ECLI:DE:BFH:2016:U.240816.XR11.15.0
BFH X. Senat
EStG § 10a Abs 1 S 1, EStG § 10a Abs 6, EStG § 79 S 1, EStG § 79 S 3, EStG § 96 Abs 1 S 2, EStG § 52 Abs 24c, EStG § 52 Abs 63a, GG Art 3 Abs 1, AEUV Art 45, EGFreizügAbk CHE Art 4, EGFreizügAbk CHE Art 16 Abs 2, AO § 163, GG Art 20 Abs 3, GG Art 2 Abs 1, EWGV 1612/68 Art 7 Abs 2, EUV 492/2011 Art 7 Abs 2, EStG VZ 2011
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 11. February 2015, Az: 10 K 10213/13
Leitsätze
1. NV: Ein unbeschränkt Einkommensteuerpflichtiger, der nicht im Inland, sondern ausschließlich im Ausland einer gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegt, hat keinen Anspruch auf Altersvorsorgezulage, wenn die ausländische Pflichtmitgliedschaft erst ab dem 1. Januar 2010 begründet worden ist .
2. NV: Der Ausschluss ausländischer Pflichtversicherter von der Altersvorsorgezulage verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen das Freizügigkeitsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit der Schweiz i.V.m. dem Unionsrecht .
3. NV: Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen binden die Gerichte auch dann nicht, wenn sie zugunsten des Steuerpflichtigen wirken .
4. NV: Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO sind im Bereich der Altersvorsorgezulage ausgeschlossen .
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Februar 2015 10 K 10213/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte im Jahr 2008 mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgeschlossen, auf den sie seither ‑‑so auch im Streitjahr 2011‑‑ eigene Beiträge einzahlte. Sie war zunächst in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Für die Jahre 2008 bis 2010 erhielt sie Altersvorsorgezulage.
Zum 1. November 2010 trat die Klägerin ein Arbeitsverhältnis in der Schweiz an. Seither unterliegt sie nicht mehr der inländischen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, sondern der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) der Schweiz. Ihren inländischen Wohnsitz behielt die Klägerin bei (Grenzgängerin), so dass sie in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig blieb.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Deutsche Rentenversicherung Bund, Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen ‑‑ZfA‑‑) zahlte für 2011 zunächst Altersvorsorgezulage in Höhe von 139,24 € auf das beim Anbieter geführte Konto der Klägerin aus, forderte diesen Betrag jedoch nach Durchführung des Überprüfungsverfahrens zurück.
Den Antrag der Klägerin auf förmliche Festsetzung der Zulage lehnte die ZfA mit Bescheid vom 6. März 2013 ab. Die in § 10a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) genannte Voraussetzung der Pflichtmitgliedschaft in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung sei nicht erfüllt. Gleiches gelte für die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24c EStG, weil die Pflichtmitgliedschaft in einem ausländischen gesetzlichen Alterssicherungssystem nicht vor dem 1. Januar 2010 begründet worden sei.
Am 2. April 2013 legte ein Dritter (D) per einfacher E-Mail ohne elektronische Signatur Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Zur Begründung fügte er den Entwurf eines Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) bei, der in seiner Tz 16c eine vertrauensschützende Übergangsregelung enthielt (später BMF-Schreiben vom 24. Juli 2013, BStBl I 2013, 1022, Tz 16 Satz 1).
Am 22. Mai 2013 bat die ZfA den D um Nachreichung einer Vollmacht der Klägerin. Am 28. Mai 2013 legten die Klägerin und D gemeinsam Einspruch ein.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ließ ausdrücklich offen, ob der Einspruch rechtzeitig eingelegt worden sei. Jedenfalls sei die Klage schon deshalb unbegründet, weil der Klägerin für 2011 kein Anspruch auf Altersvorsorgezulage zustehe. Sie erfülle weder die Voraussetzungen des § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG noch die der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24c EStG noch die des BMF-Schreibens in BStBl I 2013, 1022. Zwar habe der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Kommission/Deutschland vom 10. September 2009 C-269/07 (EU:C:2009:527, Slg. 2009, I-7811) die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersvorsorgezulage in Fällen mit Auslandsberührung mit Wirkung ab 2010 neu geordnet. Darin liege im Fall der Klägerin aber weder eine unzulässige Rückwirkung noch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.
Mit ihrer Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, ihre Zulageberechtigung folge schon aus dem Umstand, dass sie auch im Jahr 2011 in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei. Ihr sei Vertrauensschutz zu gewähren, da eine im Jahr 2010 vorgenommene Gesetzesänderung sich nicht zu Lasten von Personen auswirken dürfe, die bereits im Jahr 2008 einen Altersvorsorgevertrag abgeschlossen hätten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 20. September 2013 und den Ablehnungsbescheid vom 6. März 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Altersvorsorgezulage für 2011 festzusetzen.Die ZfA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Sie schließt sich dem finanzgerichtlichen Urteil an.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Das FG hat zu Recht erkannt, dass die Klägerin für das Streitjahr 2011 keinen Anspruch auf Altersvorsorgezulage hat (dazu unten 1.) und gegen diese Rechtslage keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (unten 2.). Der Ausschluss der Klägerin vom Anspruch auf Altersvorsorgezulage ist auch mit dem Unionsrecht vereinbar (unten 3.).
1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Altersvorsorgezulage zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus den gesetzlichen Regelungen über die Altersvorsorgezulage (dazu unten a) noch aus der gesetzlichen Übergangsregelung (unten b) oder dem BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1022 (unten c).
a) Gemäß § 79 Satz 1 EStG haben die in § 10a Abs. 1 EStG genannten Personen Anspruch auf eine Altersvorsorgezulage. § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG benennt die in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten. Die Klägerin, die im Streitjahr 2011 ausschließlich in der Schweizerischen AHV pflichtversichert war, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Eine Anspruchsberechtigung nach § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG besteht ebenfalls nicht, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
b) Die Klägerin fällt auch nicht unter die vertrauensschützende Übergangsregelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StEUVUmsG) vom 8. April 2010 (BGBl I 2010, 386) geschaffen worden ist.
aa) Bis einschließlich 2009 genügte gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG a.F. eine Pflichtversicherung "in der gesetzlichen Rentenversicherung"; eine Beschränkung auf die inländische gesetzliche Rentenversicherung war damals noch nicht vorgesehen. Allerdings forderte § 79 Satz 1 EStG a.F. für einen Anspruch auf Altersvorsorgezulage zusätzlich die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Anspruchstellers.
bb) Mit seiner Entscheidung Kommission/Deutschland (EU:C:2009:527, Slg. 2009, I-7811) hat der EuGH diese Regelungslage beanstandet. Er hat die Altersvorsorgezulage nicht als steuerliche, sondern als soziale Vergünstigung eingestuft (Rz 38-50 des EuGH-Urteils). Den Ausschluss solcher Grenzpendler von der Zulageberechtigung, die zwar im Ausland wohnen und nach dem einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen ausschließlich dort besteuert werden, aber im Inland der Rentenversicherungspflicht unterliegen, hat er als Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit angesehen. Die Pflichtversicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung stelle eine Bindung zur deutschen Gesellschaft dar, die hinreichend eng sei, um es dem Grenzgänger zu ermöglichen, in den Genuss der fraglichen sozialen Vergünstigung zu kommen (Rz 60 des EuGH-Urteils). Ferner hat der EuGH ausgeführt, Zweck der Altersvorsorgezulage sei es, zum Ausgleich für die Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente einen Anreiz für den Aufbau einer ergänzenden privaten Rente zu geben (Rz 61 des EuGH-Urteils).
cc) Daraufhin hat der deutsche Gesetzgeber die Rechtslage mit dem StEUVUmsG vom 8. April 2010 umgestaltet und knüpft nun für die Zulage nicht mehr an die unbeschränkte Steuerpflicht, sondern an die Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung an.
Allerdings stehen gemäß der Übergangsregelung des im Streitjahr geltenden § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG (heute § 10a Abs. 6 Satz 1 EStG) für die Anwendung des § 10a EStG den in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten die Pflichtmitglieder in einem ausländischen gesetzlichen Rentenversicherungssystem gleich, wenn diese Pflichtmitgliedschaft mit der in einem inländischen Alterssicherungssystem nach § 10a Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 EStG vergleichbar ist und vor dem 1. Januar 2010 begründet worden ist. Als Altersvorsorgebeiträge sind bei den in § 52 Abs. 24c Sätze 2 und 3 EStG genannten Personengruppen aber nur diejenigen Beiträge zu berücksichtigen, die vom Abzugsberechtigten zugunsten seines vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Vertrags geleistet wurden (§ 52 Abs. 24c Satz 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; heute § 10a Abs. 6 Satz 3 EStG).
Diese Übergangsregelungen gelten auch für die Altersvorsorgezulage (§ 52 Abs. 63a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; heute § 79 Satz 3 EStG).
dd) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 52 Abs. 63a i.V.m. Abs. 24c Satz 2 EStG nicht erfüllt, da die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der Schweizerischen AHV nicht vor dem 1. Januar 2010, sondern erst am 1. November 2010 begründet worden ist. § 52 Abs. 63a i.V.m. Abs. 24c Satz 4 EStG, wonach nur Beiträge berücksichtigt werden, die zugunsten eines vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Vertrags geleistet wurden, stellt keine davon unabhängige weitere Anspruchsgrundlage dar, sondern enthält eine zusätzliche Voraussetzung für die Fälle des § 52 Abs. 24c Sätze 2 und 3 EStG. Dies folgt schon aus der gesetzlichen Formulierung "bei den in den Sätzen 2 und 3 genannten Personengruppen", die eine klare Anknüpfung an die vorangehenden Vertrauensschutzregelungen enthält.
Diese Regelungslage ist eindeutig. Auf die fortbestehende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Klägerin kommt es nicht an.
c) Die Klägerin kann einen Anspruch auf Altersvorsorgezulage auch nicht auf Tz 16 Satz 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2013, 1022 stützen. Dort heißt es: "In analoger Anwendung des § 52 Abs. 24c Satz 4 EStG erfolgt die Gleichstellung der in einer ausländischen Pflichtversicherung Versicherten mit denen, die in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert sind, wenn der Anleger vor dem 1. Januar 2010 einen Vertrag abgeschlossen hat."
Entgegen der Auffassung des FG und der ZfA ist der Klägerin durchaus zuzugeben, dass bei alleiniger Betrachtung des Wortlauts dieser Verwaltungsanweisung die Annahme, die Verwaltung habe Steuerpflichtigen in der Situation der Klägerin einen Anspruch auf Altersvorsorgezulage zuerkennen wollen, nicht fern liegt.
Selbst wenn aber das BMF-Schreiben in dem von der Klägerin angeführten Sinne zu verstehen sein sollte, könnte dies keinen Anspruch auf Altersvorsorgezulage begründen. Es handelt sich um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung, die keine Rechtsnorm, sondern lediglich Ausdruck der Rechtsmeinung der Verwaltungsbehörde ist. Solche Verwaltungsanweisungen können ‑‑soweit sie nicht der Bindung eines der Behörde durch Gesetz eingeräumten Ermessens dienen, was hier nicht der Fall ist‑‑ weder eine mit Rechtsverordnungen vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 13. Dezember 2007 IV R 92/05, BFHE 220, 482, BStBl II 2008, 583, unter II.3.b, m.w.N.). Die gesetzliche Regelungslage ist eindeutig: § 52 Abs. 24c Satz 4 EStG begründet keine von § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG unabhängige Anspruchsgrundlage; vielmehr muss die dort genannte Voraussetzung (Abschluss des Altersvorsorgevertrags vor dem 1. Januar 2010) zusätzlich zu den in § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG genannten Merkmalen (Begründung der ausländischen Pflichtversicherung vor dem 1. Januar 2010) vorliegen, um Vertrauensschutz erlangen zu können (vgl. die Ausführungen unter b dd).
Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) sind nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens, das allein die Festsetzung der Zulage betrifft. Ohnehin ist § 163 AO im Zulageverfahren nicht anzuwenden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 EStG), so dass die zitierte Passage aus dem BMF-Schreiben auch nicht als Billigkeitsmaßnahme verstanden werden kann.
2. Gegen die Versagung der Altersvorsorgezulage für 2011 bestehen ‑‑aus den vom FG genannten und von der Revision nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Gründen‑‑ keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Die gesetzliche Neuregelung der Zulageberechtigung in Fällen mit Auslandsberührung entfaltet keine unzulässige Rückwirkung.
aa) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat auch in seiner neueren Rechtsprechung an der Unterscheidung zwischen echten und unechten Rückwirkungen festgehalten. Allerdings bedürfen auch in Fällen lediglich unechter Rückwirkungen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit (zum Ganzen BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2/04, 13/05, BVerfGE 127, 1, Rz 59 ff.).
Selbst eine ‑‑in Bezug auf das Streitjahr 2011 noch nicht einmal gegebene‑‑ Rückwirkung innerhalb des laufenden Veranlagungszeitraums ist aber verfassungsrechtlich nicht generell unzulässig. Vielmehr würde die Gewährung eines uneingeschränkten Schutzes des Vertrauens auf das Fortbestehen der bisherigen Rechtslage den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (zum Ganzen ausführlich BVerfG-Beschluss vom 10. Oktober 2012 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rz 45, m.w.N.).
bb) Das am 14. April 2010 verkündete StEUVUmsG, das die Neuregelung der Anspruchsberechtigung für die Altersvorsorgezulage mit sich brachte, entfaltet in Bezug auf die Klägerin für das noch in der Zukunft liegende Streitjahr 2011 nur deshalb eine unechte Rückwirkung, weil die Klägerin ihren Altersvorsorgevertrag bereits vor Inkrafttreten des StEUVUmsG abgeschlossen hatte. Diese unechte Rückwirkung ist nach den dargestellten Grundsätzen, die das BVerfG entwickelt hat, verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
(1) Für Fälle, in denen sowohl der Altersvorsorgevertrag vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossen wurde als auch vor diesem Zeitpunkt bereits eine Pflichtmitgliedschaft in einem ausländischen gesetzlichen Altersvorsorgesystem bestand, gewährleistet § 52 Abs. 24c Satz 2, 4 EStG einen umfassenden Vertrauensschutz. Die Nachfolgeregelung des § 10a Abs. 6 EStG n.F. gilt auch für die Zukunft unbegrenzt. In diesen Fällen gewichtet der Gesetzgeber das Vertrauen des Zulageberechtigten auf den Fortbestand der Rechtslage also höher als sein Interesse an einer sofortigen Wirkung der Umgestaltung der Rechtslage.
(2) Demgegenüber ist im Fall der Klägerin ihr Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage nur in sehr eingeschränktem Maße schutzwürdig. Entscheidend für den künftigen Wegfall des Anspruchs auf Altersvorsorgezulage war in ihrem Fall nicht allein die Gesetzesänderung, sondern die ‑‑erst nach der Verkündung der Gesetzesänderung umgesetzte‑‑ freie Entscheidung der Klägerin, ein Beschäftigungsverhältnis im Ausland anzutreten und dadurch ihre Pflichtmitgliedschaft in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Anwendbarkeit eines ausländischen Altersversorgungssystems aufzugeben. Der Senat hält es in einem solchen Fall für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber dem Interesse einer möglichst baldigen Anwendung der ‑‑hier zudem durch den EuGH erzwungenen‑‑ gesetzlichen Neuregelung den Vorrang vor dem Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage gibt.
Hinzu kommt, dass die Klägerin nicht gezwungen ist, den von ihr im Jahr 2008 abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag laufend weiter zu besparen. Sie kann sich vielmehr in jedem Jahr neu und frei entscheiden, in welcher Weise sie Geld für ihre Altersvorsorge anlegen möchte. Vor diesem Hintergrund stellt der Abschluss des Altersvorsorgevertrags im Jahr 2008 keine Disposition dar, die die Klägerin auch künftig binden würde.
b) Die gesetzliche Anknüpfung an die Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung statt an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist sachlich gerechtfertigt und führt insbesondere nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Mit dieser Anknüpfung trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die Altersvorsorgezulage als Ausgleich für die Kürzungen dienen soll, die im System der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen worden sind (Senatsurteil vom 29. Juli 2015 X R 11/13, BFHE 250, 531, BStBl II 2016, 18, Rz 20, m.w.N.). Dieses Differenzierungskriterium ist nicht nur sachgerecht, sondern zwingend. Die von der Klägerin begehrte Anknüpfung an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht unabhängig von einer Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung würde dem Gesetzeszweck nicht gerecht.
3. Im Fall der Klägerin bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die Versagung der Altersvorsorgezulage.
a) Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU. Die Klägerin kann sich daher nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten berufen, die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährleistet sind. Vielmehr könnte sie nur einen etwaigen Verstoß gegen das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 ‑‑BGBl II 2001, 810‑‑ (Freizügigkeitsabkommen ‑‑FZA‑‑) geltend machen.
Als internationale Übereinkunft i.S. der Art. 216 ff. AEUV bindet das FZA auch die Mitgliedstaaten (Art. 216 Abs. 2 AEUV). Daher nimmt der Abkommensinhalt am Vorrang des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht teil und bewirkt im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Vorschrift deren Nichtanwendbarkeit (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, Rz 31, m.w.N.). Damit ist das FZA grundsätzlich bei der Auslegung und Anwendung der §§ 10a, 79 ff. EStG zu beachten (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2012 X R 3/11, BFHE 237, 223, BStBl II 2012, 585, Rz 26).
Das FZA enthält keinen Verweis auf die Grundfreiheiten des AEUV, sondern definiert autonom einige Rechte der Staatsangehörigen der EU und der Schweiz (Art. 1 FZA). Hierzu gehört für Arbeitnehmer u.a. der Anspruch, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden (Art. 2 i.V.m. Art. 9 Anhang I FZA), das Recht auf Einreise (Art. 3 i.V.m. Art. 1 Anhang I FZA) sowie auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit (Art. 4 i.V.m. Art. 6-8 Anhang I FZA).
Zwar regelt Art. 9 des Anhangs I FZA in Bezug auf die Freizügigkeit die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer, die Staatsangehörige einer Vertragspartei sind, lediglich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei, also im Streitfall in der Schweiz. Folglich würde diese Vorschrift nur den Fall einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegenüber einem Angehörigen einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei erfassen (so EuGH-Urteil Grimme vom 12. November 2009 C-351/08, EU:C:2009:697, Slg. 2009, I-10777, Rz 48). Damit wäre das FZA im Streitfall, der eine Verpflichtung des Wohnsitzstaates Deutschlands einer eigenen Staatsangehörigen gegenüber zum Gegenstand hat, nicht einschlägig. In seiner nachfolgenden Rechtsprechung hat der EuGH aber entschieden, dass der in Art. 9 des Anhangs I FZA enthaltene Grundsatz der Gleichbehandlung von einem erwerbstätigen Staatsangehörigen einer Vertragspartei, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, auch gegenüber seinem Herkunftsstaat geltend gemacht werden kann (Urteil Radgen vom 21. September 2016 C-478/15, EU:C:2016:705, Rz 40; ebenso bereits Urteil Bergström vom 15. Dezember 2011 C-257/10, EU:C:2011:839, Slg. 2011, I-13227). Jedoch stellt die seit 2010 in Deutschland geltende Rechtslage für die Inanspruchnahme der Altersvorsorgezulage keine ungerechtfertigte Einschränkung des Rechts der Klägerin auf Freizügigkeit dar.
Die Wahl einer neuen Arbeitsstelle im Ausland löst den Wechsel von der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung in ein ausländisches Altersvorsorgesystem aus und hat dadurch zur Folge, dass künftig keine Ansprüche auf Altersvorsorgezulage mehr entstehen. Bei weiter Auslegung mag man darin eine zumindest mittelbare Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) sehen. Diese Beeinträchtigung ist bei Zugrundelegung des EuGH-Urteils Kommission/Deutschland (EU:C:2009:527, Slg. 2009, I-7811) jedoch gerechtfertigt. Der EuGH hat dort die Bindung der "sozialen Vergünstigung" an die Pflichtmitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung betont und ausgeführt, Zweck der Altersvorsorgezulage sei die Schaffung eines Ausgleichs für die Absenkung des Leistungsniveaus der (deutschen) gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. die Darstellung oben 1.b bb). Bei ausschließlicher Geltung eines ausländischen Altersvorsorgesystems ist aber weder die vom EuGH betonte Bindung an das deutsche gesetzliche Rentenversicherungssystem noch der angeführte Gesetzeszweck, Leistungskürzungen der deutschen Rentenversicherung auszugleichen, gegeben.
Im Übrigen hätte ein Arbeitnehmer, der in ein ausländisches Altersvorsorgesystem wechselt, nach den Grundsätzen der zitierten EuGH-Entscheidung im Beschäftigungsstaat Anspruch auf eine Zulage zum Ausgleich etwaiger Kürzungen im dortigen gesetzlichen Altersvorsorgesystem, sofern jener Staat Vorschriften über die Gewährung entsprechender Zulagen erlassen haben sollte. Zuständig für die diskriminierungsfreie Gewährung sozialer Vergünstigungen, die dem Ausgleich von Kürzungen in obligatorischen Altersvorsorgesystemen dienen, ist also der Beschäftigungsstaat, dessen sozialem Sicherungssystem der Arbeitnehmer angehört, nicht aber der Wohnsitzstaat, aus dessen sozialem Sicherungssystem der Arbeitnehmer entlassen wurde. Die Klägerin ist, soweit sie ab dem 1. November 2010 weitere Rentenansprüche aufbaut, von den Kürzungen im deutschen Rentenversicherungssystem nicht mehr betroffen. Damit entfällt der ‑‑auch vom EuGH zugrunde gelegte‑‑ tragende Grund für die Gewährung einer Zulage, die diese Kürzungen ausgleichen soll.
b) Die deutsche Rechtslage verstößt auch nicht gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft bzw. den gleichlautenden Art. 7 Abs. 2 der ab dem 16. Juni 2011 anzuwendenden Nachfolgeregelung, der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, wobei hier offenbleiben kann, ob dieses EU-Sekundärrecht im Verhältnis zur Schweiz überhaupt anwendbar ist.
Danach genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Diese Regelung, die für den Fall, den der EuGH in seinem Urteil Kommission/Deutschland (EU:C:2009:527, Slg. 2009, I-7811) zu beurteilen hatte, einschlägig war, bezieht sich lediglich auf die Rechtsvorschriften im aufnehmenden Mitgliedstaat. Für den Herkunftsmitgliedstaat des Arbeitnehmers (hier Deutschland) folgt daraus nichts.
4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.