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Beschluss vom 05. Januar 2017, VI B 8/16

Fehlen von Entscheidungsgründen - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache

ECLI:DE:BFH:2017:B.050117.VIB8.16.0

BFH VI. Senat

FGO § 119 Nr 6, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3

vorgehend FG Münster, 30. November 2015, Az: 5 K 2692/13 L

Leitsätze

1. NV: Hat das Gericht einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffsmittel oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen, ist die Entscheidung nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO) .

2. NV: Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen die Klärung der Rechtsfrage im Interesse der Rechtssicherheit, Rechtseinheitlichkeit oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Rechtsprechung) .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 1. Dezember 2015 5 K 2692/13 L wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen ‑‑soweit sie überhaupt den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechen‑‑ jedenfalls nicht vor.

  2. 1. Die Revision ist nicht wegen des absoluten Revisionsgrunds der fehlenden Begründung der Entscheidung (§ 119 Nr. 6 FGO) zuzulassen.

  3. a) Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 FGO müssen Urteile einen Tatbestand enthalten und begründet werden. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der tatsächlichen Feststellungen und wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417, und vom 17. April 2002 X R 8/00, BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527; BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 2006 VII B 243/05, BFHE 216, 18, BStBl II 2008, 436, und vom 8. Januar 2014 XI B 120/13, BFH/NV 2014, 686). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde liegt, oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Urteil in BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe auch dann, wenn das Finanzgericht (FG) einen selbständigen, prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 1993 II R 123/91, BFH/NV 1994, 46, und vom 22. Januar 2014 V B 63/13, BFH/NV 2014, 702). Unter selbständigen Ansprüchen oder selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, und vom 26. März 2003 VI B 151/01, BFH/NV 2003, 1068).

  4. b) Die Klägerin macht geltend, das FG habe ein selbständiges Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen. In ihrer Klagebegründung habe sie auf R 40.2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. R 8.1 Abs. 7 Nrn. 1 bis 3 und Nr. 4 Buchst. a und b der Lohnsteuer-Richtlinien sowie H 8.1 (7) des Lohnsteuer-Handbuchs hingewiesen, nach denen bei der gewählten Gestaltung die Gestellung von Mahlzeiten gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschaliert werden dürfe. Das FG gehe in seinen Urteilsgründen jedoch mit keinem Wort hierauf ein. Die Regelung in den Lohnsteuer-Richtlinien sei entscheidungserheblich, weil eine Inhaftungnahme des Arbeitgebers ermessensfehlerhaft sei, wenn er sich beim Lohnsteuerabzug an die allgemeinen Weisungen der zuständigen obersten Finanzbehörden der Länder oder des Bundes gehalten habe (Senatsurteile vom 25. Oktober 1985 VI R 130/82, BFHE 144, 569, BStBl II 1986, 98; vom 6. Dezember 1996 VI R 18/96, BFHE 182, 145, BStBl II 1997, 413).

  5. Wie die Klägerin zutreffend unter Hinweis auf die Senatsrechtsprechung ausführt, ist es ermessensfehlerhaft, einen Arbeitgeber in Haftung zu nehmen, der die Lohnsteuer entsprechend allgemeiner Weisungen der zuständigen obersten Finanzbehörden der Länder oder des Bundes einbehalten hat (so auch Senatsurteil vom 13. Juni 2013 VI R 17/12, BFHE 242, 123, BStBl II 2014, 340, zu Billigkeitsregelungen der Verwaltung). Den von der Klägerin genannten Fundstellen lässt sich indes nur entnehmen, mit welchen Werten an Arbeitnehmer gestellte Mahlzeiten anzusetzen sind. Eine Aussage dahingehend, dass eine Pauschalierungsmöglichkeit nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG auch dann eröffnet ist, wenn in einem auf Antrag des jeweiligen Arbeitnehmers geänderten Arbeitsvertrag der Barlohn herabgesetzt, zugleich aber ein Anspruch auf Gestellung von Mahlzeiten begründet wird, lässt sich den Fundstellen nicht entnehmen. Das Vorbringen der Klägerin war demnach kein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, auf das das FG in seinen Gründen hätte eingehen müssen, zumal die Bewertung des Vorteils zwischen den Beteiligten nicht im Streit war.

  6. 2. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO) und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Diese wurden ‑‑sowohl in der Beschwerdebegründung als auch im Ergänzungsschreiben‑‑ schon nicht in den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechender Weise dargelegt.

  7. a) Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Mai 2013 III B 59/12, BFH/NV 2013, 1447). Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen die Klärung der Rechtsfrage im Interesse der Rechtssicherheit, Rechtseinheitlichkeit oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. August 2015 VI B 13/15, BFH/NV 2015, 1672, und vom 4. Juli 2013 III B 69/12, BFH/NV 2013, 1573). Da der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO) einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO darstellt, gelten hierfür dieselben Darlegungsanforderungen (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 185).

  8. Die Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin hat schon keine konkreten Rechtsfragen formuliert; allenfalls können Fragen indirekt aus den Ausführungen der Klägerin entnommen werden. Ferner fehlt es an substantiierten Ausführungen dazu, weshalb diese Fragen im allgemeinen Interesse zu klären sind. Die bloße Behauptung, es bestehe Klärungsbedarf, die Rechtssicherheit mache eine Entscheidung notwendig bzw. die Sache sei von grundsätzlicher Bedeutung, ist hierfür nicht ausreichend. Die Klägerin hat nicht substantiiert vorgetragen, woraus sich die Klärungsbedürftigkeit der formulierten Rechtsfrage ergibt. So hat sie nicht dargelegt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der vermeintlich bedeutsamen Rechtsfragen zweifelhaft und strittig ist.

  9. b) Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß dargelegt. Zur schlüssigen Darlegung dieses Zulassungsgrunds muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten, mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle bezeichneten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (z.B. Senatsbeschluss vom 30. Juli 2013 VI B 7/13, BFH/NV 2013, 1922). An einem derart substantiierten Beschwerdevorbringen fehlt es vorliegend. Denn die Klägerin hat schon keine Divergenzentscheidung bezeichnet und die Abweichung des erstinstanzlichen Urteils hiervon dargelegt.

  10. c) Die Klägerin wendet sich mit ihren Ausführungen im Grunde gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Mit der darin liegenden Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung kann sie im Beschwerdeverfahren jedoch nicht gehört werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39; vom 19. Mai 2010 IX B 198/09, BFH/NV 2010, 1647; vom 30. Oktober 2012 III B 151/11, BFH/NV 2013, 396, und vom 21. März 2013 VI B 155/12, BFH/NV 2013, 1103; jeweils m.w.N.).

  11. 3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

  12. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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