterstützt die Entscheidungsgründe des FG-Urteils.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verwerfung der Feststellungsklage als unzulässig (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG ist zu Unrecht von der Zulässigkeit der Feststellungsklage ausgegangen. Der Zulässigkeit steht die in § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen, denn die Klägerin hätte ihre Rechte im Wege der Gestaltungsklage geltend machen können.
1. Der Senat ist sachlich für die Entscheidung über die Revision des FA zuständig. Gemäß Buchst. A V. Senat Nr. 1 des Geschäftsverteilungsplans des Bundesfinanzhofs (BFH) für das Jahr 2017 ist der V. Senat zuständig für Umsatzsteuer von Steuerpflichtigen mit den Anfangsbuchstaben A bis K, mit Ausnahme der Nummern 1 Buchst. a, 5 Buchst. b, 6 beim VII. Senat. Hiervon umfasst werden jedenfalls dann auch Revisionen, die Feststellungsklagen bezüglich der Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zum Gegenstand haben, wenn für die Beurteilung des Feststellungsinteresses bereits ergangene Umsatzsteuerbescheide von Bedeutung sind.
2. Die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO) ist eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung (BFH-Urteile vom 3. September 2009 IV R 38/07, BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60; vom 10. Mai 1977 VII R 69/76, BFHE 123, 94, BStBl II 1977, 785; zur Subsidiarität der Feststellungsklage vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11, BFH/NV 2013, 739), deren Vorliegen das Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen hat (z.B. BFH-Urteil vom 15. Januar 2015 I R 69/12, BFHE 249, 99, Rz 11).
a) Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann (BFH-Urteile vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732; vom 3. September 2009 IV R 38/07, BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60; BFH-Beschluss vom 12. August 2011 VII B 159/10, BFH/NV 2011, 2104). Dies ist der Fall, wenn das FA über die begehrte Feststellung in einem Verwaltungsakt entscheiden muss, den der Kläger durch Gestaltungsklage anfechten kann (BFH-Urteile in BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60; vom 1. Februar 1973 IV R 1/72, BFHE 108, 517, BStBl II 1973, 533).
b) Die Klägerin hat die Umsatzsteuerbescheide des FA B für die Jahre 2006 bis 2010 vom 20. März 2013 bereits mit dem Einspruch angefochten. Gegen die Einspruchsentscheidungen in diesen Verfahren, in denen das FA B auch über seine örtliche Zuständigkeit entscheiden muss, kann die Klägerin klagen.
c) Daraus, dass die Klägerin in diesen Verfahren die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide nach § 127 AO nicht allein wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des FA beanspruchen kann, ergibt sich kein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Feststellung, welches FA örtlich zuständig ist.
aa) Nach § 127 AO kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Diese Regelung dient der Prozessökonomie. Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren überwiegt und dass der Steuerpflichtige bei gebundenen Verwaltungsakten, für die weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum besteht, allein durch die Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht beschwert ist, wenn sich die Entscheidung als sachlich richtig erweist. In § 127 AO kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, Verfahrensmängeln im Verwaltungsverfahren ein geringeres Gewicht als sachlich-rechtlichen Mängeln beizulegen und rechtlich gebundene Verwaltungsakte, für die weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum besteht, bestehen zu lassen, wenn sie sich als materiell-rechtlich zutreffend erweisen (BFH-Urteile vom 30. November 2016 V R 48/15, BFH/NV 2017, 265; vom 8. September 2011 II R 47/09, BFH/NV 2012, 67).
bb) Die in § 127 AO vorgesehene Anfechtungsbeschränkung kann nicht umgangen werden, indem wegen Verfahrensfehler i.S. des § 127 AO die nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, eine Feststellungsklage erhoben wird. Eine solche Feststellungsklage würde dem Sinn und Zweck des § 127 AO, Verfahrensverzögerungen zu verhindern, widersprechen (BFH-Beschluss vom 2. August 2012 V B 68/11, BFH/NV 2013, 243; vom 19. Mai 2008 V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501).
d) Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bleibt hiervon unberührt.
aa) Denn gemäß § 38 Abs. 1 FGO ist das FG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat. Auch wenn die Klage gegen einen von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassenen Steuerbescheid gerichtet ist, ist das FG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die örtlich unzuständige Behörde ihren Sitz hat.
bb) Im Übrigen kommt eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) nur bei willkürlichen Verstößen in Betracht, d.h. wenn bei verständiger Würdigung der das GG bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 4. September 2008 2 BvR 1321/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 189; vom 9. November 1987 2 BvR 808/82, Bayerisches Verwaltungsblatt 1989, 595; BFH-Beschlüsse vom 1. September 2016 V S 24/16, BFH/NV 2017, 49; in BFH/NV 2008, 1501). Davon kann angesichts der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 127 AO keine Rede sein.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.