ECLI:DE:BFH:2016:B.081116.XB28.16.0
BFH X. Senat
FGO § 81 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 15. February 2016, Az: 3 K 148/14
Leitsätze
NV: Nach dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss das Gericht die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen in weitestmöglichem Umfang aus der Quelle selbst schöpfen, d.h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen Beweismittel durchführen, das ihm den unmittelbarsten Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 16. Februar 2016 3 K 148/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielt aus einem Abbruchunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er führt die Arbeiten nicht selbst oder mit eigenen Arbeitnehmern aus, sondern beauftragt Subunternehmer.
Für das Streitjahr 2009 liegen dem Kläger Rechnungen einer GmbH über insgesamt 172.981,62 € (ca. 1/3 der vom Kläger im Streitjahr insgesamt bezogenen Subunternehmerleistungen) vor. Unstreitig sind die von der GmbH in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht und vom Kläger ‑‑überwiegend durch Banküberweisungen, teils durch Barschecks‑‑ bezahlt worden. Mit Ausnahme der Rechnungen existieren keine schriftlichen Unterlagen über die Vertragsbeziehungen zwischen dem Kläger und der GmbH (z.B. Verträge, Leistungsbeschreibungen, Stundenzettel, Abnahmeprotokolle). In einem Vermerk der Steuerfahndung vom 14. Februar 2012 wird ausgeführt, es lägen Indizien dafür vor, dass es sich bei der GmbH um eine sog. "Servicegesellschaft" gehandelt habe, die ohne eigenen Geschäftsbetrieb Scheinrechnungen ausgestellt habe, die bei den Empfängern dazu gedient hätten, Schwarzarbeit buchhalterisch abzudecken.
Im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger forderte der Prüfer den Kläger gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO) auf, die wirtschaftlichen Empfänger der Rechnungsbeträge zu benennen. Der Kläger erklärte, er habe die Zahlungen an die GmbH geleistet. Deren Subunternehmer seien ihm nicht namentlich bekannt und müssten ihm auch nicht bekannt sein.
Mit dem angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheid 2009 vom 3. Januar 2013 versagte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Betriebsausgabenabzug und erhöhte den Gewinn um 172.981,62 €.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe noch nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Betriebsausgabenabzug (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes) erfüllt seien. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die ausgewiesenen Leistungen von der GmbH erbracht worden seien. Selbst wenn es sich aber um Betriebsausgaben handeln sollte, habe das FA deren Abzug auf der Grundlage des § 160 AO zu Recht versagt. Die GmbH sei mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung nicht Zahlungsempfänger gewesen. Die dahinter stehenden Personen bzw. Subunternehmer habe der Kläger nicht benannt. Das Benennungsverlangen sei zumutbar gewesen; insbesondere sei der branchenerfahrene Kläger nicht Opfer einer für ihn nicht durchschaubaren Täuschung gewesen.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen Verfahrensmängeln.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Das FG hat den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, der aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO abzuleiten ist, verletzt.
a) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter des erkennenden Spruchkörpers, dass diese die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen im weitestmöglichen Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d.h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den "unmittelbarsten" Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt. Das bloß mittelbare Beweismittel darf deshalb grundsätzlich zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint. Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess eingeführt werden. Die Verwertung von Aussagen Dritter in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist aber dann nicht zulässig, wenn sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. zum Ganzen Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17. Mai 2005 VI B 162/04, BFH/NV 2005, 1613, unter II.1., und vom 27. Juli 2009 I B 219/08, BFH/NV 2010, 45, unter II.1.a, beide m.w.N.).
b) Vorliegend hat das FG seine Würdigung so gut wie ausschließlich auf den umfangreichen Vermerk der Steuerfahndung gestützt, der dem Kläger am Nachmittag des Tages vor der mündlichen Verhandlung übermittelt worden war.
Dieser Vermerk gliedert sich im Wesentlichen in drei Teile: In einem ersten Teil finden sich allgemeine Aussagen zu sog. "Servicegesellschaften". Dieser Begriff soll nach dem Verständnis der Steuerfahndung offenbar Gesellschaften kennzeichnen, deren Zweck allein darin besteht, Dritten gegen Entgelt fingierte Rechnungen über Leistungen zu stellen, die niemals ausgeführt worden sind.
Es schließt sich die Formulierung des folgenden "Erfahrungssatzes" an (Schreibfehler bereits im Original enthalten): "Das nahezu sämtliche Leistungen an Subfirmen weiter vergeben worden sein sollen (s. dazu nachfolgende Tz.) ist sicheres Indiz für die Betätigung einer Abdeckrechnungen schreibenden bzw. im Wege von Rechnungsfakturierungsketten durchreichende 'Servicefirma'."
Darüber hinaus enthält der Vermerk der Steuerfahndung in Bezug auf die GmbH ‑‑nicht jedoch in Bezug auf die vorliegend entscheidungserhebliche Geschäftsbeziehung zwischen der GmbH und dem Kläger‑‑ die folgenden Tatsachenangaben:
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Der Geschäftsführer der GmbH habe sowohl die italienische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt; im deutschen Ausweisdokument sei sein Geburtsname ... (Nachname seiner deutschen Mutter) eingetragen, im italienischen Ausweisdokument der Familienname seines italienischen Vaters ..., den er im Jahr 2004 angenommen habe; er sei unter beiden Namen aufgetreten.
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Mobilfunk-Telefonnummern, die der Geschäftsführer angegeben habe, seien nicht auf ihn, sondern auf dritte Personen mit ausländisch klingenden Namen angemeldet gewesen, die nicht zu ermitteln gewesen seien (welche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, teilt der Vermerk nicht mit).
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Die Umsätze der GmbH seien relativ hoch, ihre Gewinne aber relativ gering ausgewiesen.
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Über die auf dem Bankkonto der GmbH eingegangenen Betriebseinnahmen sei durch Barabhebungen oder Barschecks verfügt worden.
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Nach einem ersten Besuch der Steuerfahndung habe die GmbH ihre Geschäftsunterlagen aus den angemieteten Geschäftsräumen entfernt.
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Die beiden von der GmbH beauftragten Subunternehmen (Namen im Vermerk geschwärzt) seien ebenfalls als "Servicefirmen" identifiziert worden; dies gelte auch für die Subunternehmen des ersten der beiden Subunternehmen der GmbH (alle Namen im Vermerk geschwärzt). Eine für das andere Subunternehmen tätige Person habe dies in einem rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren eingeräumt (alle Namen im Vermerk geschwärzt).
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Die GmbH habe im Streitjahr 17 Rechnungen an einen Dritten gestellt (Name im Vermerk geschwärzt). Dieser habe in seiner Vernehmung eingeräumt, sich Scheinrechnungen ohne tatsächliche Leistungserbringung gegen Entgelt beschafft zu haben, um eigene Leistungen buchhalterisch "abzudecken". Er habe die Rechnungsbeträge zunächst auf das Geschäftskonto der GmbH überwiesen und anschließend vom GmbH-Geschäftsführer in bar zurückerhalten, wobei dieser 19 % Umsatzsteuer sowie 2 % Provision einbehalten habe. Die Ermittlungen in dieser Sache seien abgeschlossen.
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An eine weitere Person habe die GmbH im Streitjahr 22 Rechnungen gestellt. Hier seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen; die Beweislage sei aber "bereits erdrückend" (nähere Tatsachenangaben oder den Hinweis auf konkrete Beweismittel enthält der Vermerk an dieser Stelle nicht).
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Jedenfalls ab Januar 2010 habe die GmbH ‑‑nach einem Wechsel des Gesellschafters‑‑ tatsächliche Arbeiten ausgeführt; seit Januar 2011 ruhe ihr Geschäftsbetrieb.
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Unter Gliederungspunkt 7. des Vermerks wird die Aussage eines weiteren Dritten über die GmbH wiedergegeben, die aber wegen der im Vermerk vorgenommenen Schwärzungen nicht recht verständlich ist.
c) Die in diesem Vermerk enthaltenen Tatsachenangaben hätte das FG seiner Entscheidung nicht ohne unmittelbaren Eindruck von dem streitigen Sachverhalt zugrunde legen dürfen.
Die im ersten Teil des Vermerks enthaltenen allgemeinen Ausführungen zu "Servicegesellschaften" waren für das konkrete Verfahren wenig ergiebig, da im konkreten Einzelfall aufzuklären war, ob die GmbH als "Servicegesellschaft" anzusehen war.
Der anschließend formulierte Erfahrungssatz, es sei ein "sicheres Indiz" für die Qualifizierung als "Servicegesellschaft", wenn nahezu sämtliche Leistungen an Subunternehmen vergeben werden, lässt sich jedenfalls der bisherigen Rechtsprechung des BFH nicht entnehmen. Der Senat sieht derzeit auch keine hinreichende Tatsachengrundlage, um einen solchen Erfahrungssatz bestätigen zu können. Es ist eine im Wirtschaftsleben durchaus anzutreffende Erscheinung, dass das Geschäftsmodell einiger Unternehmen darin besteht, ihre Leistungen nahezu ausschließlich durch Einschaltung von Subunternehmen zu erbringen. So verfährt beispielsweise auch der Kläger selbst. Auch das FA zweifelt aber nicht an, dass der Kläger wirtschaftlich tätig geworden ist und keine Abdeckrechnungen erstellt hat.
Die im dritten Teil des Vermerks enthaltenen Behauptungen in Bezug auf die Geschäftsbeziehungen zwischen der GmbH und deren dritten Geschäftspartnern ‑‑aus denen das FA und das FG offenbar den Schluss gezogen haben, im Fall des Klägers verhalte es sich ebenso‑‑ wären im konkreten Fall beweisbedürftig gewesen. Da der Inhalt des Vermerks nicht unstreitig war, gleichzeitig die im Vermerk enthaltenen Behauptungen für das FG ‑‑ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils‑‑ von entscheidender Bedeutung für seine Würdigung waren, hätte das FG hier versuchen müssen, die Tatsachen aus der Quelle selbst zu schöpfen, bevor es sich mit einer ‑‑zudem in wesentlicher Hinsicht geschwärzten‑‑ Zusammenfassung durch die Steuerfahndung begnügt. In dieser Konstellation hätte das FG es unternehmen müssen, die bisher ungenannt gebliebenen Geschäftspartner der GmbH bzw. die in einem anderen Fall vorhandenen "erdrückenden" Beweismittel zu ermitteln und in das vorliegende Verfahren einzuführen. Erst wenn dies unmöglich gewesen wäre, hätte das FG auf die unmittelbaren Erkenntnisquellen verzichten dürfen, andernfalls seine Überzeugung aus diesen herleiten müssen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Namhaftmachung des unmittelbaren Beweismittels ohne Aussicht auf Erfolg, die unmittelbare Beweiserhebung unmöglich, unzumutbar oder unzulässig gewesen sein könnte, liegen nicht vor und werden auch in der Entscheidung des FG nicht angeführt.
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.