ECLI:DE:BFH:2017:U.190117.IIIR3.14.0
BFH III. Senat
EStG § 18 Abs 1 Nr 1 S 2, GewStG § 2 Abs 1, FGO § 76
vorgehend FG München, 17. October 2012, Az: 5 K 1066/08
Leitsätze
1. NV: Ein Autodidakt, der wie ein Diplom-Informatiker oder Wirtschaftsinformatiker tätig ist, kann einen ingenieurähnlichen Beruf ausüben. Dies setzt aber voraus, dass er sich das Wissen eines Diplom-Informatikers/Wirtschaftsinformatikers in vergleichbarer Breite und Tiefe angeeignet hat. Der Nachweis dafür kann auch durch eine sog. Wissensprüfung geführt werden .
2. NV: Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research gehören zu dem für Diplom-Informatiker erforderlichen Wissen ("Hauptfächer"). Fehlende Kenntnisse eines Gebietes können nicht durch gute Kenntnisse in anderen Bereichen kompensiert werden .
3. NV: Stellt das FG fest, dass dem Kläger Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research fehlen, braucht es keine Wissensprüfung durchzuführen (Anschluss an das BFH-Urteil vom 16. Dezember 2008 VIII R 27/07) .
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 18. Oktober 2012 5 K 1066/08 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte 1981 nach dem Erwerb der mittleren Reife und einer kaufmännischen Ausbildung die Prüfung als Handelsfachwirt abgelegt und auch ein Zeugnis über die berufs- und arbeitspädagogische Eignung für die Berufsausbildung in der gewerblichen Wirtschaft erhalten.
Im Jahr 1983 nahm der Kläger an zahlreichen Lehrgängen zu EDV-Systemen teil, die insgesamt etwa 40 Unterrichtstage umfassten. In späteren Jahren folgten eine einwöchige Ausbildung zur Umstellung von EDV-Systemen und zwei jeweils zweitägige Seminare zur Textverarbeitung und zur Systemverwaltung. In den Jahren 1997, 1998 und 2001 erwarb der Kläger in jeweils drei- bis viertägigen Veranstaltungen zahlreiche Zertifikate im Zusammenhang mit einem Datenbanksystem und nahm an zwei Schulungen von einer Woche und zwölf Tagen zur Unternehmenssoftware Y teil.
Der Kläger war seit 1981 als Kreditorenbuchhalter und ab 1983 zunächst als Operator und später als Programmierer beschäftigt. In den Jahren 1985 bis 1988 folgte eine Tätigkeit als Organisations-Programmierer und später als kommissarischer EDV-Leiter. Von April 1988 bis Mitte 1989 war er als Programmierer beschäftigt, in den Jahren 1989 und 1990 und ab Juli 1993 bis August 1995 als EDV-Leiter. Seit 1995 war der Kläger auf selbständiger Basis für verschiedene EDV-Dienstleistungsunternehmen sowie ab 1999 als Geschäftsführer einer GmbH tätig. In den Jahren 2000 bis 2003 folgten Tätigkeiten als externer IT-Berater für verschiedene Unternehmen und die Mitwirkung bei der Umstellung eines Datenbanksystems. Auch im Streitjahr 2004 war er als Dienstleister auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung tätig: Von Oktober 2003 bis Januar 2004 entwickelte der Kläger für ein Unternehmen eine Schnittstelle zu einem Logistikunternehmen, von Februar bis Juni 2004 nahm er einen systemtechnischen Abgleich von Daten vor und von Mai bis Dezember 2004 arbeitete er an dem Projekt "Z". Ab Oktober 2005 übernahm der Kläger ein Projekt "Fortentwicklung und Überwachung von Systemsoftware".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte der für das Streitjahr eingereichten Gewerbesteuererklärung und erließ am 23. Oktober 2006 einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2014, 558).
Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor, das FG habe sich zu Unrecht ausschließlich auf den Sachverständigen verlassen. Dieser habe die Studienfächer nicht korrekt gewichtet; seine ‑‑des Klägers‑‑ fachliche Lücken hätten vor 30 Jahren eine andere Gewichtung gehabt. Er sei zu Unrecht nicht mit Personen verglichen worden, die vergleichbare Tätigkeiten ausübten; Kriterien wie z.B. sein Alter, Berufserfahrung, Ausbildung, Kundenkreis, Flexibilität und Branchen habe der Sachverständige nicht einbezogen, was Zweifel an seiner Kompetenz wecke.
Das FG habe es unter Verstoß gegen seine Sachaufklärungspflicht versäumt, eine Wissensprüfung durchzuführen, die es ihm ‑‑dem Kläger‑‑ ermöglicht hätte, die erforderliche Breite und Tiefe seiner Vorbildung nachzuweisen. Er habe auch die erforderlichen Fachkenntnisse nicht lediglich pauschal behauptet; die Darlegungsanforderungen dürften nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. April 2007 XI R 34/06 (BFH/NV 2007, 1495) nicht überspannt werden. Dazu hätte der Sachverständige ihn "gewissermaßen examinieren" müssen. Maßgeblich sei der Kenntnisstand des Jahres 1982, da zu unterstellen sei, dass er ‑‑der Kläger‑‑ das Diplom in den Jahren 1982 oder 1983 erworben hätte. Ein Wissensstand auf diesem Niveau sei vom gerichtlich bestellten Sachverständigen im Wesentlichen bestätigt worden, der ihm außer in den Fächern Mathematik, Statistik und Operations Research die einem Diplom-Wirtschaftsinformatiker entsprechenden Kenntnisse zuerkannt habe. Das Fehlen von Kenntnissen eines Hauptbereiches sei zudem unschädlich (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Mai 1999 2 K 181/95, EFG 1999, 832). Schließlich habe er Projekte abgewickelt, an denen ‑‑teilweise unter seiner Führung‑‑ auch zahlreiche Akademiker mitgearbeitet hätten.
Der Kläger hat keinen förmlichen Antrag gestellt; er begehrt ‑‑wie zuvor im Klageverfahren‑‑ die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids für 2004 vom 23. Oktober 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2008.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Die Revision ist zulässig, obwohl der Kläger keinen ausdrücklichen Revisionsantrag gestellt hat. Ein förmlicher Revisionsantrag ist im Streitfall entbehrlich, da der Kläger sich ausweislich der Revisionsbegründung durch das angefochtene Urteil beschwert fühlt und ‑‑wie bereits im Einspruchs- und Klageverfahren‑‑ die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheides erstrebt, weil er Freiberufler sei (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 2016 VIII R 4/13, BFH/NV 2016, 1275, Rz 21).
2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger mit seiner Tätigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte. Der Kläger übte insbesondere keine freiberufliche ingenieur- oder ingenieurähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus. Die Würdigung des FG, der Kläger habe nicht über ein den Kenntnissen eines Wirtschaftsinformatikers vergleichbares Wissen verfügt und daher einen Gewerbebetrieb unterhalten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; das FG brauchte dazu keine Wissensprüfung durchzuführen.
a) Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes ‑‑GewStG‑‑). Gewerbebetrieb in diesem Sinne ist ein gewerbliches Unternehmen i.S. des Einkommensteuergesetzes (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, wer sich selbständig, nachhaltig und mit Gewinnerzielung unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr betätigt und damit keinen freien Beruf ausübt (§ 15 Abs. 2 Satz 1 EStG).
b) Die Tätigkeit eines Diplom-Informatikers wird durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt; er übt einen ingenieurähnlichen Beruf gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus (vgl. BFH-Urteile vom 16. September 2014 VIII R 8/12, nicht veröffentlicht ‑‑n.v.‑‑; in BFH/NV 2016, 1275).
c) Ein Steuerpflichtiger, der ‑‑wie der Kläger‑‑ Tätigkeiten entfaltet, denen auch Diplom-Informatiker nachgehen, kann auch dann einen ingenieurähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausüben, wenn er weder ein Informatikstudium absolviert hat noch über den Abschluss einer nach den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschriebenen Ausbildung als Absolvent einer Hochschule oder Fachhochschule verfügt (BFH-Urteil vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989). Eine ingenieurähnliche Tätigkeit setzt in diesen Fällen aber voraus, dass sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Ingenieurs gleichwertig ist, und zwar sowohl in Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) als auch in Praxis (BFH-Urteile vom 17. Januar 2007 XI R 5/06, BFHE 216, 334, BStBl II 2007, 519; in BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989, zur Programmierung von Anwendungssoftware).
d) Bei Autodidakten sind dafür Erfahrungen und Kenntnisse in allen Kernbereichen des Katalogberufs nachzuweisen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 18. April 2007 XI R 29/06, BFHE 218, 65, BStBl II 2007, 781; in BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; vom 28. August 2003 IV R 21/02, BFHE 203, 152, BStBl II 2003, 919). Ein Autodidakt, der eine Tätigkeit ausübt, die auch für Diplom-Wirtschaftsinformatiker berufstypisch ist, dessen Wissen aber in seiner Gesamtheit nicht mit den Kenntnissen eines Diplom-Informatikers vergleichbar ist, wird nicht freiberuflich, sondern gewerblich tätig (BFH-Urteile vom 16. September 2014 VIII R 8/12, n.v.; in BFH/NV 2016, 1275, Rz 27 ff.).
Den Nachweis, dass er sich als Autodidakt das Wissen eines Diplom-Informatikers/Wirtschaftsinformatikers in vergleichbarer Breite und Tiefe angeeignet hat, kann ein Steuerpflichtiger auf verschiedene Weise führen. Als Beweismittel kommen dafür insbesondere erfolgreich abgeschlossene Fortbildungsmaßnahmen, das Selbststudium sowie eigene praktische Arbeiten in Betracht. Schließlich kann der Nachweis auch durch eine sog. Wissensprüfung geführt werden (BFH-Urteile in BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; in BFH/NV 2016, 1275).
aa) Das FG ist von den vorstehenden Grundsätzen ausgegangen und hat entschieden, dass die Tätigkeit des Klägers zwar auch von universitär ausgebildeten Diplom-Informatikern ausgeübt werde, aber auch ohne die in der Ausbildung zum Diplom-Informatiker oder Diplom-Wirtschaftsinformatiker vermittelten Grundlagen erbracht werden könne. Dies wird vom Kläger nicht in Frage gestellt. Ein Nachweis der theoretischen Kenntnisse mittels seiner praktischen Arbeiten ist daher nicht geführt.
bb) Das FG hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research zu dem für Diplom-Informatiker erforderlichen Wissen gehören. Es handelt sich dabei auch nicht um "Nebenfächer"; fehlende Kenntnisse können ‑‑anders als der Kläger meint‑‑ nicht durch gute Kenntnisse in anderen Bereichen kompensiert werden (BFH-Urteil vom 16. September 2014 VIII R 8/12, n.v.).
Das FG hat dazu festgestellt, dass dem Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen zu seiner Vorbildung und Tätigkeit und nach der dazu erfolgten Stellungnahme des vom Kläger beauftragten Gutachters, die als urkundlich belegter Parteivortrag gewürdigt wurde, Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research fehlten. Diese Feststellungen binden den BFH (§ 118 Abs. 2 FGO).
cc) Angesichts dessen brauchte das FG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) auch keine Wissensprüfung durchzuführen. Denn ein Anspruch auf Wissensprüfung setzt voraus, dass sich bereits aus den vorgetragenen Tatsachen zum Erwerb und Einsatz der Kenntnisse erkennen lässt, dass der Steuerpflichtige über hinreichendes Wissen verfügen könnte (BFH-Urteile vom 26. Juni 2002 IV R 56/00, BFHE 199, 367, BStBl II 2002, 768; in BFH/NV 2007, 1495; vom 16. Dezember 2008 VIII R 27/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 898; vom 16. September 2014 VIII R 8/12, n.v.). Daran fehlte es im Streitfall, weil der Kläger nach den Feststellungen des FG nicht über Kenntnisse in den essentiellen Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research verfügte.
Dem Vortrag des Klägers ist auch nicht zu entnehmen, dass er in den frühen Achtziger Jahren die theoretischen Voraussetzungen für eine Prüfung als Diplom-Informatiker oder Diplom-Wirtschaftsinformatiker erfüllte. Der Kläger hat im Gegenteil eingeräumt, dass er über den erforderlichen Wissensstand von Diplomanden der Jahre 1982 und 1983 nur mit Ausnahme der Fächer Mathematik, Statistik und Operations Research verfügt habe. Damit kommt es nicht auf die von ihm aufgeworfene Fragen an, ob sich die begehrte "Examination" statt am Wissensstand von Absolventen des Streitjahrs an den Anforderungen zu orientieren hätte, die für Hochschul- oder Fachhochschulinformatiker zur Zeit seines Berufseintritts galten.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.